Mittwoch, 16. Januar 2019

"Unwort" ist Unwort des Jahres


Eine Jury hat aus fast 900 Einsendungen und mehr als 500 eingegangenen Vorschlägen das Unwort des Jahres gekürt. In der Auswahl waren viele Äußerungen von Politikern, gewonnen hat aber diesmal nicht wie traditionell üblich ein Begriff, den noch niemals vorher jemand gehört hat. Sondern der Begriff "Unwort", eine Vokabel, die nach Maßgabe des "Duden" ein besonders "schlechtes, falsch gebildetes, unschönes Wort" sei, das zudem "schlimm" und "unangebracht" ist.

Eine echte Überraschung, hatten doch in den vergangenen Jahres stets Begriffe das Rennen gemacht, die nicht nur eine linguistische Semantik, sondern auch eine klare politische Botschaft transportierten. "Unwort", bis vor 28 Jahren nicht einmal im Duden vertreten, "unterstelle, dass es Worten geben könne, die keine seien", teilte die Jury aus ehrenamtlich tätigen Sprachhütern mit. Damit erinnere der Begriff an die dunkelsten Tage der deutschen Geschichte, als Menschen zu "Unmenschen" erklärt und anschließend zur Vernichtung freigegeben worden waren.

Oft steht Sprache am Anfang der Gewalt - und hier setzt das Unwort an. Die jährliche Wahl geht auf eine Initiative der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) in Wiesbaden zurück, die Anfang der 70er Jahre begonnen hatte, das jeweilige "Wort des Jahres" zu küren. Wegen des Hinzukommens der Ostdeutschen - insbesondere der Sachsen - nach der deutschen Einheit wurde dann ab 1991 auch das "Unwort des Jahres" gewählt und verkündet, anfangs weitgehend unbeachtet. So vermeldete der damals noch renommierte "Spiegel" die ersten "Unworte" nicht einmal.

Mit der zunehmenden Umdrehungsgeschwindigkeit der Mediengesellschaft aber avancierten in der Bevölkerung meistenteils völlig unbekannte "Unworte" wie "Entlassungsproduktivität", "betriebsratsverseucht" oder "Opfer-Abo" zu willkommenen Anlässen, aus einzelnen Begriffen vermeintliche gesellschaftliche Zustände zu deuten. Der anonymen Jury geht es dabei erklärtermaßen ausschließlich um Begriffe, die aus ihrer subjektiven Sicht gegen das "Prinzip der Menschenwürde" oder gegen "Prinzipien der Demokratie" verstoßen, "weil sie gesellschaftliche Gruppen diskriminieren oder euphemistisch, verschleiernd oder irreführend" seien". 2016 fiel die Wahl auf "Volksverräter", 2017 lautete das Unwort "alternative Fakten".

Das Prinzip der Auswahl der entsprechenden Siegerworte ist dabei ganz einfach: Für eine vorab feststehende Diagnose sucht die Jury ein plakativen "Unwort", das weder weit verbreitet noch überhaupt geläufig sein muss. Nach dessen nach geheimen Regeln ablaufender "Wahl" zum "Unwort" folgt dann im Zirkelschluss die Analyse, dass dieses Wort überraschend klar belege, dass ein befürchteter gesellschaftlicher Zustand nun gar nicht mehr zu leugnen sei.

Mit dem "Unwort" als Unwort wurde das Unwort des Jahres zum 28. Mal gekürt. Dabei hatten 900 von 82 Millionen Deutschen diesmal rund 500 Wort-Vorschläge eingereicht. Unter den häufigsten Einsendungen waren der Jury zufolge der vom heutigen bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder benutzte Begriff "Asyltourismus" sowie der von AfD-Chef Alexander Gauland verwendete Begriff "Vogelschiss". Die Häufigkeit eines Vorschlags spielt aber für die Entscheidung der Jury keine Rolle.

9 Kommentare:

Die Anmerkung hat gesagt…

„Anti-Abschiebe-Industrie“ ist nach Meinung einer sich selbst ermächtigten Jury Unwort des Jahres weil es die Sagbarkeitsregeln bedenklich verändert hat.

Linguistik-Professorin Nina Janich, Sprecherin der Jury, sagte, eine solche Äußerung von einem wichtigen Politiker einer Regierungspartei zeige, "wie sich der politische Diskurs sprachlich und in der Sache nach rechts verschoben hat und sich damit auch die Sagbarkeitsregeln in unserer Demokratie auf bedenkliche Weise verändern."

https://www.t-online.de/leben/id_85087754/das-unwort-des-jahres-2018-lautet-anti-abschiebe-industrie-.html
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Weiß zufällig jemand genauer, wo man dieses Regelwerk runterladen kann? Ich hätte Zeit, es den tristen Winter über zu pauken.

Anonym hat gesagt…

Lachhaft simpel zu durchschauende Taktik der Dressureliten und Diskurshoheiten, wollen sie doch damit die (von ihnen initiierten), schleichenden Wort-Verteufelungen aus der öffentlichen Wahrnehmung verbannen

Eigenzitat:
„Denn, werden mit der perfiden Tabuisierung negativ konnotierter Begriffe Zwangs-Substitute oktroyiert, nehmen diese Substitute indessen im Laufe der Zeit dieselben Negativkonnotationen an, wie ihre exorzierten „Vorgänger“, bleiben doch die Negativ-Attribute der mit ihnen assoziierten Objekte die gleichen. - Ergo muss das Vokabular in einer stetigen Abwärtsschraube immer weiter von „pööösen, pööösen, diskriminatorischen Begrifffen ausgemistet“ werden. –
Und da einerseits die paranoide, hysterische Insinuation gegen eigentlich harmlose Begriffe eine galoppierende Zunahme erfährt, und so rasch keine Wort-Neu-Schöpfungen in gleicher Quantität nachgeliefert werden können, bedeutet das Ausdünnung des Vokabulars.“
Ende Eigenzitat.

Dies wollen sie mit dem „selbstrefenziellen Konzept“ erreichen, den Prozess des Sprach-Exorzismus selbst (Unwort) zum Tabu zu erklären, der dann fürderhin ein für alle mal selbst aus der Sprache heraus exorziert wird.-
 Wort-/Begriff-/Redewendung-Exorzismus läuft noch klandestiner, noch unangreifbarer.

teu hat gesagt…

....ist eigentlich "politplattquatsch" schon mal vorgeschlagen worden?
Würde das derzeitige Niveau hier punktgenau treffen.

Anonym hat gesagt…

@ teu
Oh wie gern würde ich Dich züchtigen. Dare to discipline ...
Ditt lilla rövhål.

Volker hat gesagt…

"Sagbarkeitsregeln"

Wann hat sich eigentlich das Unwort "Sagbarkeit" bzw. "das Sagbare" in unserer Sprache breitgemacht?

ppq hat gesagt…

@volker: komisch, das habe ich mich heute auch gefragt, als ich den kommentar las. es fing wohl mit den "grenzen des sagbaren", die irgendwer als solche empfindet und meint, seine müssten automatisch die von jedermann sein.

aber dass es da jetzt eine "sagbarkeitsregel" gibt, das ist wohl neu. man müsste teu fragen, der kennt sich mit so soziologenkram unheimlich aus. dass platsch eigentlich noch schlimmer ist als platt, das versteht er nicht

Anonym hat gesagt…

teu doppelplusgutquaksprech.


Scherz beiseite, skämt asidå - Ein anderes Exempel für Schwurbelwörter ist "Mitmenschlichkeit" - die Rechtschreibkorrektur moniert es bedenklicherweise nicht - ofenkundig von schwulen Popen aus Menschlichkeit und Mitleid zusammengemanscht - "sie gehen mir auch wider den Geschmack" (die Popen) - sagte jemand - wer weiß/sagt, wer das war?

Anonym hat gesagt…

Aprpopos Modephrasen:

Nimmer hören kann ich zum Bleistift:

das ewige: "letztendlich" oder "schlussendlich"
das stupide: "umsetzen"
das gutmenschliche: "nachhaltig"
das infantile: "angesagt"

Die Anmerkung hat gesagt…

Der Zugang zu "Medien" wird über Sagbarkeitsregeln gesteuert.

https://books.google.de/books?id=OLW13zI-o44C&pg=PA62&lpg=PA62&q=sagbarkeitsregeln

Verlag: De Gruyter; Auflage: 1 (7. Juli 2011)
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Aha, dann das ist es in internes Regelwerk der Schmierfinkenbranche, das sie benutzen, um wie ein Permanentmagnet ihresgleichen anzuziehen.

Dann geht uns das eigentlich nichts an.