Mittwoch, 12. Februar 2020

Politische Mathematik: Die Formel der Macht

Die politische Mathematik, sie wird neu definiert in diesen Thüringer Tagen, die die Erkenntnis brachten, dass keine Wahl geheim ist und die Bundesregierung den Landesregierungen weisungsbefugt, trotz allem, was das Grundgesetz dazu einstmals bemerkt haben mag. Die Kategorie des Anstands, der nach Tagesform definiert wird, bestimmt über die Legitimität demokratischer Mehrheiten, die Angst sitzt am Abakus und prognostiziert sich gute Aussichten, das Wahlvolk mit eiserner Moral zurückzuzwingen aufs Gleis der Gewohnheit.

Arithmetik als konkrete Wissenschaft hat ausgedient, wenn die Kanzlerin aus der Ferne ruft, „dass nie Mehrheiten mithilfe der AfD gewonnen werden sollten". Der Blick auf die Thüringer Verhältnisse offenbart das Dilemma: Die CDU darf nicht mit der Linken, für die SPD, Grüne und Linke reicht es nicht, für CDU und FDP ebensowenig. Der Elefant im Raum, der sechste Mann, mit dem niemand können kann, er verhindert, dass irgendetwas geht, ohne dass sich irgendjemand aus seinem Schützengraben bewegt. Was in Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Sachsen noch zu abenteuerlich akrobatischen Anti-AfD-Regierungen führte, getragen von Einheitsfronten, deren einzig gemeinsames Interesse es ist, den Elefanten nicht ans Ruder zu lassen, galoppierte im grünen Herzen Deutschlands in die Selbstblockade.

Die im Dammbruch enden musste. FDP und CDU ließen einen Kompromisskandidaten los, den die AfD womöglich mitwählte, vielleicht waren es auch Ramelow-Neider, Grüne, die sich verwählt hatten, oder Sozialdemokraten, die sich nach Genscher und Schmidt zurücksehnen. Man weiß es nicht, man wird es nie erfahren, doch man muss die Konsequenzen tragen. Der Ukas der Kanzlerin bestimmt, dass künftig auf den Stillstand zugewählt wird. Wo FDP und CDU zusammen auf 30 oder 35 Prozent kommen und das linke Lager mit Grünen, SPD und Linker bei 35 bis 40 Prozent landet, wird keine der beiden Kombinationen auf ihrer Seite allein eine Mehrheit finden. Und wo es die FDP nicht ins Parlament schafft, wird es selbst für CDU, Grüne und SPD eng.

"Wenn AfD und Linke zusammen 60 Prozent der Sitze haben, wird es schwer, ohne sie eine Mehrheit zu finden", hat Wolfgang Schäuble ausgerechnet, der zu einer Zeit die Volksschule besuchte, als Rechnenkönnen noch wichtiger war als zu wissen, was bei den Genossen zählt.

Mit oder ohne ihn - die Parteizentralen können hinrechnen und her, zurück und hoch, sie können multiplizieren und addieren. Es kommt nirgendwo mehr eine Mehrheit heraus. Alle wissen das, sie wissen das es eng wird: Aber es war bisher noch nie eng genug, um die Linke doch mit dazuzuholen, die Schwüre und Versprechen von 30 Jahren in die Tonne zu werfen und zu hoffen, dass nicht auch das wieder nur den Elefanten füttert. Doch der Tag wird kommen, an dem keine andere Möglichkeit mehr bleibt außer der, zu tun, was Merkel so unnachahmlich elegant und unverbindlich formuliert hat: Dass Mehrheiten nie „mithilfe der AfD gewonnen werden sollten" heißt in der Übersetzung aus dem Politischen ins Deutsche, das sie es können. Merkel wird nicht immer da sein, um Wahlen rückabwickeln zulassen. Was aber wird aus ihrem Erbe, wenn die nächste CDU-Generation sich von den Regeln abwendet, die sie ihrer Partei gegeben hat?

Angela Merkel hat deshalb entschieden, die notwendige strategische Entscheidung selbst zu treffen. Da ein Meiden der beiden Ränder dauerhaft nicht möglich ist, beschloss die Kanzlerin offenbar, die Situation in Thüringen zu nutzen, den Weg frei zu machen für eine künftige Zusammenarbeit mit der Linken. Noch schamhaft verborgen als angekündigte "Enthaltung" der CDU-Abgeordneten, winkt die Union den Erzfeind von der "Mauerschützenpartei" (Heiner Garg) durch und hofft, dass der Schaden, den das anrichtet, bei anderen größer sein wird als bei der deutschen Christdemokratie.

Berlin ist weit weg vom Osten, auch wenn es mittendrin zu liegen scheint.

8 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Wer CDU wählt, wählt die SED, so weit hat Merkel den Laden runtergewirtschaftet. Das ist auf jeden Fall eine der besseren Pointen der Merkeljahre und es ruft regelrecht nach einer Alternative. Die wundern sich aber wirklich und ehrlich, dass es die AfD gibt.

Die Anmerkung hat gesagt…

Sozen, Grünisten und Linke werden die Rest-Merkel-CDU mit Klauen und Zähnen verteidigen, bis Blut fließt.

Das Sekten-Magazin weiß das auch.
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Nach AKK-Rücktritt

SPD will nur mit Merkel als Kanzlerin weiterregieren

Mit ihr hat sie begonnen, mit ihr soll sie auch enden: SPD-Generalsekretär Klingbeil zufolge soll die Große Koalition nur mit Angela Merkel als Bundeskanzlerin weitergeführt werden.

Jodel hat gesagt…

Da kann man die SPD nur verstehen. So wie sie unter Merkel schalten und walten konnten, wird sich wohl unter einem neuen Kanzler nicht in dieser Art fortsetzen lassen. Aber da kann ich die SPD beruhigen. Wenn morgen die Welt untergeht, wird sie das mit Merkel als Kanzlerin tun.
Die Kanzlerin in ihrem Lauf, hält weder Ochs noch Esel auf.

Gerry hat gesagt…

Wenn ich ein Linker wäre, würde mir jetzt Angst und Bange werden. Das Merkel ist der Parteientod. Die Afd kann nur gewinnen; vor allem wenn sie weiterhin schön den Ball flach hält und konstruktiv arbeitet bzw. destruktiv den anderen den Politikspiegel aus dem Sozialkundeunterricht vorhält.

Die Anmerkung hat gesagt…

Die Kanzlerfrage als Frage der Macht. Wer hat mehr Eier? Ein Mann oder Spahn?

Die Anmerkung hat gesagt…

https://www.achgut.com/artikel/fundstueck_spd_am_rande_des_nervenzusammenbruchs

Die SPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag ist mit einem „Eilantrag“ gegen die Wand gelaufen, der auf immer und ewig verhindern sollte, dass „Thüringer Verhältnisse in Nordrhein-Westfalen“ Einzug halten. Der Landtag sollte beschließen, „dass die Wahl eines Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen niemals von den Stimmen von AfD-Abgeordneten abhängen darf“. Der Landtagspräsident ließ den Antrag nicht zu.

IrlandsCall hat gesagt…

Merkel könnte ja ein Wahlgesetz erlassen, nachdem "Aussreisserstimmen" bei Wahlen nicht zulässig sind, also nicht gezählt werden. Ist in der Mathematik auch üblich.

Die Anmerkung hat gesagt…

Depesche nach Irland. Mathe nicht, Statistik schon, was aber auch irgendwas mit Mathe zu tun hat.

Statistische Ausreißer sind ein heikles Problem, wenn man an die im 0,35 Meter tiefen Fluß ersoffene Kuh denkt. Für den Bauern, dem sie gehörte, ist es ein großes Problem. Für die Fleischtheke in der nächstgelegenen Kaufhalle völlig bedeutungslos.