Samstag, 4. April 2020

Corona-Sprache: Auf einen Seuchenschnaps an die Offenbar

Offenbar weiß man es nie so genau, immer aber genau richtig.Wer das Wort "offenbar" schreiben kann, ist in der Corona-Krise immer auf der Seite der aktuellen Tageswahrheit.


Das ist wahr, jedenfalls im Augenblick. Was morgen sein wird, weiß niemand, aber die Tageswahrheit, die gilt es zu verkünden wie die Frohe Botschaft von der letzten Erkenntnis: der Wohnsitz Gottes und die aktuelle Telefonnachricht aus der Kanzlerinnenwohnung, herausgeschmuggelt offenbar über eine ISDN-Leitung, denn wie bei einer Terrorbotschaft des inzwischen verstorbengewordenen Osama Bin Laden muss hilfsweise ein Archivbild der Bundeskanzlerin eingeblendet werden.

Offenbar ist das der Grund, denn den wahren kennt offenbar niemand. es könnte sein, die Kanzlerin hat Ausschlag. Oder sie trägt daheim durchweg Morgenrock statt ihres seit Wochen gewohnten Corona-Kampfanzuges, einem blauen Krisenblazer. Es könnte aber auch andere Gründe, nur fragt nach denen offenbar niemand. Offenbar könnte die mögliche Antwort Teile der Bevölkerung beunruhigen.

Die Tageswahrheit als Verhandlungssache


Das kann niemand wollen. Und ebensowenig kann es ein Magazin wie der "Spiegel", eine Zeitung wie die "Süddeutsche" oder ein Fernsehsender wie die ARD riskieren, an Glaubwürdigkeit zu verlieren, nur weil hin und wieder schon am Mittwoch nicht mehr wahr ist, was am Montag noch als letzte Weisheit galt. Hier hilft ein Blick ins Archiv des "Spiegel", der keinen Zweifel lässt am Trend: In den ersten 55 Jahren der Spiegel-Existenz benutzten Reporter der Illustrierten den Begriff "offenbar" nur knapp 50.000 Mal. In den 15 Jahren seitdem weit über 100.000 Mal. Der Durchschnitt der jährlichen Verwendungen stieg damit von unter 1.000 auf inzwischen etwa 6.500.

Die Tendenz ist weiter steigend, so verwendeten Claas relotius und die anderen "Spiegel"-Reporter den Begriff allein in den vergangenen zwölf Monaten in fast 9.000 Fällen. Bis zum Jahresende könnte damit zum ersten Mal überhaupt die Marke von zehntausend "offenbar" in einem jahr überschritten werden. Das wäre neuer deutscher Rekord.

Was aber macht den Charme eines Adjektives aus, das "dem Anschein nach" oder "wie es scheint" bedeutet, im journalistischen Sprachgebrauch aber in der Bedeutung von "wir wissen es auch nicht genau, Sie sollen das aber nicht merken" eingesetzt wird? Nun, an der Offenbar, einem im strengen Bauhaus-Stil designten, aber mit Blümchentapeten gestalteten Kriegsberichterstatterlokal im Hamburger Hafenviertel, versammeln sich zur Zeit alle, die es jeden Tag genau wissen, nie aber für lange. Hier, in Dreiersitzecken aus abgewetztem Plüsch, wird  Tag für Tag neu verhandelt, was als Wahrheit zu behandeln und was im Einklang mit den neuen Meinungsfreiheitsschutzgesetzen der Bundesregierung als Fake News zu bekämpfen ist.

Offenbar ist 24 Stunden geöffnet


Die Offenbar hat 24 Stunden am Tag geöffnet, sie lädt sieben Tage die Woche zum Besuch ein, dank einer Ausnahmegenehmigung für kriegswichtige Produktionsbetriebe nach § 5 Abs. 2 WehrG, die Sonderregeln für systemrelevante Berichterstatter bei der Durchführung einer Reichsverteidigungsaufgabe der Kriegswirtschaft, des Verkehrs oder der Verwaltung macht, ist die Offenbar als "unentbehrlich" und "unersetzbar" eingestuft (sog. u.k.-Stellung). Dadurch können hilfreiche Ideen zur Unterhaltung der Bevölkerung auf dem kleinen Dienstweg getauscht werden, ohne dass die staatliche Danachrichtenagentur DPA mit ihren Newsturbinen eingeschaltet werden muss, die stets den falschen Eindruck fehlender Vielfalt im Medienbetrieb erwecken.

In der Offenbar werden Gerüchte gegen Pressemitteilungen des BMI getauscht, hier wetteifern die besten Fantasyautoren der Nachrichtenmagazine mit den Faktencheckern von Antonio-Kahane-Stiftung, Bertelsmann und Correktiv "pausenlos" (Correktiv) darum, "Falschmeldungen einzudämmen" (Correktiv), die meist gestern noch offizielle Regierungspolitik waren oder aber morgen offizielle Regierungslinie werden könnten. Bei einem Seuchenschnaps am Tresen wird "offenbar" stets zum Heilmittel: Wenn etwas offenbar ist, dann ist es offenbar so, das muss aber nicht heißen, dass es wirklich so ist. Es hat nur den Anschein, es könnte so sein und wenn nicht, dann hat es ja niemand gesagt, sondern nur als offenbar so wirkend beschrieben.


Dadurch können etwa Schutzmasken offenbar helfen, zugleich aber offenbar nicht helfen, die Bundesregierung kann Maßnahmen offenbar verschärfen wollen und zugleich offenbar über ihre Aussetzung  nachdenken. Das deutsche Gesundheitswesen kann im selben Moment offenbar so unfassbar effizient sein, dass alle Welt es neidet. Und es ist offenbar doch auch grausam kaputtgespart und offenbar ganz wenig effizient, wenn es darauf ankommt.

An der Offenbar ist alles denkbar


An der Offenbar ist offenbar alles denkbar, auch das Gegenteil. Der Schein bestimmt das Bewusstsein und der Wunsch die Wirklichkeit. Hier wird ausgeschenkt, als gäbe es kein Morgen, es offenbart sich ein Gewerbe, das vielleicht nicht weiß, was ist, aber trefflich darüber zu berichten weiß, was es offenbar für die Wahrheit hält, zumindest im Moment der Niederschrift. Offenbar ist eine Seuche, eine Pest, eine Pandemie, die nicht geheilt werden kann.

Denn man weiß es zwar nie genau, aber immer richtig. Man würde kein Geld darauf wetten, jedenfalls nicht das eigene, aber die Offenbarung ereilt einen immer neu: In den USA, soweit der aktuelle Stand im "Spiegel", ist "die Lage ist inzwischen offenbar schon so schlimm, dass die US-Regierung sogar bereit ist, vom alten Erzrivalen Russland Hilfe anzunehmen." Die SPD "zieht zur Bewältigung der Finanzierung offenbar auch eine einmalige Sonderabgabe in Erwägung, mit der Vermögen belastet werden könnten." Der Kaufhauskonzern "Galeria Karstadt Kaufhof stoppt offenbar ab sofort fällige Mietzahlungen." Viele Spanier haben "angesichts der Notlage offenbar bereits gehandelt und einen Hund bei sich im Haus aufgenommen".  Eine Übertragung der Viren auf das Baby findet offenbar nicht statt. Für einige kommt mit zunehmendem Alter auch mehr Selbstsicherheit. "Ähnlich geht es offenbar auch Kristen Stewart." Ein Berliner Start-up bietet überteuerte Coronatests für zu Hause an - "und ließ sie offenbar auch im Labor des Virologen Christian Drosten auswerten."

4 Kommentare:

Taucher hat gesagt…

Staatlich geprüfte Fake-News und Doppelstandards

https://workupload.com/file/pWf75DGean5

Die Anmerkung hat gesagt…

Offenbar will Jenas OB für die Bewohner der Stadt und ihre Gäste, die es derzeit kaum geben dürfte, die Maskenpflicht einführen. Hieß es Anfang der Woche.

Gestern hieß es.
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Jetzt wird es ernst! Ab Montag gilt in Deutschlands erster Stadt die Maskenpflicht.

Jenas OB Thomas Nitzsche (44, FDP) verteidigte den Beschluss gestern, sagte: „Die Regelung betrifft geschlossene Bereiche, insbesondere dort, wo es schwierig bis unmöglich ist, den Sicherheitsabstand einzuhalten.“

Für Masken-Muffel wird es trotzdem Strafen geben! Wer gegen die städtische Allgemeinverfügung verstößt, wird mit bis zu 50 Euro zur Kasse gebeten!

https://www.bild.de/regional/thueringen/thueringen-aktuell/corona-bis-zu-50-euro-bussgeld-fuer-masken-muffel-69841814.bild.html
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Ich hoffe der Wirtschaftsexperte hat auch dafür gesorgt, daß man die Masken an den Pflichtrageorten für kleines Geld käuflich erwerben kann. Ansonsten fiel mir zwecks Charakterisierung eines solchen Zeitgenossen nur Wörter ein, die nicht tageslichttauglich sind.

Anonym hat gesagt…

Es war wohl der Gremliza selig, der sagte, wenn ein Journalist das Wort 'offenbar' benutzt, ersetzt er Recherche durch Offenbarung.

Die Anmerkung hat gesagt…

China weiß die Lösung. geiles Video.

https://twitter.com/PhdParody/status/1246255027724918791

In 2019 XiJinping lifted 600 million Chinese out of poverty.

In 2020 they were thrown back into it.