Donnerstag, 24. Dezember 2020

Blick zurück: Die härteste Weihnacht aller Zeiten

Die Kernfamilie unterm Baum: Als Weihnachten noch Auslauf hatte.


Nicht immer stand schon in Stein gemeißelt, dass 2020 das härteste Weihnachten aller Zeiten werden würde. Früher, als der Kaiser schon abgedankt hatte, der Kommunismus aber noch nicht ausgebrochen war, erzählten sich die Menschen unterm kahlen Weihnachtsbaum, geschmückt mit selbstgefaltetem Stanniolpapier und auf Streuobstwiesen gesammelten Äpfeln, Geschichten aus Zeiten, die beinahe noch fürchterlicher waren als heute. Nichts hatten die Ärmsten der Armen, nicht einmal Aussicht auf einen Impfstoff.  

Zur Einstimmung auf die diesjährige Kriegsweihnacht dokumentiert PPQ.li eine erinnerungswürdige Weihnachtssage aus jenen Tagen, als Winter noch kalt und Armut gleichbedeutend mit Hunger und Frieren war. Sechsmal Kriegsweihnachten lagen vor den Menschen, die darum nicht wussten, der Siegeszug des Sozialismus um die Welt war noch fern, die proletarische Erleichterung, die der neue Mensch fühlen würde, wäre er erst sein eigener Herr*in, hatte als Emotion kaum das Larvenstadium erreicht. 

Jedes Jahr brachte damals die härteste Weihnacht aller Zeiten oder aber wenigstens die härteste seit dem letzten Krieg. Heute, gefangen im lockdown, sollte der Umstand Mut und Hoffnung machen, dass auch jene Zeiten am Ende von vielen, die sie durchleiden mussten, überlebt wurden.

Weihnachten stand vor der Tür. Ich konnte mich nicht so recht darauf freuen, denn mein Vater war seit dem Sommer arbeitslos. Nach dem großen Streik der Tiefbauarbeiter war er auf die Straße geworfen worden. Jetzt, im Winter, hatte er überhaupt keine Aussicht, Arbeit zu finden. Draußen war es kalt, drinnen bei uns nicht minder, denn wir hatten kein Geld, uns Feuerholz zu kaufen.

Mutter war vor einer Woche viel zu früh aus dem Krankenhaus entlassen worden. Sie war noch sehr schwach. Am Morgen des 24. Dezember hatte uns der Lehrer noch einmal in die Schule bestellt. Es sollte eine Weihnachtsfeier für die ärmsten der Armen unter uns Kindern stattfinden. Neugierig und doch beklommen ging ich hin, vielleicht würde es Geschenke für uns geben?

Nach einem gemeinsamen Weihnachtslied wurden wir verhört. Wessen Vater ist einen Monat arbeitslos? Hände hoch! Ihr stellt euch zum Fenster, sagte der Lehrer. Zwei Monate arbeitslos? Dorthin! Drei Monate? "Wer hat mehr als zwei Geschwister? Vortreten!" Unser Lehrer, ein knorriger Kriegsveteran, der sich noch an frühere fürchterliche Weihnachtsfeste erinnerte, verstand es meisterhaft, in unserer Not herumzuwühlen. Seine Augen glänzten vor Nächstenliebe. Es wurde ein richtiger Wettbewerb der Armut, den er veranstaltete. Ich fühlte mich traumatisiert, als die Fragerei endlich ein Ende fand. Ich war unter den Siegern, die als erste an den Gabentisch treten durften, und erhielt vom Lehrer eine Weihnachtskerze, eine Tüte mit zwei Pfund Linsen und ein Brot. 

Mein Gesicht brannte, und die Tränen schossen mir unwillkürlich in die Augen. Noch schlimmer wurde es, als ich zum dicken Wilhelm Pätzold gehen musste, um ihm Dankeschön zu sagen. Pätzold war ein reiches Kind aus wohlhabendem Haushalt. Seine Eltern hatten diese Geschenke, die aus ihrem Kolonialwarengeschäft stammte, gespendet. Ich konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Der Lehrer und alle anderen dachten aber wahrscheinlich, es seien Tränen der Dankbarkeit. Als alle ihr Paket empfangen hatten, wurde noch ein Lied gesungen. Doch meine Kehle war wie zugeschnürt. Ich rannte nach Hause und brachte meiner Mutter die Lebensmittel. Ihre Freude ließ mich die Beschämung des Vormittags fast vergessen. 

Am Abend saßen wir dann in der Küche. Licht konnte nicht eingeschaltet werden, weil die Stromversorgungsgesellschaft uns wegen unserer unbezahlten Rechnungen bereits zu Anfang des Monats den Zähler gesperrt hatte. Ich zündete die Weihnachtskerze an, die ich in der Schule geschenkt bekommen hatte. Auf dem Tisch lag eine Karte aus dem Kindererholungsheim der "Roten Hilfe" in Worpswede. Sie kam von Gerda, der Tochter eines eingekerkerten Genossen, die meine Eltern bei uns aufgenommen hatten, denn ihre Mutter war schon einige Jahre tot. Als ich in die Gesichter meiner Eltern blickte, erschrak ich über den harten, bitteren Ausdruck darin. Auch meine scherzhafte Bemerkung, der Weihnachtsmann habe uns wohl vergessen, brachte sie nicht zum Lächeln. Im Gegenteil, Mutter drehte sich herum und wischte sich über die Augen. 

Auf einmal klingelte es, dann klingelte noch einmal. "Will denn noch jemand etwas von uns holen?" klagte die Mutter leise. Sie hatte ihren Humor noch nicht verloren. Der Vater ging zur Tür. Erst hörte man laute Stimmen, dann Lachen, und gleich darauf öffnete sich die Küchentür. Zwei Männer traten ein. Sie waren wie Vater gekleidet, wenn er sonst abends von der Baustelle heimkam. Handfeste Figuren mit großen, festen Händen. Der eine legte ein großes Paket auf den Tisch. Der andere ließ einen mächtigen Sack voller Kohlen über seine Schultern in die Ecke am Herd rutschen. "Hier", war alles, was er dazu sagte. Dann langte er in seine Tasche und legte noch eine Handvoll Bonbons vor mich hin. Bevor wir noch etwas sagen konnten, verschwanden sie schon wieder im Korridor. Vater ging mit hinaus. 

Inzwischen packte meine Mutter das Paket aus. Hübsche warme Wollsachen kamen zum Vorschein. Die Augen meiner Mutter glänzten. Als mein Vater in die Küche zurückkehrte, fragte ich ihn, wer die beiden Männer waren. ,.Das", sagte er, und seine Stimme klang ganz anders als vorher, ja, er erschien mir größer und' stärker, "das, mein Junge, waren unsere Genossen." 

Der Klang dieses Wortes ist in mir lebendig geblieben mein ganzes Leben lang.

Erich Gohlke, "Auf kühnen Wegen"


6 Kommentare:

Hase, Du bleibst hier ... hat gesagt…

Schöne Geschichte. Bei der Roten Hilfe kommt heuer nur noch der Knüppel aus dem Sack. Aus Genossen ist Geschmeiß geworden.

Anonym hat gesagt…

Heute ist China für die westliche Misere verantwortlich. Zu Recht?

Anonym hat gesagt…

Da kann man mal sehen, wie reaktionär diese sogenannten Genossen damals waren. Sitzen herum und feiern ein Pfaffenfest statt für Diversität, gegen rechts und für die Einwanderung der wahren Bedürftigen einzutreten! Außerdem ist keiner schwul oder trans, was soll denn da die Message sein bitte?!!??ß

Die Anmerkung hat gesagt…

Arbeiterweihnacht
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AMTSGERICHT KÖLN

Termine für Kirchenaustritte bis März ausgebucht

Und in anderen Regionen NRWs sieht es ähnlich aus

https://www.bild.de/regional/koeln/koeln-aktuell/amtsgericht-koeln-termine-fuer-kirchenaustritte-bis-maerz-ausgebucht-74600704.bild.html

Hardcore hat gesagt…

Das obige familiäre Weihnachtsidyll von anno dazumal ist multikulturell zwar etwas blass, aber zumindest der Pisspott-Haarschnitt scheint kulturübergreifend aktuell wieder eine Renaissance zu erleben.

Der Gleichschrittrest wird bald folgen, denn auch das nachbarliche obrigkeitsgehorsam beflissene Denuziantentum für die gute Sache wuchert bereits wieder emsig.

Es tut nämlich so gut, ein guter Deutscher zu sein ... ohne jedoch ein patriotischer zu sein. Man ist heutzutage politisch korrekt also ein undeutscher Deutscher.

Nix mehr mit: Flink wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl.

Heute ist träge schleimige Weichheit Trumpf, beliebig knetbarer Schwabbel ohne Rückrat.

Wer darauf eine Gesellschaft aufbauen will, landet aber vermutlich im Treibsand.

Anonym hat gesagt…

Pfaffen in die Produktion