Montag, 4. Januar 2021

Bizarre EUphorie: Durch das Virus zum Zentralstaat

Verblichene Hoffnungen wecken nEUe Begehrlichkeiten.

Die gemeinsame Zeit ließ sich dann doch nicht durchsetzen, nicht langsam wie üblich und auch nicht schnell, so dass Jean-Claude Juncker ohne dieses sein letztes großes Geschenk an die Völker der EU gehen musste. Auch das Versprechen der früheren Erlöserfigur Martin Schulz, die EU bis 2025 in die Vereinigten Staaten von Europa umzubauen, scheint heute nicht näher gerückt, sondern noch ferner als vor drei Jahren, als der damals noch mächtige Schulz das Datum in einer spontanen Aufwallung von EUphorie vorschlug. 

Im Raum steht nun zwar noch Wolfgang Schäubles großer Vorschlag, aus dem Versagen von 2010 zu lernen, als man die große Krise schmählich ungenutzt ließ und die Chance verpasste, Europa durch die kalte Küche umzubauen. Doch auch der greise CDU-Mann, der den Mantel der Macht am liebsten im klassischen Sakko-Schnitt trägt, konnte sich bisher nicht durchsetzen: In der Corona-Krise verkämpfte sich die EU in Maskennationalismus, in aktivistischen Grenzschließungen und mit knieweichen Kompromissen für Feinde der gemeinsamen Werte.

Langsamer als anderswo

Alles hier geht wie immer langsamer als anderswo, das Lachen einer Million geimpfter Briten schallt bis Brüssel und die Durchhalteparolen der EUsernen Garde der professionellen Gesundbeter klingt zunehmend hohl. 2020 sei "vielleicht der Wendepunkt für die EU" gewesen", analysierte jetzt die Hamburger Wochenschrift "Die Zeit", bei der PPQ-Leser Mark Schieritz seit Menschengedenken eine scharfe Feder führt. Die Gemeinschaft gehe "aus diesem Corona- und Brexit-Jahr kleiner, aber auch gestärkt hervor", heißt es da. Nun müsse sie im Grunde nur noch "demokratischer werden".

Was für eine coole, überraschende und imponierende Idee. Einfach demokratischer werden. Jetzt, wo die letztlich ja doch immer lästigen Briten endlich, darf man endlich sagen?, endlich fort sind! es fehlt nun eigentlich Geld, weil noch einer weniger in die stets klammen, aber auch ständig größer werdenden Kassen einzahlt. Aber Deutschland hat sich anerboten, die fehlenden Beträge auszugleichen, so dass Corona den schon so lange notwendigen "innerer Integrationsschub" (Schieritz) auslösen könne. 

Zeichen der Zeit

Die Zeichen dafür stehen denkbar günstig. "Die Einigung auf einen durch gemeinsame Schulden finanzierten Wiederaufbaufonds, die Festlegung vergleichsweise ambitionierter Klimaziele, die Vollendung der Bankenunion und die Durchsetzung eines Mechanismus zur Sicherung rechtsstaatlicher Prinzipien wird die europäische Politik grundlegend verändern", verweist Mark Schieritz auf gleich vier Themenfelder, auf denen es in den zurückliegenden Monaten gelang, ohne übertrieben umständliche demokratische Prozesse zu Weichenstellungen zu kommen, die vielleicht nicht im Sinne der europäischen Verträge sind. Aber auch keine Proteste nirgendwo hervorgerufen haben.

Es ist nicht zu übersehen: Das Volk will es. Es will eben nicht die Einhaltung des Vertrages von Maastricht, der die Finanzpolitik der Währungsunion mehr oder weniger den Mitgliedsstaaten überlässt und zu dem führte, was die "Zeit" die "bekannten Probleme" nennt. Sondern es will die derzeit von Ursula von der Leyen geführte EU-Bürokratie als hyperdemokratische Gegenregierung, die "den Handlungsspielraum der Mitgliedsstaaten einschränkt" und eine "europäische Souveränität an die Stelle der nationalen Souveränität setzt". Und sei es, dass diese Strategie auch Leben kostet.

Eindrucksvolles Impfstoffdesaster

Das große Impfstoffexperiment mit 440 Millionen Probanten zeigt gerade überaus eindrucksvoll, wie die spontane Verwandlung des Staatenbundes in einen Bundesstaat mitten in der größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg zum Rettungsanker aller europäischen Institutionen wird, die in der ersten Phase der Pandemie von den Nationalstaaten noch komplett aus dem Spiel genommen worden waren. Hilflos appellierte von der Leyen damals an die Regierungen der Mitgliedsstaaten, die Grenzen auf Teufel komm' raus offen zu lassen, Masken gemeinsam einzukaufen und gemeinsame Kriterien für die Erfassung von Covid-Kranken zu erarbeiten.

Vergeblich. Jeder tat, was er glaubte, tun zu müssen. Keine Spur von Rücksichtnahme auf den Ruf der Beamten in Brüssel. Die neue "historische Bedeutung" (Zeit) dieses desaströsen Jahres voller Fehl- und Einzelentscheidungen, voller Irrtümer und aufmerksamkeitsheischender Pleiten besteht nun darin, dass Europa nicht wie damals bei der Finanzkrise mit halbherzigen Maßnahmen nur ausnahmsweise von den europäischen Verträgen abgewichen wird.

Nein, die vollkommen schiefgegangene Bestellung und Verteilung des Impfstoffs stehe als Beispiel für die neue Rolle Europas: Nicht, dass möglichst schnell und am besten schnell vor allem dort geimpft wird, wo die Zahlen am bedrohlichsten sind, ist wichtig, Sondern das Signal, dass in allen Mitgliedsstaaten der EU gleichzeitig mit dem Impfen begonnen wurde. Eine "Entscheidung im europäischen Geist", nennt das die Süddeutsche Zeitung. Mag der eine oder andere, mögen gar einige Tausend für dieses Symbol ganz und gar unsymbolisch ihr Leben lassen. Das war es wert!

Opfergang im Dienst des Gemeinsinns

Die Welt, sie schaut gebannt auf diesen Opfergang im Dienst des Gemeinsinns. "Egal, ob arm oder reich, ob Nord oder Süd" (Zeit, ob hoher Inzidenzwert wie in Luxemburg, Litauen, Kroatien oder Deutschland oder niedriger wie in Island, Griechenland oder Finnland - geimpft wird überall in derselben Sekunde. 

Es ist die vielleicht größte Stärke dieser oft so schwächlich erscheinenden, nicht nur von den USA und Venezuela, sondern auch von Russland, der Türkei und dem Iran vorgeführten Gemeinschaft, dass es nach dem Ausscheiden der stets störrisch auf ihre nationalen Souveränitätsrechten beharrenden Briten bereit wie nie ist, diese selbstzerstörerischen Zentralisierungstendenzen nicht nur zu dulden, sondern sie freudig zu begrüßen. 

Der zwischenzeitliche Zerfall der EU, kaum dass das Virus ihre Gestade erreicht hatte, ist schon vergessen, der nächste Fieberschub an Allmachtsfantasien akut: Nun soll der "Zugang zum europäischen Binnenmarkt mit seinen mehr als 500 Millionen im internationalen Vergleich wohlhabenden und ausgabefreudigen Konsumenten" als "Druckmittel" (Zitate Schieritz) in Verhandlungen um  Verbraucherrechte, Umweltstandards und Klimaziele dienen, die der erratische Riese mit den immer noch sieben verschiedenen Zeitzonen weltweit durchsetzen will. 

Günstig dabei vor allem, dass das europäische Parlament auf jeden Fall noch weniger störend im Wege steht als der deutsche Bundestag dem Corona-Kabinett bei der Verhängung von Eindämmungsverordnungen. Beispielhaft für die fundamental bedeutungslose Rolle der "mächtigsten europäischen Institution" (Zeit) steht der Brexit-Vertrag: Von den Staats- und Regierungschefs abgenickt, nicht aber von irgendwelchen Parlamenten der Mitgliedsstaaten. In Großbritannien von Ober- und Unterhaus beschlossen. Zum 1. Januar inkraftgesetzt - mit der Aussicht, dass auch das EU-Parlament eines Tages, irgendwann, wenn denn mal Zeit ist, auch noch zusammenkommen wird, um nachträglich die Hände zu heben.

Danach wird alles wieder gut sein, oder wenigstens für gut erklärt werden. 


5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Fleischhauer bei Focus:

'Traut sich niemand, Angela Merkel als fehlbar oder überfordert zu titulieren?'

Manche Leute muss man nicht mal kaufen, damit sie nicht aus der Reihe tanzen, die sind einfach nur so dämlich.

https://www.sueddeutsche.de/medien/zeitungen-foerderung-subventionen-verlage-1.4954897

Das Zentralorgan hat gesagt…

verkündet:

Ob nun mit oder ohne Covid19 ... die ganz normalen Arbeitssklaven lechtzen doch förmlich nach betreutem Leben durch Vater Staat mit einer den allein selig machenden Kurs befehlenden Übermutti aus alten Stasibeständen an der Spitze ihrer Nutzviehherde. Da braucht es keinen Extravirus, denn das denunziantische Kuschertum ist längst genetisch verankert.

Just hagelt es in Söders Bayern wieder Hass, weil Miesbacher bei sich keine infektiösen Münchner Tagesausflügler haben wollen, die trotz Corona gedankenlos vergnügungssüchtig der Pistengaudi frönen.

Hauptsache, Ski und Rodel gut ... oder was? Diese nimmersatte Gier ist wirklich nur durch einen radikalen Lockdown einzuhegen und hat zudem den erfreulichen Nebeneffekt, dass wir Weltretter-Musterschüler unsere Klimaziele dadurch bereits erreicht haben.

Freut euch also, denn die neue saubere Dauerfrühlingswelt ist nahe. Ihr müsst nur brav daheim bleiben und gegen den wachkomatösen Butzenkollergrauschleier bunte Grenzenlospillen schlucken. Dann kann Mammi Mutti ihre Sorgenkinderlein auch wieder richtig lieb haben.

Die Realität übertrifft mittlerweile jede noch so raffiniert ausgesponnene Satire.

Der ganz normale Wahnsinn hat das Ruder des schrottreifen Seelenfängers übernommen und segelt fanatisch fiebernd dem unerreichbaren Horizont entgegen, weil die Erde kugelrund ist. Weiter so! Wir schaffen das!

Frau Wirtin hat' einst einen Traum,
da rennt ein Mann um einen Baum,
doch wollt' es ihm nicht glücken,
trotz rasender Geschwindigkeit,
sich selbst in den A ... rm zu zwicken.

Volker hat gesagt…

"immerhin werden jetzt in der Krise viele nutzlose Esser den wohlverdienten sozialen Abstieg erfahren"

Das Gegenteil ist der Fall. Die Ballastexistenzen sind verbeamtet.
Abstieg droht nur dem, der auf dem Markt eine freiwillig nachgefragte Leistung erbringt.

Anonym hat gesagt…

>Die Ballastexistenzen sind verbeamtet.

Wenn die Euroblase platzt, sind deren Pensionen weniger wert als Klopapier.

Carl Gustaf hat gesagt…

Beat Kappeler hat das Problem sehr gut in seinem jüngsten Buch skizziert: die EU soll als eine Art Referenznation dienen, der dann allen Mitgliedsstaaten übergestülpt wird. Mit dem Ziel, sich immer mehr Kompetenzen anzumassen und mit dem Zweck der Gleichschaltung.

Soweit ich mich recht erinnern kann, liegen die nationalen Gesundheitssysteme nach wie vor im Kompetenzbereich der Nationalstaaten. Impfstoff-Beschaffung wäre somit eine streng nationale Aufgabe. Ohne wenn und aber und das, was gerade in den Nachbarstaaten so passiert.

Man hat sich also mal wieder und zum wiederholten Male von einem moralischen Imperativ leiten lassen und über die geltenden Regelwerke hinweggesetzt. Und statt dem erhofften Dienst an der guten Sache hat man mal wieder deutlich mehr Schaden als Nutzen angerichtet.