Donnerstag, 21. Januar 2021

Lieber spät als wie die - ein Lob der EU-Impfstrategie

Greta Thunberg kennt den Schuldigen, die früher prominente Klimaikone traf Ursula von der Leyen erst im vergangenen Jahr.

I
n der Ruhe liegt bekanntlich die Kraft und als in der Europäischen Union endlich die Gemeinschaft die Geschäfte in die Hand nahm, war es vorbei mit dem agilen Herumagieren der Nationalstaaten, die die erste Phase der Pandemie mit wild durcheinander geschlossenen Grenzen, einem Maskenstreit und gegenseitigen Schuldzuweisungen in Festival der Spalterei verwandelt hatten. Ab Juni hatte die europäische Bürokratie das Heft wieder fest in der Hand. Alles dauerte und dauerte und dauerte nun und als endlich die Grenzen wieder geöffnet wurden, wie es Ursula von der Leyen mehrfach nachdrücklich verlangt hatte, konnte sich die zweite Welle, viel beschworen, aber bis dahin nirgendwo zu sehen, endlich aufzuräumen zu einem wolkenhohen Gebirge aus Vernichtung.

Langsam ist Europas höchster Gang


Nichts wurde kontrolliert und schon gar nicht jemand zwangsquarantänisiert auf dem Kontinent, der schon 2015 zum ersten Mal die Kontrolle über sich selbst verloren hatte. Wieder konnte einreisen und herumfahren, wer wollte und wohin auch immer. Es war ein Kommen und Gehen wie auf dem Hühnerhof, von außen prächtig anzusehen, ein wirres Wirbeln, das als Zusammenrücken inmitten der Ansteckungkrise Gemeinsamkeit signalisierte. Diese Wärme zwischen den Völkern, mitten im Abstandsgebot, dieses Vertrauen auf den Anderen.  

Aus dem Inneren betrachtet tödlich für viele Tausende, aber ein wenig Schwund ist immer, gerade im Altenheim. Während sie sich in Berlin und Brüssel und in den Redaktionsgroßraumschiffen in München und Hamburg noch demonstrativ die Bäuche hielten über die irrsinnigen Aussagen des US-Präsidentenn dass es bis zum Jahresende einen Impfstoff geben werde, kaufte der Maga-Egozentriker Trump, dieses Scheusal, dieser Demiurg und Hassprediger, alle Impfstoffe weg. Als die EU kam, mittlerweile stand Deutschland schon vor dem legendären Wellenbrecher-Lockdown, der Weihnachten retten sollte, war es zu spät. Wieder einmal.

Eine ausgeklügelte Strategie von perfider Eleganz

Doch unverdrossen kaufte man, was noch übrig war und man kaufte es zusammen, so dass absehbar keiner genug bekommen würde. Eine ausgeklügelte Strategie von perfider Eleganz, die auf Bilder statt auf Spritzen setzte. Auf allen Kanälen liefen die packenden Reportagen vom Bau der gewaltigen Impfzentren, wie ein Breitbandantibiotikum zeigten sie überall die ersten Impfungen, immer wieder und wieder die Oma mit dem Piks, der wackere Impfarzt, die Hoffnungsbotschaft, bis sich auch der Letzte im heimischen Lockdownliegestuhl schon fast wie immunisiert fühlte. 

Echt geimpft wurde eher weniger. Doch Europa, wie sich die EU-Staaten selbst am liebten nennen, lässt sich nicht verrückt machen oder unter Druck setzen. Alles läuft nach Plan, kurzzeitige Planänderungen amerikanischer Großkonzerne ändern nichts an der grundsätzlichen Genialität des Konzepts, die EU-Mitgliedsstaaten nicht nach deren selbstgefühlten Bedarf, sondern nach den Grundsätzen der Gleichbehandlung beliefern zu lassen. Griechenland und Finnland, mit Inzidenzwerten um 40, bekommen nun genauso wenig Impfstoff wie Irland, Tschechien und Portugal mit Inzidenzen von 500 aufwärts.

Gerechtigkeit auf europäisch

So geht Gerechtigkeit auf europäisch, die nicht nach dem größten Primärnutzen schaut, sondern stets die zweite Ebene mitdenkt und den sekundären Gewinn kühl einkalkuliert. Gerade nach dem Ausscheiden der Briten, die derzeit versuchen, die EU durch fieberhaftes Impfen selbst in den Nächten zu beschämen, ist es wichtig, ein "Zeichen" (Ursula von der Leyen) zu setzen: Alle oder keiner, no patria o muerte! Lieber spät als so wie die!

Im Europäischen Parlament, in Seuchenzeiten mehr noch als sonst ein Ort, der halb wirkt wie der Planetenbundestag in "Star Wars", halb wie ein von allen guten Geistern verlassenes Haus, das von Anfang an viel zu groß konzipiert worden war, verbreiten Abgeordnete fake news über gelähmte Gesichter nach der Impfung, über ausreichende Mengen von Vakzinen, die bestellt wurden, und über eine insgesamt prima angelaufene Impfkampagne in der Union. Ein Prozent der Bürger sei sogar schon geimpft, jubiliert ein Abgeordneter aus Deutschland, und das nach nur knapp einem Monat! 

Nur noch 99 Monate

Weitere 99 Monate dieser Art "Geschlossenheit" (EU-Kommission), und dem Virus ist der Garaus gemacht, noch ehe das Jahr 2030 anbricht. Dem Parlamentarier, einem Grünen, ist angesichts dieser Perspektiven besonders wichtig, dass Europa rechtzeitig zu teilen beginnt. Auch anderswo und sowieso auch überall sonst müsse geimpft werden. "Corona besiegen wir nur global", ruft er aus dem Kellerstudio.

Die Pandemie erscheint plötzlich als Gelegenheit, alles zu tun, das sich in gewöhnlichen Zeiten nicht durchsetzen ließe. Die Probe des Belagerungszustandes, das Hochfahren einer Propagandamaschine sowjetsozialistischer Dimension, die Herstellung medialer Einstimmigkeit und eine Schuldenorgie, die auf den Kreditbetrag aus 2.000 Jahren Menschheitsgeschichte noch einmal ein Drittel der Schuldsumme binnen eines Jahres draufpackt - das sind historische Errungenschaften. Aber vielleicht geht da noch mehr, vielleicht ist das die Chance, überhaupt alles abzuschaffen, was noch am Durchregieren hindert: Gesundheit, einer der letzten Bereiche, die in der EU in nationaler Hoheit verblieben sind, könnte zur Gemeinschaftsaufgabe werden, dauert Corona nur noch lange genug. 

Corona als Gelegenheit

Zugleich verwandeln sich die von den europäischen Verträgen verbotenen gemeinsamen Schulden vom Ausnahmetatbestand in eine "neue Normalität" (Olaf Scholz) und der bei aller Geschmeidigkeit der Aktiven doch immer auch ein wenig lästige Parlamentarismus tritt ganz hinter die Entscheidungskompetenz kleiner Hinterzimmerrunden zurück, die sich Europäischer Rat oder Corona-Kabinett nennen. Nur so ist es möglich, binnen von nur drei Wochen nach dem durchschlagenden Erfolg der gemeinsamen EU-Impfstrategie den "Kraftakt" (Tagesschau)  zu leisten, mit dem die "EU-Kommission den stockenden Impfprozess in Europa in Gang" bringen will. 

Geplant ist dazu übrigens eine "neue Impfstrategie der EU", die vorsieht, "dass klare und transparente Lieferfahrpläne mit den Herstellern vereinbart werden". So einfach ist das manchmal, wenn alle an einem Strang ziehen und nur immer mal wieder über die Richtung sprechen müssen, in die gezogen werden soll.

Impfweltmeister, wie stolz das klingt: In acht Jahren könnten alle EU-Bürgerinnen geimpft sein.



3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Na großartig: Der Impfstoff von Astra Zeneca kommt büschen später, und wird vor allem für > 55 Jahre Lebensalter nicht zugelassen.
Darum gekloppt hätte ich mich zwar auch nicht, aber ...

Carl Gustaf hat gesagt…

In acht Jahren ist Corona längst tot.

Anonym hat gesagt…

@ Carl Gustaf:
In fünfzig Jahren ist alles vorbei. Hilft uns aber auch nicht weiter. Also im Moment nicht. Mit Lenin "geduldig aufklären", wie es die Ahrimanen postulieren, allerdings auch nicht.