Donnerstag, 11. November 2021

Grippe: Das erste Opfer der vierten Welle

Immer im Oktober geht es los, das ist Tradition wie das Tag der Deutschen-Einheitsfest, die Martinsgans und die alarmierenden Meldungen über den viel zu warmen Sommer. Die "Grippewelle rollt an" (Focus), wer solidarisch ist, lässt sich impfen, denn auch wenn die gute alte Influenza kein Corona ist, gefährdet sie doch Jahr für Jahr tausende Leben und Milliardenwerte an volkswirtschaftlicher Schaffenskraft. Ein Piks reicht, und das Thema ist erledigt. Wenn alle mitmachen, ist zero influenza greifbar.

Unbemerkte Todeswelle

In der vergangenen Grippesaison war es schon einmal soweit: Im Gegensatz zur Grippesaison zwischen 2017 und 2018, als die tödlichste Influenza-Welle aller Zeiten in Deutschland mehr als 25.000 Opfer forderte und es nur dank einer kollektiven Bemühung der Verantwortlichen gelang, jede öffentliche Aufmerksamkeit und damit Panik zu vermeiden, war Grippe während der ersten und der zweiten Corona-Welle wirklich kein Thema. Es gab sie nicht. Statt Tausender oder wenigstens hunderter Fälle zählte die Nationale Lenkungsgruppe Impfen (NaLI) nur eine Handvoll. Auch die Weltgesundheitsorganisation meldete, dass niemand etwas meldete. Influenza-Viren, seit zehntausenden von Jahren treuer Begleiter des Menschen, sie waren weitgehend verschwunden, von Corona-Maßnahmen brüskiert, von Abstandsregelungen an der Verbreitung gehindert und durch Ursula von der Leyens magisches Händewasch-Ritual abgetötet.

Tausende Leben wurden so gerettet, volkswirtschaftlicher Schaden durch ausfallende Produktion, Verwaltung und Schulstunden in Milliardenhöhe vermieden. Mit der Ankunft des Corona-Virus sank die Zahl der aktiven Grippefälle weltweit von 50.000 pro Woche aus 200, 100, 70, ohne dass das in den deutschen Medien mehr als achselzuckend zur Kenntnis genommen wurde. Sie war halt da und nun war sie weg, eine Aufgabe für Faktenchecker, denen es gelang, den plötzlichen Tod der Grippe mit Schleife und Geschenkpapier als "größtenteils falsch" zu enttarnen. Es gebe die Grippe ja noch und sie werde auch wiederkehren, wenn ihre Zeit herangerückt sei, wie es im Dezember 2020 hoffnungsvoll bei Correktiv hieß.

Hoffnung auf die Rückkehr der Grippe

Dass es anders kam und keine Grippe, blieb bei Correktiv dann ebenso unerwähnt wie anderswo. Verglichen mit Corona war Influenza uninteressant, zumindest bis die Aussicht am Horizont aufschimmerte, dass wenigstens die vierte Corona-Welle von einer Influenza-Epidemie begleitet werden könnte. Das schien naheliegend, denn "nach fast zwei Jahren Pandemie mit Lockdown und Homeoffice sind viele Menschen anfälliger für Grippeviren" (Welt). Mediziner rechneten deshalb "mit vielen Infektionen" und Experten warnten schon mal "vor hohen wirtschaftlichen Kosten einer schweren Grippe- und Erkältungswelle in den kommenden Monaten". Die "Rückkehr der Alltagskrankheiten" (MDR) in eine Gesellschaft, die auf die alten Bekannten aus dem Virenreich so empfindlich reagieren würde wie eins die Cherokee auf die Pockendecken der Briten hätten reagieren sollen, sie würde  volkswirtschaftliche Verlust von bis zu 30 Milliarden Euro einspielen, wie das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) schon einmal vorsichtshalber ausgerechnet hatte.

Impfen, Impfen, Impfen!, hieß es nun und das "Risiko der Doppelinfektion" (FR) wurde ausführlich beschrieben, nachdem die EU vor einer "Doppelpandemie" gewarnt hatte. Auch der scheidende Bundesgesundheitsminister und der höchste Seuchenwart der Nation appellierten an die Bürgerinnen und Bürger: Selbst gleichzeitig darf jetzt geimpft werden, links gegen Corona, rechts gegen Grippe. Das sei sehr gut verträglich und schütze gut.

Impfung hilft, aber wogegen eigentlich?

Unklar bleibt angesichts der weltweiten Infektionszahlen nur, wogegen.  Derzeit zählt die WHO weltweit knapp über 900 aktive Influenzainfektionen, umgerechnet ist das ein Fall auf etwa acht Millionen Erdenbürger. Das entspricht einer Inzidenz von 0,012. Grippe ist momentan so selten, dass eine Infektion etwa so wahrscheinlich ist wie ein Sechser im Lotto. Selbst das Robert-Koch-Institut hat inzwischen auf die neue Lage reagiert: Der bisherige Influenza-Wochenbericht wurde mangels Datenmasse in ARE-Bericht umbenannt, er widmet sich jetzt  "dem breiten Spektrum der akuten respiratorischen Erkrankungen (ARE)", heißt es in Berlin, denn "schließlich sind Influenzaviren nicht die einzigen Viren, die Atemwegsinfektionen verursachen".

Sie sind eben nur die einzigen traditionellen Erkältungsviren, für die wegen der Verbreitungsgefahr eine Meldepflicht besteht.


6 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Auch im Oktober wieder deutliche Übersterblichkeit – nicht wegen Corona
In der letzten Kalenderwoche sogar zwölf Prozent mehr Todesfälle als in den Vorjahren.

https://reitschuster.de/post/auch-im-oktober-wieder-deutliche-uebersterblichkeit-nicht-wegen-corona/

Deagle on work.

Anonym hat gesagt…

Die Solidaritätsimpfung erinnert mich an das ständige Solidaritätsgeschwafel in der DDR.

Weiß nicht, von wem es ist, 'Wer Solidarität sagt, will bescheißen'.
Einleuchtend, denn Solidarität ist per se etwas, was man von anderen verlangt.

Die Anmerkung hat gesagt…

Unsre Herrn, wer sie auch seien,
Sehen unsre Zwietracht gern,
Denn solang sie uns entzweien,
Bleiben sie doch unsre Herrn.
-----
Ebend. (Matussek)

Anonym hat gesagt…

Es gibt noch Hoffnung für die anderen Viren. In meiner Verwandschaft sind zur Zeit mehrere schwer Erkältet. Corona kann es nicht sein, sie sind alle prima geimpft.

Anonym hat gesagt…

sie sind alle prima geimpft -

Wenn wirklich, dann versuche es mit Beten.

Anonym hat gesagt…

sie sind alle prima geimpft -

Bin ich doch auch. Nähere Einzelheiten dazu sind aber mein süßes kleines Geheimnis.