Freitag, 18. Februar 2022

Russlandfeldzug: In der Zeitmaschine zum Zaren

Der russische Bär möchte die Welt unterjochen, aber es nicht zugeben.


Sollte diese Qual uns quälen, da sie unsere Lust vermehrt. Hat nicht Myriaden Seelen Timurs Herrschaft aufgezehrt?, schrieb Karl Marx am 10. Juni 1853, einem Sommer,d er bald darauf kriegerisch werden sollte. Am 3. Juli besetzte die Armee des Zaren die Donaufürstentümer auf dem Balkan, die den Osmanen gehörten. Am 16. Oktober erklärte das Osmanische Reich Russland den Krieg, der anschließend vor allem auf und um die Krim ausgefochten wurde, die nach dem Willen der Westmächte Frankreich und Großbritannien bei der späteren Türkei verbleiben sollte. Der kranke Mann vom Bosporus, so glaubte man damals, würde den Verlust nicht überleben. Russland dagegen, das zum insgesamt neunten Mal gegen die Türken ins Feld zog, würde Blut schlecken und Lust auf viel mehr bekommen.

In der Zeitmaschine

170 Jahre wie nichts, abgesehen davon, dass Karl Mark nicht mehr dichtet, hat sich die Welt kaum weitergedreht. Mögen die Westmächte heute auch Satelliten haben, auf deren Fotos die Machorka-Kippen gezählt werden können, die die Panzer-Muschiks  in ihrem Tiefschneelager "nahe der ukrainischen Grenze" (DPA) in den zurückliegenden zwölf Wochen fortgeworfen haben. Ein Truppenabzug, wie in Wladimir Putin angekündigt hat, ist von dort oben nicht zu entdecken. "Kann ich nicht sehen", hat der künftige norwegische Zentralbanker Jens Stoltenberg die kargen Erkenntnisse der Nato knapp zusammengefasst. Joe Biden in Washington hat das bestätigt. Nichts zu sehen. Blinde Satelliten. Olaf Scholz aus Berlin hat genickt. Nichts dergleichen, wenn er aus dem Fenster schaut. 

Das mächtigste Militärbündnis der Welt ist am Tag nach dem vorläufigen Ende der zuletzt mit Datum und Uhrzeit bekanntgegebenen Verschwörungstheorie vom bevorstehenden Angriff der Russen auf die befreundete Ukraine nicht nur nicht bereit, einzugestehen, dass es dem Trommelwirbel und Kriegshorngedrön vielleicht doch an Wirklichkeitsnähe mangelte. Nein, störrisch wie ein Hitlergrüßer, der behauptet, er ahme doch nur den saluto romano nach, immerhin Olympischer Gruß 1924, gibt Joe Biden die stehengebliebene Uhr. 

Wenn nicht gestern, dann kommt der Russe eben morgen., oder nächste Woche, oder nächstes Jahr. Wer so eine Vorhersage am längsten aufrechterhält, der bekommt entweder Recht wie die Uhr, die zweimal am Tag richtig geht. Oder es sind irgendwann alle tot, die sich an seine Prophezeiungen erinnern könnten.

Instant-Vergessen in Mediendeutschland

In den deutschen Medien ist es schon soweit. Die ausgefallene Großattacke vom Mittwoch, am Montag noch ein feststehender Fakt, um den herum herum Räuberpistolen und Heldengeschichten von Großvaters Abenteuern im russischen Schlamm gestrickt wurden, war am Donnerstag schon völlig vergessen. Mit unerschütterlichem Vertrauen hingen dieselben Berichterstatter wieder an denselben greisen Lippen, um sich dieselben Parolen abzuholen: Jetzt gehehets lohooos! Oder bald, aber jedenfalls, nur eben nicht kommenden Mittwoch, überhaupt niemals mittwochs, also nur sehr selten. 

Der 11. März 1853 zum Beispiel, als die Westmächte sich nach Russland Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu den Osmanen förmlich gezwungen sahen, ein deutliches Zeichen zu setzen und die britische Flotte in die Ostsee lief, um die russischen Häfen zu blockieren, war ein Samstag.  Da die russische Flotte sich feige nicht zum Kampf stellte, galt der Waffengang als gewonnen. Um nicht aus der Übung zu kommen, wurden in den folgenden Wochen russische Werften und Häfen in Finnland angegriffen oder beschossen.

Mittwoch friedlich

Ende Juni ließ der Zar seine Truppen in die Walachei einmarschieren, die es damals wirklich gab. Am 16. Oktober schließlich, wieder ein Samstag, erklärte das Osmanische Reich den Russen den Krieg, Großbritannien und Frankreich folgten am 27. und 28. März 1854, eilig, denn das waren ein Montag und ein Dienstag, so blieb der Mittwoch friedlich. Man schlug sich dann noch genau zwei Jahre, ehe der Russe niedergerungen war, ohne wirklich für immer besiegt zu sein. Die Zaren, eine Zeit lang alle namens Alexander, mühten sich nun, ihr Riesenreich zu modernisieren, sie verkauften Alaska, durften die Krim aber behalten. 

Die Wurzel allen Übels von heute: Ein gewonnener Krieg des Westens, der ohne gebietsrechtliche Konsequenzen blieb und deshalb wieder und wieder ausgefochten werden muss, zumindest wenn es nach den Regierungssprechern und den angeschlossenen Abspielanstalten geht.  Nicht Schlafwandler, sondern Traumtänzer sind am Start, die nicht genug bekommen können von Verschärfungen, Zuspitzungen und dunklem Geraune über Bedrohungen, die man zwar nicht kenne und nicht einschätzen könne. 

Den Bären kitzeln

Die aber gerade deshalb nur umso fürchterlicher sein könnten: Zieht der Russe extra ab, um nicht abzuziehen? Lässt der Bär sich von der Ankündigung, man selbst werde weitere Truppen an die Front schicken, auch wenn er wirklich abziehe, kitzeln und hinreißen? Das, was Putin derzeit an Militär sturmbereit "in der Nähe der Grenze" (DPA) zur Ukraine stehen hat, würde nach dem Dafürhalten westlicher Strategen ausreichen, die Ukraine zu überrollen. Das Land ist mehr als 80 Millionen Fußballfelder groß. Auf jedes 1.000 käme nach der Eroberung etwa ein russischer Soldat. Die letzte Reihe ganz im Westen wäre 1.200 Kilometer weit weg vom Mutterland.

Allenfalls ein paar spleenige Historiker zweifeln da noch an der unbedingten Praktikabilität einer Eroberung eines Landes von beinahe doppelter Größe Deutschlands durch eine kämpfende Truppe, deren Soldaten und Offiziere komplett in den "Signal Iduna Park" der Dortmunder Borussia passen würden. Wenn auch ohne ihr schweres Gerät. Der Rest vom Schützenfest hat nach einem Moment der Enttäuschung, als auch nach 5.45 Uhr weder vor- noch zurückgeschossen wurde, schon wieder scharf geladen. Russland kann Abzüge melden, so viele es will. Aus dem mentalen Kriegszustand holt sie kein Satellitenbild heraus, keine Friedenspfeife und keine Frage danach, wo genau die neuen 7.000 Soldaten "in der Nähe der Ukraine" sind.

Einzig Langeweile wird es richten können, ein paar Monate ohne Angriff, ein paar Jahre vielleicht. Kriegsmüdigkeit ohne Krieg. Die nächsten Wahlen in den USA finden im November statt, in die muss Joe Biden als starker, entschlossener Präsident gehen, wenn er schon sonst nichts gebacken bekommt. Bis dahin heißt es Geduld bewahren.


4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Jemanden in einen Krieg zu falseflaggen, der darauf keinen Bock hat, ist vermutlich ein ganz neues Problem. Man kann da soviele Depeschen fälschen, Thronfolger erschießen nd Radiosender überfallen wie man will.

Anonym hat gesagt…

Na, das mit dem Überfallen von Radiosendern ist nicht ganz unumstritten. Wie andere ofenkundige Tatsachen auch.

Volker hat gesagt…

Und wieder neue Erkenntnisse.
Russland will Ukraine und auch Hauptstadt Kiew angreifen.

Ich glaubs einfach. Wenn sogar sleepy Joe das sagt, dann gibts keine Zweifel mehr.

Anonym hat gesagt…

Gaspipeline bei Luhansk explodiert
23.01 Uhr: In der von Separatisten kontrollierten Region von Luhansk in der Ukraine ist russischen Nachrichtenagenturen zufolge eine Gaspipeline explodiert.


Sollen da jetzt die Ukrainer die Russen angreifen, weil die Russen die Gasversorgung der Ukraine gefährden, oder sollen die Russen die Ukrainer angreifen, weil ukrainische Falseflagger ihre eigene Gasversorung gefährden?
Sieht aus als würde die CIA nur noch wild improvisieren.