Sonntag, 20. März 2022

Germany's Next Top Model: Freakshow in Luxusfetzen

Diverse Kandidaten, nicht immer schön anzusehen.
Massig wie ein Berg, klein wie ein Märchenzwerg, riesig wie ein Basketballspieler oder alt oder unbeholfen oder das alles zugleich, so stolpern sie dieses Mal über die Naturlaufstege der coronakonformen Welt, die Kandidatinnen der 17. Staffel von "Germany's Next Top Model", einer Casting-Show im Dschungelcamp-Stil, bei der erstmals nicht nur ein wenig Buntheit untergemischt wird, sondern alle Darbietungen um das Grundanliegen der Diversität geordnet worden sind. Neben einigen wenigen Teilnehmerinnen mit Standard-Modelmaßen steht ein Querschnitt der weiblichen Bevölkerung vor der Kamera: Seniorinnen und Wohlbeleibte sind darunter, winzig kleine Frauen und riesig große, pummelige und dürre.  

Show ohne Schönheitsideal

Die Zeiten, in denen Model allgemeinen Schönheitsidealen entsprechen sollten, sie sind zumindest in der Vorführshow für Frauen, die sich einbilden, hier das Sprungbrett für eine internationale Karriere als Kleiderständer zu finden, vorüber. Vor die Entscheidung gestellt, festzuhalten am althergebrachten 90-60-90, an Disziplin, Hunger und Selbstkasteiung als Voraussetzung für einen Beruf, der nach weniger aussieht als er ist, oder sich zu entscheiden, Signale aus der Mediengesellschaft aufzunehmen und umzudenken, hat Produzentin Heidi Klum sich für Letzteres entschieden. 

Der mediale Trend ist ihr Friend, die "Diversität" jedes zweite Wort ihrer gestrengen Moderationen. Klum selbst, 48 Jahre alt, wirkt zeitweise wie die Einzige im bunten Gewimmel der Möchtegernmodels, die sich ernsthaft um den namensgebenden Titel ihrer Sendung bewerben könnte. Neben ihr tappern Passgänger durch die lichtdurchfluteten Landschaften, deren Schönheit die mangelnden Modelvoraussetzungen der Kandidatinnen nur noch unterstreichen. Neben ihr strampeln sich Raupen vergeblich auf high heels ab, im Bemühen, der Schmetterling zu sein, für den sich sich selbst halten. Neben ihr walzen Körpergeräte über den Laufsteg, die rücksichtsvoll als curvy bezeichnet werden, obwohl sie einfach nur unfassbar dick sind für junge Mädchen aus einem Land, das alle Möglichkeiten bietet, Sport zu treiben und sich gesund zu ernähren.

Jeder kann alles sollen

Aber niemand muss das noch, nicht einmal, wenn er Model werden will. Jeder kann alles sollen in den Zeiten der Diversität, in denen jedes Anderssein als Orden getragen werden darf. Pickel, Bauch oder krumme Beine, voluminöses Hinterteil oder stramme Schenkelchen - es ist egal. Jeder ist, was er ist, und jeder ist zufrieden damit. Wer nicht schnell laufen kann, dessen große Tugend ist eben die Langsamkeit. Wer nach landläufiger Lesart zu alt ist, um eine Modelkarriere zu starten, der startet eben eine als jemand, der zu alt ist für eine Modelkarriere. Und dass 120 Kilo pralle Rosigkeit auf hohen Absätzen so schwer zu balancieren sind, dass es ab und zu zu dramatischen Stürzen kommt, ist nicht schlimm. Da haben die Zuschauer wenigstens etwas zu Lachen.

Heidi Klum lacht nicht. Das frühere Unterwäschemodel die Rolle der Dompteurin dieser Freakshow mit ihrer ganzen schauspielerischen Routine. Besser noch als jeder Zuschauer weiß sie, womit sie es hier zu tun hat: Einem Rummelplatz, auf dem Kleinwüchsige Basketball spielen, Übergewichtige sich im Sprint messen und junge Mädchen mit dem roboterhaften Bewegungsablauf von Fünfjährigen, die zum ersten Mal Muttis hohe Schuhe anprobieren, versuchen, auszusehen wie die geilen girls auf ihren abonnierten Insta-Kanälen.

Sittenverfall voraus

Es ist ein Drama, ein Sitten- und Kulturverfall wie er selbst im Zuge das allgemeinen Kulturabbaus der 2000er Jahre nur selten zu beobachten war. Selbstverständlich war auch GNTM nie eine ernsthafte Casting-Show, immer glich das Format ähnlichen Veranstaltungen in denen grell gesungen, jongliert oder getanzt wird. Nicht die Ausbildung oder auch nur das Finden des neuen Topmodeln war das Ziel, sondern die Inszenierung des Weges dorthin. Eine Halb-Doku-Show voller Gelächter, Tränen, Dramen und Intrigen, an der teilzunehmen sowohl Selbstverachtung als auch Naivität und über die Kindheit hinaus bewährte Illusionen Voraussetzung waren.

Beim Herumschauen aber sahen die Teilnehmerinnen früherer Jahrgänge sich selbst wie im Spiegel. Lauter knackige, sportliche Mädchen mit beneidenswertem Körperbau, Konkurrentinnen mit ähnlichen Voraussetzungen, aus denen sie ähnliche Ansprüche ableiteten: Die Schönste sein, die Talentierteste, Fotogenste. 2022 hingegen können auch die "Top-Designer" (Klum), Beleuchter und "Top-Fotografen" (Klum) wenig daran ändern, dass die Parade der Trampel, das Humpeln der Seniorinnen und die bemitleidenswerten Bemühungen des Teilnehmerfeldes um den aufrechten Gang wie die Karikatur früherer Staffeln wirkt. Niemand hier hat die Aussicht, ein "Topmodel" zu werden, denn niemand im Bewerberinnenfeld - diesmal sind nur Frauen am Start - bringt die Voraussetzungen dazu für eine solche Karriere mit. 

Das steigert den Unterhaltungswert, weil es die gesamte soap in eine Veranstaltung verwandelt, die mit viel Mitleid genossen werden muss. Eine Freakshow in Luxusfetzen, unverdrossen absolviert von Darstellerinnen, deren Selbstbild allem entspricht, nur der Realität eben nicht. Wie Karikaturen stolzieren die Kandidatinnen über den Bildschirm, anfeuert von einer Veranstalterin, die sich nach Drehschluss selbst nicht glauben wird, dass diese Farce, die Verballhornung dessen, was die menschenverachtenden Casting-Show früher einmal zu sein immerhin vorgaben, noch immer ernst genommen werden kann.



4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

In einer bis auf wenige Ausnahmen adipösen Gesellschaft, in der 'Mutti' 16 Jahre lang das Maß aller weiblichen Dinge war, darf auch bei der Wahl der schönsten Exemplare der Typus Ricarda Lang nicht fehlen, sonst fühlt eine Schwabbeltante sich doch diskriminiert, weil ihre wahre Größe, ihre Qualität - und sei es im Verschlingen von BigMacs - nicht anerkannt wird.

Top Model bedeutet im neuen Deppendeutschland, dass jede bizarre Abweichung von der gesunden Norm zu etwas Besonderem verklärt und bejubelt wird. Das beginnt beim zumeist selbst verunstalteten Körper und endet beim schulisch behinderten Geist. Ohne einen verhätschelten Quotentzombie geht nämlich nix mehr im besten aller Schlands. Und das wird m/f/d automatisch per Geschlecht oder Hautfarbe. Nix wissen, nix können, aber stolz darauf sein, und fertig ist so ein angehimmeltes Promisternchen für Dieter Doof und Beate Blöd.

Deutschland schafft sich ab. In Weltmeisterrekordzeit!

Bekloppt und irrsinnig Spaß dabei gab es früher nur in der geschlossenen Abteilung. Die wurde längst bis an die Landesgrenzen erweitert, um auch ja niemanden auszuschließen, der/die/das unbedingt dabei sein möchte.

Diese gestylte Freakshow kann man also täglich auf jeder Straße bewundern.

Anonym hat gesagt…

Ein Show von Huren für Huren (und ich meine nicht die Teilnehmendinnen), das passt schon.

Der lachende Mann hat gesagt…

Sehr gut beschrieben, lieber PPQ!

Andy hat gesagt…

Was sehen wir auf dem Foto im Hintergrund? Windmühlen (südeuropäische Variante). Das ist es, wogegen GNTM kämpfen will. Denn: attraction is not a choice.