Samstag, 25. März 2023

Volksmund: Falsche Zungenschläge

Rechte Populisten missbrauchen den ursprünglich in der Schweinezucht verwendeten Begriff des "Volkes" seit Jahrhunderten.

Zwischen seinen vielfältigen Friedensinitiativen, dem unerlässlichen Kampf gegen den Klimawandel und den mahnenden, aber immer auch ermunternden Reden, die Walter Steinmeier hält, fällt es meist  kaum auf. Doch der seit Jahren beliebteste Bundespräsident, den Krisendeutschland im Moment hat, zieht hinter den Kulissen an den langen Linien, er baut Leitplanken nicht nur für eine klimaneutrale Zukunft und nachhaltiges Erinnern, sondern auch für soziale Gerechtigkeit und gesellschaftlichen Zusammenhalt. 

Ein Mannschaftsspieler*in

Steinmeier, einst als Kanzlerkandidat gescheitert, seitdem aber ein  verlässlicher Mannschaftsspieler*in, der seine Position nicht nur hält, sondern sie eigenständig interpretiert, sieht sich als Reformpräsident. Er war es, der die Festbeleuchtung am Schloss Bellevue abschalten ließ. Er war es, der die deutschen Entsagungsbemühungen im Ringen mit Russland als "Beschwernisse"  historisch auf einer Ebene einordnete, die allen Beteiligten verdeutlichte, wie viel Glück gerade die heute schon Längerhierlebenden haben: Einerseits müssen sie nicht wie Opa und Uropa selbst in den Krieg. Andererseits bleibt es ihnen erspart, den Untergang der Welt durch die verfehlten Klimaziele jenseits des Jahres 2045 noch miterleben zu müssen.

Wenig kann ein Bundespräsident mehr tun, aber Walter Steinmeier tut es. Zuletzt reagierte der frühere Staatssekretär im Bundeskanzleramt und Beauftragte für die Folterpraktiken der Nachrichtendienste auf einen dringlichen Hinweis aus dem Bundesamt für die Prüfung von Begriffen (BAPB), einer von der Ampelkoalition neugegründeten Behörde, die dem Bundesblogampelamt (BBAA) im mecklenburgischen Warin nachgeordnet ist. Das BAPB kümmert sich seit seinem Scharfhochlauf im November vergangenen Jahres um regelmäßige Checks der Alltagssprache. Falsche und gefährliche Worte und Bezeichnungen, die in Teilen der Bevölkerung vor allem in Sachsen und vor allem im privaten Bereich immer noch gebräuchlich sind, werden von sensitive readers aufgespürt. Sie sollen nach und nach gefunden und ausgemerzt werden.

Missbrauchte Volkabel mit falscher Bedeutung

In den Fokus der Prüfer rückte zuletzt das Wort "Volk", eine häufig von Rechtspopulisten, Rechtsextremen und Spaltern bemühte Vokabel, die einen künstlichen Gegensatz zwischen einem vermeintlichen "Staatsvolk" eines bestimmten Landes und Menschen zu schaffen versucht, die als Mitglieder*innen anderer "Staatsvölker" begriffen werden. Steinmeier hat hier nun mit dem konsequenten Ausräumen des Propagandawortes begonnen: Aus dem Text der Verleihungsurkunden für die Bundesverdienstkreuz verschwand die vom BAPB inkriminierte Volkabel. Stand da bislang bei sogenannten deutschen Staatsangehörigen "In Anerkennung der um Volk und Staat erworbenen besonderen Verdienste", wird es künftig "In Anerkennung der um die Bundesrepublik Deutschland erworbenen besonderen Verdienste" heißen.

Das "Volk" weicht, der Staat bleibt. Ein  klares Zeichen aus dem Bundespräsident*innenamt, das Schule machen soll - von den "Volksbanken" über selbsternannte linksnationalistische  "Volksküchen" bis zu linksradikalen und staatseigenen Firmen, die sich demonstrativ mit dem bei Rechten beliebten Volksbegriff schmücken und sich "Volkswagen" oder "Volksmund" nennen. Ausgehend vom aktuellen Forschungsstand, nach dem der Begriff "Volk" seine heutige fragwürdige Bedeutung im 9. Jahrhundert erhielt, als aus dem "Volk", mit dem Schweinehirten bis dahin die Gesamtheit ihrer schutzbefohlenen Tiere bezeichneten, durch Zugabe des Adjektivs "teotisce", "tiutiscae" oder auch "diutisg" das (vom germanischen Wort theudo - zu Deutsch deutsch) "deutsche Volk" wurde, geht es um entschlossene Rückabwicklung und Bedeutungsersatz.

Stamm als geheime Bezeichnung


Kein einfaches Unterfangen, das weiß auch Walter Steinmeier. "Theudo" etwa bezeichnete ursprünglich den "Stamm" oder eben auch "das Volk". Das deutsche Volk ist damit recht eigentlich das zum Volke gehörende Volk, eine verwirrende Matroschkabezeichnung, die Steinmeier auf seine bekannte entschlossene Art abschafft. Was aber ist mit - gerade bei Älteren immer noch gut bekannten - Begriffen wie "Volksmund", "Bienenvolk", "Volker" und "Volksgemeinschaft"? Eine Nutzung des verdünnten Wortersatzes "Bevölkerung", das in den 90er Jahren noch als ausreichend entideologisiert gegolten hatte, galt von vornherein als ausgeschlossen, da sich auch in dem Ersatzbegriff unübersehbar die Gefährdervokabel versteckt.

Die Bundesworthülsenfabrik (BHWF) in Berlin hat deshalb auf Initiative Steinmeiers in den zurückliegenden Monaten penibel nach Alternativen gesucht - und die Vokabelschleifer, Worthülsendreher und Begriffsdesigner wurden einmal mehr im Sportbereich fündig. Dort gilt die "Wurzel" bereits seit Jahren als sublime Möglichkeit, Unsagbares zu sagen zu wagen. Ein beinahe bizarr wirkender Kult ist mittlerweile um Kicker entstanden, die solche und möglichst viele "Wurzeln" haben. Wie "Ethnie" das unwissenschaftliche "Rasse" außerhalb der Nachzucht von Haustieren ersetzt hat, löste "Wurzel" die in den düsteren Zeiten der Geschichte vielbeschworene Volkszugehörigkeit positiv motivierend ab. Je mehr Wurzeln, desto interessanter.

Von Vorteil sei bei dem Wort, so hat BWHF-Chef Rainald Schawidow bei einem Hintergrundgespräch in Berlin kürzlich deutlich gemacht, dass es sich bedenkenlos zu einem einsilbigen "Wurz" einkürzen lasse, ohne an Erkennbarkeit zu verlieren oder verwechselbar zu werden. Dieses neugeschaffene "Wurz" könne dann bruchlos anstelle von "Volk" verwendet werden, um bedenkliche Begriffe zu ersetzen: "Wurzmund" und "Wurzbank", aber auch "Wurzgemeinschaft", "Wurzer", "Wurzwagen" und "Wurzbildung", ja, sogar "Wurzfürsorge", sie erschaffen ein neues Innenbild ohne die gefürchtete regressive Gewalttätigkeit des kollektivierenden Vorgängerbegriffs, der Millionen ausschloss. 

Der Termin für die Umstellung ist in der Amperekoalition noch umstritten. Die FDP legt sich quer, der Kanzler hat Zustimmung bekundet, die Grünen aber drängen auf rasches Handeln. Ist die Kuh vom Eis, dürfte es dann aber schnell gehen und die Lösung wäre in trockenen Tüchern.


1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

OT
Sie (Vera Lengsfeld) hat es wieder getan. Gestern.
Ein Professor für Thermodynamik Michael Thielemann:

>> Ich bin kein „Klimaleugner“ und halte Gefahren durch die Erderwärmung für möglich oder wahrscheinlich. << -------------------
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Einer der Offiziere vom Marschbataillon des braven Soldaten Schwejk: Je intelligenter einer ist, ein umso größeres Rindvieh ist er.