Montag, 22. April 2024

12-Punkte-Planwirtschaft: Gimme more!

Christian Lindner und zwei Mitarbeitende der FDP-Zentrale präsentierten den Grobentwurf des Deutschland-Planes in Berlin.

Sechs ganze Wochen vergingen ohne Punkte-Plan, sechs Wochen schwebte das Land in einem Zustand der Ungewissheit. Fast neun Monate waren vergangen, seit Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner bei ihrer historischen Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg Nägel mit Köpfen gemacht, alte Zöpfe abgeschnitten und einen 10-Punkte-Plan für den Wirtschaftsstandort Deutschland vorgestellt hatten, der "angesichts der Konjunkturflaute in Deutschland Impulse für mehr Wirtschaftswachstum" (SZ) gab.  

Nachhall des Wummses

Ein Wumms, der nachhallte, ein Wumms, wie ihn das Land lange nicht mehr gesehen hatte, denn seit dem 12-Punkte-Plan für gleichwertige Lebensverhältnisse von 2019 schlichen sich mehr und mehr Chaos und Beliebigkeit auch in die Bundespunkteplanwirtschaft ein: Früher waren Zehn-Punkte-Pläne stets das probate Mittel jedes anständigen Politiker gewesen, um drängende Probleme auf die lange Bank zu schieben, sich Beinfreiheit im Wahlkampf zu erarbeiten und den Eindruck zu erwecken, man habe erkannt, verstanden und Handlungsbereitschaft hergestellt. Seit Seehofers Tabubruch aber bröckelten auch hier die Gewissheiten. Es hagelte 12, 13-, 14- und 26-Punkte-Pläne. Selbst die SPD, eine Traditionspartei, brach mit der urdeutschen Sitte: War Helmut Kohl für ganz Deutschland noch mit zehn Punkten ausgekommen, beanspruchte die ehemalige Arbeiterpartei allein für den abgehängten, mit der Sozialdemokratie fremdelnden Osten deren zwölf. 

Weniger konnte die FDP nun auch nicht bieten, um die Ampel-Konkurrenz zu übertrumpfen, die mit Blick auf den 1. Jahrestag des 10-Punkte-Planes von Meseberg bereits im März einen Zehn-Punkte-Wirtschaftsplan für eine Stärkung der deutschen Wirtschaft vorgelegt hatte. Die Liberalen, in diesen tagen auf Abschiedstournee durch die Bundespolitik, beließen es allerdings demonstrativ bei zwölf Punkten, ein Plus zum Plan von 20 Prozent, aber weit weg von jenen 17 Punkten, mit denen die völkerfeindliche Pegida-Bewegung einst einen gesamteuropäischen Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge und eine gerechte Verteilung auf die Schultern aller EU-Mitgliedsstaaten, schnelle Abschiebungen und eine bessere Integration gefordert hatte. 

Verunglimpft als Wirtschaftswende-Konzept

Dennoch ist das von der koalitionsinternen Opposition reflexhaft als "Wirtschaftswende-Konzept" titulierte Papier überaus ambitioniert: Wie immer geht es um jene "Offensive" (Olaf Scholz), die das darbende, taumelnde, zweifelnde Land auf den Weg bringen soll, wieder zu wachsen. Wie immer besteht die Reha-Kur aus einer Mischung bekannter Rezepte: Härtere Sanktionen,. längere Lebensarbeitszeit, raus aus der sozialen Hängematte für über 63-Jährige, die Forderung danach, EU-Vorgaben und Richtlinien möglichst trickreich zu umgehen, Soziallleistungen abzuschmelzen und die Erneuerbaren Energien dem freien Spiel der Marktkräfte auszusetzen.

Ein Deutschland-Plan, der sogar auf einige der in Trainingsplänen für Wirtschaftswachsende eigentlich üblichen Leibesübungen verzichtet. Es fehlen die steuerlichen Maßnahmen, die stets in Aussicht gestellt werden, damit Investitionen getätigt und nicht aufgeschoben werden, es gibt keinen Hinweis auf einen geplanten Abbau von Bürokratie, offene Arme für mehr Fachkräfte aus dem Ausland oder noch schneller beschleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren. Im politischen Berlin sind diese Fehlstellen das mit Verwunderung aufgenommen worden, ausgerechnet bei den Worthülsen und Sprechblasen, auf die sich alle Koalitionspartner leicht hätten einigen könne, so kommentieren Kenner der Ampel-Kriege, verzichte der kleine Partner darauf, die anderen mitzunehmen.

Natürlich, viele Vorhaben der Fortschrittskoalition "sind bereits auf dem Weg", wie die "Tagesschau" schon vor Monaten festgestellt hat. zwar hält die "aktuelle Abkühlung der Konjunktur" nun schon seit anderthalb Jahren an, trotz schrumpfender Wirtschaftsleistung aber ist es der Bundesregierung gelungen, das gefürchtete Wort R-Wort weitgehend aus der Öffentlichkeit herauszuhalten. Ersatzhalber hatte die Bundesworthülsenfabrik (BWHF) rechtzeitig beruhigende Ersatzbegriffe wie "schwächeln", Konjunkturknick" und "Stagnation" bereitgestellt, mit deren Hilfe sich der Rückgang des Bruttoinlandproduktes wegerklären lässt. Vor allem Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ist es zudem zu verdanken, dass die prekäre wirtschaftspolitische Lage als Segen empfunden wird: Das Weltklima dankt für jede Stunde Kurzarbeit, jede Entlassung und jede Firma, die sich aus dem Wirtschaftskreislauf zurückzieht, und sei es nur, indem sie im Ausland produziert.

Rückgang ist nur "weniger dynamisches Wachstum"

Finanzminister Christian Lindner hatte dem mutigen Ausstiegskurs im vergangenen Jahr seine Zustimmung gegeben. Mit dem Satz "wir nehmen ernst, dass Deutschland weniger dynamisch wächst als andere" hatte er den Rückgang des BIP in einen moralischen Zusammenhang gestellt: Schrumpfen war nun "weniger dynamisch wachsen", ein Vorgang, der ernst genommen wird, aber keinen Grund gibt, panisch zu werden. Noch sei "Substanz" da, so Lindner, noch tüftle die Regierung am "Wachstumschancengesetz" (WCG, BWHF) mit zahllosen "Anreizen" und Prämien für alle, die guten Glaubens sind und bereit, mitzumachen. 

Mitte März verpuffte der tröstende Effekt des WCG. Mitte April nun zieht der Vizekanzler mit Blick auf den anstehenden FDP-Parteitag andere Seiten auf. Strafen wollen die Liberalen nun überall dort, wo Menschen nicht mitziehen, Leistungen vollständig streichen, Grundgesetz hin oder her, und wer im Alter noch kann, soll weiterwerkeln, um den Fachkräftemangel auszugleichen. Die EU, die ihren gigantischen Apparat beschäftigt halten muss und deshalb Woche für Woche neue Auflagen, Regeln und Richtlinien produziert, solle künftig nicht mehr ernst genommen werden. Deren Lieferkettengesetz lasse sich mit einigen wenigen einfachen Tricks umgehen. Zudem zeige die Geschichte, dass die EU zwar häufig gegen vertragsbrüchige Mitgliedsstaaten klage - allein derzeit laufen mehrere hundert Verfahren. Doch selbst in den wenigen Fällen, in denen es zu einer Verurteilung komme, bestehe die Strafe nur aus einer symbolischen Geldbuße, die letztlich aber noch niemals von einem Mitgliedsland gezahlt worden sei.


1 Kommentar:

Die Anmerkung hat gesagt…

Waaaaaas? Nicht alles, sondern gerademal ein 12-Punkte-Plan für Deutschland reicht aus?