Montag, 13. Oktober 2025

Grüne Jugend: Scharflinks zur Klassenfrage

Grüne Jugend: Scharflinks zur Klassenfrage
Henriette Held und Luis Bobga: Das Powerduo wird die Grüne Jugend im Tandem in die Zukunft führen.  


 "Höre, Rübezahl, laß dir sagen, Volk und Heimat sind nimmermehr frei. Schwing die Keule wie in alten Tagen, Schlage Hader und Zwietracht entzwei." 

"Hohe Tannen weisen die Sterne", Lied der Grünen Jugend, 1923 anonym in der Zeitschrift "Jugendland" der deutschen Ringpfadfinder veröffentlicht.

 

Sie sind die Neuen, zwei Newcomer für den Neustart der Grünen Jugend, einem Jugendverband, dem es in den zurückliegenden Jahren gelungen war, die Nachwuchsorganisationen der anderen Parteien in der Öffentlichkeitswirkung deutlich zu übertreffen. Viele Mitglieder hat der Verband nicht. Viele aktive schon gar nicht. Doch interne Machtkämpfe, demonstrative Austritte einer ganzen Vorstandsmannschaft und die folgende Neubesetzung mit einer menschgewordenen Lautsprecherin und einem linkischen Robin-Hood-Darsteller aus Kiel machten aus der Grünen Jugend ein gesamtgesellschaftlichen Unterhaltungsangebot, das immer gern genommen wurde.

Machtmissbrauch und Mobbing 

Bis zum letzten Tag  lieferte vor allem die scheidende Jette Nietzard frischen Stoff für Verschwörungstheoretiker. Machtmissbrauch, Mobbing und politischer Kampf im Gossenjargon waren das Markenzeichen der 26-Jährigen, die Journalisten im Bundestag empfing, als habe sie nicht nur bei der Bundestagswahl kandidiert, sondern ein Mandat errungen. In die Blöcke diktierte die TikTok-Prinzessin der Grünen den Reportern am liebsten Klassenkampfparolen. Als gefühlte "freie Radikale" galten für sie keine Regeln. Nietzard lebte ihren Traum und sie wusste: Je schräger die Ideen und je kruder die Thesen, desto größer die öffentliche Beachtung und je lauter der Applaus aus der eigenen Fankurve.

Ihr Sprecherkollege Blasel versuchte vergebens, mit eigenen schrillen Forderungen mitzuhalten. Der junge Mann aus Kiel, ohne Beruf, ohne Abschluss und auch mit 24 noch ohne Erwerbsbiografie, schlug vor, deutsche Kommunen zu enteignen, Haustiere zu verbieten und das Waffenhandwerk zu einer linken Herzenssache zu machen. Ihm blieb trotzdem nur der Platz im schwarzen Schlagschatten Nietzards. Ohne den er aber auch nicht leben wollte: Nachdem die ein Jahr ältere Sprecherin sich dem Druck der grünen Parteiführung gebeugt und eine erneute Kandidatur als Nachwuchschefin ausgeschlossen hatte, erklärte auch der Student aus Kiel seinen Verzicht auf die Fortsetzung einer Sprecherlaufbahn.

Ostdeutsch und scharflinks 

Wenigstens aber mangelt es der Pionierorganisation der Grünen nicht an Anwärtern für die zum dritten Mal in zwei Jahren vakanten Führungspositionen. Mit Henriette Held fand sich eine verbürgerlichte Version Nietzards, ostdeutsch, aber links. Und mit Luis Bobga ein Blasel-Ersatz, der dem Vorurteil, der grünen Jugend mangele es schlimmer noch als anderen an Vielfalt und Diversität, schon optisch wirksam entgegentritt. 

Such die beiden Neuen haben den Schuss selbstverständlich nicht gehört. Unzufrieden damit, dass die aktuelle Parteiführung die Grünen in die Mitte zu rücken versucht, um die Hälfte ihrer früheren Wähler wiederzugewinnen, die sie im Zuge ihrer konsequenten Klimapolitik verloren haben, wollen Held und Bobga die verlorenen Prozente lieber bei der Linkspartei holen. Held bekam 93,6 Prozent der abgegebenen Stimmen, Bobga, von vielen Delegierten abgelehnt, weil er als Nietzard-Mann gilt, 76,2 Prozent.

Marx statt Marktwirtschaft 

Klassenkampf statt Realpolitik, Marx statt Marktwirtschaft und Klimarettung statt Wohlstandsbewahrung - die beiden Anführer der 16.000 eingetragenen Mitglieder des grünen Nachwuchses haben ihre Politisierung in den Reihen der kurzzeitig medienwirksamen Klimabewegung "Fridays for Future" erlebt. Diese Lehrjahre im Gefühl, Schulkinder seien berufen, die Welt zu verändern, prägen. Aus der Enttäuschung, sich von den Medien etwas vormachen lassen zu haben, als die jeden Tag schrieben, Klima sei die Schicksalsfrage der Menschheit, ist der Glaube erwachsen, die Dinge noch viel grundsätzlicher verändern zu müssen.

Fliegen, Heizen, Essen, Tempolimit - was gestern noch bedeutsam schien, ist für Held, in Berlin geboren und zum Studium in den Osten gezogen, nicht mehr ausreichend radikal.  "Kriege, Inflation, Faschismus und soziale Spaltung - wir dürfen nicht vergessen, dass all diese Krisen miteinander verknüpft sind", hat die 24-Jährige in ihrer Bewerbungsrede ausgerufen, ohne das Klima überhaupt zu erwähnen. Alle diese Probleme seien Ausdruck eines Systems, das Menschen und Ressourcen ausbeute. "Die Klimakrise ist kein Naturereignis, sondern eine Klassenfrage und eine Frage sozialer Gerechtigkeit.

Malen nach Zahlen 

Vulgärmarxismus, nach Zahlen als Ausmalfarbe gepinselt in ein mechanistischen Gesellschaftsbild, in dem Menschen wie Schachfiguren funktionieren.  Held studiert Rechtswissenschaft mit dem Schwerpunkt auf Umwelt- und Klimarecht und wie die Dinge laufen, könnte sie ihren Abschluss in der Tasche haben, wenn der Gesetzgeber das Prinzip des "Bau-Turbo" auch in allen anderen Bereiche anwendet. Weil es zu viele Vorschriften gibt, die sich nicht ändern lassen, werden Vorschriften beschlossen, nach denen die Vorschriften nicht gelten.

Henriette Held stand beim Bundeskongress der Grünen Jugend hinter dem Rednerpult und sie schon bei ihrem ersten Auftritt auf der großen Bühne gebärdete wie eine Alte. Die berühmte Fingerfigur des sogenannten "Fliegers" wurde gezeigt, auch die der "Brandmauer", es folgt wie immer der "Goldene Reiter". anschließend der Doppelaufrüttler und schließlich die unerlässliche "Arbeiterfaust" samt der "Grünen Glucke". Inhaltlich legte Held sich fest: "Wir brauchen eine Grüne Jugend, die kämpft, die sich organisiert und niemanden zurücklässt", rief sie den Delegiert*innen zu, "eine Jugend, die für unsere Zukunft streitet: für eine Zukunft, vor der wir keine Angst haben müssen, sondern auf die wir uns freuen können."

In ihrer eigenen Welt 

Wer jenes Wir ist, wer sie weiß, was es braucht, und wieso sie sicher ist, es beschaffen zu können, verriet Henriette Held nicht. Dafür aber gestattete sie einen tiefen Einblick in ihre eigene kleine Welt und den schweren Weg, den sie gegangen ist, "weil ich einen Ort gesucht habe, an dem sich zwischen all dem Weltschmerz wieder Hoffnung finden lässt". Die Grüne Jugend war dieser Ort. Und "ich will, dass noch viele weitere Menschen hier einen solchen Ort finden."

Das Angebot steht und so schlecht die Zahlen der Grünen im Moment auch sind, Held und Bobga werden deshalb nicht einknicken und beginnen, nun auch noch Politik für die hart arbeitende Mitte anzukündigen. Ihnen geht es um die eigene Blase, die Bubble, die in den Bionadevierteln der universitären Großstädte lebt und es gern sehen würde, dass  die Restgesellschaft ihre Bedürfnisse für wichtiger hält als alles andere. Im Mittelpunkt des "Wir", von dem Henriette Held predigt, steht das Ich einer selbstverliebten Generation, die ein Übermaß an Selbstsicherheit aus der Überzeugung zieht, dass das ganze Leben eine Fortschreibung ihrer behüteten Kindheit als Helikopterkind sein wird.

Eine Welt ohne Probleme 

Held kommt aus dieser Welt, die eine ernsthaften Probleme kennt. In ihrer Bewerbungsrede hat sie weder über Wirtschaft noch über Industrie, nicht über Steuern, Abgaben oder innere und äußere Sicherheit gesprochen. Eines ihrer Themen war der "Kulturpass", eine Ampel-Erfindung, die Corona-geschädigten Jugendlichen dazu bringen sollte, Konzerte, Theatervorstellungen und Museen zu besuchen. Genutzt hat die Zielgruppe die gute Gabe der früheren Kulturministerin Claudia Roth nie. Immer blieben Millionen übrig. 

Ideen, den Rohrkrepierer auf Steuerzahlerkosten abzuschaffen, erteilte Henriette Held eine Abfuhr: "Kultur ist kein Luxus und kein bloßes Nice to have – sie ist ein Fundament unserer Gesellschaft." Alte weiße Männer sollten "uns" (Held) nicht vorschreiben, "was Kultur ist und was nicht." Wenn Jugendliche das Angebot nutzen, um Comics zu kaufen und ins Kino zu gehen, dann sei das ihr gutes Recht. Denn "gehört zu werden, ist ebenfalls Teilhabe. Unsere Generation muss immer Teil der Debatte sein, und wir können nicht über einen Wehrdienst sprechen, ohne diejenigen einzubeziehen, die ihn am Ende leisten sollen."

Hoffnung organisieren 

Sollten die, "die den Wehrdienst am Ende leisten sollen", sich am Ende gegen seine Einführung entscheiden, dann wäre das eben so. Zusammengenommen ergibt das alles irgendeinen Sinn. "Im vergangenen Jahr hat die Grüne Jugend dafür gekämpft, ein lauter, linker Verband und politisches Zuhause zu bleiben", hat Henriette Held von der Leipziger Bühne gerufen. Jetzt seien "die Grünen in der Opposition – das eröffnet neue Spielräume." Mit der ganzen Erfahrung ihrer Jahre in der Politik wies sie dann darauf hin, dass "wir niemals vergessen dürfen, für wen wir Politik machen sollten." Sie  kandidiere deshalb, "weil ich Hoffnung organisieren will". 


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