Dienstag, 23. Dezember 2025

Parteien des Jahres: Grüner die Glocken nie klangen

Robert Habeck, Grüne Krise, Bundestagswahl 2025 Grüne, Ricarda Lang Comeback, Grüne Parteiführung, Habeck Niederlage, Bündnis 90/Die Grünen Umfragen.
Der Bündniskanzler nahm die Zuversicht am Wahlabend mit. Danach hieß es: Kein Mensch mehr und kein Wort.


Das Jahr 2025 war nicht nur eine Jahr der Unsicherheit, der Neuordnung der Meinungslandschaft und der Aufkündigung aler Freundschaften. Es war auch ein Jahr der alteingesessenen Parteien, die bewiesen, dass in einer Demokratie nicht alle Stimmen gleich viel wiegen. Um die Handlungsfähigkeit des Staates in einer Zeit multipler Herausforderungen zu sichern, haben die Parteien wichtige Schritte unternommen, um ihre Position als Herz, Kopf und Gesicht der Demokratie zu festigen.  

Eine Brandmauer stärkt die innere Stabilität. Neue Allianzen über die alten ideologischen Gräben hinweg haben Vertrauen zurückgewonnen. Neue Leute reagieren mit bewährten Maßnahmen auf Veränderungen, die sie oft selbst nicht verstehen. Lager sind zerfallen. Wer bene noch Mitte war, ist heute schon rechts. Die gewachsene Bedeutung der Parteien hat die traditionelle Demokratie umgestaltet zur modernen Parteiendemokratie. 

Die liefert Democracy at its best. Parteienzentralen sind heute das Rückgrat des Systems, doch wie der Blick ins zurückliegende Jahr zeigt: Zu ihrem Besten ist das nicht.

Niedergeschmettert. Entkernt. Ausgehöhlt. Ernüchtert. Um 18 Uhr am Abend der Bundestagswahl im Februar endete eine Ära. Es war Zeitenwende bei Grünens daheim. Brachial war eine Gesellschaftsvision mit einer Gesellschaft kollidiert, die wirklich existiert. Der Traum prallte auf die Wirklichkeit.  

Der "Bündniskanzler", im Wahlkampf strenger Klimawirtschaftsminister und frecher Pirat zugleich, hatte dem gewendeten Zeitgeist noch ganze 11,6 Prozent abringen können. Mehr als drei Prozent weniger als seine Spitzenkandidatenvorgängerin in ihrer skandalumwitterten Kampagne drei Jahre zuvor zustande gebracht hatte.

Die großen Lehrer der Völker 

Er war nicht der Erste, der das nicht überstand. Die Geschichte ist voll von großen Lehrern der Völker, denen die Klasse schließlich den Stuhl vor die Tür stellte. Doch wie all die Lenins, Maos und Maduros, die Honeckers, Castros und Titos am Ende ihrer Tage entsetzt feststellen mussten, dass die Massen nie wirklich überzeugt und begeistert hatten, so stand auch Robert Habeck unversehens inmitten einer Welt, auf die ihn die heiligen Wahlkampfmessen im Kreise seiner Gläubigen nicht vorbereitet hatten. 

Aus "Ein Mensch, ein Wort" wurde im Handumdrehen "Ein Mensch, kein Wort". Die Abschiedsworte des Hoffnungsträgers aus Henkendorf hatten Hollywoodhöhe. "Bleibt dabei, behaltet den Mut, eure Kraft und Zuversicht", richtete der geschlagene Held die Truppen auf, "das braucht unser Land, das braucht die Welt vielleicht mehr denn je." Sein munteres "bis bald" verklang. Ein letzter Gruß, ehe die noch von ihm selbst handverlesenen Erben übernahmen.

Jeder Vierte wandte sich ab 

Sie fanden eine Partei vor, die wie alle anderen zu einem Kanzlerwahlverein umgeschmiedet worden und mit ihrem Heilsbringer untergegangen war. Die Botschaft vom glückbringenden Schrumpfen, von kostenloser Transformation und grünem Wachstum, die Annalena Baerbock noch so gern abgekauft worden war, sie hatte trotz Habecks deutlich mitreißender Erzählung keine zusätzlichen Anhänger gefunden. Im Gegenteil. Die strahlende Zukunftsvision hatte ein knappes Viertel der Begeisterten abgeschreckt. 

Für eine Partei, die sich im Besitz der einzigen zulässigen Wahrheit wähnt, sind das erschütternde Nachrichten. Für eine Parteiführung aber, die sich bis dahin hinter den beiden Menschenfängern auf den Plakaten verstecken konnte, ergeben sich daraus unlösbare strategische Konflikte. das Gute daran, man ist Übervater und Übermutter mit einem Schlag los. Das Schlimme aber: Sturmfrei heißt nicht nur endlose Party, sondern auch selbst einkaufen, saubermachen, eigene Finanzplanung und niemand, der einen morgens aus dem Bett scheucht.

Abgesang an eine Ära 

Wie bei den übrigen Parteien steht es auch bei den Grünen, über Jahrzehnte die jüngste und agilste der deutschen Parteien, schlecht um den Nachwuchs. Das, was Robert Habeck noch mit eigener Hand in den Maschinenraum gesetzt hatte, erwies sich binnen weniger   Stunden als untauglich, das lecke Schiff zu steuern. Felix Banaszak, ein Habeck für Arme, ist nett, aber unbedarft. 

Seine Kollegin an der Parteispitze, eine Frau namens Brandtner, ein Schatten ihrer Vorgängerinnen, aber ein unsichtbarer. In der Fraktion sieht es nicht besser aus. Katharina Dröge, wie der Name schon sagt. Britta Haßelmann. Auch da kommen zwei entscheidende Probleme, gerade von den Grünen vielthematisiert, der Gegenwart im Namen zusammen. 

Ungezielte Rundumschläge 

Wo sich erfolgversprechend platzieren in einer Welt, die urgrüne Ideen wie den Energieausstieg immer energischer ablehnt? Und Verboten wie Steuern, den beiden Zügeln grüner Regierungskunst, zunehmend skeptisch gegenüberstehen? In den ersten Wochen nach dem Aufschlag in der Realität einer Republik, in der mehr als 88 Prozent der Wählerinnen und Wähler glauben, auf die Grünen verzichten zu können, versuchte es die neue Führung mit ungezielten Rundumschlägen.

Banaszak verhöhnte Merz, Dröge beschimpfte Söder, Haßelmann ging mit dem Begriff "KleiKo" hausieren, die sich die Wahlkampfstrategen der Partei als rufschädigende Bezeichnung für die neue Kleine Koalition aus SPD, CDU und CDU ausgedacht hatten. Genauso hatten Rechte, Konservative und Linksradikale in den 20ern Jahren auch Friedrich Ebert und die junge deutsche Demokratie verächtlich gemacht.

Niemand macht mit 

Zum Glcük machte niemand mit. Der bösartige Versuch, eine Regierung schon vor ihrem ersten Tag im Amt zu beschädigen, fruchtete nicht. Kein ernsthaftes Medium stieg ein. Nicht einmal die Blätter, auf die sich die Bundesgeschäftsstelle immer hatte verlassen könne, wollten nach dem Machtverlust weiter mitmachen. Die Grünen aber mussten: Dieselbe Bundesregierung, der eben noch faschistische Tendenzen vorgeworfen hatten, statteten sie mit hunderten von Milliarden aus. Demselben Kanzler, dem sie nachtragen, die klugen Ideen ihres Bewerbers um das Spitzenamt immer torpediert zu haben, kreiden sie nun an, dass er die Ideen seines gescheiterten Konkurrenten Punkt für Punkt umsetzt.

Politische Überlebenslogik heißt, immer zuerst auf die Partei zu schauen, dann erst aufs Land.  Dieselbe politische Überlebenslogik erfordert aber auch, es immer danach aussehen zu lassen, als schaue man zuerst aufs Land und danach erst auf die Partei. Die Grünen wirkten im Verlauf des Jahres zunehmend, als seien sie weder zu dem einen noch zu irgendetwas anderem in der Lage. Banaszak funktionierte nicht als Sympathieträger. Audretsch nicht als Einpeitscher. Brandtner, Dröge und Haßelmann nicht als Mischung aus Flintenweib und Jeanne d'Arc. 

Hass schüren oder Anpassen 

Auch zwölf Monate nach Habecks Kopfsprung in eine Wahlkampagne, die der große Egomane mit seiner Partei weder besprochen noch gar abgestimmt hatte, steht Bündnis90/Die Grünen inhaltlich noch ebenso entleert da. Gleichzeitig aber herrscht Uneinigkeit darüber, welche Medizin wohl am besten gegen die eigene Unbeliebtheit zu verabreichen wäre. Hass auf den Gegner schüren und ihn bezichtigen, alle klugen Ideen aus dem eigenen Parolenschrank gestohlen haben, hat die eigenen Umfragewerte bisher nicht einen einzigen Millimeter nach oben bewegt. Die Androhung höherer Steuern hat nicht geholfen, die Aussicht, dass der Wohlstand noch schneller abgebaut werden könnte, brachte keine Wende.

Auch die noch von Habeck verfügte Rückkehr in die "rechtsradikale Jauchegrube" (SZ) der Musk-Plattform X  legte mehr Probleme offen als sie zu bewältigen half: Die komplette aktuelle Parteispitze kommt dort, wo "die Stimmen der Vernunft fliehen" (SZ), zusammen nicht auf so viele Follower wie die frühere Parteichefin Ricarda Lang allein bespaßt, indem sie Trump einen "narzisstisch gestörten Widerling" nennt und ihre Überzeugung teilt, dass "wir gerade das Ende vom Ende der Geschichte erleben".

Zwischen Parlament und Lesereise 

Die ehemals mit ihrem Körper vollkommen zufriedene Frau aus Filderstadt schwebt wie ein ungeheurer Schatten über ihren Nachfolger*innen, wie sie im Parteisprech heißen. Lang ist nur noch einfache Abgeordnete, die zehrende Tätigkeit mit dem ständigen Pendeln zwischen Parlamentssaal, Ausschüssen, Wahlkreisbüro und Privatleben lässt ihr gerade so genug Zeit, nebenbei Bücher zu schreiben und auf Lesereisen zu gehen. Ricarda Lang hat es dennoch geschafft, die beiden Spitzenfunktionäre Haßelmann und Audretsch bei den Talkshowauftritten zu überflügeln. Seit sie nicht mehr Parteivorsitzende sei, sagt die 31-Jährige, trete sie kürzer.

Lang ist jung, sie hat sich in Schwung gebracht, sie hat abgenommen und sich Gedanken gemacht, wie Grünsein wieder populär werden könnte. Die überernährte Aufsteigerin, die aus dem wenigen, was sie an Lebenserfahrung hatte sammeln können, versucht hatte, eine Lebenslaufbahn zu machen, ist eine gewiefte Taktikerin geworden. Ricarda Lang hält sich vorerst nur im Gespräch, sie spielt die unideologische Grüne, die sich von keinem Tabu  daran hindern lässt, die Wahrheit auszusprechen.

Sie wartet auf den Neuanfang 

Lang weiß, dass ihre Stunde erst kommt, vermutlich schon in nächsten Jahr. Wenn die Landtagswahl in Baden-Württemberg in die Hose geht, die in Rheinland-Pfalz ins blaue Auge und es in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern nicht zum Parlamentseinzug reicht, könnten die ersten Stimmen laut werden, die nach einer Erneuerung an der Parteispitze rufen.

Cem Özdemir, das Gesicht der Wahlniederlage in Wahl Baden-Württemberg, kommt nicht in Betracht. Eher schon Annalena Baerbock, deren Anschlussverwendung als Sitzungsleiterin bei den Vereinten Nationen im September endet. Auf jeden Fall aber steht Ricarda Lang bereit, frisch und dynamisch und ideologisch mittlerweile auf Gelenkigkeit trainiert.

Angriff der Altvorderen 

Um den Angriff der Altvorderen abzuwehren, müssen ihre Nachfolger sich entscheiden: Sind mehr Wähler zu erreichen, wenn die Grünen ihren Markenkern polieren? Und trotzig an der Behauptung festhalten, die Klimakatastrophe sei das größte Problem der Gegenwart und ehe Deutschland nicht dafür gesorgt habe, dass sie gelöst werde, müsse über alles andere nicht diskutiert werden? Oder bringt es die guten alten Zeiten als Fast-Volkspartei schneller zurück, wenn man das Klimathema für erledigt erklärt wie Greta Thunberg? Und wie Linkspartei und SPD behauptet, man müsse nur ordentlicher umverteilen, damit es niemandem mehr an nichts fehle?

"Ein Blick zurück, ein Blick nach vorne!", hat die derzeitig noch amtierende Parteiführung ein Strategiepapier genannt, dass den Stolz, das Land drei Jahre regiert zu haben, nicht leugnet. Britta Haßelmann und Katharina Dröge gestehen aber zugleich ein, dass "es in Deutschland aktuell keine Mehrheit für eine progressive Politik gibt". Warum auch immer, seis drum, nach gründen zu suchen istt brotlose Kunst. "Jetzt ist keine Zeit für Pessimismus", heißt es da und ja, der Osten, um den Parteichef Banaszak an einem selbstgebauten "Fenster zum Osten" kämpft, kommt auch vor: Zweimal. Im Wort "HeizkOsten".


Keine Kommentare: