Dienstag, 23. Dezember 2025

Das Jahr ohne Sommer: Mai der Sehnsucht

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In diesem Mai blüht Deutschland auf. Bis zum Sommer, verspricht der neue Kanzler, werde ein Stimmungsumschwung das Land wie neu machen.

You've got troubles on your own, no need to face them all alone
We can all swing together, my oh my
 
James Lea und Neville Holder, 1983

Es war ein Jahr zum Vergessen und vielen gelang das außerordentlich gut. Der neue Kanzler wusste schon nach Wochen nicht mehr, was er versprochen hatte. Seine Hilfstruppen von der SPD hatten verdrängt, dass sie wiedermal eine Wahl verloren hatten. In der Welt draußen wendete sich einiges zum Besseren. Deutschland aber blieb mit klarem Kompass auf Kurs. 

Der Rückblick auf 2025 zeigt zwölf Monate, die es in sich hatten. Nie mehr wird es so sein wie vorher.

Der Wonnemonat. Das erste Aufblühen. Die Befreiung nach zwei dumpfen Jahrzehnten Bräsigkeit und Kleinmut. Kaum ist der sechste Monat nach dem Zerbrechen der Ampelkoalition angebrochen, stellt sich Deutschland völlig neu auf. Mit Friedrich Merz und Lars Klingbeil schwören zwei Macher den Amtseid, die sich als Retter sehen. Wie hat alles nur so weit kommen können? Wer ist verantwortlich dafür, dass ein ehemals blühendes Land verluderte und vergammelte?

Frische Männer braucht das Land 

Auch die beiden frischen Männer in Kanzleramt und Finanzministerium wissen es nicht zu sagen. Es ist auch vergossene Milch. Merz und Klingbeil, Wadephul, Pistorius und Bas, sie alle sind angetreten, es endlich besser zu machen. Alles bleibt, wie es war. Niemandem wird es schlechter gehen, vielen aber wieder besser. Bei den traditionellen Maikundgebungen in Berlin, zu denen der DGB wie gewohnt die Reste der revolutionären Arbeiterbewegung karrt, offenbart SPD-Chef Lars Klingbeil seine Vision für die hart arbeitende Mitte. 

Keine Beitragserhöhungen, keine Kürzungen, einfach ein Land, das funktioniert. Der "Hüne mit Rocksänger-Vergangenheit", wie ihn eine Illustrierte nennt, distanziert sich vom Kurs seiner Partei und auch er verspricht Reformen, diesmal welche, die selbst die Mathematik überlisten werden.

Begehrlichkeiten durch frische Billionen


Immer mehr rein in die Steuerkasse, aber immer noch mehr raus. Wie jeder Familienvater, der die Begehrlichkeiten seiner Schutzbefohlenen im Zaum zu halten hat, muss auch die neue Koalition bremsen. Die gewaltigen Sondervermögen, Geld ohne Aggregatzustand, geborgt von Generationen, die noch nicht einmal auf der Welt sind, wecken Begehrlichkeiten. Und sie bremsen jeden Reformeifer. 

Mit dem Handelsstreit, den US-Präsident Donald Trump losgetreten hat, findet sich ein neues Argument, warum vieles gerade jetzt nicht geht. Die Lage ist gespannt, einmal mehr steckt Deutschland in der schwierigsten Situation seit dem Mauerbau. Deren Abriss war nur vorübergehend. An die Stelle des Ulbricht-Bauwerks ist eine sinnbildliche Mentalmauer getreten. Hinter der steckt ein Viertel der Bevölkerung fest, Ewiggestrige, die eben noch gegen die Impfpflicht waren und nun die russische Gefahr verharmlosen. 

Verrat der Jugend 

Ausgerechnet die Jugend und ausgerechnet die weibliche enttäuschen ihre Eltern, lehrer und die Macher von KiKa und Maus. In Sachsen explodiert der "Ostmulle"-Trend auf TikTok. Im Fahrwasser der linken Influencerin Heidi Reichinnek lypsincen junge ostdeutsche Frauen zu Hardtekk und Rechtsrock, umrahmt von Pegida-Flaggen und Lorbeer-Tattoos. Es fallen alle Schamgrenzen. Große Medienhäuser  wie "Die Zeit" feiern den Aufstand der in der Genderdebatte Vergessenen als den von "tribalen Underdogs", die einzig von der Sehnsucht beseelt seien, gesehen zu werden.

So macht das die moderne Rechte. So unterläuft die gefürchtete AfD-Propaganda die Demokratiefilter der großen Rundfunkanstalten. Es mangelt aber auch auf der anderen Seite des Spektrums an Respekt vor den Institutionen des demokratischen Rechtsstaates. Jette Nietzard, eine erst seit kurzem amtierende  Vorsitzende des grünen Nachwuchsverbandes, löst mit einem Pullover, der zum Hass auf die Polizei auffordert, eine Medienhysterie aus, die der um die Syltsänger ein Jahr zuvor kaum nachsteht.

Eine Feier der ostdeutschen Ignoranz der westdeutsch dominierten Meinungslandschaft. "Zeit"-Reporter reisen ins tiefste Hinterland der ostdeutschen Ödnis und notieren Beobachtungen über Nasenringe und Bionade. Winfried Kretschmann, der große, stille alte Mann der Grünen, warnt mit Blick auf die Affäre Schmidt: "Der Rechtsruck bedroht uns."

Staatsbegräbnis für das Klimageld 

Merz macht es den erklärten Feinden der in der Verfassung festgeschriebenen vertrauenwürdigen Parteien der Mitte aber auch leicht. Das Klimageld, die über Jahre immer wieder vorgezeigte Wurst für alle, die fleißig CO₂ sparen, muss zugunsten anderer wichtiger staatlicher Investitionen gestrichen werden. 18,5 Milliarden Euro aus dem Verkauf von sogenannten Emissionsrechten an die Bürgerinnen und Bürger, sollen nun Brücken sanieren und Wohnungen bauen. Lisa Badum, auch sie eine junge, engagierte Grüne wie Nietzard, lobt: "Der Staat investiert besser als der Bürger – aber für Krieg?" dahitler steht natürlich die Befürchtung, dass Putin kommt, wenn alles fertig ist. 

Trump tweetet: "EU pays for green dreams!". Wieder lügt der Präsident. Denn es sind die EU-Bürger, die bezahlen. Merz ist zu Besuch bei den hochgerüsteten Nordeuropäern, die so kleine Armeen haben, dass die Hamburger Bereitschaftspolizei Putin mehr Angst einjagt. Anlassangepasst spricht der neue Kanzler in Vilnius über seinen "Traum vom Frieden", der wahrt werden könne, weil er "uneingeschränkte Taurus-Lieferungen an die Ukraine, ohne Reichweitenbeschränkung" erlauben werde, um Russland zu brechen. 

Der Außenkanzler läuft sich warm 

Mit dem Koalitionsvertrag und dem Amtseid sind die Dinge daheim fürs Erste geordnet. Friedrich Merz macht sich auf, seine eigentliche Rolle zu füllen. Der Mann aus dem Münsterland ist ein Außenstürmer, er jettet um die Welt, sucht den Schulterschluss mit Macron, Tusk und Starmer; Meloni und Frederiksen. Migrationskontrolle ruft er aus und sein Innenminister Alexander Dobrindt macht Ernst. Die vorübergehenden Grenzkontrollen, die seit 2015 durchgeführt werden, verwandelt er in permante. Die Hauptfahrbahn der Autobahn nach Polen wird gesperrt. Autofahrer müssen abfahren, vorbei an drei Bundespolizisten mit schweren Waffen der leichten Bauart. Blick ins Fahrzeug. Kalte Schweißausbrüche im Fahrerraum. "Danke, Sie können weiterfahren." 

Ein freies Land, das abschiebt, wie es Olaf Scholz angedroht hatte. Dem Ex-Kanzler, der seine Partei nahezu halbiert hat, spendiert ein Parteigericht in Hamburg einen Freispruch. Ein Steuerschlupfloch zu verteidigen, das die linksliberale "Zeit" als "Alternative Altersvorsorge" und "breite Spielwiese für Anleger" angepriesen hat, kann doch keine Sünde sein! Und eine Volkspartei herunterzuwirtschaften erst recht nicht. Oder ist die SPD nicht wieder in der Regierung? Und dort fast mächtiger als in der letzten? 

Weniger gut kommt Altkanzler Helmut Schmidt weg. Dessen Positionen ordnet ein Geheimgutachten von Forschenden aus Frankfurt an der Oder ganz am Rand an: Gemessen an den Kriterien des Verfassungsschutz-Gutachtens, das die AfD als "gesichert rechtsextremistisch" einstuft, habe es sich beim fünften Bundeskanzler der Republik um einen nachweislich "weit rechts im rechtsextremistischen Spektrum" stehenden Politiker, heißt es in dem Schriftsatz.

Der stellt Schmidts Aussage  "Es war sicher ein Fehler, so viele Ausländer ins Land zu lassen" auf eine Stufe mit Parolen, die beim "Flügel" der AfD oder der Identitären Bewegung gängig sind. Wie die AfD aber kann auch Schmidt nicht mehr verboten werden: Bei den Rechtsextremisten liegt es am Fehlen des Bemühens, "planvoll das Funktionieren der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu beseitigen" und das auf "aktiv-kämpferische, aggressive Weise" zu tun. Bei Schmidt an seinem Tod zehn Jahre zuvor.

Grober Keil im Pullover 

Es bewegt sich etwas, überall, wo es um nichts geht. Jette Nietzard legt unter den groben Keil ihres Pullovers einen groben Klotz. Die "freie Radikale" fordert, die reichen aufzuessen. "Krawallgurke" nennt sie die Süddeutsche und der "Spiegel" analysiert ihr "Geschäftsmodell Provokation"als "Gefährdung der Wahlkampfstrategie der Partei im Südwesten". Hoffnung bringt Christine Lagarde aus Straßburg: Es ist beschlossene Sache, dass der Euro die neuen Weltleitwährung wird.   Es seit Zeit für ein "global euro moment", wie es die gelernte Juristin nennt. 

Ein "tieferer, liquiderer Kapitalmarkt", die "größere militärische Stärke" und die Sicherheit einer Region, die ihre Sicherheit "mit harter Macht bewahren" kann, würden Anleger aus aller Herren Länder in die Gemeinschaftswährung locken. Jetzt schon, erklärt die vorbestrafte Französin, sei die "Rolle des Dollar" so rückläufig, dass der Greenback mittlerweile "nur noch 58 Prozent der internationalen Reserven" ausmache. Der niedrigste Stand seit Jahrzehnten, aber der Anteil des Euro liege schon bei 20 Prozent - nach mehr als 25 Prozent vor 15 Jahren.

Auf dem Verschiebebahnhof der Verantwortung 

Die Koalition als Kabarett, in dem sich die Verantwortung wie auf einem computergesteuerten Verschiebebahnhof hin- und herbewegt. Es gibt auch im Inland keine Reichweitenbegrenzung mehr für  politische Symbolhandlungen. Als Deutschland den "Tag des Herrenmenschen" feiert, sind die langen Linien zu sehen, die das Land über Jahrzehnte zu einem Musterbeispiel für ein gut organisiertes Gemeinwesen gemacht hatten. Die Leitkultur wurzelt in christlicher Mythologie, der Erzählung von Jesu' Himmelfahrt und dem Fleiß der Einwanderer, die das Wirtschaftswunder möglich machten. Ohne Zweistaatenlösung im Nahen Osten aber, auch hier setzt die neue Koalition die kluge Politik der alten fort, sind diese Errungenschaften gefährdet. 

Kaum gewonnen, schon zerronnen. Der kluge Politiker*in sorgt für den Fall aller Fälle immer vor. Er notiert seine Versprechungen auch in kein privates Tagebuch und lässt, um den Steuerzahlenden Mehrbelastungen zu ersparen, seinen Handyspeicher regelmäßig automatisiert löschen. Ursula von der Leyen lebt in Brüssel vor, wie rückstandsfrei regiert wird. Am Ende einer langen Jagd auf die verlorengegangenen Inhalte ist die größte Staatengemeinschaft der Weltgeschichte dem Kern der Dinge etwas nähergekommen: Es sei erwiesen, dass es Nachrichten gegeben habe. Es stehe fest, dass sie niemals hätten gelöscht werden dürfen. Der Rechtsstaat siegt nach drei langen Jahren aufwendiger Ermittlungen gegen seine mächtige Verächterin.

Ursula von der Leyens Strafe, festgeschrieben unter Aktenzeichen T-36/23: Keine.

Kurz vor knapp wird alles abgesagt: 






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