Donnerstag, 21. Oktober 2010

Street View: Die Angst muss zittern

Das Volk steht auf, der Sturm bricht los! Angeleitet von der Fernsehmechanikerin Ilse Aigner ist Deutschland beinahe geschlossen in den Widerstand gegen das menschenverachtende Street View-Projekt des Internetkonzerns Google gegangen. In einer breiten Volksbewegung haben fast 244.300 Deutsche dem Suchriesen verboten, ihre Fassaden im Internet zu zeigen - damit hat sich fast ein Drittel Prozent der einheimischen Wohnbevölkerung in den Widerstand begeben. Umgerechnet auf die 20 Städte, in denen Street View Ende des Jahres starten soll, ergibt sich sogar eine Widerstandsquote von knapp 2,9 Prozent der Haushalte.

Damit müssen die Street-View-Gegner offenbar weiter um den Einzug ins nächste Bundesparlament zittern. Die fünf Prozent-Hürde der Online-Angst scheint derzeit kaum zu überwinden, auch weil Protest-Organisatorin Ilse Aigner nach ihrer großen Street-View-Sommeroffensive inzwischen zu populäreren Themen weitergeeilt ist. Zuletzt stoppte die Sarah Palin der deutschen Furcht vor weltweiter Fassadenschau den "Etikettenschwindel bei Lebensmitteln", sie forderte "mehr Aufklärung gegen Übergewicht", sie forderte "Facebook zum Umdenken auf", kündigte "verstärktes Vorgehen gegen unerlaubte Werbeanrufe" an und warnte "die Deutschen vor den Gefahren von Kundenkarten".

Ein im mitteldeutschen Städtchen Halle bereits laufendes Street-View-Projekt hatte dann auch kaum mit Protesten zu kämpfen, wie Geschäftsführerin Laura Jedebusch (Foto) gegenüber PPQ erklärte. Es gebe keinerlei Anzeichen, dass Halle Street View zu einer Erhöhung der Verbrechensrate oder einem Verlust der Privatsphäre der Nutzer geführt habe, sagte sie und erneuerte eine Einladung an Ilse Aigner, sich selbst per virtueller Mausrundreise durch die schöne Saalestadt ein Bild von Land und Leuten zu machen. "Aus unserer Sicht", beschreibt Jedebusch, "beschwören Politik und Medien in der gesamten Diskussion eine Angst, die ohne die Beschwörungen von Politik und Medien gar nicht vorhanden wäre."

Die Google-Kriege bei PPQ:
Halle wird komplett verpixelt

Schutzzauber vom Zentralregister

Intimes endlich öffentlich
Minenfeld in Bielefeld

Berliner Stimmen zum Projekt.

Gespräche im Zwischendeck: So weit nah dran

Gut gemeint und gut gemacht, Zettels Beitrag zur Integrationsdebatte hatte alles, was ein Spiel in der Verlängerung noch einmal ein bisschen spannend macht.

Im Zwischendeck aber, dem Ort, an dem hier bei PPQ die wirklich schlüssigen Debatten stattfinden, brach kein Jubel aus über die Thesen zur Thesenkritik. In Übersee verfolge man die hiesigen Diskussionen eher ratlos. Wenn denn überhaupt, hieß es. Die Welt jenseits von Büllerburg scheint noch nicht bereit für volksdemokratisches Mitwirken an der Frage, wieviel Demokratie der Ausbau der Bahn in Mitteleuropa braucht, Chinesen verweigern sich der Sarrazin-Diskussion, Amerikaner boykottieren ganz unbewusst alle Satellitenfernsehsendungen über Stuttgart 21. Selbst ausgewanderten Deutsche zerfließt der lebenserhaltende Sinn des innerdeutschen Disputs zwischen den Fingern, die im nachgesandten "Spiegel" von vorvorletzter Woche blättern.

A: Solche Artikel fuehren mir vor Augen, wie gefuehlt weit weg ich bin
von dem Ganzen. Ich habe nicht das Gefuehl, sie komplett zu verstehen. Wie jeden Tag, wenn ich lese "Aufschrei ueber Paedophilie-Format" oder "Protest gegen Stuttgart 21". Gegen einen Bahnhof? Was?

B: Je weiter weg, desto Bahnhof. In etwa?

A: Ob es die Entfernung macht? Raumschiff Deutschland, anderer Stern. Früher war der Bau eines Bahnhofes Beweis dafür, dass die Welt sich weiterentwickelte. Heute besteht der Fortschritt darin, dass sich Fortschritt wegdemonstrieren laesst. Nein, das interessiert mit abnehmender Nähe nicht mehr.

B: Auch mit zunehmender Nähe wächst allerdings in diesem Fall die Entfernung. Das Hirn büchst aus, sobald man versucht, sich auszumalen, dass das von Interesse sein muss. Ist es ja nicht. Da war Sarrazin ein anderes Kaliber. Völkerverbindender in seiner anziehenden Abschreckungskraft.

A: In China war das ein Sack Reis in Regensburg Südwest.

B: Heißt?

A: Auf dem Höhepunkt der Debatte hat eine große Zeitungsredaktion ihren Korrespondenten da angerufen, damit der mal aufschreibt, wie der Chinese als solcher das alles bewertet. Die neue Ausländerfeindlichkeit der Deutschen, diesen Hass, die Gen-Sache, die ja so falsch ist, weil dieser chinesische Lidschnitt natürlich bloß eine Frage der Erziehung ist.

B: Und was sagen die Chinesen?

A: Falsche Frage. Die richtige wäre "Was sagte der Korrespondent?"

B: Und?

A: Der fragte verblüfft "Sarrazin? Was ist denn mit Sarrazin?"

B: Klar. Die haben ihre eigenen Esel zu kämmen. Ich habe auch eine Woche gebraucht, um den Bahnhofsbau von Stuttgart als würdigen Nachfolger von Dekadenz-Debatte, Loveparade-Katastrophe und Sarrazin-Diskussion bei mir daheim zu begrüßen.

A: Gelingt mir nicht. Es ist einfach zu unwesentlich.

B: Aber die Meta-Diskussion, die muss man doch verfolgen, wenn man wissen will, wo dieses Schiff hinfährt. Besser: Ob es überhaupt noch fährt.

A: Die Metadiskussion. An der kommt man nicht vorbei. Was anderes hat diese Gesellschaft ja auch nicht mehr, was sie bereden koennte.

B: Es war nicht alles schlecht, das sage ich ja seit Jahren. Manches ist auch bis heute nicht besser geworden.

Mehr Gespräche im Zwischendeck:
Kein Schiff nach Nirgendwo
So rettete sich die SPD
Undurchdachte Äußerungen

Auch nett

 The Moyen Age- Patience and Trust by popup promotion

Mittwoch, 20. Oktober 2010

Rock ist das neue Rechts

Kaum hat Bundesinnenminister Thomas de Maiziere ihm verboten, aller fünf Sekunden Terroralarm auszulösen, meldet sich BKA-Chef Jörg Ziercke mit der Mitteilung, dass auch so aller fünf Sekunden ein Verbrechen in Deutschland geschieht. Die Täter schreckten dabei immer weniger vor Gewalt zurück, teilte Ziercke beim Herbstkongresses der Kriminalexperten mit - nachdem die Zahlen der in den letzten Jahrzehnten zuverlässig für das nahe Ende des Abendlandes verantwortlich gemachten Straftaten von Rechtsextremisten zuletzt zurückgingen, hat Ziercke inzwischen aber Ersatz gefunden.

Rock ist das neue Rechts, Gewalttaten von organisierten Motorradbanden ersetzen die ideologisch motivierten Umsturzversuche der letzten versprengten Skinheadbanden, die nicht hatten halten können, was Jörg Ziercke sich von ihnen versprochen hatte. "Die Gewaltkriminalität nahm binnen zehn Jahren um elf auf 208.500 Fälle zu, die Zahl der Fälle von Körperverletzung sogar um 30 Prozent auf 150.000 Fälle", zählt das Krimi-Magazin "Bild" beunruihigt auf, ohne zu erläutern, welche Zahl in welcher anderen enthalten ist.

Zwar werde Gewaltkriminalität "zu über 80 Prozent von männlichen Tatverdächtigen begannen, wobei der Anteil nichtdeutscher Tatverdächtiger über deren Anteil an der Gesamtkriminalität” liege, rechnet der dem Vorsorgegedanken verpflichtete Bundeskriminalist vor. Das Hauptaugenmerk der Bekämpfungsbemühungen des Staates müsse deshalb den "90 kriminellen Rockerbanden mit fast 6000 Mitgliedern" gelten, die "in mehr als 460 sogenannten Ortsgruppen" organisiert "eine in sich geschlossene Subkultur mit internen Ritualen und strengen Hierarchien” bildeten, wie man sie etwa auch bei den Nachwuchsorganisationen der großen Parteien, in Studentenverbindungen und bei den Castor-Gegnern finde.

Laut BKA wurden 2009 in Deutschland 200 Ermittlungsverfahren gegen Rockerbanden mit rund 450 Tatverdächtigen geführt. Das belege, das bereits rund 0,09 Prozent aller Gewalttaten von organisierten Kuttenträgern begangen würden, ein Anteil, der beinahe zehnmal niedriger liegt als der Anteil der Computerstraftaten an der Gesamtkriminalität in Deutschland, die Ziercke zuletzt als Alarmthema entdeckt hatte.

Der Fleiß der "deutschen Rockerbanden" macht nicht einmal mehr an den offenen Grenzen halt: Inzwischen, teilte Ziercke mit, versuchten sie sogar, sich international in den Drogen- und Menschenhandel zu integrieren.

Der Staat steht derzeit noch daneben und übt sich, getreu dem bürgerschaftlich engagierten Motto "Hingucken statt Zuschauen" in Geduld. BKA-Chef Ziercke: „Aktuell beobachten wir besonders intensiv die Ausdehnung der Hells Angels nach Südosteuropa, vor allem in die Türkei und nach Albanien." Dort, diese Botschaft wird gehört werden in Ankara und Tirana, muss man sich wappnen gegen die Einwanderer aus einem fremden Kulturkreis.

Der Kunde ist König

Oberste Maxime erfolgreicher Politik ist es, das wissen Männer wie Horst Seehofer, Bodo Ramelow oder Jürgen Trittin genauso wie Frauen mit der Macht von Angela Merkel oder Freifrau von und zu Guttenberg, den Kunden zufriedenzustellen, indem man ihm nach dem Munde redet. Der Kunde ist König, wenn er schon nicht zu kaufen bekommt, wonach er sucht, soll er sich wenigstens verstanden fühlen dabei.

Der Mensch ist als Wähler nicht der Bittsteller, als der sonst feine Boutiquen betritt. Sondern Machtausübender durch Stirnrunzeln, grummelndes Gemurmel an dunklen Kneipentischen oder massenhaftes öffentliches Betreten öffentlicher Plätze unter Hervorbringung öffentlicher Forderungen. Regelmäßig wird er in der Geschichte dennoch für dumm verkauft, unmündig gehalten und nach Strich und Faden belogen. Jedesmal jedoch, wenn der geduldige Verbraucher einer Politik, die durchweg und immerzu auf seine Kosten geht, etwas mehr Unwillen zeigt als für ihn normal ist, regeln die wirklich klugen Mächtigen nach: Ein Stellschräubchen dämpft hier, ein Einstellrädchen puffert dort, dazu gibt es mediale Seifenopern satt über parteiinternes Gezänk, über künftige Kurse und sich verabscheuende Personen.

Die Feder ist willig, doch die Zeit ist knapp. Der Protest gegen einen Bahnhofbau in Schwaben wird ausgerufen zum Signal für eine Zeitenwende wie seinerzeit, als der Protest gegen die unmenschlichen Hartz-4-Reformen eines inzwischen halb vergessenen, halb vergötterten Kanzlers Gerd Schröder eine Zeitenwende markierten. Wie damals in der DDR lehnte sich das ganze Volk auf gegen Sozialabbau, ein Vorgang, der so einmalig war, dass Vergleiche mit den Protesten gegen den ersten Irakkrieg nahelagen: Damals hatte sich ein ganzes Volk, angeführt von Schülerinnen und Schülern, die heute Mitte 30 sind, aufgemacht, die imperiale Großmacht davon abzuhalten, die Truppen des friedliebenden Irak aus Kuwait zu vertreiben.

Die Republik erzitterte wie nie, jedenfalls wie nie seit den Anti-Atomkraft-Protesten, dem Widerstand gegen die Nachrüstung, der Hausbesetzerbewegung gegen Luxusmodernisierung in gewachsenen Stadtquartieren. Nichts hat sich geändert für eine nachwachsende Generation von Berichterstattern, die heute aus den Fenstern ihrer luxusmodernisierten Großstadtwohnungen schauen und ein Land sehen, das sich im demokratischen Ausnahmezustand befindet, zumindest wenn man zum Lokalaufstand in Stuttgart die folkloristischen Castor-Proteste und das "klammheimliche Freude" (Mescalero) weiter Bevölkerungsteile über das Scheitern aller medialen Erziehungsmaßnahmen am Volk im Fall Sarrazin hinzurechnet.


Das war in der Tat noch nie da, dass sowenig Lärm auf so abgelegenen Schlachtfeldern
so viel Wogen schlug und soviel Räder in Bewegung brachte. Klapperte Protest bisher am liebsten laut bei den "großen Menschheitsfragen" (Renate Künast) und gingen Menschen auf die Straße, um per Widerstand gegen Krieg, Klima und Kapitalismus die gesamte Menschheit zu retten, geht diesmal nun nur um die Bewahrung des Juchtenkäfers und der letzten Zeugnisse der hohen Baukunst von Hitlers Autobahnbaumeister. Und die Herrschaftsausübenden, die die Massenaufläufe wegen Hartz-4 aussaßen, bis aus dem breiten Menschenstrom eine konkurrierende Partei und ein schütteres Bächlein geworden war (Foto oben links: aktuelle Hartz-4-Demo in Halle), wankt, weicht und zeigt sich willig.

Es muss etwas passiert sein, das die Großschreiber dennoch dazu bringt, die Stellungen zu begradigen, und Politiker in Scharen veranlasst, Frontbögen zu schleifen und - hastdunichtgesehen - auf der anderen Seite der Linien wieder aufzutauchen, die Kanonen nun auf die gerichtet, mit denen man bisher gleicher Meinung war.

Ein rätselhaftes Phänomen, das Paul Simon und Art Garfunkel vor genau 40 Jahren auf ihrem Album "Bridge over troubled water" ausführlich beleuchteten und das die unwiderstehliche Vienna Teng extra für PPQ noch einmal neu eingespielt hat (Video oben): "It's the same old story", hieß es da, "and I'm one step ahead of the shoe shine / Two steps away from the county line / Just trying to keep my customers satisfied". Kundenzufriedenheit, das ist es, was Medien und Politik am Ende suchen, wenn die Sturköpfe im Laden darauf beharren, nicht kaufen zu wollen, was angeboten wird. Dann heißt es die Auslagen umgestalten, Umdekorieren, neue Ware in die Regale legen, auch mal mit dem Kunden reden und gucken, wie er so guckt, wenn er ins Schaufenster schaut.

Panzerbummi foltert weiter

Dienstag, 19. Oktober 2010

Welches Jahr beschreibt der Satz

Zuwanderung wurde verstärkt als ein von der Politik bislang ungelöstes Problem wahrgenommen.

Terrorist unter Touristen

So nah dran waren westliche Experten lange nicht an einer Festnahme des seit fast zehn Jahren gesuchten Top-Terroristen Osama Bin Laden. Nach Angaben von CNN, das sich auf allergeheimste Nato-Quellen geruft, hält sich der Anführer des Terrornetzwerks El Kaida gemeinsam mit seinen Stellvertreter Ayman al Sawahiri in Nordwestpakistan auf, wo er nicht in einer Höhle, sondern gemütlich in einem Haus lebe.

Bin Laden und al-Zawahiri hätten Zuflucht in Nordwestpakistan gefunden, während der ehemalige afghanische Taliban-Anführer Mullah Omar in Südpakistan lebe und sich "ständig zwischen den Städten Quetta und Karachi bewege", zitiert der "Focus" eine Agenturmeldung, die eine CNN-Meldung übersetzt, die keine genaue Quellenangabe enthält. Der deutsche Terrorexperte Rolf Tophoven weiss allerdings prompt sogar noch Genaueres: Bin Laden werde von "100 bis 150 fanatischen arabischen Leibwächtern" beschützt, teilte der frühere Lieblingsliterat der Stammheimer RAF-Terroristen der einzig wahren staatlichen Nachrichtenagentur dpa mit.

In Islamabad wurde entsprechende Meldungen wie immer sofort dementiert. Der pakistanische Innenminister Rehman Malik wieß alle Behauptungen über den Aufenthalt von Osama bin Laden, Ajman al-Zawahiri und Mullah Omar in Pakistan „kategorisch" zurück. Mit aktuellen Bildern könne man belegen, dass sich Bin Laden "überhaupt nicht" im Nahen Osten befinde.

Der einst gefürchtete Terrorfürst, der in den letzten Jahren nur noch durch gelegentliche Tonband-Nachrichten im "Spiegel" in Erscheinung getreten war, befinde sich derzeit vielmehr in den USA. Im kalifornischen San Francisco lebe er als Obdachloser getarnt recht ruhig und zufrieden an der Endhaltestelle einer Straßenbahnlinie in der Nähe des Golden-Gate-Parkes (Foto oben). Gefahr gehe nicht mehr aus vom Anstifter der Anschläge auf das World Trade Center. Der pakistanische Geheimdienst überwache ihn von einem nahegelegenen Naturkostcafé aus rund um die Uhr. Bin Laden wirke gesund, aber etwas hinfällig, gelegentlich auftauchenden Touristen gegenüber bleibe der Terrorist friedlich, das Café nebenan biete aber auch wunderbare Blaubeer-Kuchen an, deren übrigggebliebne Exemplare der Terrorfürst nach Ladenschluß oft im halben Dutzend verzehren dürfe.

PPQ: Pingpong mit dem Presserat

Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner und ihre ehemals liberale Kabinettskollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger diskutieren noch, wie sich eine staatliche "Löschtaste" am besten im Internet installieren ließe, das Online-Magazin "Spiegel" aber geht schon mit großen Schritten voran. Nach einer von PPQ angestrengten Beschwerde vor dem Deutschen Presserat hat der Online-Arm des ehemaligen Nachrichtenmagazins seine Seiten begradigt und bereinigt: Ein Video der US-Army, das "Spiegel Online" von der Plattform Wikileaks übernommen und in stundenlanger Kleinarbeit mit dem Quellenvermerk "Video: Spiegel Online" versehen hatte, fand sich bei einem Kontrollgang des Presserates im Rahmen des "Vorverfahrens gemäß § 5 der Beschwerdeordnung" (Presserat) auf den Seiten des stets um wahrhaftigen Journalismus bemühten Meinungsführermagazins plötzlich mit dem Quellenvermerk "Video: Wikileaks" versehen, teilte der Presserat jetzt in einem Schreiben an PPQ mit.

"Danach kam der Deutsche Presserat zu der Auffassung, dass ein Verstoß gegen den Pressekodex nicht vorliegt", lässt Edda Kremer vom Beschwerdeausschuss des Gremiums wissen, das in Deutschland über sauberen Journalismus ohne die Verwendung gestohlener Fimmaterialien wacht. Zwar sei das veröffentlichte Video auf der "Internetplattform www.politplatschquatsch.com mit SPIEGEL-Online als Quelle wiedergegeben", heißt es, "beim Original SPIEGEL-Artikel auf www.spiegel.de verhält es sich jedoch anders. Hier steht unter dem Video korrekt Wikileaks als Quelle", schreibt die Referentin nach einer Rundtour mit der Maus, die sie offenbar zu einem von PPQ gefertigten Screenshot der Original-Spiegel-Seite und zur Spiegelseite führte.

Auf eben jener Spiegelseite ist das Video bis heute selbstbewusst als Eigenanfertigung der Hamburger Spiegel-Redaktion ausgewiesen (oben: aktueller Screenshot), wie sich mit einem Klick auf "Video abspielen" feststellen lässt. Der Presserat hat sich den mühevollen Klick ins Video gespart und einfach nur unter dem Eröffnungsbild gelesen "Foto: Wikileaks". Wonach er selbstsicher urteilte: "Die Redaktion hat unseres Erachtens damit die Kriterien der journalistischen Sorgfaltspflicht voll erfüllt", heißt es bei den Wächtern über die journalistische Tugend.


Allerdings hatte der verantwortliche Redakteurs bei "Spiegel Online" seinerzeit auf Nachfrage sogar offensiv verteidigte , dass Spiegel Online sich selbst als Autor des vielgeklickten Videos ausweits. Durch die "redaktionelle Einordnung" durch einen Spiegel-Online-Redakteur, den Text, "den er über die Bilder von Wikileaks gesprochen hat" und das Herausschneiden der "brutalsten Szenen" sei "der Credit Spiegel Online gerechtfertigt und nötig", hieß es.

Versäumt worden sei nur, gab der Spiegel-Mann zu, "Wikileaks im Text ausdrücklich zu nennen, die Rede ist nur allgemein von einer "Internetplattform". Diesen Fehler konnte der "Spiegel" dank des dynamischen Charakters des Mediums inzwischen begradigen. Als der gestrenge Blick von Deutschlands obersten journalistischen Tugendwächtern im Prüfverfahren auf die Seite fiel, war alles anders: "Im Beitrag wird von der Redaktion zudem deutlich gesagt, dass das Video von Wikileaks veröffentlicht wurde", lobt der Deutsche Presserat, der von PPQ inzwischen gebeten wurde zu entscheiden, ob flüchtige Fehler, die nach der Sendung im Archiv korrigiert werden, generell keine Rüge rechtfertigen. Dann wären auch Tageszeitungen, Wochenmagazine und Fernsehsender künftig fein raus und der Deutsche Presserat hätte nur noch einen Beschluss zu fassen: den über seine Selbstauflösung.

Ja, lieber Libanese aus Blankenese: Einen haben wir noch

Montag, 18. Oktober 2010

Vom Ich zum Wir

Nun geht er doch noch in Erfüllung, der Traum von Wilhelm Pieck und Liebknecht, von Stalin, Gerald Götting und Che Guevara. "Vom Ich zum Wir" wollten die großen Revolutionäre der jüngeren Geschichte ihre Schutzbefohlenen führen, zur Not auch mit Gewalt, am Ende aber ohne Erfolg. Erst die demokratisch gewählte Bundesregierung setzt das große Vorhaben jetzt mit dem in der Qualitätsmedienlandschaft weitgehend unbeachtet gebliebenen “Zusatzprotokoll zum Übereinkomme über Computerkriminalität betreffend die Kriminalisierung mittels Computersystemen begangener Handlungen rassistischer und fremdenfeindlicher Art” konsequent um.

Ziel des im Gedenken an das gleichnamige Zusatzprotokoll zum legendären Hitler-Stalin-Pakt benannte siebenseitige Papier ist eine Änderung des §130 StGB, gelegentlichen Zeitungslesern als Volksverhetzungsparagraph bekannt. Artikel 4 des formschönen Zusatzprotokolls berichtigt fraglichen Paragraphen dahingehend, das endlich nicht mehr nur die Aufstachelung zu Hass und Boshaftigkeit gegen einzelne Bevölkerungsgruppen oder Teile einzelner Bevölkerungsgruppen strafwürdig ist, sondern Hetze und Gemeinheit gegen einzelne Personen aus einzelnen Bevölkerungsgruppen so behandelt werden, als beleidigten sie die Gesamtheit der Mitglieder der jeweiligen Nation, Rasse, Religion oder Ethnie.

In der Bundestags-Drucksache 17/3124 findet sich die Neufassung des §130 StGB, die mit der Gleichstellung insofern ernst macht, als dass sie dem Einzelnen nicht länger Rechte vorenthält, die einer Gruppe längst zustehen. Künftig wird miteiner Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft, wer "gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auf- fordert oder die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet".


Da hierzulande, nach allem, was bisher über die verbliebene Restbevölkerung bekannt geworden ist, jeder Mann und erst recht jede Frau zu einer Gruppe und oder sogar oder zu einem der vielen "Teile der Bevölkerung" gehört, die vom Gesetzgeber leider Gottes immer noch "national, rassisch, religiös oder durch ihre ethnisch Herkunft" voneinander unterschieden werden, steigt damit das Strafmaß für die Bedrohung eines einzelnen Nachbarn, Passanten, Straßenbahnpassagiers oder Spielplatzbanknachbarn um das Fünffache: Bisher ist Bedrohung eine Straftat nach §241 StGB, geahndet werden Taten mit zu einem Jahr Freiheitsstrafe. Demnächst aber droht Bedrohern eine Bestrafung nach dem neuen Kollektiv-Hetze-Paragrafen §130: Das Ich geht dann als Wir durch. Und der Täter für bis zu fünf Jahren ins Gefängnis.

Innovative Geschäftsideen: Halle Street View startet durch

Das Bangen war ein langes, nervenzehrendes. Bis zur letzten Sekunde zitterten die Aktivisten des ersten mitteldeutschen Street-View-Projektes dem Ende der von Bundesagrarministerin Ilse Aigner mit allen Anbieter von Lokalisierungsdiensten vereinbarten Einspruchsfirst entgegen. "Wir waren durch die Street View-Diskussion im Sommer völlig auf dem falschen Fuß erwischt worden", beschreibt Laura Jedebusch, die mit einem Team aus jungen Freiwilligen bereits seit Anfang Januar daran arbeitete, mit Halle-Street-View.com eine Lücke in der Online-Erfassung Deutschlands zu schließen, die der Internetriese Google durch seine rein kommerziell begründete Missachtung zu reißen angekündigt hatte.

"Nur weil hier kaum noch Menschen leben und diese Menschen dann auch nicht über soviele Smartphones und Computer verfügen, klinkt sich Google einfach aus der Einbeziehung alter Kulturstädte wie Halle in sein Street-View-Projekt aus", ärgerte sich Jedebusch, eine schmucke Brünette, der man die beinharte Geschäftsfrau im ersten Moment kaum ansieht. Doch als ehemalige Mitarbeiterin des Klingentondienstes Jamba, der Immobilienbörse Haus24.de und mehrerer kleinerer Projekt weiß die 27-Jährige sehr genau, was im Netz geht und was nicht geht.

"Mir war klar, dass immer der Erste gewinnt", sagt sie. Deshalb habe sie auch nicht lange gezögert und direkt nach der Absage von Google an eine baldige Erfassung der alten Salzstadt Halle für seinen Kartendienst selbst Fotowagen ausgeschickt. Dutzende Straßen, Gassen und Plätze wurden so in den letzten Monaten von HSV-Mitarbeitern minutiös erfasst und nach dem Vorbild der bereits sehr erfolgreichen Seite Berlin-Street-View.de ins Netz gestellt. "Dann kam plötzlich diese Diskussion um Widerspruchsrechte", sagt Jedebusch, "da mussten wir natürlich noch einmal zittern, ob wir wirklich online gehen dürfen."

Doch siehe da, der Hallenser als solcher scheint wenig dagegen zu haben, dass seine Straße, sein Haus und seine Liebslangsstraßenbahnhaltestelle 1:1 im Internet abgebildet werden. Obwohl Halles Stadtverwaltung lange Zeit versucht hatte, die Menschen dazu zu bringen, Widerspruch gegen die Erfassung ihrer Häuser einzulegen, ging bei Halle-Street-View.com nicht ein einziger Beschwerdebrief ein.

Geärgert hat sich Laura Jedebusch dennoch. "Ich fand es völlig überzogen von der Stadtverwaltung, Häuser abzureißen, nur um unsere Street-View-Aufnahmen zu entwerten", sagt sie. Mehrere Touren hätten wiederholt werden müssen, weil stadtprägende Immobilien von Baggern niedergewalzt worden seien. "Noch haben wir längst nicht alles neuaufnehmen können, was uns dabei verloren gegangen ist", bittet die agile Geschäftsführerin um Verständnis bei Nutzer des neuen Service, der auswärtigen Besuchern künftig dazu dienen soll, sich über die Gegend zu informieren, Straßenbeläge zu vergleichen oder Routen vor der Anreise einmal "trocken" durchzufahren, wie es erfolgreiche Bobpiloten traditionell vor jedem Start tun.

Vor dem großen Konkurrenten Google jedenfalls hat die junge Multimediafirma aus der Saalestadt, die bislang sieben Mitarbeiter beschäftigt - darunter einen jungen Komponisten, der die einzigartigen Soundtracks für die Bilderfahrten erstellt - keine Angst. "Google muss erst einmal kommen", lächelt Laura Jedebusch, "und wir sind ja schon da".


Die Google-Kriege bei PPQ:
Halle wird komplett verpixelt

Schutzzauber vom Zentralregister

Intimes endlich öffentlich
Minenfeld in Bielefeld

Mehr heiße Gründer-Stories von jungen Deutschen, die es geschafft haben, in der großen PPQ-Serie "Geschäftsideen, die wir auch gern gehabt hätten":

Hotbird: Papagei im Federmantel macht Grenztruppenoffizierssohn zum Millionär
Rettung für Vermieter: Preisgekrönte Hilfe zum Steuerbetrug
CO2-arm für Klimakunden: Gut gekühltes Leitungswasser als Erfolgsrezept
Virtuelles Sterben: Der Tod ist mein Beruf
Erfolge aus dem Ziegendarm

Wer hat es gesagt?

Ich bin Ökonom geworden, weil ich Sozialist war.

Sonntag, 17. Oktober 2010

Weiter mit Musik

Wer hat es gesagt?

"Im übrigen gilt ja hier derjenige, der auf den Schmutz hinweist, für viel gefährlicher als der, der den Schmutz macht."

Sharia schützt Schokolade

Nicht überall auf Gottes schöner Erde kommen Schwerkriminelle so glimpflich davon wie deutsche Popsänger und -sängerinnen, die mehrere Menschen verstümmeln und dann bei Kerner sitzen oder in der "Bild" Grimassen schneiden. Der Iran etwa, leuchtendes Beispiel für eine funktionierende islamische Hochkultur, macht keine halben Sachen mit Leuten, die andere bestehlen: Ein Gericht hat dort jetzt einen Mann dazu verurteilt, sich eine Hand amputieren lassen zu müssen, wie Breitbart berichtet.

Das Körperteil sei entscheidend verantwortlich dafür gewesen, befand Richter Mohammad Reza Giyuki auf Basis der geltenden Sharia-Gesetze, dass der 21-jährige Beschuldigte habe Geld, Schokolade, Kakao und drei paar Konditorhandschuhe im Wert von rund 900 Dollar aus einer Konditorei in Teheran stehlen können. Der Täter war im Mai gestellt worden und saß seitdem in Haft, dort wird er auch noch eine Weile bleiben, denn zum Urteil gehört auch eine Haftstrafe über 12 Monate wegen Beschädigung des Geschäfts und Missachtung der Polizei. Amputationen als Strafe sind derzeit schwer in Mode im modernen Teheran. Erst letzte Woche war einem Mann die Hand abgenommen worden, weil er zwei Raubüberfälle begangen hatte. Der Vorwurf deutscher Medien, der Iran hacke Menschen die Hände ab, ist dennoch an den Haaren herbeigezogen. Es handele sich, so die iranische Botschaft in Berlin auf Nachfrage, um "saubere Amputationen", die von ausgebildeten Chirurgen unter Narkose durchgeführt würden.

Samstag, 16. Oktober 2010

Der Herr Libanese aus Blankenese hatte einen Musikwunsch

Armen-Banker vor Gericht

Es sind die unerzählten Dramen und Tragödien, die im Foyer deutscher Gerichte darauf warten, von mitfühlenden Seelen entdeckt zu werden. Zwischen kurzangebundenen Vorschauen auf betrunkene Schlägereien, unterschlagene Mieten und gestohlene Kleinkrafträder stecken immer wieder auch Geschichten, aus denen das ZDF mit Hilfe von Veronica Ferres und Heino Ferch eine ganze Sommerabendserie machen würde, Geschichten von Rebellen, Geschichten von Menschen, die nur helfen wollten, Geschichten wie die von Muhammad Yunus aus Bangladesh(Name nicht geändert) und seinen drei mitteldeutschen Schülern Andreas Schabering, Peter Tucke und Mandy Masewald, die loszogen, die Welt zu verändern und nun damit rechnen müssen, für lange Zeit hinter Gittern zu sitzen.

Muhammad Yunus erfand den Mikrokredit und bekam den Nobelpreis dafür, Andreas Schabering und sein Freund Peter Tucke (Namen geändert) setzten das Konzept gemeinsam mit der gerade 16-jährigen Mandy Masewald (Bild unten rechts) als allererste auch in Deutschland um - und müssen sich dafür nun vor Gericht verantworten. Betrug in bis zu 41 Fällen legt die Staatsanwaltschaft in Halle den beiden Mittvierzigern zur Last, welche Rolle die noch minderjährige Mitangeklagte gespielt hat, soll das Verfahren klären.

Fest steht: Zwischen August 2002 und März 2003 begannen die drei Beschuldigten mit ihrer segensreichen Tätigkeit im mitteldeutschen Armenhaus Halle und dessen Umgebung. Gemeinsam hatten sie eigens ein Unternehmen gegründet, das Kurzkredite an die Ärmsten der Armen vergeben sollte, weil die von kaum einer Bank mit Darlehen versorgt werden. Das Risiko eines Zahlungsausfalls hatten die Helfer der Benachteiligten geschickt weitergereicht: "Unter Ausnutzung des zwischen den Banken abgeschlossenen Lastschriftabkommens", heißt es in der Anklageschrift mit dem Aktenzeichen 2 KLs 10/09, "lag es vollständig bei den beteiligten Banken".

Ein Konzept, nach dem die von Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen zur selben Zeit begeistert verteidigten Verbriefungen in aller Welt funktionierten: Die einen vergaben Kredite, die anderen bürgten dafür, ohne es zu ahnen. Zeitweise verdiente die gesamte Finanzwelt rund um den Globus damit Milliarden. Hier spielte sich das große Drama, das zur weltweiten Finanzkrise führen sollte, im ganz Kleinen ab. Wenn nämlich der von Tucke und Schabering über das Lastschriftverfahren ausgereichte Kredit nicht binnen einer Frist von sechs Wochen zurückgezahlt wurde, widerriefen die beiden Armen-Banker einfach den Lastschrifteinzug, so dass die Bank des Kreditnehmers verpflichtet war, die Lastschrift zurückzunehmen. Die Kreditgeber hatten ihr Geld zurück, die Bank saß auf der ausgefallenen Zahlung. Vermutlich, mutmaßen Fahnder, seien beide Täter ihrer 16-jährigen Komplizin auf eine Art verfallen gewesen, die derzeit immer häufiger im deutschen Fernsehen gezeigt wird. "Sie entwickelten einen großen Einfallsreichtum", sagt ein mit dem Verfahren Vertrauter, "dem Mädchen zu imponieren".

Eigentlich ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie gut sich viele Ostdeutsche inzwischen in den Wirtschaftsabläufen der größer gewordenen Bundesrepublik zurechtfinden, wie integriert sie sind und wie kreativ sie gebotene Möglichkeiten des Geldsystems zu nutzen wissen. Wer braucht noch Sicherheiten, wenn er eine Bank hat, das erkannten sie lange bevor Banken in den USA begannen, Kredite exzessiv auch an Mitbürger auszureichen, die nicht mal in der Lage waren, die Raten dafür zu bedienen, geschweige denn, mit der Tilgung zu beginnen. Zinsen zahlen und tilgen musste aber auch niemand, weil es allen schon allein durch die Ausreichung der Kredite besyser ging: Die einen hatten Geld für ein haus, die anderen Steuereinnahmen, die dritten bündelten 10.000 Kredite aus Minnesota und verkauften sie an eine irische Tochtergesellschaft der sächsischen Landesbank, die schon nach einer Woche eine halbe Million Gewinn aus dem Geschäft in den Büchern stehen hatte.

Alle schauten zu, alle freuten sich mit. Doch die Staatsanwaltschaft, die bis heute keinen der Milliardenvernichter aus den Chetetagen der staatlichen deutschen Landesbanken vor Gericht gebracht hat, entschloss sich, die Finanzkrise ausgerechnet hier aufzuarbeiten. Den Banken sei wahrheitswidrig vorgetäuscht worden, es handele sich bei den geplatzten Lastschriften nicht um Kredite, sondern um die Bezahlung von Forderungskäufen. Der entstandene Schäden liege bei mehr als 600.000 Euro.

600.000 Euro, die den Schwächsten der Schwachen zugute kamen, die viele kleine Träume erfüllen halfen und sicher manches Kinderauge zum Leuchten brachten, wenn Vater trotz hoher Schulden eine neue Wii oder Playstation unter den Weihnachtsbaum legen konnte. Alle frohlockten, von den profitierenden Händlern bis zu den Familien, von den mitverdienenden Kommunen bis hin zum Bund, der sich wie immer seinen Teil der Steuern aus den Umsätzen schnitt.

Den Männern und der jungen Frau, die ganz nach dem Vorbild von Muhammad Yunus, dem Banker der Armen, versucht hatten, das Elend dieser Welt effektiver zu bekämpfen als allgemein üblich, droht nun eine Freiheitsstrafe von bis zu 15 Jahren. Prozessbeginn ist am 25. Oktober um 9.30 Uhr vor dem Landgericht Halle. Wer noch nichts Besseres vorhat oder sowieso nicht weiß, wohin bei dem Wetter, ist herzlich zu einer großen Protestkundgebung der Lehman-Opfer aus der Region eingeladen.

Mehr grauenhafte Gerichtsreportagen hier.

Weiße Wölfe, schwarzer Mann

So viel Spaß für wenig Geld und das auch noch in einem mehr als 40 Jahre alten Film. Humor ist nicht eben das hervorstechendste Merkmal des DDR-Kinos aus der Defa-Schmiede, doch gelegentlich ließen es die Ausstatter der großen Pferdeopern mit Gojko Mitic geradezu obszön laut krachen. In "Weiße Wölfe" etwa, dem einzigen tragischen Theaterstück innerhalb der losen Indianerwestern-Serie, die die magische Gruppe "Roter Kreis" zwischen 1966 und 1975 zur Stärkung der internationalistischen Verbundenheit zwischen Rothäuten und Rotgardisten drehte.

Der Spaß hängt hier an der Wand hinter dem tapferen Sheriff Pat Patterson, gespielt von Holger Mahlich, und dem ehrlichen Kaufmann Sam Blake, verkörpert von Helmut Schreiber, und er sieht aus wie ein Fahndungsplakat. "5000 Dollar" gibt es für die Ergreifung eines "James Brown" - zum Kinostart der "Wölfe" rein zufällig gerade mit dem Lied „Say It Loud – I'm Black And I'm Proud“ auf dem ersten Höhepunkt einer Weltkarriere angelangt. Brown, der sich später als "Sexmachine" inszenieren wird, avanciert mit seinem Bekenntnis zur eigenen Hautfarbe zum Idol der bürgerbewegten schwarzen Bevölkerung. Die Weißen aber, offenbar bis hin ins sozialistische Hollywood Babelsberg, verzeihen ihm das nicht in diesem zweiten Teil der Mär vom edlen Wilden Gojko Mitic, der die "Spur des Falken" fortsetzt und erstmals mit dem Tod des Helden enden wird.

Doch im Unterschied zum Häuptling Weitspähender Falken, den die Knechte der Konzerne, angeführt vom großen Rolf Hoppe mit schiefem Hals, am Ende der kammerspielartigen Pferdeoper stellen und in Person von Gojko Mitic feige ermorden, ist kein Herankommen an James Brown, über Jahre hinweg nicht. Mitic und Hoppe feiern Auferstehung im nächsten Indianerfilm "Tödlicher Irrtum", in dem Armin Mueller-Stahl den Horst Mahlich spielt, der das gute Gewissen der westlichen welt verkörpert, aber am Ende natürlich einsehen muss, dass der geballten Macht der Geldhaie kein ehrliches Gewissen gewachsen ist. Erst 1988, genau 20 Jahre nach der letzten Klappe für "Weiße Wölfe", reist der Soulsänger zum ersten Mal in die DDR ein. Er steht in Ostberlin auf der Bühne und singt, was ein „Godfather Of Soul“ so zu singen hat. Sheriff Patterson kann ihm schon nicht mehr zuhören: Horst Mahlich war schon Mitte der 80er Jahre in den Westen ausgereist.

Mehr Kino: Als Polen mal den Krieg gewann
Freddie Mercury als Rebell der Puszta

Weiter mit Musik