Dienstag, 4. Januar 2011

Auslaufmodell Kinderarmut

Die Enttäuschung steckt tief, das kann auch die Schlagzeile "Reich bleibt reich, arm bleibt arm" nicht verbergen, die die Frankfurter Rundschau nach der alten, aber immer noch goldenen Journalistenregel "Hund beißt Mann ist immer eine Nachricht" gezimmert hat.

Es geht um das „Phänomen der Kinderarmut“, das in Deutschland gemeinsam mit der "rechten Gefahr" und allerlei Warnungen vor Blutbädern und Schweinegrippen die Aufgabe übernommen hatte, die früher Atomkriegsangst und die Furcht vor dem Einfall der Russen erfüllten. Mit immer neuen, immer entsetzlicheren Zahlen wurde jahrelang klargestellt, dass sich das Land des Wirtschaftswunders auf direktem Kurs in die blanke Existenznot befindet: Die "Schere zwischen arm und reich" (Angela Merkel) klaffte, die Suppenküchen kamen mit dem Kochen nicht mehr hinterher, viele Jugendliche konnten ihre Handyrechnungen kaum noch zahlen.

Schon 2007 meldete der "Kinderreport Deutschland 2007" des ehrenwerten Kinderhilfswerks mit Hilfe der Illustrierten "Spiegel" einen "Negativrekord": Seit 1965, als selbst die Kinder der Reichsten keine Playstation, keinen Farbfernseher und keinen Döner mit alles kannten, habe sich die Armutssituation der Jüngsten dramatisch verschlimmert. "Vor 42 Jahren war nur jedes 75. Kind unter sieben Jahren zeitweise oder dauerhaft auf Sozialhilfe angewiesen", rechnet die Wochenzeitschrift vor, "2006 war es jedes sechste Kind."

Das bedeute, dass sich die materielle Armut von Kindern etwa alle zehn Jahre verdoppelt habe. Dieselbe Steigerungsrate vorausgesetzt, wären bereits in 30 Jahren mehr deutsche Kinder arm gewesen, als es überhaupt gibt. Bis heute sei die Zahl der auf Sozialhilfe angewiesenen Jungen und Mädchen auf mehr als 2,5 Millionen gestiegen, warnte der Präsident des Kinderhilfswerks, Thomas Krüger, ein Ex-Vollbart und Ex-Politiker, der seinerzeit dadurch bekanntgeworden war, dass er sich splitternackt hatte für ein Wahlplakat ablichten lassen, um zu zeigen, dass auch er sich kaum noch die Klamotten auf dem Leibe leisten könne.

Drei Jahre zogen ins Land und nun haben wir den Salat. "In Dänemark lebt nur eines von 37 Kindern in Armut, in Berlin, Halle oder Hamburg ist es jede Neunte", schwelgt die FR noch einmal verzweifelt in Negativrekorden, nachdem die Bertelsmann Stiftung eine Studie mit eben jenen zahlen vorgelegt hatte.

Doch der erwartete "neue Negativrekord" (dpa) scheint ausgeblieben - stattdessen sank die Zahl der armen Kinder schneller als der "Spiegel" Protokoll führen konnte. Aus jedem sechsten Kind, das vor drei Jahren arm war, wurde jedes neunte, in absoluten Zahlen gerechnet konnten sich offenbar mehr als 900.000 von ehemals 2,5 Millionen armen Mädchen und Jungen aus der Armut befreien, ohne dass Kinderschutzbund und Qualitätsmedien davon Notiz nahmen. Noch beeindruckender ist der Armutsabbau, nimmt man die Zahlen der Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit zum Vergleich, die im Sommer 2010 noch jeden fünften Jugendlichen in Deutschland in einer Studie namens "Jugendarmut in Deutschland 2010« als arm bezeichnet hatte. Statt drei Millionen armer Kinder und Jugendlicher gibt es nur sechs Monate danach nur noch 1,7 Millionen. Die Kinderarmut, die sich bis hierher alle zehn Jahre verdoppeln durfte, hat sich in nur einem halben Jahr halbiert. Das ist, sekundiert der "Spiegel" da in akuter Angst um ein Thema, das so manche Ausgabe bereichert hat, natürlich "besorgniserregend": "Hierzulande lebten 10,8 Prozent der Kinder unterhalb der Armutsgrenze", heißt es. Eine mutige Referenz an Tage, als mit nahezu denselben Worten einem Anteil von mehr als 16 Prozent Kindern in Armut gedacht worden war.

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Dem Verfasser dieser Zeilen sei empfohlen sich das Originaldatenmaterial der Sozialstatistiken und der Haushaltseinkommen anzusehen, dann wird er feststellen, dass kaum eine seiner Gewährspersonen die Zahlen aller Armen erfasst hat. Egal ob nun behauptet wird es seien 1,7 Millionen oder 2,5 Millionen arme Kinder. Übrigens, die meisten dieser Zusammenaddierer mogeln niemanden hinzu, sondern sie lassen Personengruppen weg. Die einen vermutlich mit Absicht, wie es ihnen gerade ins Konzept passt, die anderen aus Unwissenheit, weil die Armen in verschiedenen Statistiken versteckt werden. Die Lage ist tatsächlich ernster als vorliegender Artikel glauben macht. Die Armutsgrenzen sind dabei von der OECD in einer für die Mitgliedsländer geltenden Skala definiert. Im übrigen empfehle ich zu diesem Sachverhalt das News- und Informationsportal Regelsatz Info (http://regelsatz.info) zu lesen. Mit freundlichen Grüßen
Schrader

ppq hat gesagt…

gestatte mir, dass ich es dabei belasse, mir anzuschauen, was medien aus dem machen, was an unterschiedlichen zahlen herumgereicht wird. ein permanentes "immer mehr" nämlich, bei dem keine rücksicht auf die daten genommen wird, die noch letzte woche als gültig galten.

ich fühle mich weder berufen noch in der lage, die zahl der armen kinder in deutschland festzulaegen, glaube aber fest daran, dass alle, die sich dazu berufen fühlen, zuerst einmal eigene interessen verfolgen - und dann erst die der armen armen kinder.

in diesem fall hier ist das lustige, dass sich auf die oecd berufen wird.

dass die lage ernster ist, als dargestellt, ist so gesehen keine besonders mutige behauptung, sondern eine, die aller nase lang in allen medien aufgestellt wird.

zwei seiten weiter geht es dann wieder darum, dass viele kinder und jugendliche ihre handyrechnungen nicht bezahlen können und die neue playstation (oder was auch immer) rekordabsatzzahlen verzeichnet.

armut ist dann, wenn man sich nur die alte leisten kann.

nein, regelsatz hin oder her: bei uns knallts silvester immer dort am mesitern, wo die wohnen, die das wenigste geld haben.

das nennt man dann gefühlte armut

VolkerStramm hat gesagt…

Das Thema ist ohnehin eine Endlosschleife. Zur Kolumne selbst würde ich keinen Senf geben, wohl aber zu unserem Anonymus.

Es stimmt nämlich nicht, dass Kinder ärmer werden, selbst wenn man die vollkommen abgefahrene OECD-Armutsdefinition (nach der es in England mehr Arme gibt als in Rumänien) zugrunde legt. Tatsächlich ist die Kinderförderung für die Titulararmen so hoch, dass Kinder für die eine lukrative Einnahmequelle sind. In Deutschland werden ungefähr 50% der Kinder in prekären Milieus (also dort wo die Armen mit einem 3 Jahre alten Handy telefonieren müssen) geboren.
So einfach ist das.

Und wie arm die Kinder dort dran sind, kannst Du hier http://tinyurl.com/2udnmar lesen

Im Gegenzug werde ich regelsatz.info oder Hartz-IV.info garantiert nicht ansehen.