Dienstag, 29. November 2011

Wie ein Gebet: Das unendliche Endspiel

Es gibt offenbar Überschriften, die sind so unwiderstehlich, dass sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit in allerhöchster Qualität wiederaufgelegt werden. Ganz vorn in der Hitparade liegt seit Monaten die Zeile „Endspiel um den Euro“, die in unterschiedlichen Stadien des aktuellen Weltuntergangs bereits von der FAZ (zweimal), dem Handelsblatt, der "Zeit", der Augsburger Allgemeine, n-tv, dem Spiegel und zahllosen weiteren dpa-Abonnenten genutzt wurde. Zwar warnte PPQ bereits vor einem Monat und da schon zum zweiten Mal, dass die finanzpolitische Krise mit dem weiter fortdauernden Recycling des drögen Stabreimes drohe, aus dem politischen Bereich hinüber in den publizistischen zu schwappen.

Doch es gibt offenbar Überschriften, die sind so unwiderstehlich, dass sie einfach nicht totzukriegen sind. Wie eben diese Überschrift „Endspiel um den Euro“. Dabei handele es sich inzwischen eindeutig um ein Stück Krisenkulturerbe, hat die Süddeutsche Zeitung entschieden, die die packende Vier-Wort-Kombination aus zwei Zweisilbern, die zwei Einsilber fürsorglich umschließen, eben ein weiteres Mal in den Wettbewerb um allerhöchste News-Dramatik geworfen hat.

Nach Erkenntnissen des Medienwissenschaftlers Hans Achtelbuscher, der am An-Institut für Angewandte Entropie der Bundeskulturstiftung in Halle an der Saale forscht, zeigt sich in der Wiederholung nunmehr bereits eine „quasi-liturgische Qualität“. Es gehe augenscheinlich nicht mehr um die Beschreibung von Wirklichkeit, sondern um den Versuch, Wirklichkeit mit Hilfe von beständig wiederholten Gebeten zu verändern. Auch die Normalverteilung der Einzelbegriffe, aus denen die imposante Schlagzeile gezimmert ist, spreche dafür. "Ihre Beliebtheit", sagt Achtelbuscher, "ist direkt kongruent mit der Vertiefung der Krise."

Im Grunde habe man es bei der nach ersten Archiv-Forschungen seit mindestens 24 Monaten wiederholten Mitteilung „Endspiel um den Euro“ nicht mehr mit einer Nachricht, sondern mit einer Beschwörungsformel zu tun. Achtelbuscher: „Wir sehen hier ein modernes Mantra, das immer wieder auszusprechen wie ein Bann gegen böse Geister wirken soll.“

Aus der Phase des ansatzweisen Versuchs, wirtschaftliche Zusammenhänge zu erklären, hätten sich die Führungsmedien angesichts des Desinteresses ihres Publikums bereits nach kurzer Zeit verabschiedet. „Seitdem beschreiben sie die Vorgänge wie ein Fußballspiel, gemischt mit Elementen der Theaterkritik.“ Die nunmehr unübersehbare Hinwendung zur Gebetsliteratur mit ihren ehernen Ritualen und beharrlich zu wiederholenden Formeln überrasche Experten nicht.

„Daraus spricht die Sehnsucht auch der Medienschaffenden nach einer schnellen und gründlichen Lösung aller Probleme noch während der regulären Spielzeit“, kommt der Experte auf die Parallelen zum Fußballspiel zurück. In der Wissenschaft spreche man vom "Gordischer-Knoten-Syndrom". Dem menschlichen Verstand sei ein dauerndes Desaster als Normalzustand nicht begreifbar, er verzehre sich nach Erleichterung und Entladung, wie schon das Sprichwort vom Schrecken ohne Ende beziehungsweise Ende mit Schrecken zeigen. Als besonders peinigend werde deshalb die schleppende Abwicklung des längst lästig gewordenen Themenkomplexes Euro empfunden. Leider wisse niemand, wie es weitergehe, nicht einmal, wo man stehe, sei bekannt. „Deshalb werden Sie auch nirgendwo eine Angabe dazu finden, wie lange dieses ominöse Endspiel eigentlich geht und in welcher Spielminute wir sind.“

Analyse: Endspiel um die Euro-Überschrift

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