Freitag, 19. Oktober 2012

Selbstgewissheit des Spießertums

Balancieren mit Fingerspitzengefühl, das ist jetzt wichtig. Kurz nach der „Gewalttat am Alexanderplatz“ (dpa) hatten die Berliner Leitmedien noch spekuliert, Berlin oder aber der Alexanderplatz selbst könnten schuld daran gewesen sein, dass ein argloser 20-Jähriger von einer Gruppe Gleichaltriger zusammengeschlagen und getötet wurde. Vorwürfe, die von Polizei und Senat zurückgewiesen wurden: Berlin sei nicht viel gewalttätiger als andere Städte, der Alexanderplatz sogar nicht einmal so gefährlich wie die Duisburger Karl-Lehr-Straße.

Knapp eine Woche nach dem Geschehen aber verdichten sich die Anzeichen, dass nun doch noch Schuldige präsentiert werden können. Im „Tagesspiegel“ enthüllt Bernd Matthies die wahren Hintergründe und Verantwortlichen für das entsetzliche geschehen am vergangenen Wochenende: „Rassistische Hetze“ im Kondolenzbuch für das nach der Prügelorgie verstorbene Opfer.

Nicht die Tat selbst, nein „diese rassistische Selbstgewissheit des Spießertums macht“ den Autor „frösteln“ wie er zugibt. Denn schließlich sei es ja nicht die Verrohung ganzer Bevölkerungsschichten, wie sie sich in anlasslosen Mordtaten wie der vom Alexanderplatz zeigt, die beweisen, dass irgendetwas in der Gesellschaft nicht mehr stimmt. Nein, man merkt es „an vermehrten Tabubrüchen“, ist Bernd Matthias überzeugt.
 
Was für ein sensibler Mensch. Nicht die großen Brüche, das Knirschen im Gesellschaftsgetriebe schreckt ihn auf, sondern „kleine Risse, denen größere folgen“. Nicht die Morde, nicht die Drohungen wegen irgendwelcher Filme, nicht die Toten aus Hass auf Karikaturisten schrecken ihn auf. Sondern rassistisches Gekritzel, hetzerische Sprüche in einem Kondolenzbuch oder Leserkommentare auf der Internetseite des „Tagesspiegel“, die man gar nicht erst freischalten darf, weil ihre Autoren nicht verstehen wollen, dass ihr gesundes Volksempfingen einer völlig falschen Denkungsart entspringt.
Forderungen nach härteren Strafen, weniger Kuschelpädagogik oder „rausschmeißen das Pack“ – der Tabubruch ekelt den Feingeist an seiner Tastatur. „Ausgerechnet dort, wo unbeteiligte Menschen ihre Trauer ausdrücken können, um die Angehörigen des Opfers ein wenig zu trösten, ausgerechnet dort bricht nun jene Haltung durch, die wir mit routinierter Ironie als „gesundes Volksempfinden“ bezeichnen: die aggressive, in diesem Fall rassistische Selbstgewissheit des Spießertums“, wettert er.

Und schon ist er doch noch gefunden, der an allem Schuldige. Schon steht er fest, der Verantwortliche. Die so etwas schrieben, „machen frösteln“, heißt es dort wirklich.

Nicht die, die so etwas tun.

17 Kommentare:

derherold hat gesagt…

Der Tagesspiegel unter Casdorff versucht seit einiger Zeit *Neues Bilddeutschland* zu werden.

Lustig sind die verrutschten Bilder, die kafkaesken Überdrehungen: "Skinheads" sind also Spießer und wenn Araber/Türken Übergriffe auf jüdische Bürger begehen, dann fährt man nach Charlottenburg, wo Marion Meier und Wolfgang Hoffenstedt auf ihren Rassismus überprüft werden.

... aber ich vermute, daß *ppq* immer noch meint, das seien unforced errors. :-)

Cordt hat gesagt…

Nanana! Ist es nicht so, daß das sog. Opfer die mutmaßlichen Täter mutmaßlichen Glaubens provoziert hat? Ist das "Opfer" nicht betrunken gewesen, an sich bereits eine gotteslästerliche Handlung, die jede Sensibilität im Umgang der Kulturen miteinander vermissen läßt, und ist das "Opfer" womöglich auch noch einfach sitzen geblieben, statt den erschöpften, mutmaßlich abstinenten Partyfreunden einen Stuhl und etwas Labsal anzubieten?

Letztendlich ist es so, daß zu wenig Gelder für interkulturelle Aufklärungsarbeit bereitgestellt worden sind. Da muß man sich nicht wundern, wenn es dann Mißverständnisse gibt.

eulenfurz hat gesagt…

Das macht mich bestürzt und betroffen, daß mitten im Herzen der Bundeshauptstadt solch erschreckende Vorfälle geschehen. Wie kann man Mörder nur als "Pack" beleidigen und aus unserer Heimat zu werfen trachten? Unfaßbar!

Die Mörderwürde ist unantastbar!

ppq hat gesagt…

eulenfurz hats auf den punkt gebracht.

ppq hat gesagt…

man muss nachsicht zeigen. höchststrafe wäre hier zehn jahre gewesen. aber da der täter keine reue gezeigt, eine miese sozialprognose und eine krude religion hat, kommt er mit 6 davon

Anonym hat gesagt…

Man sollte ein zweites Kondolenzbuch daneben auslegen, in dem distinguierte Denker wie Matthies ihren tiefen Abscheu über den undifferenziert zum Ausdruck gebrachten Abscheu über die Tat, die Täter und ihr vermutetes Milieu in klaren Worten hinterlassen können. Dieses Buch sollte man dann Matthies in den ... stopfen, nein halt, man sollte es mit einem Vorwort von Merkel, Gauck und Mazyek zur Pflichlektüre an den Schulen machen.

Anonym hat gesagt…

Bevor sich jemand den Kopf zerbricht:
Die Pünktchen oben stehen für Schreibtisch, nicht für Hals oder Arm.

Karl_Murx hat gesagt…

@ppq:

Es fällt selbst ppq schwer, angesichts solcher zu 150%politisch-korrekter Artikel seinen ironisch-distanzierten Stil beizubehalten. Haben wir wirklich die DDR abgeschafft?

ppq hat gesagt…


@karl: so oder so ändert es nichts

die selbstberechtigkeit, die diese typen täglich zum diktat ruft, ist weder mit ironie noch mit sarkasmus noch mit der moralkeule zu besiegen

Volker hat gesagt…

Wahrscheinlich ist es sowieso zu spät. Rassistischer Mob wie Matthies wird es (wie Jessen) immer hinkriegen, dass das deutsche Untermenschentum schuldig ist.

Leser Cotti (18.10.2012 16:10 Uhr) hat es ganz gut zusammengefasst:
"Könnte es nicht statt angeblich "rassistischer Selbstgewissheit" viel mit begründeter Angst zu tun haben, demnächst selber Opfer zu werden?"

derherold hat gesagt…

"die selbstberechtigkeit, die diese typen täglich zum diktat ruft..."

Gott. Genosse Journalist macht nur seinen Job. Selbstverständlich ist das die spätkapitalistische DDR.

Unterschiede liegen darin, daß DDR_nA kein offener Polizei-, sondern ein tiefer Propagandastaat ist. Man tritt auch nicht mehr offen mit seiner (ehedem sozialistischen) Agenda auf, sondern läßt "Experten" und "Aktivisten" das Grundgesetz festlegen.

Hübsch ist die Verwendung polit. Vorfeldorganisationen, sodaß eben nicht mehr Genosse Oberleutnant Überwachung und Denunziation organisieren muß, sondern der "Verein für vielfältgie Bundheit" ..., dessen einzige Legitimation in der (vorher festgelegten) Legitimierung durch den staatlich gelenkten Propagandapparat besteht.

derherold hat gesagt…

"Leser Cotti"

... ist ein Naivling. Wenn man nach zehn Jahren antifaschistischem Kampf immer noch nicht weiß, wohin die Nomenklatur will, spottet jeder Beschreibung.

Ein kleiner, delikater Unterschied zu DDR_old besteht darin, daß die Nomenklatur nun gar keine "Verpflichtunsgerklärung" mehr abgibt: Weder erklärt sie, demnächst "10% Konsumgüter" zu fertigen, noch die vielen Talente, die sie anpreißt, auch im Staats- oder Medienapparat zu berücksichtigen.

derherold hat gesagt…

*räusper*: vielfältige Buntheit.

Anonym hat gesagt…

Ja der Arme. Immer wird in der MSM Medien die Kommentarfunktion, wenn es der Redaktion zu bunt wird, d.h. nicht in ihrem Sinne geantwortet wird, geschlossen.
Wahrscheinlich wird auch bald das Kondolenzbuch geschlossen. Aber diese Politikerganster werden den Zorn der Bevölkerung schon noch am eigenen Leib spüren. Das Volk ist nicht mehr so dumm wie auch schon, und beginnt zu ahnen was da abläuft

Karl_Murx hat gesagt…

Wahrscheinlich ist es sowieso zu spät. Rassistischer Mob wie Matthies wird es (wie Jessen) immer hinkriegen, dass das deutsche Untermenschentum schuldig ist.

Nicht vergessen: Zu so etwas gehören immer zwei. Einer, der das praktiziert, und einer (wir), der sich das bieten läßt.

Leser Cotti (18.10.2012 16:10 Uhr) hat es ganz gut zusammengefasst:
"Könnte es nicht statt angeblich "rassistischer Selbstgewissheit" viel mit begründeter Angst zu tun haben, demnächst selber Opfer zu werden?"


Ganz meine Meinung. Hinter all diesem Getöse namens Kampf-gegen-Rechts und dem ständig präsenten Untoten A.H. aus B. am I. steckt nackte, schlotternde Angst. Zum einen, selbst Opfer dieser Gewalt zu werden. Zum anderen davor, daß die Leute eines Tages - und das dann ganz plötzlich - die Dinge zur Kenntnis nehmen, die ihnen jetzt schon offen vor Augen liegen, die sie aber gar nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Dann braucht sich nur noch das bekannte Kind melden und den Kaiser nackt nennen.

ppq hat gesagt…

das ganze funktioniert wie beim kater mikesch aus der augsburger puppenkiste. das volk der puppenkiste musste damals auch vereint werden im kampf gegen einen sündenbock und wer bot sich da an? der ziegenbock bobesch, ein rüpeliger, vorlauter kerl mit nicht ganz sauberer weste.

derherold hat gesagt…

"wer bot sich da an?"

Die Kommis boten sich ab 1990 an. Die hatten überdies Privilegien, Immobilien und saßen auch im Westen auf Funktionärsposten, die man an "das Volk" hätte verteilen können.

Die hat man aber nicht genommen. Man hat nun zufällig die genommen, deren Ausschaltung, Verhaftung, Bestrafung keinerlei pekuniären Vorteil gebracht hat.

"Zum einen, selbst Opfer dieser Gewalt zu werden."

*grrr* Deshalb zieht man in bestimmte Stadtteile, in den USA in suburbs und schickt seine Kinder auf Privatschulen.
Aber deshalb knallt man den Laden voll bis an die Halskrause? *lol*