Donnerstag, 8. September 2011

Neun zu eins für die Kuh Yvonne

Was macht man, wenn man sich selbst für das größte anzunehmende Nachrichtenmagazin hält? Dann aber ein Thema verpasst hat? Und plötzlich mitbekommt, dass es doch eine Menge Leute interessiert? Man schickt einen Federfechter wie Yasmin El-Sharif aus. Und die nennt das das kleine Youtube-Filmchen, das zum europäischen Rettungsfonds alle Fragen stellt, die sämtliche etablierten Qualitätsmagazine über Monate totgeschwiegen haben, ein "Vermeintliches Enthüllungsvideo", das nur "Polemik gegen Rettungshilfen" enthalte und "angebliche Fallstricke des künftigen Rettungsschirms" aufdecke. Das heize "die Anti-Europa-Stimmung an", sei aber eigentlich alles kalter Kaffee. Jawohl, wenn erst ein richtige Spezialistin wie El-Sharif tätig wird, entpuppen sich alle "Argumente schnell als übertrieben" (El-Sharif).

Und überhaupt. Was soll das? war nicht schon lange alles zu diesem 700-Milliarden-Thema gesagt? Hat nicht der Spiegel selbst schon Mitte Juni neun ganze Zeilen zum Rettungsfonds ESM veröffentlicht? Und dabei sogar die Zahl von 700 Milliarden genannt? El-Sharif ist sicher: "Die Höhe steht bereits seit Mai fest und wurde in der Öffentlichkeit breit diskutiert - auch auf SPIEGEL ONLINE". Neun Zeilen! Reicht doch auch. Ist doch nicht die Kuh Yvonne! Deren spannendes Schicksal hat das Nachrichtenmagazin Nummer 1 ausweislich seines Archives seit Anfang August in immerhin neun instruktiven Reportagen und Analysen beleuchtet. neun Zeilen gegen neun Beiträge - Platz ist eben nur einmal da!

So wundert es kaum, dass für das Wort "Gouverneursrat" im Zusammenhang mit dem Eurorettungsfonds ESM bisher keine Zeile mehr übrig blieb (Screenshot). Das änderte nun erst Yasmin El-Sharif in ihrem klassischen Tass-ist-ermächtigt-zu-erklären"-Stück zum "vermeintlichen Enthüllungsvideo". Das komme, nörgelt sie, "ganz harmlos im Wer-wie-was-Stil der Sesamstraße daher". Verschafft dem Blatt aber doch irgendwie die Möglichkeit, darauf hinzuweisen, "dass alle relevanten Entscheidungen auf EU-Ebene zunächst in den nationalen Parlamenten behandelt und verabschiedet werden müssen".

Völlig klar: Wenn das so ist, gibt es keinerlei Diskussionsbedarf. Schließlich, so El-Sharif, "handelt es sich beim ESM bislang nicht ohne Grund um einen Vertragsentwurf." Da ist noch gar nichts fest. Da muss man nicht drüber schwatzen. Hat die Berichterstatterin ausweislich des "Spiegel"-Archives bis zu diesem Tage auch noch nie getan. Gab ja keinen Grund! Erst jetzt heißt es handeln. Denn "es drängt sich die Vermutung auf, dass die Veröffentlichung des Videos perfekt geplant war, um die aktuelle Anti-Euro-Stimmung zusätzlich anzuheizen", argwöhnt die Autorin. In diesem Monat stünden wichtige EU-Entscheidungen an, erst das Verfassungsgerichtsurteil über die europäischen Nothilfen, dann Ende September der Bundestag zum vorläufigen Rettungsmechanismus EFSF, dann im Dezember der ESM selbst.

Ja, Januar oder Februar nächstes Jahr wäre ein total guter Zeitpunkt gewesen, so ein Video hochzuladen.

8 Kommentare:

derherold hat gesagt…

Wenn die geneigte Presse mal so richtig einen raustun will, einen Artikel, gibt es zwei Kriterien:

1. Der/die Artikelschreiber/in muß voller Sachkenntnis sein, z.B. beim Thema "Euro und Wirtschaft" sich auf ein Studium in englischer Philologie berufen.

2. Es handelt sich eben nicht um einen Artikelschreiber, sondern um eine -in: Yasmin.

Wie auch bei der *Zeit* für "mehr Zinsen zahlen ist gar nicht so schlimm, sagt die Statistik" eben eine
-in verantwortlich ist, deren Sachkompetenz sich bislang in Artikeln über *Kindergarten in Kreuzberg* zeigte.

Ich vermute, die (Chef-)Redaktion denkt mit "eine Frau schlagen sie wenigstens nicht" an den potentiellen Ernstfall !

Teja hat gesagt…

Das Video zum Schluss kann man nicht oft genug zeigen und sehen. Unglaublich, aber Tatsache: man versteht sich als Demokratie, weiss von der Vergangenheit und beschliesst solche, offenkundiger, weil einschlägige Wortwahl, gehts nicht mehr, in die Diktatur mündende Skandale. Wird eh nicht funktionieren, aber die Diktatur wird bleiben.

Teja hat gesagt…

WTF ist eigentlich Kuh Yvonne?

ppq hat gesagt…

teja, du musst mehr "spiegel" lesen! da war das die letzten wochen eine art dokusoap, tierisch wichtig, wenn ich mal kalauern darf.

@herold: hatte ich die noch irgendwo vermännlichst? dann aber sicher nur, weil ich subkutan nicht glauben wollte, dass auch frauen, diese liebreizenden wesen voller natürlicher tolerant und wahrheitsliebe, so einen gespenstischen goebbelstext verbrechen können.

okay, goebbels nehme ich zurück. das ist ein echter schnitzler: ich sage euch mal, wies wirklich war

Teja hat gesagt…

Ich konsumiere keine Probagandamedien, die bewusst die Lage verzerren. Berechtigt wie es aussieht.

Ein Volumen von 700Mrd€, eine Summe, die man als Ottonormalverbraucher zugegebenerweise sich nicht vorstellen kann - aber der Nachrichten/Diskussionswert hätte wochenlang die ersten vier Seiten der Zeitungen vereinnahmen müssen... Alles andere ist Täuschung allererster Sahne.

Kuh Yvonne ... Das spielt in der gleichen Liga, wie wenn anno August 1939 die Medien die ganze Zeit nur von den Kapriolen des Schäferhundes A.H. berichtet hätten, und am 02.09. auf einmal schlagzeilen: ach übrigens, wir befinden uns im Krieg mit Polen und anderen Hegemonialmächten Europas.

derherold hat gesagt…

Lustig, wie Cia_online darauf reagiert:
Mit dem Australopithecus und Jason Timberlake.
Und TERROR.

Eigentlich fehlen noch KINDERPORNO und Guttenberg.

Und die Gorch Fock.

Und neue Farbfotos von Stalingrad.

ppq hat gesagt…

mich erstaunt nichts mehr

vakna hat gesagt…

Haut doch nicht so auf den Spiegel ein, nach jahrelanger spezialisierter Berichterstattung können die doch nur noch Adolf und Weltkrieg 2!
Für alles, was Abseits davon ist, müssen sie neue Leute rekrutieren.