Donnerstag, 3. Dezember 2015

Experten urteilen: Merkel und das Völkerrecht

"Spiegel" mit Tippfehler: Es muss natürlich "Merkel" heißen.

Für Angela Merkel ist die Situation eindeutig. Ein Krieg gegen IS ist nötig - und auch völkerrechtlich legitimiert. Schließlich sieht das im Artikel 2, Absatz 4 der Uno-Charta festgeschriebene Kriegsverbot zwei Ausnahmen vor: Wenn die Kriegshandlungen der Selbstverteidigung dienten oder aber wenn sie zur Wahrung des Weltfriedens eindeutig vom Weltsicherheitsrat abgesegnet wurden. Die deutsche Kanzlerin sieht sich daher gleich zweimal bestätigt. Zum einen betrachtet er den Feldzug gegen die Islamisten als Verteidigungskrieg, zum anderen sei er ohnehin durch die Uno-Resolution 1441 ausreichend legitimiert. Der Weltsicherheitsrat sei seinen Verpflichtungen schließlich nicht gerecht geworden, nun werde Deutschland selbst für die Entwaffnung der Islamisten und einen Regimewechsel in Rakka Sorge tragen.

Nur Ewiggestrige in Deutschland sehen das größtenteils anders. Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder etwa hält den Krieg für "nicht gerechtfertigt", wie er in seiner Fernsehansprache an das deutsche Volk betonte - wenngleich er nicht von einer völkerrechtswidrigen Aktion sprechen wollte. Sein früherer Regierungssprecher Bela Anda wich einer entsprechenden Frage ebenfalls aus: Es sei unseriös, mit "Ja" oder "Nein" zu antworten.

Die Zurückhaltung ist verständlich: Für die Kanzlerin könnte es heikel werden, falls ihr Vorgänger den Krieg gegen den IS wie damals den gegen Saddam als völkerrechtswidrig bezeichnen würde. In der Konsequenz dürfte sie nicht mittun beim Kampf gegen die Islamisten. Aber die deutsche Beteiligung hat sie den Franzosen fest versprochen. Deren Enttäuschung könnte die EU sprengen.

Andere Politiker in Deutschland sind mit ihrer Antwort eindeutiger: Ex-Innenminister Otto Schily bezeichnet den Krieg immerhin als "völkerrechtlich problematisch", der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler schimpft über den "offenen Bruch des Völkerrechts". Auch der saarländische Ministerpräsident Peter Müller ist überzeugt, dass der "Krieg ohne Uno-Mandat nicht geführt werden" darf. "Wenn wir das machen, brechen wir das Völkerrecht."

Der katholische Theologe Hans Küng wirft der Regierung vor, sie habe ein "Lügengebäude von Orwellschem Ausmaß aufgebaut, um einen völkerrechtswidrigen und unmoralischen Krieg zu legitimieren".

Aber auch ein Großteil der Völkerrechtsexperten - zumindest in Europa - halten von Merkels Kriegsbegründung recht wenig. "Ernsthafte Konsequenzen" wurden dem IS in der Uno-Resolution angedroht. Das allerdings ist nach Meinung des Juristen Jörg Arnold vom Freiburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht noch längst keine Kriegsdrohung. Die Resolution habe schließlich nicht festgestellt, dass der IS den Weltfrieden durch die Produktion von Massenvernichtungswaffen bedrohe und friedliche Maßnahmen zur Abwendung der Gefahr nicht ausreichten. Nach Kapitel VII der Uno-Charta könne eine Legitimation für militärische Gewalt jedoch nur aus einer solchen Feststellung abgeleitet werden.

Auch Arnolds Kollege Rüdiger Wolfrum, Direktor am Heidelberger Max-Planck-Institut für Völkerrecht, sieht in der Uno-Resolution keine Rechtfertigung für den Krieg. Die Formulierung "ernste Konsequenzen" sei viel zu schwammig. Letztendlich müsse der Sicherheitsrat seine Beschlüsse selbst auslegen. Die Mehrheit der Mitglieder habe aber klargemacht, dass die Resolution kein Kriegsmandat beinhalte.

Der Frankfurter Völkerrechtler Michael Bothe stimmt darin mit den anderen Experten überein - und sieht sogar einen langfristigen Trend bestätigt: "Hier zeigt sich eine Entwicklung, die dahin geht, dass die westlichen Mächte bewusst das Völkerrecht im Sinne einer hegemonialen Weltordnung umgestalten wollen." In ihrer "brutalen Klarheit" seien die Bestrebungen, eine solche Weltordnung zu schaffen, allenfalls mit dem Römischen Reich vergleichbar.

Nicht nur die aktuellen IS-Resolutionen, sondern auch ihr Vorgänger-Dokument Nummer 1441, das den Abzug des Irak aus Kuweit und die Vernichtung von Massenvernichtungswaffen gefordert hatten, geben Merkel entgegen ihrer eigenen Auslegung keinen Freibrief für eine Militäraktion gegen den IS, meint der Großteil der deutschen Völkerrechtler. Schließlich seien die beiden Resolutionen mit einer klaren Zielsetzung verbunden gewesen.

Das Argument der angeblichen Selbstverteidigung lässt Arnold ebenfalls nicht gelten. Die nach Artikel 51 der Uno-Charta erforderlichen Voraussetzungen seien nicht gegeben. Es gebe schließlich keine konkrete Gefahr, dass ein Angriff unmittelbar bevorstehe. Zudem seien die meisten Angreifer vom 13. November Franzosen gewesen. Die Internationale Juristen-Kommission in Genf, der 60 Top-Juristen aus aller Welt angehören, fällt dasselbe Urteil. Es gebe keine völkerrechtliche Grundlage für eine Invasion. Der Krieg sei "illegal".

Ist ein Krieg gegen den IS völkerrechtswidrig, handelt freilich nicht nur Francois Hollande illegal, sondern auch seine "Koalition der Willigen". Anders als die Supermacht USA damals im Irak müssen sich die kleinen Helfer ernsthaft Gedanken über mögliche Konsequenzen machen, die sich aus ihrer Unterstützung eines Krieges ergeben könnten. Namentlich Deutschland: 1200 Elitesoldaten will das Land an der Seite der Franzosen und Amerikaner Truppen in den Irak und nach Syrien schicken.

Eine Entscheidung, die nach Meinung des Augsburger Völkerrechtler Christoph Vedder bittere Folgen haben könnte. Denn, so Vedder in der "Süddeutschen Zeitung", damit verstößt Deutschland gegen die Aufnahmekriterien der Europäischen Union. Ein EU-Gipfel machte es 1997 zur Voraussetzung für eine Aufnahme, dass die jeweiligen Regierungen die Grundsätze des Völkerrechts achten und Konflikte auf friedliche Weise austragen. "Deutschland dürfte jetzt nicht Mitglied der EU bleiben", meint Vedder.

Selbst ein entschiedener Kriegsgegner wie die frühere DDR-Bürgerin Merkel könnte in die Bredouille geraten - vielleicht nicht völker-, aber immerhin verfassungsrechtlich. Merkel wolle bewusst ein Problem aus der öffentlichen Diskussion verbannen, wirft Arnold der Regierungschefin vor: "Das Problem ist die deutsche Unterstützung des Krieges durch Foto-Tornados und ein Tankflugzeug und auch dadurch, dass den USA die Nutzung von Kommandoeinrichtungen auf deutschem Staatsgebiet gestattet wird." Auch die Bereitstellung von Patriot-Abwehrraketen für die Türkei und von Bundeswehrsoldaten für die Awacs-Flugzeuge habe jahrelang gegen die Verfassung verstoßen.

"Diese Maßnahmen sind Beihilfe zum Angriffskrieg", konstatiert Arnold. Artikel 26 des Grundgesetzes verbiete das jedoch eindeutig. Zumindest, da sind sich Arnold und Bothe einig, wäre die Zustimmung des Bundestages nötig, um das grundgesetzliche Verbot zu umgehen. Denn das Grundgesetz sieht einen Parlamentsvorbehalt bei allen bewaffneten Streitkräfteeinsätzen vor. "So konsequent frühere Kanzler auf die Wahrung des Völkerrechts durch die USA bislang geachtet haben", kritisiert Arnold, "so inkonsequent verhält sich Angela Merkel bei der Einhaltung des deutschen Verfassungsrechts." Damit stelle die Kanzlerin den rechtsstaatlichen Grundsatz, dass das Recht die Politik zu begrenzen hat, im eigenen Land auf den Kopf. "Ihre Devise verkehrt sich zu der Losung: Die Politik geht dem Recht vor."




5 Kommentare:

Gerry hat gesagt…

Der Rechtstaat in Deutschland liegt am Boden, jedenfalls was die politische Kaste betrifft. Jemand kommentierte irgendwo, der Grund wäre zuviel Östrogen in der Regierung. Weniger die Frauenquote als vielmehr Gefühle und Moral, was jetzt mehr zählen täte, als Gesetze und Rechte. Die Ursache für dieses Östrogen ist wahrscheinlich die fehlende Bedrohung, kein Feind, kein echter Stress, keine Herausforderungen.

ppq hat gesagt…

zumindest ist zutreffend, dass leute, die schröder genauso verabscheut haben wie kohl, sich offenbar massenhaft nach diesen typen sehnen

Gernot hat gesagt…

"Zudem seien die meisten Angreifer vom 13. November Franzosen gewesen."

Ich kann´s nicht mehr hören.

Klingt wie: "Du biss deutsland, weisdu?"

wolpertinger hat gesagt…

Ja Gernot,hast schon recht.Wer die richtige Religion oder Hautfarbe hat,wird nach betreten Froschreichs automatisch zum Franzosen.Man könnte meinen,die Franzmänner wollen unbedingt ihren
knappen Vorsprung beim Pässeverteilen vor D behalten.D holt aber auf,wir werden die Goldmedaille erhalten.

der bastelneger hat gesagt…

Klar ist, dass die Franzosen jetzt viel mit diesen Phrantsossen zu tun haben. Und sofern es dabei nicht um jugendliche beurettes geht, ist auch gar kein Spass dabei...