Montag, 1. Juli 2019

Bundesworthülsenfabrik: Premiere für den "Klimasommer"



Früher, da war noch Wetter. Selbst der letzte Winter zeigte, als er kalt war, keinen Zusammenhang mit der Klimaerwärmung, denn Klima, das ist, wenn das Wetter lange dauert, ganz lange. Doch in Zeiten, in denen die Sonne scheint wie das Rudi Carell 1975 so sehnsüchtig herbeigesungen hatte, braucht es nicht nur neue, radikale Maßnahmen gegen das Wetter, ehe daraus Klima wird. Sondern auch neue Begriffe, die die ganze Dramatik der aktuellen Entwicklungen rund um den Untergang der Erde in ein paar wenige drastische Silben fassen.

Annalena Baerbock, die Erfinderin der Grünen Physik, mit der Strom einfach in Leitungen gespeichert wird, bis man ihn braucht, hat deshalb die Bundesworthülsenfabrik (BWHF) in Berlin alarmiert, die mit der Erfindungwichtiger politischer Signalbegriffe wie "Rettungsschirm", "Energiewende", "Schulden-" und "Mietpreisbremse", "Stromautobahnen" oder "Wachstumspakt" in den vergangenen Jahren Beispielhaftes für die Weiterentwicklung der Debatte zwischen Politikern und Medienschaffenden geleistet hat. Für den Streit um die Umweltpolitik lieferte die BWHF zuletzt das Wort "Heißzeit", zudem gelang mit der Herstellung von "Klimanotstand" ein Überraschungshit.

Baerbock aber ist in Sorge, dass Menschen sich trotz #fridaysforfuture und Tagesschau-Dauerfeuer immer noch weitaus häufiger für das Wetter als für das Klima interessieren. Bei Rainald Schawidow, dem Chef der Bundesworthülsenfabrik, bestellte die 39-Jährige, die beruflich zwischen ihrem Wohnort Potsdam, dem Parlament in Berlin und wöchentlich wechselnden Talkshow-Studios in den alten Bundesländern pendelt, deshalb eine neue Worthülse, mit der die Grünen Klimavorreiter bleiben wollen.

Und die BWHF lieferte prompt. Mit ihrem Satz "auch bei der Bundeskanzlerin wird deutlich, dass dieser Klimasommer gesundheitliche Auswirkungen hat", führte Annalena Baerbock den neuen Kampfbegriff "Klimasommer" sensibel in die politische Debatte dieser Tage ein. "Klimasommer" tauchte bis dahinim deutsche Sprachgebrauch nirgendwo auf - stets ein deutlicher Hinweis, dass die aus dem früheren DDR-Kombinat VEB Geschwätz hervorgegangene Bundesworthülsenfabrik hier tätig geworden ist.

Auch sprachtechnisch deutet vieles darauf hin. Silbensystematisch ähnelt der "Klimasommer" den Klassikern "Rettungspaket“, „Konjunkturspritze“, „Abwrackprämie“, „Schuldenbremse“, "Wachstumspakt" und „Rettungsschirm“ verblüffend, ebenso identisch ist der Informationswert des Begriffes, der trotz zweier zusammengesetzter Substantive niedriger ist als bei der Verwendung eines einzigen. Informationsverdünnung, wie Annalena Baerboch sie quasi personifiziert, wenn sie sagt: "Dann wird jeder, wenn er einer Stunde in dieser prallen Sonne steht, zitterig werden. Und deswegen ist genau das jetzt gefragt, dass wir hier und heute handeln, weil die Klimaauswirkungen auch bei uns direkt angekommen sind" und "dass Hitze auch vor Bundeskanzlerinnen nicht Halt macht."

Alte Merkel-Schule, aufmunitioniert mit BWHF-Geschossen:  "Ich kann Ihnen so viel berichten, dass ich Ihre Frage erst einmal verstehen kann. Ich habe ansonsten aber nichts Besonderes zu berichten, mir geht es gut" und "Ich bin überzeugt: So wie diese Reaktion aufgetreten ist, wird sie auch wieder vergehen", hat die Kanzlerin selbst gerade erst gesagt. Ein Satz aus 40 Worten, unter denen sich nur drei Substantive finden, von denen kein einziges von Experten zusammengesetzt wurde.

2 Kommentare:

Die Anmerkung hat gesagt…

https://www.achgut.com/artikel/mentale_emanzipation

„Es gibt so große leere Worte, dass man darin ganze Völker gefangen halten kann.“

Zitat des Lyrikers Stanislaw Jerzy Lec
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Können wir nicht noch irgendwas mit Deckel machen? Deckel drauf und gut, z.B.?

Florida Ralf hat gesagt…

OT: "den kappetalismus in sein lauf haelt nur noch unser rainald auf", spasste man in den spaeten achtzigern bei geschwaetz. der schawidow war im veb wohl ganz gross im kommen damals. ich ging im nachbarkreis zur schule und traf ihn sogar mal in echt, als kind, weil er in der patenbrigade der parallelklasse war. ein steigender stern am huelsenhimmel und wohl der auserwaehlte betriebsdirektor kurz vor der wende. "waere schawidow zehn jahre aelter--die mauer staende noch heute", war der vater meines kumpels olli ueberzeugt, der in der matrizenproduktion arbeitete. und kucke an, du, da isser immer noch, ganz in seinem metier. beim klassenfeind werktaetig zwar, lol, und trotzdem so was vom beim leisten geblieben. hat er wahrscheinlich selbst nie fuer moeglich gehalten.