Sonntag, 20. September 2020

Für Kinder erklärt: Warum niemand mehr gegen Rassismus protestiert

Im Juni war Rassismus das Thema der Stunde, inzwischen ist die Protestbewegung allerdings sanft entschlafen.
Wer glaubt, Rassismus zu erleben, wenn er wieder einmal an einer Mohrenapotheke vorbeigehen muss oder im Supermarkt erschrocken vor einer Büchse Zigeunersauce oder Deutschländerwürstchen steht, kann sich ohnmächtig fühlen. Den Opfern solcher gezielten Beleidigungen bleiben kaum Möglichkeiten, sich dagegen zu wehren, allenfalls ein Eintrag bei Twitter oder ein Aufschrei bei Facebook versprechen kurzzeitig Erleichterung. Hier gibt PPQ.li Tipps für Betroffene, aber auch für Kinder, die den Beleidigten, Verfolgten und Marginalisierten helfen wollen.


Was kann ich tun, wenn ich denke, dass ich Ziel einer rassistischen Bemerkung geworden bin?

PPQ.li: Wenn man den Eindruck hat, dass man von Rassismus betroffen sein könnte, etwa, weil die Apotheke nebenan oder die U-Bahn-Station immer noch nach dem mittelalterlichen M-Wort heißt oder auf der Landkarte von Afrika das N-Wort steht, fühlt sich das schrecklich an. Man ist konsterniert, man ist erschrocken und oft ratlos, was man tun könnte. Es kann deshalb helfen, sich für immer wiederkehrende Beleidigungen eine Strategie zurechtzulegen.

Beim Vorübergehen an einer M-Apotheke kann man zum Beispiel gezielt ausspucken. Sieht man eine rassistische Grillsauce, stellt man sie außer Sicht nach hinten ins Regal. Und auf die Frage, "Wo kommst du her?", kannst man zum Beispiel antworten "von Arbeit" oder "von Zuhause". Dann hat dein rassistisches Gegenüber keine Chance weiterzufragen, aus welchem Land du oder deine Eltern genau kommen und dir damit zu signalisieren, dass ihn das interessiert, weil er aufgrund deiner körperlichen Merkmale annimmt, dass Du oder deine Familie vielleicht woanders gelebt haben.


Warum demonstrieren zurzeit niemand mehr gegen Rassismus? Warum war "Black LIves Matter" so schnell vorüber?

PPQ.li: Das ist ein Phänomen der modernen Erregungsgesellschaft, das immer wieder auftritt. Bedeutsame Ereignisse spülen besondere Themen nach oben, zuweilen werden sie sogar eigens zum Zweck der thematischen Fokussierung auf eine bestimmte gesellschaftliche Frage zu bedeutsamen Themen erklärt. Allerdings bestimmt das zweite Gesetz der Mediendynamik, dass die Haltbarkeit selbst sogenannten A1-Themen begrenzt ist: Das Publikum verlangt nach etwa vier bis sechs Wochen zwingend nach neuen Unterhaltungsangeboten.

Oft oder sogar meist immer ist es dann so, dass das ursprünglich mit dem Ziel der Lösung eines bestimmten Problems angetretene Diskussionsangebot noch gar nicht bis ans Ende ausgeschneufelt wurde. Die Lust und die Bereitschaft, sich weiterhin an einer Debatte darüber zu beteiligen, schrumpft jedoch zurück auf den Ausgangswert, so dass kaum noch Talkshow besetzt und Brennpunkte vollgefilmt werden könne.


Wie kann man selbst Rassismus vermeiden?

PPQ.li: Das kommt eigentlich auf deine eigene Hautfarbe an. Sieht die hell aus - was als "weiß" bezeichnet wird - kannst du Rassismus eigentlich gar nicht vermeiden. Er steckt dann überall in dir, in deinen Genen, in vielen Büchern, die du gelesen hast, in der Sprache, die du sprichst und in den vielen Dingen, die du besitzt, weil schon deine Urgroßväter und Ururgroßväter andere Menschen ausgebeutet und sich der von ihnen hergestellten hochwertigen Waren bemächtigt haben.

Versuche deshalb einfach, dir vorzustellen, dass du als weißes deutsches Kind in Afrika lebst, unter lauter Menschenleuten mit voll schwarzer Hautfarbe. Dir wird dann gesagt werden, dass du nicht gut Suaheli sprichst, du wirst gefragt, wo du herkommst, und viele werden dich für einen Ausländer halten oder dich darauf ansprechen, dass Straßen nach deutschen Rassisten benannt werden. Bist du blond, fassen sie dir sogar ins Haar! Das ist das Schicksal, das Menschen erleiden, die hier bei uns Opfer rassistischer Übergriffe werden.

Ich verstehe das, will aber dabei nicht mitmachen. Was soll ich tun?

PPQ.li: Das ist eine sehr gute Entscheidung. Mittlerweile setzen sich viele Menschen dafür ein, dass unsere Geschichte umgeschrieben wird. Rassismus wird stärker betont, er gilt nun als eigentliche Triebfeder der verhängnisvollen Entwicklung, die die Menschheit genommen hat.

Aber so können wir ihn bekämpfen, weil alle dann genau wissen, was wir sagen können und was nicht, wir wir gucken müssen und wie wir schlechte Gedanken vermeiden, die zu rassistischen Fragestellungen führen, etwa, wenn du deine Freunde, die anderer Hautfarbe oder Religion sind als du, fragst, ob sie  davon betroffen sind. Prüfe dich immer selbst, denn der Staat und seine zuständigen Organe können nicht überall sein: Könnten andere Menschen auf die Idee kommen, ich wolle sie beleidigen oder verletzen? Dann besser mal den Mund halten!

Was kann ich tun, wenn ich denke, ich habe einen Fall von Rassismus beobachtet?

PPQ.li: Sofort zur Polizei! Zwar weiß nicht jeder Rassist, dass er einer ist, aber manche Menschen handeln rassistisch und wissen dabei ganz genau, was sie anderen antun, wenn sie die Frage nach der Herkunft stellen oder auf die Hautfarbe anspielen. Nur in seltenen Fällen handelt man rassistisch, ohne es unterbewusst zu wollen.

Wer Begriffe wie "Negerkuss", "Zigeunersoße" oder Mauretanien verteidigt, die einen rassistischen Ursprung haben, macht sich gemein mit dem braunen Rand, der bis in die Mitte der Gesellschaft reicht. Es ist wichtig, sie nicht mehr zu benutzen, denn sie können Menschen glauben machen, dass sie sie verletzen. Mache dir am besten eine kleine Liste, auf der du Worte notierst, die du nicht mehr sagen willst - "Busch", "Dritte Welt", "Dschungel", "Einheimische", "Ethnie", "Häuptling", "primitiv" oder "schwarzer Kontinent"  gehören unbedingt drauf!

Aber wie kann ich dann noch sprechen?

PPQ.li: Keine Angst, das geht. Durch den Verzicht auf rassistische Begriffe wird man nicht sprachlos. Man kann Begriffe finden, die vielleicht zunächst Irritationen auslösen und damit die Diskussion über Sprache und Rassismus mit neuen Spannungsmomenten anreichern. Aus dem N-Wort oder dem Begriff ‚Farbige‘ wurden zuletzt zum Beispiel etwa Begriffe wie ‚Schwarze Deutsche‘ oder ‚People of Colour‘ geschaffen. Dabei muss man das eigentliche Adjektiv ‚schwarz‘ unbedingt groß schreiben und entsprechend betonen, damit der Respekt, den man diesen Menschen entgegenbringt, spürbar wird.



Wie können Kinder gemeinsam gegen Rassismus kämpfen?

PPQ.li: Kinder aller Hautfarben können sich gemeinsam und zusammen mutig gegen Rassismus verbünden und zusammen gegen ihn kämpfen. Denn gegen Ungleichheit sollten nicht nur Menschen kämpfen, die selbst davon betroffen sind – sondern auch alle, die es nicht sind, aber man muss vorher fragen, ob man mitmachen darf.

Gibt es in deinem Umkreis keinen richtigen akuten Fall, könntest du dich zum Beispiel mit deinen Freunden dafür einsetzen, dass Rassismus zu einem Thema bei euch im Unterricht wird. Oder wenn du Sendungen siehst, in denen immer nur weiße Kinder vorkommen, schreib eine Nachricht an den TV-Sender und sag, dass du lieber Kinder unterschiedlicher Herkunft und Hautfarbe sehen willst. Auch wenn du ein Buch liest, das nur von Kindern einer Farbe handelt, dann kannst du beim Schriftsteller protestieren, dass er das umschreiben soll.


Liebe Eltern,

dieser Text erschien zuerst bei PPQ.li, dem woken Kindermagazin von PPQ. Dort lesen smarte und clevere junge Menschen, die die Welt verstehen möchten. Sie interessieren sich für Natur, Menschen und Technik, so lange sie nachhaltig ist. Sie stellen Fragen, die nach Antworten suchen. Und sie geben sich nicht mit den erstbesten Ausflüchten zufrieden. Bei PPQ.li, dem ersten eigens für dynamische Tageswahrheiten designten Leseangebot für junge und jungebliebene Leserinnen und Leser ab drei Jahren, finden sie spannende, in einfacher Sprache geschriebene Geschichten aus aller Welt, Interviews und News aus Politik und Gesellschaft. Für noch mehr Spaß sorgen große Bilder, fetzige Comics, lösbare Rätsel und kreative Ideen zum Mitmachen in Küche, Bad und Keller.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

OT:
Mehrere Pipis regen an, der Celler Juwelier, der in eindeutiger Notwehr zwei Strolche in des Reich der Hel befördert hat, möge dafür das Bimbesschandkreuz bekommen.
Manchmal bin ich nur noch müde, sehr müde ...
Diese armen, armen Spießerlein.
Interessant wird werden, wie sich die Sache fürderhin entwickelt.