Sonntag, 13. Juni 2021

EM: Auf den Schultern der Diktatoren

Finanziert von Diktatoren aus aller Welt: Die Fußball-EM.

Was auf der Bande flackert, während die besten Fußballspieler Europas sich bei der Fußball-Europameisterschaft in zehn Staaten Europas und einem in Asien um den überfälligen Meistertitel des Jahrgangs 2020 wetteifern, ist ein Kurzlehrgang in Weltmacht. Hisense. Gazprom. Quatar Airways. Vivo. Tiktok. Alipay. Minutenlang rollen die Bälle hin und her, ohne dass ein einziges europäisches Unternehmen auftaucht. Dann FedEx aus den USA. Booking.com, früher mal holländisch. Und schließlich doch noch VW, Heinecken und Just Eat, in bescheidener Frequenz.  
 

Asien finanziert Europas Spiele

 
Der Wettbewerb mag überwiegend noch europäisch sein. Die Finanzierung aber fest in asiatischer Hand. Die meisten Großsponsoren stammen aus Asien, unverhohlen adressieren ihre Werbebotschaften bei den Spielen mitten in Europa auch den einheimischen Markt: Alipay und Vivo verbreiten ihre Kaufhinweise mit chinesischen Schriftzeichen. Antchain übersetzt nicht einmal, worum es geht.

Um Sport natürlich nicht. Die Uefa als Ausrichter, eine Art Super-DFB, dessen Keller noch gruftiger und dessen Finanzgebahren noch sizilianischer ist, lässt den Ball ausschließlich rollen, damit der Rubel rollt. Wer oder was zahlt, ist dem im Schweizer Nyon residierenden Kontinentalverband von 55 Staaten, darunter vier nicht-europäische, traditionell ebenso gleichgültig wie Bundeskanzlerin Merkel die genauen Umstände, unter denen ihr Unmenschen und Diktatoren lästige Flüchtlinge vom Hals halten. 
 
Immer mal wieder forderten zwielichtige Funktionärsfiguren wie der ehemalige Präsident Theo Zwanziger, dass Gastgeber bei großen Turnieren die Menschenrechte achten müssen. Zu solch harten Auflagen kam es letztlich aber nie, weil der Weltfußball einen solchen Einschnitt vermutlich nicht überleben würde. 
 

Hin- und herfliegendes Fußballerheer

 
Die vom früheren europäischen Fußballführer Michel Platini erfundene Turnieraustragung durch ein zwischen dem asiatischen Baku und dem spanischen Sevilla hin- und herfliegendes Fußballerheer war schon theoretisch ein neuer Höhepunkt weltfussballtypischer Hybris. In der Ausführung dann aber entpuppt sich der Sehnsuchtswettbewerb von Millionen Fans als eine blutarme Trauerveranstaltung, der ausschließlich Fernsehgelder und die Zuwendungen der Großsponsoren in ein Leben verhelfen, das sich allein noch sorgfältiger Inszenierung für den TV-Bildschirm verdankt. Weil coronabedingt nur wenige Zuschauer zugelassen sind, müssen hochgedrehte Mikrophone den 15.000 im Stadion helfen, den Lärm von 50.000 zu imitieren. Das klappt auch. Wäre da nicht der verräterische Ball, der bei jedem Pass so laut zu hören ist, dass dem arglosesten Zuschauer der Unterschied zu einer regulären Übertragung auffällt.
 

Abschied des Fußballs vom Leben

 
Den Abschied des Fußballs von der Bevölkerung - erstmals reichen diesmal die endlos fließenden Flüsse des Beitragsstroms nicht aus, alle Spiele in frei empfangbaren Fernsehen zu zeigen - versüßen  die Überweisungen der Firmen, die auf den Banden und den Interviewaufsteller werben. Eine edle Auswahl ist da versammelt - von Putins vielkritisierten Staatskonzern Gazprom über Quatar Airways, die Fluggesellschaft der ohne Parlament und Parteien auskommenden arabischen Emiratsautoritatur bis zu Vivo, einer Marke des chinesischen Smartphone-Hersteller BKK. Dazu der chinesische Staatskonzern Hisense, Alipay und Tiktok, der Videoapp von Bytedance, einer Firma, die eng mit der kommunistischen Partei Chinas zusammenarbeitet, fertig ist die Finanzierung des Fußballfestes der europäischen Werte-Demokratien. Sahen die Auftaktpartie zwischen der Türkei und Italien mit knapp 10 Millionen auch nur noch zwei Drittel der Zuschauern, die sich 2016 für das Eröffnungsspiel der EM in Frankreich interessiert hatten. Es ist nebensächlich.

Glücklich wie ein Klecks Sahne auf der Torte wirkt da der Umstand, dass die weitsichtigen Planer vier der EM-Spiele damals vor neun Jahren nicht in das wegen undemokratischer Umtriebe inzwischen nicht nur umbenannte, sondern auch mit weitreichenden Sanktionen überzogene Belorusslanddasfrühereweißrussland vergeben haben. Sondern nach Aserbaidshan, einen seit Jahrzehnten von der Familie Əliyev autoritär regierten Polizeistaat, der im vergangenen Jahr seinen Nachbarn Armenien überfiel und bis heute im Kriegszustand mit dem christlichen Konkurrenten lebt. Im Krieg zu sein aber bedeutet nicht, dass ein Stadion nicht wunderschön sein kann. Menschenrechte zu missachten, bedeutet nicht, das wie Victor Orban jedes Mal um die Ohren geschlagen bekommen zu müssen.
 

Gekaufte Freundschaft der Wertegemeinschaft

 
Beharrlich hat Aserbaidshans Staatspräsidenten hat İlham Əliyev, ganz zufällig Sohn seines Vorgängers Heydər Əliyev, seit Jahren Abgeordnete aus dem EU-Parlament und dem Bundestag in sein schönes Land eingeladen und sie mit Gastgeschenken wie Kaviar zum Kilopreis von angeblich 1.400 Euro, wertvollen Seidenteppichen, Gold, Silber und hohen Geldbeträgen überhäuft. War 2008 noch ausgemacht, dass kein anständiger deutscher Sportler*./In guten Gewissens in Peking eine Goldmedaille holen kann, und 2014 Konsens, dass Olympia genutzt werden muss, um Waldimir Putin zu stürzen, sind sich die deutschen Medien heute einig, dass die Verstrickung dieser Europameisterschaft mit Diktatoren, Autokraten und Staatsunternehmen kommunistischer Regime überhaupt kein Thema sein kann. 
 
Wie zuvor bei der Handball-WM, der Bundesliga und demnächst bei Olympia gilt gerade in Pandemiezeiten: Bälle müssen rollen, um die Stimmung anzuheben. Selbst als der dänische Fußbhaller Christian Eriksen am Spielfeldrand mit dem Tod kämpft, blendet die UEFA-Regie nicht aus. Die Kamera zoomt auf den am Boden liegenden Eriksen, den auf seiner Brust um Wiederbelebung pumpendenArzt. Bilder zeigen seine weinende Frau oder Freundin fassungslos im Kreis von Mitspielern. Die heiligen Werte werden dann anschließend wieder hochgehalten. Sobald es passend scheint.

2 Kommentare:

Die Anmerkung hat gesagt…

Wie? Gestern war 911 beim Millionärstreffen und ich hab's nicht gesehen?

Ist was passiert?

Jodel hat gesagt…

"Im Krieg zu sein aber bedeutet nicht, dass ein Stadion nicht wunderschön sein kann."

Wunderschön. Das ist große Poesie. Meine Hochachtung.
Der ganze internationale Sportzirkus zu einem Satz verdichtet.

Wenn ich dazu ein kleines Geheimnis lüften darf: Das ist schon so, seit man für Sport bezahlt wird.
Früher haben sich die Funktionäre aber ein kleines bisschen dafür geschämt und das Ganze so gut es eben ging hinter Wettkampf der Jungend der Welt und Völkerfreundschaft verborgen.
Heute leben wir in anderen Zeiten. Heute kann man offen zeigen das einem der eigentliche Wettbewerb und die Restzuschauer eigentlich völlig egal sind.
Wenn das Geld weiterhin fließen würde, könnte man auf diese ganzen lästigen Turniere sowieso komplett verzichten. Ein Computer errechnet den wahrscheinlichen Sieger und fertig.