Mittwoch, 23. Juni 2021

Laschets lange Linien: Maß + Mitte = Mittelmaß


Längst waren die anderen vorgeprescht, junge Pferde voller Temperament. Olaf Scholz, der sein Wahlprogramm nicht mehr Regierungsprogramm nennt, aber doch daran glaubt, wieder mitzuregieren. Annalena Baerbock dann auch, die in den Wahlkampf zieht mit einem prallvollen Bündel an neuen Ideen. Virtuelle Gewalt wird verboten, der Staat übernimmt die Kosten für das Klima, ein soll ein neues Gesellschaftsministerium geben und Förderungen für Lastenfahrräder. Am kamen noch die Linken dazu, die alles für alle und von allem viel versprachen. Große Zeiten für Menschen, die noch glauben können.

Der Geist der Laschet-Anzüge

Dass Armin Laschet, trotz allen Unkenrufen immer Favorit auf die nächste Kanzlerschaft, die Füße dennoch still gehalten hat, spricht für den Machtmenschen aus Düsseldorf, der den Bruderkampf mit Markus Söder nicht gewann, weil er die größeren Truppen hinter sich hatte, sondern weil er der bessere Heerführer ist, wie PPQ.li-Kolumnistin Svenja Prantl analysiert. Das Wahlprogramm der CDU atme denselben Geist wie die Anzüge des Katholiken aus Aachen, schreibt sie. Laschet sei damit ein Hoffnungsfunke im überschäumenden Wettbewerb um die größten und schönsten Versprechungen, heißt es in der aktuellen Prantl-Kolumne.

Denn was bietet Armin Laschet an? In einem Programm, das sich darauf beschränkt, ungefähre Linien zu ungefähren Zielen zu ziehen? Maß und Mitte, zwei Pole, die linkerhand des kleingewachsenen neuen Unionsriesen verloren gegangen sind. Hatten Parteien vor einem Jahrzehnt noch eine Vorstellung davon, was es bedeutet, "an der Willensbildung des Volkes mitzuwirken", wie es das Grundgesetz bestimmt, geriet mit der Finanzkrise alles aus den Fugen. Erste Stimmen  - damals noch in der SPD - sprachen davon, nun zuständig dafür zu sein, "das Zusammenleben in unserer Gesellschaft zu regeln". Erst unwidersprochen, dann unwiderstehlich. Wer heute im politischen Raum fragt, was Parteien, was Politik soll, wird das zur Antwort bekommen: Betreuen. Erziehen. Bemuttern. Bestrafen.

Der feuchte Traum der Sozialisten

Der neue Mensch, feuchter Traum aller Sozialisten, er ist vom Hirngespinst blutiger Diktatoren wieder zum politischen Nahziel geworden. Nicht ehrgeizig genug können die Ziele sein, die stets weit genug in der Zukunft liegen, um sie bei neuerlichem Propaganda-Bedarf nachzuschärfen. Die freie Gesellschaft unterliegt der Engführung durch eine kleine Gruppe von Personen, die sich aus Talkshows kennen. Demokratie, ehedem als Volksherrschaft definiert, wird abgelöst durch durch "die Politik" (SPD), die stets zur Stelle ist, um wie ein BMSR-Mechaniker liebevoll regelnd und steuernd einzugreifen: Gibt es ein Problem mit Ordnung und Sicherheit, wird die jeweilige Strafe schnell erhöht oder wenigstens tönt es ein paar Tage, dass sie erhöht werden werde. Strömt die Welt über die offenen Grenzen, wird das Chefsache. Und bei allen anderen Gelegenheiten tut es ein Rettungspaket für dies und das und alles.

So viele Visionen. So viel Gedöns. Wer heute noch keine gerechten Sprachversprechen im Wahlprogramm hat, keine Vorstellungen zur Förderung von Kleingärten und Elektromobilität, zur schnellen Vereinigung Europas und zur Digitalisierung, einem zuletzt beschleunigt beliebter gewordenen politischen Fetisch, der "rockt nicht", wie der staatliche Sender Deutsche Welle enttäuscht zusammenfasst. So traurig. Der Laschet. "Viel Gutes und Richtiges im Wahlprogramm von CDU und CSU." Aber "die Musik spiele inzwischen längst woanders - nämlich bei den Grünen."

Ein tausendjähriges Klimareich

Dort gibt es die großen Entwürfe, die Vorstellungen für ein neues mindestens Tausendjähriges Reich, klimaneutral und nicht mehr auf die deutsche Nation beschränkt. Bei Laschets CDU aber nur kleines Karo. Die "Verwaltung des Stillstandes" (SZ). Eine fünfte Merkel-Amtszeit ohne Merkel. "Keine Experimente" (Tagesschau). Die üblichen Versprechen, keine Steuern zu erhöhen, schon im selben Programm gebrochen, wo es um die gleitende Erhöhung der CO2-Steuer geht. Aber eben viel zu wenig großer Wurf mit Fahr- und Flugverboten, Tempolimit, Eigenheimbaueinschränkung und neuen Dämmvorschriften, als dass Luisa Neubauer und Greenpeace begeistert sein könnten.

Der Wettbewerb um die künftige Regierung als Rammstein-Konzert? Eine Modenschau der theoretischen Möglichkeiten, wie weit und wie schnell sich die bürgerlichen Freiheiten dauerhaft einschränken lassen, bis der Deckel über dem Murren und Maulen wegknallt? Es ist Armin Laschet hoch anzurechnen, dass er der Versuchung widerstanden hat, im Rennen der Maßlosen dasselbe anzubieten wie seine Konkurrenten. Womöglich doch ein wenig mehr geerdet als Olaf Scholz, der nicht weiß, was ein Liter Benzin kostet, und Annalena Baerbock, die Eilhard Mitscherlich womöglich für einen Kobold hält, belässt es Laschet im Wahlprogramm der Union bei einer „139 Seiten langen Weigerung, uns vor der Klimakrise zu schützen“, wie Klimaschützer und Umweltverbände reflexhaft rügten. 

Maß + Mitte = Mittelmaß

In Zeiten, in denen eine Mehrheit der Deutschen zusammengesetzte Substantive mit "Klima" nicht mehr hören mag, liegt Laschet damit mutmaßlich vollkommen richtig. Der 60-Jährige, noch nie ein Mann großer Ansprüche oder weiter Sprünge, verspricht Maß zu halten, irgendwo in der Mitte, also Mittelmaß, wie es sein zuletzt so erfolgreicher Parteikollege Reiner Haseloff perfekt verkörpert. Laschet weiß, dass kein Mensch jemanden wegen eines Wahlprogrammes wählt, weil jeder weiß, dass alle Wahlversprechen schon um eine Minute nach sechs am Wahltag das PDF nicht mehr wert sind, auf dem sie in den Kampagnenseiten vergraben liegen. 

Lasdchet hat aus Merkels einzigartiger Laufbahn gelernt. 2005, als die CDU-Politikerin zum ersten Mal antrat, tat sie das mit einer ganzen Liste an Versprechungen. So sollte etwa "niemand mehr als sieben Prozent seines Einkommens für die Kosten der Gesundheit ausgeben". 16 Jahre später liegt allein der Beitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung bei 7,3 Prozent. Zuzüglich nach und nach beschlossener Zuzahlungen gibt jeder Deutsche mehr als zehn Prozent seines Einkommens als Patient aus. Aber da sich niemand mehr an die ursprünglichen Versprechungen Merkels erinnert, ist das gar kein Problem, jedenfalls keines, das Merkels Ruf oder Ansehen geschadet hat. 

Immer bleibt was übrig

Gut ist doch, wenn man nicht alles geschafft hat, dann bleibt immer noch was übrig: Vom versprochenen Bürokratieabbau, von Veränderungen des Arbeitsrechts zur Dynamisierung des Arbeitsmarktes und den in Aussicht gestellten "Innovationsgesetzen" ist nach anderthalb Jahrzehnten genauso wenig zu sehen wie von einer "Vereinfachung des Steuersystems" (Merkel) mit einem "Eingangssteuersatz von zwölf Prozent" (Merkel) und "niedrigeren Steuern für den Mittelstand" (Merkel).Sie kennen mich noch nicht, sagt Armin Laschet nun. Aber ich bin eigentlich sie.

Nichts falsch machen und die richtigen Signale senden, das ist es, worauf es über den Sommer ankommen wird. Vorsichtig bedeutet Armin Laschet nach außen, dass er selbstverständlich auch gängeln wird, aber weniger als andere. Auch er wird an Stellschrauben drehen. Nicht weil es sein muss, der Laden läuft ja doch irgendwie. Sondern weil er nun mal gewählt sein wird und deshalb irgendetwas tun zu müssen glaubt. Auch er wird nichts besser machen, nur manches anders, aber niemand wird es wissen, weil keiner je erfahren wird, wie es gewesen wäre, hätte Laschet regiert wie Gerhard Schröder seine letzten Jahre: Ohne überhaupt noch etwas zu tun. 

Hoffnungsträger für die Normalität

Der Mann aus Nordrhein-Westfalen leuchtet trotzdem hell in einem Startfeld, in dem bisher die Irrationalen mit den Traumtänzern und Wundergläubigen darum wetteiferten, den Klimastaat binnen weniger Jahre zu errichten, während sie mit der anderen Hand globale Gerechtigkeit schaffen, China und Russland fair auf Augenhöhe den richtigen Weg zeigen und Europa unter einer fröhlichen Flagge zum weltgrößten Schuldenstaat vereinigen. Mit Laschet haben Wählerin und Wähler nun eine Hoffnung, dass das ganz gewöhnliche, ganz normale, das gewohnte und bis hierher geübte Leben irgendwie doch noch eine Weile weitergehen kann. 



4 Kommentare:

Jodel hat gesagt…

Diese Wahl ist für alle Wähler:innen:x schon Klasse und die Auswahlmöglichkeiten sind traumhaft.

Entweder bekommt man die Fortsetzung des immer schneller Fahrt aufnehmenden Sinkflugs oder man erhält als Alternative den freien Fall. Jemand der die Kiste wieder hochziehen oder wenigstens in der stabilen waagerechten halten könnte, wird garantiert keine Regierungsverantwortung erhalten.

Machen sie also ihr Kreuzchen an der Stelle, wo sie denken es sei am dort am Besten aufgehoben, genießen sie die Show und gratulieren sie dem Wahlsieger. Man hat ja noch Anstand. Langfristig wird es so oder so auf das gleiche Endergebnis hinauslaufen.
Wahlergebnis hin oder her.
Wenn sie Optimist sind lernen sie schon mal Mandarin, wenn sie Pessimist sind, besser Arabisch.

Anonym hat gesagt…

Ist Svenja Prantl irgentwie verwand mit Heribert Prantl? Vieleicht eine Enkelin?
Soviel politische Klugheit muß ja irgentwo herkommen.

ppq hat gesagt…

nein! das wird ihr oft vorgeworfen und nachgesagt, aber sie stammt aus einer ganz anderen linie

Anonym hat gesagt…

Jemand der die Kiste wieder hochziehen oder wenigstens in der stabilen ...

Sehr richtig, aber davon abgesehen: Da wäre auch keiner.
Daß die offiziell Herrschenden überhaupt nix zu melden haben, sagten schon die Verschwörungstheoretiker Rathenau und vor ihm D'Israeli. Die Dreifachklammer sparen wir uns hier.

Schade, daß man sich nicht wiederholt einfrieren lassen und alle 150 Jahre auftauen und Kenntnis nehmen kann. Speziell China in 150 und in 300 Jahren - wäre interessant.
Oder auch Jisroël ...