Mittwoch, 7. September 2022

Facetten der Desinformation: Entmündigung einer mutigen Ministerin

Durch eine gezielte Kampagne wird versucht, Annalena Baerbocks offene Wort zur Verpflichtung ausschließlich vor ihrem eigenen Gewissen unredlich madig zu machen.
Es war so gesagt worden. Aber nicht gemeint. So gemeint eigentlich doch, aber falsch zitiert. Es wurde korrekt zitiert, aber von den Falschen. Richtig zitiert wurde es von den Richtigen, aber da war es schon aus dem Zusammenhang gerissen worden. Im Überblick war im Zusammenhang dann erkennbar schon erkennbar, dass nichts fehlte und  nicht dazugeschnitten worden war. Aber es war ja auch alles vollkommen zutreffend, was da gesagt wurde. Endlich mal jemand, der sich traut, zu sagen, wie es wirklich ist. Endlich mal Klartext. Verfassungsauftrag. Eigenes Gewissen.

Verfassungsauftrag eigenes Gewissen

So steht es im Grundgesetz, klärte Sigmar Gabriel auf, der in seinen guten Tagen selbst kein Hehl aus seiner Sicht auf "Teile der Bevölkerung" (Thomas de Maiziere) gemacht hatte. "Pack" nannte Gabriel demonstrierende Sachsen, eine kleine, aber laute Gruppe, die Annalena Baerbock nun auch gemeint haben könnte, als sie von "meinen deutschen Wählern" sprach, der Gedanken sie nicht interessierten. Da Politikerinnen und Politiker nur ihrem eigenen Gewissen verpflichtet sind, pfeift Baerbock im Einklang mit der Verfassung auf deren Ansichten zwischen den Wahltagen. Sie kann das, sie darf das, sie verletzt kein Gesetz, allenfalls ein paar Gefühle von Grünenwähler*innen.
 
Das gute Deutschland stand dennoch auf wie ein Mann. Faktenchecker, Journalistendarsteller, Politiktreibende, politisierende Ruheständler und Parteigenossen enthüllten eine "Desinformations-Kampagne von extremen Rechten und Linken", die rund um einen "sinnverdrehend zusammengebastelten Cli" (Johannes Hillje) ablaufe. Die "Süddeutsche Zeitung" hörte Baerbock "die Worte sprechen, die ihr seitdem im Mund umgedreht werden". Der um Haltungen in beliebiger Zahl nie verlegene Georg Restle prangerte daraufhin umgehend an, dass die "Gefahr von
Desinformationskampagnen" zwar "oft genug von Fußtruppen des Kreml oder rechtsextremen Lautsprechern" ausgehe. Wirklich bedrohlich aber würden die Delegitimierungsversuche aber erst "durch Übernahme in Medien, die sich als seriös bezeichnen, aber elementare journalistische Standards vermissen lassen".

Schutz für Grünengewählthabende

Der Streit um die Wichtigkeit der Gedanken deutscher Grünen-Wählerinnen und Wähler für die Ausgestaltung der aktuellen deutschen Ukrainepolitik, er war zum Glaubenskrieg geworden. Die grüne Parteivorsitzende Ricarda Lang warnte, es solle sich "jeder gut überlegen, ob er sich an russischer Propaganda und rechten Kampagnen beteiligen will". Der Strategische Kommunikator im Auswärtigen Amt, Peter Ptassek, enthüllte, wie die "Kritik durch prorussische Desinformation befördert" und von "prorussischen Accounts geboostert" wurde, bis "das Cyber-Instant-Gericht fertig" gewesen sei: "Desinformation von der Stange".

Nach den Angriffen ihrer Gegner, angeführt von Twitter, CDU, AfD und Linkspartei, fielen nun sogar die eigenen Leute über Baerbock her. Lang hörte "aus dem Kontext gerissene Aussagen". Die Süddeutsche entdeckte einen sprachlichen "Unfall", die FAZ  eine aus Russland gesteuerte Kampagne. Drei Tage nach ihrer offenherzigen Rede geht es nicht mehr darum, was Annalena Baerbock gesagt, was sie gemeint, ob das klug, dumm oder tapfer, ob sie es durfte, musste oder besser hätte sein lassen sollen. Sondern nur noch um "unsere Demokratie & Zusammenhalt", die von jedem gefährdet würden, der "sich in den Hysterie-Chor #BaerbockRuecktritt einreiht" und sich wegen seiner fahrlässigen oder böswilligen Ansichten zu Baerbocks klarer Ansage an alle Grünen-Wählerinnen und Wähler in Deutschland damit "zur Marionette russischer Desinformations-Agenten und zum unfreiwilligen Kreml-Propagandisten" mache. 

Kampf gegen Baerbocks offenen Worte

No matter what my German voters think" war vom Satz, der tiefe innere Überzeugung ausdrückt, mentale Stärke, Selbstbewusstsein und den festen Willen, das Richtige zu tun, egal, was es und ob es im allerschlimmsten Fall sogar die eigenen Karriere kostet, zu einer Kreml-Erfindung geworden. Vermeintlich hochseriöse Portale wie der "Volksverpetzer", das als rechtslastig kritisierte Nachrichtenmagazin "Focus" und der Twitterblockaderekordhalter Mario Sixtus erklärten die Aussagen Baerbocks zu "vermeintlichen Aussagen", die von ihr gesagten Sätze seien "so nicht gefallen", aber von der Springer-Presse weiterverbreitet worden. Sixtus forderte von der amerikanischen Heuschrecke KKR per Twittereingabe an die Unternehmenszentrale Konsequenzen für das Investment bei Springer: "Wie findet es eigentlich KKR, dem Kreml so hilfreich zu sein?" 

Annalena Baerbocks ursprüngliche Intention, mit brutaler Ehrlichkeit gegenüber jedermann und jederfrau das Ideal einer transparenten Politik der Einbeziehung aller zu leben, verwandelte sich unter den Tastaturen ihrer vermeintlich eifrigsten Unterstützer*innen in ein Versehen. Baerbock wurde nun ein Versprecher untergeschoben, böswillig falsch übersetzt. 

Das legitime Anliegen der beliebten Außenministerin, ein für allemal zu verdeutlichen, dass es im Krieg weitaus Wichtigeres gibt als die gute Laune der Grünenwähler an der Heimatfront, verschwand hinter einem Vorhang aus Abwiegelungen, Ausreden, Verdächtigungen und Beschuldigungen. Wer sich angesichts der Aussagen der früheren grünen Parteivorsitzenden Fragen stelle, wie "nicht nur die AfD, sondern auch Teile der Linkspartei und Medien", sei "williger Wegbereiter" einer "Fake-Kampagne", die "einer aufgeklärten Demokratie unwürdig" sei, weil "Spiegel-Recherchen" zeigten, "wie kremlnahe Accounts ihre Worte verzerrten und instrumentalisierten". 

Leugnung der Verpflichtung vor dem eigenen Gewissen

vermeintliche Aussagen Baerbocks

Die - verfassungsrechtlich legitime, ja, vom Grundgesetz ausdrücklich geforderte - Missachtung des Wählerwillens, im politischen Berlin wie früher in Bonn 365 Mal im Jahr Tagesaufgabe, wurde trotz des abwägenden Einspruchs etwa von Sigmar Gabriel zu einem Fehler erklärt. Die Richtung gab der Volksverhetzer vor, der verschwörungstheoretisch über das orakelte, was Baerbock selbst hatte sagen wollen, ehe sie falsch verstanden worden sei. Leitmedien zogen nach, hinterrücks lobten sie die junge, frische Außenministerin, die so populär sei," weil sie verständlich über die Welt spricht". Der aber manchmal Unfälle geschähen wie eben der beim ihrem offenen Eingeständnis, dass Tagespolitik sich nicht an den Momentaufnahmen vermeintlicher Stimmungsbilder aus den noch wählenden Teilen der Bevölkerung orientieren dürfe.

Bösartig", nennt das die Süddeutsche Zeitung in einer Analyse des Versuchs, der Außenministerin das verfassungsmäßige Recht und die Pflicht abzusprechen, sich nur ihrem eigenen Gewissen verpflichtet zu fühlen. Eine Warnung, die ungehört verhallt.


4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Die gut 35000 Stimmen, die sie in Berlin direkt erhalten hat und die sie legitim 'my voters' nennen könnte, machen ja auch den Kohl nicht fett.
Der Rest läuft im deutschen Wahlsystem eh über den Parteilistenbeschiss.

Anonym hat gesagt…

KlimerClara freut sich auf POST




Linienstraße 105
10115 Berlin-Mitte

Anonym hat gesagt…

Wer liest d a s schon? Alle Leute, die ich kenne, lesen DIE ZEITUNG! (Katharina Böll)
Will sagen, wer es bis, sagen wir 2016, nicht geschnallt hat, schnallt es nimmermehr. Ausnahmen bestätigen die Regel.
Für die duchschnittlichen Dödel wird sowohl der böse Russ' als auch die zu zimperlich vorangebrachte "Energiewende " schuld sein, ein wenig auch die bösen Nazis, wenn die Kacke so richtig grossflächig am Dampfen sein wird.

Carl Gustaf hat gesagt…

Ich musst bei der Baerbock-Aussage schon ein bisschen an George Orwell denken: "Krieg ist Frieden; Freiheit ist Sklaverei; Unwissenheit ist Stärke“.