Mittwoch, 12. Oktober 2022

Schäuble macht den Sarrazin: Warmer Applaus für krude Pulloverthesen

Von einer Sockenpflicht im Winter ist noch nicht die Rede.

Berlins früherer klandestiner Strippenzieher hat wieder zugeschlagen: Wolfgang Schäuble, CDU-Politiker mit Hang zur politisch und strafrechtlich nicht immer ganz korrekten Spendenannahme, wartet diesmal mit Tipps zum Energiesparen auf: Heizung runter, wärmer anziehen!

Er ist einer der knorrigsten Politdarsteller, die Deutschland hat, ein Unikum in Zeiten der unbedingten Stromlinienförmigkeit, ein Kampfhahn, knurriger Kämpfer, enttäuschter Beinahe-Kanzler und auch ohne dass es die Öffentlichkeit noch weiß immer noch und zwar in seinem 60. Jahr Mitglied des Deutschen Bundestages. Wolfgang Schäuble hatte mehr gewollt, Kanzler sein, Kohl-Nachfolger, Dirigent einer neuen deutschen Ära in Europa. Doch dank einiger Leichen im Keller der Macht reichte es nur zum Adlatus der ewigen Angela Merkel - ein Schicksal, das Schäuble der Welt und sich selbst nie verzeihen wird.

Unerbittlich und gnadenlos

Der Mann ist hart geworden in seinen vielen Ämtern, unerbittlich und gnadenlos. Mitten in der Energiekrise treibt die Tatsache, dass es keine Ämter und Ministerien mehr zu bespielen gibt, die Einladungen in Talkshows ausbleiben und die über zwei Merkel-Jahrzehnte entkernte, entbeinte und heruntergewirtschaftete Union bei einem Viertel der abgegebenen Wählerstimmen dümpelt, Wolfgang Schäuble nun dazu, die kruden Thesen eines anderen Querschützen des deutschen Politikbetriebes aufzugreifen und sich zu eigen zu machen.

Mit der kruden These, es müssten in der Wohnung ja nicht immer angenehme 20 Grad sein, denn auch wenn es ein bisschen kühler ist, lasse es sich prima leben, hatte der später von der deutschen Sozialdemokratie verstoßene Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin vor 14 Jahren die gesamte deutsche Medienlandschaft gegen sich aufgebracht. Sarrazins "warme Empfehlung für all jene, die unter den hohen Energiepreisen leiden" (Spiegel): "Wenn die Energiekosten so hoch sind wie die Mieten, werden sich die Menschen überlegen, ob sie mit einem dicken Pullover nicht auch bei 15 oder 16 Grad Zimmertemperatur vernünftig leben können."

Witz aus Kosten der Ärmsten


Z
ynisch, verdammenswert, krude Thesen, ein Witz auf Kosten der Armen und Allerärmsten, so urteilten die Kommentäter zwischen Köln, Berlin, Hamburg und München einhellig über den "provokanten Vorschlag zur Energiekrise" (Süddeutsche Zeitung).  Eine "Pullover-Affäre" (Fokus), mit der die soziale Spaltung verschärfte werde. Hinter den "kühl kalkulierten Energiespartipps", analysierte der "Spiegel", verberge sich "soziale Kälte", denn Menschen vorzuhalten, dass auch an der frischen Luft der Leitsatz gelte, dass es kein schlechtes Wetter gebe, nur schlechte Kleidung, verhöhne die Nöte derer, die bisher auch im Winter auf Socken verzichtet hatten.

Sarrazin bereitet den Boden für Hassprediger", donnerte Sigmar Gabriel, entsprechende Empfehlungen seien zum Teil "dämlich" und "gewalttätig". "Zynisch", hieß es bei der CDU, die Grünen empfahlen eine kalte Dusche und die Linke wetterte reflexhaft gegen "so viel soziale Kälte". Thilo Sarrazin hatte eine Karriere begonnen, die ihn ins gesellschaftliche Aus befördern würde: Seine Behauptung, "Deutschland schafft sich ab" machte ihn zum Paria, seine Warnungen, so könne es nicht weitergehen im Land oder wenn es so weitergehe, werde der Wohlstand schneller schwinden als er aufgebaut worden sei, ließen sich zwar schlecht widerlegen,. Doch als "lispelnde, stotternde, zuckende Menschenkarikatur" (Mely Kiyak, Taz) ließ Sarrazin wenigstens auf der persönlichen Ebene angreifen und delegitimieren.

Pullover für das beste Deutschland

Wolfgang Schäubles Pullovervorschlag trifft nun auf ganz andere Aufnahme. Ein geradezu warmer Empfang wird den Hinweisen des Altvorderen der CDU zuteil: Man müsse nun mal verzichten, vieles werde nicht mehr selbstverständlich sein, so der 80-Jährige, der im letzten halben Jahrhundert wie kein mitgebaut hat am "besten Deutschland, das es jemals gegeben hat" (Walter Steinmeier), jenem Land, in dem immer mehr Menschen auch aus anderen Weltregionen "gut und gerne leben" (Merkel). 

Wird es mal kalt, dann "zieht man halt einen Pullover an. Oder vielleicht noch einen zweiten Pullover, darüber muss man nicht jammern", beschreibt Schäuble das neue Normal. Auch der Strom könne mal ausfallen, aber das ist kein Beinbruch, sondern eine Gelegenheit, die " paar Kerzen, Streichhölzer und auch eine Taschenlampe" herauszuholen, die "jeder zu Hause haben sollte". Die Zeiten, in denen die Politik den Bürgerinnen und Bürgern tagtäglich suggeriert habe, der Staat etwas sei, der seinen Bürgern zwar einen großen Teil ihres Einkommens wegnehme, dafür aber bereit stehe, in Notfällen zu helfen, sein vorüber. 

 Großväterliche Klimaweisheit

Wolfgang Schäuble, der sich eigenen Angaben zufolge "aus Geld nichts macht", weil er immer genug davon hatte und zeitweise sogar so viel, dass ihm 100.000 Mark einfach verlorengingen, ist am Ende einer langen, zumindest persönlich höchst erfolgreichen Karriere als Führenderpolitiker zur Erkenntnis gelangt, dass jeder besser für sich selber sorgen muss. Der alte Haudegen weiß, dass bei Medien und Menschen immer nur die letzte Position in Erinnerung bleibt, die man vertreten hat. Schäuble, der immer ein Prediger des starken Staates war, ein Etatist, manischer Freund von Vollüberwachung und straffem Zentralismus, verkleidet seine neue Empfehlung, dass jeder sich selbst der Nächste sein soll, in ein grünes Mäntelchen aus großväterlicher Klimaweisheit: "Wenn wir den Menschen suggerieren, dass alles unbegrenzt ist, betreiben wir Raubbau", sagt Schäuble, "dann entsteht bei den Menschen der Eindruck: Der Staat kann alles. Das ist nicht nachhaltig!"


2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Sarrazin hat aus Klassenhass gegen die Ärmsten der Armen gehandelt, während Schäubles Räder zum Sieg gegen den Russen rollen. Und über den Sieg werden dann auch die Ärmsten der Armen glücklich sein.

Anonym hat gesagt…

Tja, die spucken einem mit Anlauf ins Gesicht und höhnen dann: "Was schwitzt'n so?"
In trüben Stunden will mir scheinen, diese erlesenen Unverschämtheiten dienen nicht nur der Demütigung und Demoralisierung, sondern auch dazu, Fürwitzige aus der Deckung zu locken. Zum Registrieren, Katalogisieren, später ggf. Eliminieren.