Mittwoch, 7. Dezember 2022

Messerattacke: Kurz vor Sport und Wetterbericht

Ob die Bedeutung von Messern in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen zugenommen hat, gilt bei erste Nachrichtenadressen wie dem spd-nahen RND als vollkommen unklar.

Trauer, Wut, aber keine Scham, so schildern Reporter die Gesamtlage in Illerkirchberg, jener kleinen süddeutschen Idylle, der in diesen Tagen und Stunden unmerklich nach vorn rückt in den Nachrichtensendungen, die auf das unwirkliche Geschehen dort anfangs mit Unglauben und Verleugnung reagiert hatten. Wie lässt sich berichten über das Unsagbare? Wie lässt sich ein mutmaßlicher Mord an einem Kind versenden, ohne dass die Frage nach Ursachen, Gründen und Verantwortlichen aufgeworfen wird?  

Experten für spanlose Sprachgestaltung

Hinter den Kulissen von "Tagesschau" und "Heute-Nachrichten" rauchten die Köpfe. Im politischen Berlin glühten die Drähte. In der Bundesworthülsenfabrik (BWHF), die sofort nach dem Bekanntwerden der unfassbaren Tat in die Entscheidungskette einbezogen worden war, gingen Verbalvirtuosen, Propagandapoeten und Experten für spanlose Sprachgestaltung daran, wirkmächtige Formulierungshilfen für den öffentlichen Raum zu entwerfen.

Das Rennen machte schließlich die "Messerattacke", ein bisher im Duden nicht verzeichnetes Substantiv, dem von der BWHF zugetraut wird, als Determinativkompositum aus "Messer" und "Attacke" ausreichend unklar zu beschreiben, was unbeschreiblich bleibt, weil es aus übergeordneten Gründen unbeschrieben bleiben muss. "Messerattacke", ursprünglich von deutschen Medien verwendet, um Angriffe verzweifelter Palästinenser auf Israelis vom Verdacht des Antisemitismus zu befreien, ist eine Vokabel im Geist der Zeit: Das Messer ist sächlich, es kann aber auch der Messer sein, der etwas vermisst. Die "Attacke" dagegen, entlehnt beim Französischen "Attaque", ist von Haus aus weiblich. Die "Messerattacke" ist folglich alles und noch viel mehr.

Attacke ist positiv besetzt

Messerangriffe und -Attacken in der Statistik.
Der Begriff "Attacke" ist positiv besetzt, sie gilt meist als mutig, verwegen und gegen einen Feind gerichtet, der es nicht anders verdient hat. Zugleich bleibt die "Attacke" semantisch hinter dem bedrohlichen "Messerangriff" zurück. Sie spart sich unschöne Details über Messerstiche, die Teile der Bevölkerung verstören könnten. Und sie gibt den an die Presseabteilungen des Regierungsapparates direkt angeschlossenen Anstalten Gelegenheit, wortreiche Betrachtungen über die womöglich oder womöglich nicht gewachsene Rolle des Messers in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen anzustellen. 

Dass man es nicht genau weiß, weil die Gewinnung von Informationen dazu quasi peinlich vermieden wird, gilt dort als schlagendes Argument gegen die Behauptung, früher habe es nicht so viele Messerattacken gegeben. Eine letzte, verzweifelte Verteidigungungslinie, nach der "Statistiken nur bedingt Auskunft geben", weil die Auskunft, die sie bereithalten, nicht die ist, die man sich wünschen würde.

Je falscher das Motiv, desto Mord ist es

Freilich, für echte Überzeugungstäter, die sich selbst als Medienmarke sehen, die stabil dafür steht, Personen, Dinge und Ereignisse allein nach deren Nützlichkeit für die eigene Agenda einzuordnen, ist die Tötung eines Menschen nie an sich eine fürchterliche Sache. Auf das Motiv der/des Täter*ins kommt es an. Daran entscheidet sich, ob es sich um eine widerliche, eine verabscheuungswürdige oder eine ja doch irgendwie entschuldbare Tat handelt. Das 14-jährige Opfer von Illerkirchberg ist nach dieser Methodik weder erstochen worden noch wurde es ermordet. Als Formulierung wird die Verwendung von "Mädchen erliegt Verletzungen nach Messerattacke" empfohlen.

Das tut weniger weh, das erinnert an Unfallberichte, es gibt keinen aktives Subjekt mehr in diesem Satz, nur einen Nachhall von Eigenverantwortung:  Warum "erliegt" sie ihren Verletzungen? Warum stirbt sie auch so schnell. Es war doch nur eine "Messerattacke"! Tatsächlich bringt der Begriff alles mit, was es braucht, um Inhalte so lange aus der Berichterstattung fernzuhalten, bis andere Ereignisse das schreckliche Geschehen zu überstrahlen beginnen. Vorbild für die BWHF waren hier zweifellos die berühmten "Partypeople", die "jungen Männer" und der "Einmann", aber auch die "Übergriffe" der Kölner Silvesternacht, die "Ausschreitungen bei Nazi-Demos" und die bundesweiten Sprachregelungen aus der Corona-Zeit.

Wachablösung bei den Schlagzeilen

Die Wirkung setzt meist unmittelbar ein, sobald die Maßnahmen zum Bedeutungsdesign greifen. Musste die "Tagesschau" die ersten Meldungen über die "Messerattacke" auf die 14-jährige Ece S. noch mit einem Bericht über verdammungswürdige Missstände an den balkanischen Grenzen abpolstern, die Flüchtende, Flüchtlinge und Geflüchtete an der Weiterreise nach Deutschland hindern, zogen die zuständigen Organe 48 Stunden später den braunen Joker: 3.000 Beamte hoben "in elf Bundesländern eine rechtsextreme Terrororganisation aus" (Spiegel). Großes Kino bei der inneren Sicherheit wie zuvor schon bei der "Weiße Wölfe Terrorcrew", der "Gruppe Freital", "Revolution Chemnitz" und dem Terror-Druiden "Burgos von Buchonia".

Die "Messerattacke" rutscht nun notgedrungen dorthin, wo sie herkam, kurz vor Sport und Wetterbericht, danach geht ja leider nicht. Noch ein paar Bilder von Kerzen und traurigen Nachbarn, ein paar Sätze, wie unfassbar das alles ist und wie vollkommen unerklärlich. Nie gab es Probleme. Niemand hat sich radikalisiert. Womöglich war alles eine psychische Sache. Schonungslos wird aufgeklärt werden, langsam wird sich die "Messerattacke" dabei in eine "Schulweg-Attacke" verwandeln und die Frage nach dem Täter in eine nach der Verantwortung der Gesellschaft für ihn.


9 Kommentare:

Die Anmerkung hat gesagt…

Messervorfall, von Attacke oder Angriff weiß man doch noch nichts.

Ist dann sowas wie ein LKW-Vorfall oder SUV-Vorfall. Kann man nichts machen, wenn die Technik verrückt spielt.

Anonym hat gesagt…

Habe eben mit der ARD telefoniert. Georg Restle ist unterwegs nach Illerkirchberg. Er wird an den Schulen darauf hinweisen, dass es schlimmer als ein Generalverdacht wäre, wenn man dort Mädchen nicht mehr unbegleitet zu Fuß zur Schule schicken oder ihnen Angst vor Schutzsuchenden einreden würde. Dazu darf es nicht kommen. Vielmehr soll für Verständnis für die Zustände in Eritrea und traumatisierte Eriträer geworben werden.

Anonym hat gesagt…

OT schön was der Danisch immer einfach so aus dem Ärmel schüttelt

https://www.danisch.de/blog/2022/12/07/die-parallelen-zwischen-der-letzten-generation-und-der-raf/#more-53864

Anonym hat gesagt…

Bundestagswahl Illerkirchberg 2021
CDU 26,8% -10,0
SPD 22,6% +6,0
AfD 9,2% -2,7
FDP 13,2% +2,1
Grüne 18,3% +4,3

Die Anmerkung hat gesagt…

Uns fefe zu den Klebeattacken und Klebeattentaten.
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https://blog.fefe.de/?ts=9d6ebf35

Thomas Fischer erklärt das mal und kommt auf das Ergebnis, dass eine Straßenblockade eine Nötigung und damit notwehrfähig ist.

Ich finde das ausgesprochen schade, dass Fischer hier weiter an der Eskalationsspirale dreht, anstatt dass mal irgendwer einfach anfängt, den Kids zuzuhören, deren Zukunft hier die Autofahrer vorsätzlich zerstören.
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Ich möchte auch das haben, was der Fefe nimmt.

Anonym hat gesagt…

>anstatt dass mal irgendwer einfach anfängt, den Kids zuzuhören

Zuhören würde aber auch Notwehr rechtfertigen, sogar sehr heftige.

ppq hat gesagt…

müssen wir uns nicht alle noch mehr zuhören müssen?

Teto hat gesagt…

Hat sich der Asylhelferkreis Illerkirchberg schon dafür entschuldigt, daß er seinen Asylanten nicht besser betreut hat?

Jodel hat gesagt…

Meist kann man sich gegen die Zustände in unserem besten Deutschland aller Zeiten mit einem dicken Panzer aus Zynismus schützen um nicht verrückt zu werden. Der Mord in Illerkirchberg ist aber ein Ereignis, dass diesen Schutz mühelos durchdringt und einen mitten ins Herz trifft. Wenn ein kleines Kind auf offener Straße abgestochen wird, hilft auch kein Zynismus mehr. Es ist einfach nur furchtbar und bringt einen der Verzweiflung nahe. Nicht einmal bei einem Kind hat so eine Bestie Hemmungen zuzustechen. Die Familie von Ece wurde in die Hölle katapultiert und hätte wenigstens ehrliche Trauer und Mitgefühl verdient. Zu mehr kann sich unser Staat sowieso nicht aufraffen.

Aber statt sich wenigstens nur einen einzigen Tag zurückzunehmen, still zu sein, zu trauern und vielleicht einmal nur ganz kurz darüber nachzudenken, was man hier angerichtet hat, kübelt unsere woke Elite ihre Widerlichkeiten ungebremst weiter über dem Restvolk aus. Heute ist so ein Tag wo man diese Belehrungen was schlimm ist und was nicht ganz so sehr, kaum ertragen kann. Alle Hoffnungen, dass es in Zukunft vielleicht nicht ganz so schlimm kommen wird, wie man es erahnt, sind weggeblasen. Wir gehen barbarischen Zeiten entgegen, so sie nicht schon da sind, und müssen dies hilflos mit ansehen.