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| In Europa werden Jahr für Jahr Milliarden verforscht, doch der Abstand zu den High-Technationen will einfach nicht geringer werden. |
Es war eine Kriegserklärung, nicht nur an die früheren Partner, Freunde und Bundesgenossen jenseits des Atlantik, sondern eine an die so lange zu beharrliche behauptete Vision der offenen Gesellschaft. Als die Europäischen Kommission sich entschloss, mit einer Demonstrativhandlung ohne historisches Beispiel eine Geldstrafe in Höhe von 120 Millionen Euro gegen den US-Konzern X zu verhängen, wussten die in die Entscheidung eingebundenen Kommissare um Ursula von der Leyen ganz genau, was sie auslösen würden.
Ein ehemaliger Verbündeter
Der ehemalige Verbündete Amerika wäre brüskiert. Der amerikanische Präsident gäbe sich vermutlich schwer beleidigt. Die Riege seiner Minister, nach einer langen Phase der Radikalisierung inzwischen nicht mehr nur Neonazis und Faschisten, sondern beinharte Christen, wäre in Minuten aus dem Häuschen. Bestenfalls so sehr, dass sich die Hegseth, Vance und Rubio sofort in ihre rostigen Rüstungen werfen und zu einem neuen Kreuzzug gegen das alte Europa aufbrechen würden.
Brüssel wäre damit schlagartig etliche drängende Sorgen los. Keine Diskussionen mehr um den drohenden Frieden an der Ostflanke. Kein öffentlich ausgetragener Streit zwischen Frankreich, Spanien und Deutschland um das große Kampfflugzeugprojekt FCAS, das die zusammenwachsenden europäischen Streitkräfte eigentlich schon 2040 mit einem modernen neuen Jäger samt "Combat Cloud und passender Sensorik" hatte versorgen sollen, nun aber schon vor dem für 2029 erwarteten russischen Angriff auseinanderbricht. Schluss mit den Debatten um russisches Auslandsvermögen und europäische Begehrlichkeiten. Schluss mit fruchtlosem Hoffen auf die große Wirtschaftswende.
Glaubenskrieg mit Amerika
Stattdessen ein Glaubenskrieg mit den Vereinigten Staaten, ausgetragen als Armdrücken im Internet. Dort, das hatten in der Vergangenheit schon Vordenker wie Robert Habeck, Thierry Breton, Jessica Rosenthal und Martin Schirdewan angemahnt, haben sich US-Firmen aus bis heute nicht bekannten Gründen eine Vielzahl von Monopolstellungen erobert. Während Europa auf Sicherheit setzte und strenge Regulierungsmaßnahmen zur Innovationsförderung nutzte, ließen selbst befreunde US-Regierungen wie die von Barack Obama und Joe Biden in Übersee einen zügellosen Wildwuchs an Firmengründungen zu.
Heute kauft ganz Europa bei Amazon ein, der Messenger der Wahl von Millionen heißt Whatsapp, die von Privatleuten, aber auch Behörden und Politiker bis hin zu Kommissionschefin Ursula von der Leyen am meisten genutzten sozialen Netzwerke heißen Facebook, X und Instagram. Allenfalls das chinesische Spionageportal TikTok bietet hier noch eine Alternative für die, die nicht weiterhin zum Reichtumsmehrung bei Donald Trumps Tech-Bros beitragen wollen.
National gesinnte Europa-Patrioten
Alle zarten Bemühungen engagierter und national gesinnter Europa-Patrioten, dem erdrückenden Übergewicht der US-Firmen im Netz etwas entgegenzusetzen, endeten bisher mit peinlichen Pleiten. Robert Habecks Vorschlag, Google noch einmal zu erfinden, diesmal aber auf Deutsch, erachtete nicht einmal die für solche populistischen Parolen empfängliche Berliner Politikblase für erörterungswürdig.
Die vom SPD-Nachwuchs und der Linkspartei vorgeschlagenen Enteignungen scheiterten an fehlenden Umsetzungsmöglichkeiten. Der von sozialdemokratischen, grünen und linken Politikern ausgerufene Massenwechsel zu Portalen wie Bluesky und Mastodon an der Gefolgschaftstreue der Bürgerinnen und Bürger.
Von der Leyens Liebe zu X
Nicht einmal Ursula von der Leyen verabschiedete sich von X, diesem weitgehend unkontrollierten Hassportal, das Ferda Ataman, die frühere Redenschreiberin Armin Laschets und heutige unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, schon im Herbst 2023 zum "Desinformations-Netzwerk" erklärt hatte. Die Not der Politik, wenigstens hier und da noch Menschen mit Botschaften zu erreichen, Zeichen zu setzen und - etwa nach bedauerlichen Einzelfällen - die unabänderliche Trauerroutine abzuspulen, zwingt zu einem Pakt mit dem Teufel.
Nach den selbstgemachten europäische Datenschutzregeln dürfte Ursula von der Leyen seit Jahren schon keine Zeile mehr bei X schreiben. Doch die früher als "Zensursula" verspottete Christdemokratin muss die diesbezüglichen Entscheidungen der höchsten europäischen Gerichte ignorieren, will sie überhaupt noch wahrgenommen werden.
Europa im Teufelskreis
Ein Teufelskreis. Je mehr Follower offizielle europäische Stellen bei den US-Giganten sammen, desto größer wird die Menge der in die USA übermittelten personenbezogenen Daten von Europäern. Die dürfen dorthin nur gelangen, wenn garantiert ist, dass das in Europa durch die Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) gewährleistete Schutzniveau gewahrt bleibt. Das ist bei einer Speicherung in den USA oder auf Servern einer US-Firma nicht der Fall, weil sämtliche US-Geheimdienste jederzeit Zugriff haben.
Der Komission hat das nie gefallen, wurde sie doch durch jeden einezelnen Post der Kommissionschefin blamiert. Doch mangels anderer Vertriebswege für die Amtsnachrichten blieb Brüssel wie Berlin darauf angewiesen, das verhasste Pferd des verabscheuten Milliardärs Elon Musk zu reiten. Der Aufbau neuer, staatlich kontrollierter europäischer Angebote kam einfach nicht in Gang.
Gipfel der Peinlichkeit
Gipfel der Peinlichkeit: Selbst die vom zersurfreudigen EU-Parlamentarier Axel Voss mitbegründete "Democratic Tech Alliance", eine Aktivistenrunde, die sich den Kampf gegen US-Konzerne im Netz auf die Fahnen geschrieben hat, ließ ihre Domain https://democratic.technology von einem US-Dienstleister registrieren. Dafür aber ignorieren die Kämpfer für ein souveränes digitales Europa die europäischen Datenschutzvorgaben: Ihre Seite hat weder ein Impressum noch wird ein Verantwortlicher benannt, es gibt keine Telefonnummer und keine Datenschutzerklärung.
Damit muss Schluss sein, das hat die Brüsseler Kommission mit ihrer Geldstrafe für X klargemacht. Was aussieht wie ein selbstmörderischer Angriff auf "alle amerikanischen Technologieplattformen und das amerikanische Volk", wie es US-Außenminister Marco Rubio nannte, ist in Wirklichkeit der brachiale Versuch einer Entfesselung. Mit dem sichtlich vorgeschobenen Argument, X werde "wegen mangelnder Transparenz bei Werbung und Nutzerkonten" bestraft, versucht sich Brüssel an einem Befreiungsschlag.
Vorbild Rückbau der Gasnetze
Vorbild ist der in Deutschland bereits gestartete Rückbau der Erdgasnetze. 511.000 Kilometer Röhren und Leitungen, die sich durchs gesamte Land ziehen, Millionen von Häusern versorgen und nebenher 360 TWh Energie speichern - etwa ein Zehntel des jährlichen Primärenergieverbrauchs in Deutschland - sollen in den kommenden 20 Jahren aus der Erde gerissen und evrschrottet werden. Wie dann weiterversorgt werden wird, ist bislang nicht ganz. Doch es herrscht großer Optimismus: Kommt kein Erdgas mehr aus der Leitung, weil keine Leitung mehr da ist, werden sich die Menschen anders zu behelfen wissen, wenn es kalt wird
Das ist auch die Logik, der die EU-Kommission mit ihrem brüsken Vorgehen gegen den Onlinedienst X folgt. Die Begründung, X habe Nutzerkonzten "irreführend authentifiziert", weil Menschen hätten glauben können, dass hinter den Konten mit den Häkchen echte, verifizierte Nutzer stehen, ist so vorgeschoben wie sie klingt.
Freihändig festgelegte Strafe
Die EU gibt das auch zu, indem sie erklärt, dass die Strafhöhe willkürlich festgesetzt worden sei. Als private Firma gibt X die Umsatzzahlen nicht bekannt, an denen sich die mögliche Strafzumessung laut Digital Service Act zu orientieren hat. Freihändig legte eine öffentlich nicht genannte EU-Instanz das Bußgeld deshalb auf 45 Millionen für die Häkchen, 40 Millionen für einen "fehlenden Datenzugang für die Wissenschaft" und 35 Millionen für "fehlende Transparenz bei Werbung" fest.
Dass X zahlen wird, erwartet niemand. Brüssel wartet vielmehr auf die Weigerung der Firma, sich den Vorgaben der Kommission zu unterwerfen. Daraus ließe sich Honig saugen: Mit Hilfe von DNS-Sperren könnte X in der EU verboten werden. Störrische Weiternutzer liefen Gefahr, selbst belangt zu werden. damit wäre endlich ein Hebel gefunden, Bürgerinnen und Bürger nach russischem und chinesischem Vorbild auf streng kontrollierte und überwachte staatliche Portale umzuleiten.
Nicht nur Amerika ist kampflustig
"Die Zeiten, in denen Amerikaner im Internet zensiert wurden, sind vorbei", hatte Marco Rubio nach der Kriegserklärung aus Brüssel kampfeslustig gepostet. Doch der 54-Jährige aus Florida wird sich eines Besseren belehren lassen müssen: Für den Traum der digitalen Reichsbürger um Axel Voss, Robert Habcek und Ursula von der Leyen ist die eingeleitete Trennung zwischen europäischem und amerikanischem Internet ein Gamechanger.
Jetzt gilt keine Ausrede mehr. Sind ie technisch überlegenen US-Portale erst unzugänglich, gibt es keine Zugriffsmöglichkeiten mehr auf Software von Microsoft, Smartphones von Apple und E-Autos von tesla, werden sich europäische Lösungen auch durchsetzen, wenn sie vielleicht noch unter einer Reihe von kleinen Kinderkrankheiten leiden. Die Allianz der Souveränisten hat den einzigen Weg gefunden, derhinausführt aus dem digitalen Gefängnis US-amerikanischen und chinesischen Übermacht bei Hochtechnologien.
Fleißig verforschte Fördermilliarden
Es hilft kein Wünschen gegen Microsoft, keine Beschwörungen des Bundeskanzlers, dass ja auch der deutsche Konzern SAP ein Riese sei und an vielen deutschen Universitäten fleißig Fördermilliarden verforscht würden. Erst eine feste Außengrenze für fremde Technologien verschafft dem verspäteten Kontinent die Atemluft, endlich Software aus regionalen Anbau zu nutzen und Plattformen aus der Nachbarschaft, auf die für die Meinungsfreiheit zuständigen Behörden Tag und Nacht ein Auge auf die Nutzer*innen haben.
Das Modell der "Selbstverwalter", die sich als diesem Staat nicht zugehörig fühlen und oft im Zuge eines privaten Rituals ihren Austritt aus der der Bundesrepublik erklären, indem sie sich etwa zu Reichskanzlern von Gartengrundstücken ernennen, wird hier in die Welt des Digitalen übertragen. Statt über die technologsiche Übermacht der ausländischen Konzerne zu wimmern und zu klagen, wird denen der Marktzugang genommen.
Abgeschirmtes Elektro-Europa
Wie Barbarossa aus seiner Gruft entsteht streng abgeschirmten Elektro-Europa dann fast zwangsläufig ein eigenes Biotop aus Ersatzpflanzen. Unbehelligt von der sie bisher gnadenlos erdrückenden Kunkurrenz werden sie wachsen und blühen können - getreu der Forderung von Friedrich Merz, der gesagt hatte "Wir müssen raus aus der Abhängigkeit von US-Techfirmen".
Mit der Abstrafung von X ist der erste Schritt zur Abkopplung von Apple, Google und Microsoft getan. Europa kann die Dominanz der amerikanischen Technologiefirmen brechen, wenn es gelingt, Schluss zu machen mit der "Nebenrolle, die Firmen aus Europa spielen" (Friedrich Merz). Digitale Souveränität ist kein Hexenwerk, das haben Staaten wie die Türkei, der Iran und China vielfach bewiesen.
Vor Wochen schon sah der deutsche Bundeskanzler Europa auf einem "schwierigen, aber machbaren Weg hin zur digitalen Souveränität", für die er "alles zu tun" bereit war. Die Vergrämung von X ist so gesehen auch ein Testfall: Wie schnell lassen scih digitale Grenzen hochziehen? Wie können sie gesichert werden? Und wie hoch muss der Verfolgunsgdruck sein, um Abweichler und Feinde der gemeinsamen meinungssichernden europäischen Lösungen abzuschrecken?


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