Dienstag, 24. August 2021

Klimasommer-Alarm: Herbststürme im Hochsommerregen

Ein Warnung des Weltklimarates, die mit jedem Regentag realistischer scheint.

Langsam wird er wirklich vorstellbar, der Alptraum vom rasant ansteigenden Meeresspiegel, vom Landunter überall, nicht nur von Fluten gefressene Küsten, sondern ganze Festländer, in denen sich der Sumpf bis zum Gebirge hinzieht. Eine Realität, die unmittelbar vor der Tür stehen könnte. Es regnet, regnet und regnet, das Ahrtal wird überflutet, die Temperaturen liegen unter Aprilniveau und es regnet immer noch. Die ersten Herbststürme haben schon im Hochsommer das Laub von den Bäumen geschüttelt und erste Schneisen in die dürregeplagten Wälder gefräst.  Schon im Juli lag die durchschnittliche Niederschlagsmenge in Deutschland um rund ein Drittel über dem vieljährigen Mittel. Kein Ausreißer: Auch in den beiden Monaten davor war der sogenannte Soll-Wert deutlich überschritten worden.

Schwummrige Aussichten

Selbst hartgesottenen Klimaleugner wird es schwummrig. Wenn nur sieben der letzten 14 Monate ein wenig zu trocken waren, die sieben anderen aber sehr, sehr deutlich zu nass, dann drückt das Klimaszenarium des Weltklimarates (IPPC) mit Nachdruck in die Realität: 280 Millionen Flüchtlinge durch einen Anstieg des Meeresspiegels hatten die Forschend*innen vor zwei Jahren vorhergesagt, wenn es der Menschheit nicht gelingt, die Erderwärmung unterhalb des Zielwertes von zwei Grad zu stoppen.

Die aktuellen Entwicklungen aber lassen befürchten, dass alle deutschen Anstrengungen  nicht mehr reichen wird. Heute schon zeigt die Niederschlagsentwicklung deutlich, dass es auf einem "wärmeren Planeten einfach intensiver regnet",  wie die Atmosphärenphysikerin Sonia Seneviratne jetzt in der "Zeit" erläutert hat. Gegenwehr ist zwecklos, eine Vorbereitung vergeblich, ist die weltweit führende Expertin für Wetterextreme sicher. Hitzerekorde, extrem starke Regenfälle, Überschwemmungen, Trockenheit, Waldbrände, Dürre, vom Durchschnitt abweichende Wetter überhaupt, , das sei nicht nur die Klima-Zukunft, sondern bereits die Gegenwart. Dass die Anzahl der Tage mit Niederschlagsmengen über 10 Millimeter pro Quadratmeter in Deutschland heute exakt auf dem Wert liegt, der bereits im Jahr 1911 notiert wurde, beunruhigt Sonia Seneviratne: "Die extremen Wetterereignisse sind ein Zeichen dafür, dass der Klimawandel schon heute Wirklichkeit ist", sagt sie. 

Extreme Meeresspiegelereignisse

Nach dem IPPC-Sonderbericht über die Ozeane und die weltweiten Eisvorkommen von 2019 sind die Folgen absehbar. Demnach werden niedrig liegende Millionenstädte und Inselstaaten bis zum Jahr 2050 selbst nach den optimistischsten CO2-Schätzungen jedes Jahr „extreme Meeresspiegel-Ereignisse“ wie Wirbelstürme und Überschwemmungen erleben. Nicht auf dem Zettel hatten die Klimawissenschaftler seinerzeit die Auswirkungen für das Binnenland, die Physiker exakt berechnet haben: Regnet es mehr, verdunstet bei steigenden Temperaturen mehr Wasser, so dass es mehr regnet. Wodurch bei steigenden Temperaturen mehr Wasser verdunstet, dass zu mehr Regenfällen führt. 

Den schrecklichen Preis zahlen Menschen in bisher sicher geglaubten Binnengebieten wie dem deutschen Rurtal oder dem US-Bundesstaat Tennessee: Auch dort regnete es jetzt von Freitagnacht bis Samstagmittag durchgehen, es kam zu sturzflutartigen Überschwemmungen, 22 Menschen starben, "bis zu 30 weitere Personen" (DPA) werden noch vermisst. Tennessee liegt mehr als 500 Kilometer von der nächsten Klimaküste entfernt, hatte allerdings bei der letzten Präsidentschaftswahl deutlich für den dann geschlagenen Klimaleugner Donald Trump gestimmt. Ist das nun die Quittung? Dann ist sie deutlich.

Dauerregen als deutliche Ohrfeige

Aber auch wenn es der Menschheit noch gelingen würde, die Erderwärmung unter zwei Grad Celsius zu halten, hatte der IPCC mit 250 Millionen Flüchtlingen bis zum Jahr 2100 gerechnet. Dabei waren die Forscher bei ihren Modellierungen allerdings davon ausgegangen, dass Städte wie Paderborn, Bremen oder Potsdam bewohnbar bleiben, weil die Fluten selbst im schlimmsten aller Fälle nicht so hoch steigen, dass mehr als die Küstenmetropolen überschwemmt werden. Nun aber steht wegen des Dauerregens aufgrund der steigenden Temperaturen auch das infrage. Selbst wenn die Zahl der durch den Meeresspiegelanstieg Vertriebenen bis 2100 nur bei 100 Millionen oder 50 Millionen läge, könnten Klimafliehende aus Festlandgebieten, die von Stark-, Dauer oder dauerndem Starkregen betroffen sind, die befürchteten Zahlen weiter nach oben treiben.

Die Wissenschaft ist sich sicher, dass es auch einen Einfluss der Sonne gibt, aber einen nur sehr kleinen. Je länger es regnet, desto unwichtiger wird er zudem, wobei der Effekt auf der anderen Seite für eine Abkühlung sorgt, die die Zunahme der Regenmengen zumindest bisher dauerhaft begrenzt hat. der Umstieg der deutschen Energieversorgung auf erneuerbare Regenwassergeneratoren, wie ihn der umtriebige Dessauer Innivator Jens Urban bereits vor Jahren vorgeschlagen hat, gilt deshalb in der erneuerbaren Industrie auch noch als umstritten. Vor allem die Grundlastfähigkeit von Dauerregen wird von Skeptikern angezweifelt.

Wie vor einem Jahr: Corona-Comeback des Kosovo

Wie vor einem Jahr: Deutschlands Mauern halten nicht.

Was haben sie nicht gewarnt, gemaßnahmt, einfach alles getan gesagt, um alles das zu vermeiden. Doch das Wunder vom Sommer 2020, es wiederholt sich in diesen Tagen des zweiten Corona-Jahres. Die Infektionszahlen steigen, auf niedrigem Niveau noch. Die Gesundheitsämter schauen in ein schwarzes Loch, aus dem das Unbekannte quillt. Woher kommen die neuen Fälle? Wer steckt hier wen an? Ist das alles wirklich noch die Folge des EM-Finales in London? Oder wirken die Querdenkerdemos von Berlin auf so verhängnisvolle Weise nach? Tödliche Treffen, die nicht mehr so oft auf die Intensivstationen führen. Aber, würde Karl Lauterbach an dieser Stelle bei Illnerwillplaßbergmaischbergerlanz mit erhobenem Warnfinger anführen.  

Der Tod der Großhochzeit

Traditionelle sächsische und hessische Großhochzeiten jedenfalls, bei der Sommerpremiere im vergangenen Jahr zeitweise als Auslöser dessen ausgemacht, was dann als zweite Welle beinahe vom Bundeswellenbrecherlockdown gestoppt worden wäre, können diesmal nicht verantwortlich gemacht werden. Ausweislich der deutschen Medienberichterstattung ist die Großhochzeit als solche nach den kritischen Beiträge im Sommer 2020 einen schnellen und gründlichen Tod gestorben. Sachsen, Thüringer und Bayern haben offenbar ihre Lehren gezogen und angesichts der Pandemie mit der Tradition gebrochen, sich anlässlich solcher Familienfeste zu Hunderten zum Erregeraustausch zu treffen.

Stattdessen sind die sogenannten "Urlauber" erneut in die Bresche gesprungen. Trotz härtestmöglicher Grenzkontrollen an einer Grenze, die sich "nicht kontrollieren lässt" (Angela Merkel), schlüpfen sie immer wieder durch den cordon sanitaire, den der scheidende Bundesinnenminister Horst Seehofer zum Schutz der Heimat rundherum gespannt hat, damit sich die verhängnisvollen Szenen der Ferien im vergangenen Jahr nicht wiederholen. Einreisende aus Hochrisikogebieten müssen sich zurückmelden, dazu wird gebeten, die Internetseite www.einreiseanmeldung.de zu nutzen.

Hauptimportgebiet für den Virennachschub

Wer das tut, tut das freiwillig, denn Kontrollen der Angaben finden so wenig statt wie Kontrollen dazu, wer überhaupt Angaben macht. Aber immer ist auch an viele Urlauber aus anderen Ländern gedacht: Die Seite gibt es auf Englisch, Russisch, Serbisch, Bulgarisch und Polnisch, Rumänisch und Türkisch und einer ganzen Reihe weiterer Urlaubersprachen. Nicht angeboten wird sie jedoch ausgerechnet in einem Idiom, das sich im letzten Sommer als Hauptimportgebiet für den deutschen Virennachschub erwiesen hatte: Der Kosovo, ein frischgebackenes Hochrisikogebiet, lieferte damals ein Drittel eingeschleppten Ansteckungen. Und damit sagenhafte 11,7 Prozent aller Neuinfizierten in Deutschland insgesamt.

Nun ist es wieder soweit. Unter den in Deutschland registrierten neuen Corona-Fällen, bei denen eine Ansteckung im Ausland vermutet wird, hat sich der kleine, blutjunge Balkanstaat, den die EU seit 2008 langsam zu einer funktionierenden Scheindemokratie aufbaut, wieder als Hauptlieferant etabliert. Mit 329 Fällen lieferte das von der Friedenstruppe „Kosovo Force“ (KFOR) unter Führung der NATO aufrechterhaltene "De-Facto-Regime" (Wikipedia) zuletzt mehr frische Fälle als Spanien (142) und Italien (182) zusammen. Knapp dahinter lag mit Nordmazedoniendemehemaligenmazedonien (222 Fälle) ein weiteres Balkanland, dessen Beliebtheit bei den Deutschen bisher kaum bekannt war.

Niemand rechnete DAMIT

Auch die staatlichen Institutionen in Deutschland sind baff überrascht. Damit hat niemand gerechnet. Nicht einmal Karl Lauterbach, der in den zurückliegenden Monaten nun wirklich vor allem gewarnt hat, war aufmerksam genug, diese Entwicklung vorherzusehen. Auf dem falschen Fuß erwischt  hat die unabsehbare Entwicklung deshalb auch das schlanke, flinke Einreiseportal des Robert-Koch-Institutes: In 13 Sprachen bittet die Seite um digitale Selbststeller. Albanisch ist nicht dabei.

Montag, 23. August 2021

Wie die Taliban Corona besiegten

Zuletzt, kurz vor der friedlichen Machtübernahme durch die Taliban, war die Impfkampagne richtig in Schwung gekommen in Afghanistan. Mit mehr als 700.000 Impfungen in einer Woche, das hatte beinahe deutsche Dimensionen. Afghanistan, das bis dahin eine quasi schwedischen Strategie gegen die Seuche verfolgt hatte, sah Licht am Pandemiehorizont, ohne in die dunklen Keller der Inzidenzdepression hinabgestiegen zu sein.  

Mit nur 150.000 Infektionen und knapp über 7.000 Todesopfern konnte das Land am Hindukusch auf eine Bilanz verweisen, die selbst das von einem weitsichtigen Corona-Kabinett geschickt durch die Krise gesteuerte Deutschland aussehen lässt wie ein gnadenlos verheertes Krisengebiet.

Im Pandemie-Paradies

Afghanistan zählt bei halber Bevölkerung bis heute nur knapp vier Prozent der deutschen Infektionen. Auch die Zahl der Toten im traditionellen Steinzeitland beschämt die hochentwickelte Medizintechniknation in Europa: 7.000 der 38 Millionen Afghanen starben an oder mit dem Virus. In Deutschland mussten hingegen fast 92.000 der 82 Millionen Menschen wegen oder durch Covid-19 ihr Leben lassen.

Nur folgerichtig, dass das Robert Koch-Institut (RKI) bereits Anfang August Konsequenzen zog. Wegen des "allgemeinen Wegfalls" (RKI) der Kategorie "einfaches Risikogebiet" wurde Afghanistan ab dem 01.08. nicht mehr als Corona-Risikogebiet eingestuft. Kurze Zeit später kamen die Taliban, unerwartet und unverhofft, aber schneller als Deutschland aus Kernenergie und Kohle aussteigen konnte. Nicht einmal Karl Lauterbach schaffte es, so schnell vor dem Umkippen zu warnen, wie die Pickup-Mörderbande vorrückte. 

Afghanistan schaffte in den Tagen danach ansatzlos das Kunststück, das zuvor weder Fußball-EM noch Bundestagswahl oder Klimakampf gelungen war: Angeführt von den Taliban avancierte das Land am Hindukusch binnen von nur 96 Stunden zum bestimmenden Thema der deutschen Medien.

Plötzlich Nummer 1

Corona hatte das Nachsehen, obwohl erklärtermaßen eine vierte Welle anrollt, die offiziellen Erklärungen zufolge von keiner Impfanstrengung mehr rechtzeitig gebremst wird gebremst werden können. Auch Beloruslanddasfrühereweissrussland, die Plagiatsaffäre der Grünen, die von Joe Biden Anfang August versprochene "baldige"  Aufhebung des travel ban für deutsche Urlauber und alle anderen Themen verschwanden zumindest kurzfristig von der Agenda.

So weg Afghanistan all die Jahre zuvor war, wenn nicht gerade der Bundestag nach ausgiebiger Prüfung der Lage und eingehender Beratung die deutschen Ausbildungsmission verlängerte, so da war das Land auf einmal. Ein Triumph der Taliban weit über Kabul und die umliegenden Regionen hinaus. Bis in die allgemeinbildenden deutschen Gemeinsinnsender entwickelten sich die häufig spöttisch als "Wickelköpfe" bezeichneten Gotteskrieger zum einigenden Band aller aktuell-politischen Sender. 

Inzwischen hat sich die Lage wieder normalisiert, Corona hat sich zurück an die Spitze gekämpft. Einmal mehr ist eine Stichflamme verloschen, unbemerkt und unbetrauert. Passiert ist passiert. Jetzt gilt der ganze Kampf den Ortskräften und deren Integration in Deutschland. Der Streit darum, wie viele, wer und ob gesamteuroäpisch oder doch in der Türkei, bietet Stoff für mindestens noch eine Woche Wahlkampf ohne dass über Corona gesprochen werden muss.

Merkels Markenzeichen: Die Erben der Raute

Die Kanzlerin (l.u.) und ihre Nacheiferer: Armin Laschet, Annalena Baerbock, Olaf Scholz - im Uhrzeigersinn.

Künstler, Politiker, Öffentlichkeitsarbeiter, sie alle suchen stets nach Signets, nach trademarks und optischen Zeichen, die sie unverkennbar machen. Karl Lagerfeld hatte seine Lederhandschuhe, Che Guevara die Baskenmütze, Erich Honecker trug Hütchen, Hitler hob die Hand über die Schulter und Barack Obama ließ den Binder weg. Bei Angela Merkel ist die Konsequenz ihrer Imagebildung von Anfang an weltweit bewundert worden: Wie die Kanzlerin sich ein für allemal entschied, als stabile Silhouette in die Geschichte einzugehen. Wie sie mit kargen Gesten ein calvinistisches Berufsverständnis offenbarte. Und schließlich, wie sie sich auf Anraten der Wuppertaler Fotografin Claudia Kempf bei einem Fotoshootings im Jahr 2002 entschloss, sich eine typische Handhaltung zuzulegen, die heute als "Merkel-Raute" im Museum für Deutsche Geschichte hängt.

Markenzeichen Merkels

Ein Markenzeichen, das beruhigt, beschwichtigt und beschäftigt. Über beinahe zwei Jahrzehnte hat Angela Merkel mit ihren nachdenklich aneinandergelegten Fingern Krisen ausmoderiert, Koalitionen geschmiedet, Atom und Braunkohle beerdigt, Europa und zahllose Flüchtlinge gerettet. Längst gilt es im politischen Berlin als sicher, dass der innere Energiefluss der Bioströme in der Kanzlerin durch die zum Kurzschluss Kontakt aufnehmenden Fingerspitzen ein Gutteil des Erfolgsrezeptes der gebürtigen Hamburgerin mit ostdeutschen Wurzeln ausmachen. Merkel speist sich energetisch auf ähnliche Weise selbst wie der berühmte indische Hunger-Yogi Prahlad Jani, der nach Recherchen des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" 65 Jahre ohne Speis' und Trank auskam.

Jani starb im vergangenen Jahr, nachdem er seinen Hungerrekord auf 76 Jahre hatte ausweiten können, Angela Merkel aber kann noch guter Hoffnung sein, dass ein entsprechender Ausgang der Bundestagswahl mit zeitraubenden Koalitionsverhandlungen ihr Gelegenheit geben wird, Helmut Kohl vom Thron des am längsten regierenden Deutschen zu stoßen. Am 16. Dezember 2021 wäre soweit, knapp drei Monate nach der Bundestagswahl. Angela Merkel hätte dann erreicht, was noch niemand vor ihr geschafft hat: Ihr Land mehr als anderthalb Jahrzehnte durch Krise um Krise zu steuern, viele davon selbstgemacht und andere so lange unterschätzt, bis Wundherde sich entzündet hatten. 

Ein dicker Krisenvorrat

Im Erbe der ewigen Kanzlerin ist aber auch für die oder den Nachfolger noch einiges an Krisenvorrat versteckt. Merkel, die stets von hinten dachte, hat vorn immer nur abgebügelt und - gern durch sogenannte "Ausstiegsbeschlüsse" - akute Problemverschiebung betrieben. Wirklich beantwortet wurde während ihrer Dienstzeit keine Zukunftsfrage. 

Von der perspektivisch unsicheren Rente bis zur auseinanderstrebenden Europäischen Union, vom Schuldenberg der öffentlichen Hand, der Ratlosigkeit bei der Entwicklung von digitalen Industrien bis zum Energieausstieg ohne Plan, woher denn dann der Strom kommen soll: Merkel war groß im Beschließen dessen, was werden soll.  Die Umsetzung all der Pläne für europäische Armeen, demokratisierte Fremdstaaten, integrierte Zuströme oder fantastische Wasserstoffwirtschaften überließ sie am liebsten Gang der Dinge in einer weit entfernten Zeit jenseits ihrer Tage im Amt.

Muttis Botschaft

Es wird kein verlockender Job werden, das Land mit Rudern, die kaum noch ins Wasser reichen, wieder auf Kurs zu bringen. Längst glaubt das Volk an "Muttis" (Spiegel) Botschaft. "Anstrengungsloser Wohlstand" (Guido Westerwelle) ist möglich, ja, er ist sogar verdient. Deutschland ist "das reichste Land der Welt" (ZDF), es mangelt nicht am Geld, gerettet wird, wer nur laut schreit, niemand braucht mehr Industrie, niemand braucht Mühe oder Entschlossenheit, Lebensrisiken sind vermeidbar und ein betreutes Leben ist der Traum jedes vernünftigen Bürger*inseienden. 

Deutschland aufzuwecken, braucht es vermutlich Fingerschnipsen, sondern einer geduldigen, Jahre währenden Umerziehung. Den Enkeln der Wirtschaftswunderkinder klarzumachen, dass es so zwar weitergehen kann, aber nicht mehr sehr lange, hat sich jedoch keiner der drei Bewerber vorgenommen. Niemand rüttelt am Zaun, niemand trommelt für einen Neuanfang. Stattdessen üben Baerbock, Laschet und Scholz die Raute (Fotos oben), als suchten sie Zugang zu Merkels geheimen Eigenenergieströmen.

Ohne Spannkraft und Energie

Mit unterschiedlichem Erfolg: Bei Armin Laschet (links oben) sieht die Merkel-Raute zerbrechlich aus, sie ist ohne Spannkraft und Charisma. Annalena Baerbock hingegen imitiert absichtsvoll schlampig. Statt einer sauberen Raute, bei die Fingerspitzen aufeinandergesetzt werden, verschränkt sie die Finger und stellt nur die Daumen gegeneinander. Innere Energie fließt so nicht, sie wird blockiert und - den Erkenntnissen der Grünen Physik zufolge - in den Handwurzelknochen gespeichert. 

Eher konfrontativ auf einer staatsmännischen Ebene geht Olaf Scholz mit der Vorgabe um, dass der kommende Kanzler*In die Raute als geheimen Händedruck der Macht zeigen müsse: Für die Süddeutsche Zeitung stellte Scholz Merkels mächtigste Beschwörungsgeste nach, ohne deren Kern imitieren zu können. Seine Hände hängen spannungslos nach unten, seine Daumen scheinen sich kaum zu berühren. Die Geometrie der Scholz'schen Raute ist formal korrekt, korrekter jedenfalls als die dahingeschluderte Anmutung bei Baerbock und Laschet. Die Ambition des Sozialdemokraten aber lässt sich aus seiner Variante der Raute deutlich herauslesen: Scholz ist der beste Merkel, der für kleines Geld zu haben ist. Aber große Ansprüche darf niemand haben.

Sonntag, 22. August 2021

Bundestagswahl: Geteilter Himmel


Drei Jahrzehnte deutsche Einheit, und nichts ist einig im Land des viermaligen Fußballweltmeisters. Sah es gerade noch nach einem knappen, aber sicheren Sieg des Dauersiegers Union aus, angetrieben von einer beruhigenden Impfkampagne und dem milden Vergessen, das langsam über das desaströse Pandemiemanagement von Bundes- und Landesregierungen fällt. Das Kampfziel von CDU und CSU war früh klar. Einfach stärkste Partei werden, dann wird man sich den oder die künftigen Kabinettskollegen aussuchen können, so spekulierte Armin Laschet, der von sich selbst weiß, dass er der falsche Kandidat zur falschen Zeit ist. Aber in der Gewissheit antritt, dass es nicht darauf ankommt, wer sich in einem Feld aus Angeschlagenen und Lahmen als Erster ins Ziel schleppt.

Spannungen am Graben

Was Laschet unterschätzt hat, ist die tiefe Spaltung, die sich auch im 31 Jahr nach dem Anschluss der Ostgebiete quer durch Deutschland zieht. Waren es vor vier Jahren noch ausschließlich die Transfergebiete im Norden, die dem damaligen SPD-Kandidaten Martin Schulz zu folgen bereit waren, hat dessen Nachfolger Olaf Scholz inzwischen neun der 16 Bundesländer in SPD-Hochburgen verwandelt. Im Westen wie im Norden wäre die SPD aktuellen Projektionen der Demoskopen zufolge stärkste Partei, wenn jetzt schon Wahltag wäre. Im hohen Norden, im tiefsten Süden und in der Hauptstadt hingegen verfängt die rechtsextreme Kampagne gegen die grüne Spitzenkandidatin Annalena Baerbock nicht - hier wären die Grünen stärkste Partei. Im Süden des Ostens dagegen schneidet die Schwefelpartei am besten ab. Eines Sieges sicher sein kann sich die Union momentan nur noch in Sachsen-Anhalt und Bayern. 

In vier Wochen droht der deutschen Christdemokratie ein Desaster, gegen das die Pleite von Kabul wie bloßer Kosmetikschaden wirkt, den geduldiges Zeitspiel, ein paar Schuldeingeständnisse und der Verweis auf ungünstige Umstände schnell vergessen zu machen versprechen. Doch gegen eine totgeglaubte Partei wie die SPD zu verlieren, dürfte in der CDU das Unterste zuoberst schütteln: Laschet wäre erledigt, doch auch hinter Laschet ist ja nach 16 Jahren Angela Merkel niemand mehr, der mit den Füßen trampelt und den das Volk unüberhörbar ruft.

Hoffnungszeichen Scholz-Graben

Schlimm für die Karriereaussichten der aktiven Führungsgremien, gut aber für Deutschland, das die vielbeklagte Trennung von Ost und West erstmals sichtbar überwunden hat. Hatte der Schulz-Graben seinerzeit schon angedeutet, dass die Wunden des Kalten Krieges langsam schließen, zieht sich der Scholz-Graben nun so deutlich an einer Demarkationslinie entlang, die nicht mehr mit Ost und West zu tun hat, dass das - 1990 vorfristig gestrichene - Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes nunmehr als erfüllt gelten kann.

Die Teilung verläuft nun endlich quer, nicht mehr längs, Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen und Brandenburg, aber auch Sachsen-Anhalt und Bayern sind einander ideologisch näher als das Saarland und Schleswig-Holstein oder Niedersachsen und Baden-Württemberg. Die letzten reste der alten DDR lassen sich in Thüringen und Sachsen besichtigen: Zwei failed states in unterschiedlichen Entwicklungsstufen heute schon, Demokratielabore wie auch Sachsen-Anhalt, das zumindest für die kommende Legislaturperiode safe ist mit einem neuen Magdeburger Modell, das in der Weimarer Republik Premiere hatte, seit den 50er Jahren aber nirgendwo mehr ausprobiert wurde. 

Mehr Einheit war nie

Blaue Inseln im roten Meer, an dessen Ufern grüne Strände sprießen. Endgültig geht hier vor aller Augen ein Zeitalter zu Ende, das nur ostdeutsche Mündel und westdeutsche Meister kannte, trotzige Wähler*innen der Linkspartei hier und unbelehrbare Anhänger des Wohlstands für alle der Kohl-Ära dort. Mittlerweile ist das Bild gemischt, die Interessen sind divers geworden.  Es kommt nicht mehr darauf an, dass die Spitzenkandidaten aller Parteien aus dem Westen Deutschlands stammen, auch die, die aus taktischen Gründen im Osten antreten. Es zählt nicht mehr, wer wo früher seine Stammlande hatte. Das neue Deutschland ist bunt, ein Flickenteppich aus fröhlichen Farben.Und über den blühenden Landschaften liegt ein geteilter Himmel.

Lustreise zur Klimaretterin: Tiefschlag für den Globus

In Deutschland unwirksame selbstgenähte Masken, kein Abstand: In Stockholm demonstrierte die Weltklimabewegung zum Jahrestag, was sie von einer regelbasierten welt hält.

Drei Jahre, die die Welt verändert haben. Als sich die minderjährige Schwedin Greta Thunberg damals mit einem selbstgemalten Plakat vor das schwedische Parlament setzte, um ihr Heimatland, das seit 1991 eine CO2-Steuer erhebt, aufzufordern, das Weltklima zu retten, ahnte noch niemand, wie schwer es drei Jahre später sein würde, nach Schweden zu reisen, ohne sich Vorwürfe machen lassen zu müssen, dass jeder zurückgelegte Meter dazu beitrage, die Erde noch schneller in einen menschengemachten Abgrund aus Erwärmung, Golfstromversagen und schmelzendem Gletschereis zu stürzen. Erst recht in Zeiten der Seuche, in denen Schwedens Sonderweg als menschenverachtende Ignoranz einfachster wissenschaftlicher Erkenntnisse gilt. Das Auswärtige Amt rät aktuell von nicht notwendigen, touristischen Reisen nach Schweden ab, aus Klimasicht betrachtet verbietet es sich sowieso, zu reisen, wenn es nicht unbedingt sein muss.

Exotische Reise in Pandemiezeiten

Die deutsche Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer ist allerdings niemand wie jedermann. Bricht sie nach Schweden auf, ist das ein Zeichen an die Welt: Holger, der Kampf geht weiter! Doch als sie sich aufmachte, um gemeinsam mit der schwedischen Klima-Aktivistin Greta Thunberg am Vormittag vor dem Parlament in Stockholm für mehr globalen Klimaschutz zu streiken und der Bundesregierung in der Klimapolitik „umfassende Strategielosigkeit“ vorzuwerfen, brauchte es dennoch große Bemühungen der Presseabteilung von Fridays for Future und eine ernsthafte Bereitschaft der solidarischen Leitmedien, alle Fragen über die Klimafolgen der exotischen Reise in Pandemiezeiten auszublenden. 

Hatte sich Greta Thunberg bei ihrer berühmten Sommerreise nach Amerika vor zwei Jahren noch demonstrativ von einem Klimaschiff aus umweltschädlichem Kohlenstoffverbundmaterial, aber immerhin gefühlt klimaneutral über den Atlantik bringen lassen, dringen über Neubauers Transportmittel keiner Nachrichten in die Öffentlichkeit. Sie sei "gereist" (RP) heißt es, und sie "besuche" Thunberg - eine 2.000-Kilometer-Reise, die für die auch als "Langstreckenluisa" bekannte hauptamtliche Ehrenamtlerin überschaubar ist. Für das globale Klima jedoch ein Tiefschlag.

Belastende Mahnmission

Per Flug durchgeführt, belastet die Mahnmission die Atmosphäre mit fast 0,4 Tonnen Klimagas, eine Autofahrt würde mit 0,3 Tonnen fast ebenso klimateuer werden. Selbst per Bahn produziert die 16-stündige Reise, die sicher mit wenig Aufwand auch pandemiegerecht als Online-Solidaritätskonferenz hätte durchgeführt werden können, weit mehr als 100 Kilogramm Kohlendioxid zusätzlich zum ohnehin schon überzogenen deutschen Jahreslimit. Naheliegend, dass die deutsche Klimabewegung auf diese ernüchternden Zahlen nicht eingehen will. Stattdessen versucht Luisa Neubauer, routiniert von der eigenen Klimalast abzulenken, indem sie die Bundesregierung auffordert, damit aufzuhören, ihr Handeln "schönzureden".

Die eigene Lustreise zur Mutter der Klimabewegung, eine Pilgerfahrt, um "drei Jahre Klimastreik zu feiern" (RND) und lange schwelende Meinungsverschiedenheiten über die Radikalität der weitgehend eingeschlafenen Bewegung beizulegen, trägt von innen gefühlt nicht zur "globalen Erderwärmung" (RP) bei, sondern ist ein "gemeinsames Zeichen", dass "auf die politischen Parteien in Deutschland kein Verlass" sei. Besonders harsch beklagt Neubauer, dass nach dem Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichtes nicht einmal mehr der Katastrophen-Sommer mit Flut, wechselhaftem, Wetter und Waldbränden zu einer erneuten Diskussion um einen noch früheren Kohleausstieg geführt habe. 

Luisa Neubauers klimaschädlicher Abstecher nach Schweden hat daran auch nichts ändern können. Selbst im Mutterland der Klimabewegungsmutter verpuffte das Gipfeltreffen der beiden Galionsfiguren: Die Jubiläumsdemonstration von zwei Dutzend jungen Menschen mit in Deutschland unwirksamen handgenähten Volksmasken wurde medial ignoriert.

Samstag, 21. August 2021

Zitate zur Zeit: Mit Divisionen, die es nicht mehr gibt

Das Adenauerhaus kommt mir manchmal wie die Reichskanzlei im April/Mai 1945 vor, ihr arbeitet mit Divisionen, die es nicht mehr gibt, und schickt Rentner und die JU auf die Straße.

Der Spiegel berichtet aus der wahlkämpfenden CDU-Zentrale

Franziska Giffey: Alles nur geklaut

Gekämpft, und doch verloren, um dann doch noch zu gewinnen. So sah die Geschichte aus, die Franziska Giffey im vergangenen Jahr präsentierte. Ungebeugt und ungebrochen legte die SPD-Hoffnungsträgerin erst ihren Doktortitel ab, schnell noch, ehe er ihr dann fortgenommen wurde. Dann verzichtete sie auf ihr Ministeramt, unschuldig verfolgt und sicher, dass die große Geste reichen würde, schon ein Jahr später als Regierende Bürgermeisterin ins Berliner Rathaus gewählt zu werden. Das alles geschah nach Ansicht ihrer Verteidiger nur, weil Giffey eine Frau ist. Angesichts der üblichen Gepflogenheiten im politischen Raum hatte die Berlinerin ja eigentlich auch nicht Unübliches getan.

Multitalent mit Marschallstab

Ein bisschen abschreiben hier, ein bisschen stiebitzen dort. Spätestens seit Baerbock und Laschet ist offenkundig, was Leserinnen und Leser von Politikerbüchern seit Jahren wissen. Schrieb Winston Churchill seine werke noch selbst, bleibt dazu im Getümmel heute keine Zeit. Man lässt schreiben und man schreibt ab, das Buch ist das Ziel, oder der Doktortitel, nicht die Arbeit daran. Ehrenrührig wurde das erst, als mit Guttenberg und Schawan zwei Multitalente mit Marschallstab im Tornister beim Eingehungsbetrug ertappt wurden.

Giffey war ein vergleichsweise leichter Fall, die Frau aus Frankfurt an der Oder hatte nur große Teile ihrer Doktorarbeit abgepinselt. Die SPD fand nichts daran, die überführte Betrügerin als Spitzenkandidatin aufzustellen, andere Bestehlen, so die Botschaft an alle Schülerinnen und Schüler im Lande, ist eine lässliche Sünde, schließlich fehlt denen ja nach dem Raub ihres geistigen Eigentums nichts.

Gestöändnis als Buße

Giffey war danach wieder sauber, ein Geständnis als Buße reicht längst, wo früher Sack, Asche und ein paar Jahre Bewährung in der Produktion die Mindesstrafe gewesen wäre. Nur haben die Feinde der ausgeschiedenen Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eben nicht geruht. Ausgerechnet der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch, ein bekannter Verteidiger des von oben kontrollierten Sprachgebrauchs, hat sich in den zurückliegenden Monaten mit der Masterarbeit der Politikerin beschäftigt. Und auch in der schmalbrüstigen Ausarbeitung Giffeys typische Handschrift entdeckt: Ja, auch hier ist alles nur geklaut.

Seitenweise habe Franziska Giffey auch in ihrem Frühwerk Fremdes montiert, durchgepaust und weggemops, was ihr passend erschien. "Schwer vorstellbar, dass es der Verfasserin nicht bewusst war", befindet Stefanowitsch, ein Fachmann für konstruktionsgrammatische Untersuchungen analytischer Kausativkonstruktionen, der als Professor an der Freien Universität regelmäßig Abschlussarbeiten korrigiert, wie es beim T-Online heißt. "Flächendeckend" sei Franziska Giffey, damals noch unter dem Mädchennamen Süllke, aber bereits mit einem Berufsabschluss als Diplom-Verwaltungswirtin, die Regeln des wissenschaftlichen Zitierens missachtet. 

Die Kunst der Verstellung

Der "Master of Arts", den die spätere Ministerin trägt, zeigt sie als Meisterin in der Kunst der Verstellung. Eines Tages wird sie versichern, ihr seien bei ihrer Dissertation "Fehler unterlaufen", die sie sehr bedauere, doch wer 62 Mal nicht korrekt zitiert und halbe Seiten wörtlich übernimmt, der tut das nicht aus Versehen. Sondern womöglich, weil er neben seiner Tätigkeit als Europabeauftragte eigentlich keine Zeit hat ein Studium für Europäisches Verwaltungsmanagement an der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege Berlin zu absolvieren. Ja Rechtspflege.

Etwa so also, wie Annalena Baerbock keine Zeit hatte, ein Buch zu schreiben, als sie eins schrieb. Offenbar aber glaubt die Generation der beiden Frauen, dass Stärke bedeutet, zu tun, was man nicht kann, statt bei dem zu bleiben, was man vermag. "Das Muster, nach dem die Masterarbeit verfasst ist, erinnert stark an das, was auch bei der Dissertation festgestellt wurde", sagt Anatol Stefanowitsch, er könnte aber auch weiter gehen und sagen: Das Muster zieht sich durch das Gesamtschaffen einer Generation, die in globalen Allmachtsfantasien lebt, dabei aber nie gelernt hat, sich die Schuhe selbst zuzubinden. Werden Fehler gefunden, "beruhen diese auf Flüchtigkeit", denn alles sei "nach bestem Wissen und Gewissen gefertigt", wie Giffey auf Anfrage mitteilen lassen hat. 

Konsequenzen hat die Spitzenkandidatin nicht zu befürchten. Das Freche, das Unverfrorene, das bei Wulff, Schawan und Guttenberg noch spektakulär scheiterte, es ist inzwischen unbezwingbar geworden.

Freitag, 20. August 2021

Olafs Übermut: Komplize des Klassenfeindes

Ein Gespenst geht um in Europa, das Gespenst des Kapitalismus.

N
irgendwo sonst als in Deutschland hat Friedrich Engels so tiefe Spuren hinterlassen mit seiner Verdammung der Kapitalmärkte. Seit der klassische Vordenker des späteren Kommunismus Kapitalanleger aller Art zu "Kuponschneidern" erklärt hatte, die auf Kosten anderer vom Nichtstun leben, ist das Ansehen von Investoren hierzulande grundsätzlich das von "Spekulanten", wie sie der frühere SPD-Chef Franz Müntefering stets nannte. Wer Geld  in anderer Leute Ideen steckt, der hat welches übrig, so versichert die ur-sozialdemokratische Logik, die denjenigen nicht ohne die peinliche Frage gehen lässt, wie das denn aber sein kann.  

Komplizen des Klassenfeindes

Aus Schuld wächst Schuld und wer anlegt, wird zum Komplizen des kapitalistischen Klassenfeindes. Engels' Kollege Karl Marx verstand Kapital als Wert, der sich verwertet, indem er wächst, wenn  er Lohnarbeiter ausbeutet. Für die deutsche Sozialdemokratie stand deshalb mehr als hundert Jahre lang im Mittelpunkt aller Bemühungen um soziale Gerechtigkeit im Alter, jede regulatorische oder organisatorische Maßnahme zu vermeiden, die ganz gewöhnliche Bürgerinnen und Bürger in näheren Kontakt mit dem Kapitalmarkt hätte bringen können. Die Rente, sie war auch so sicher, zwar in unbekannter Höhe und mit unklarem Zeithorizont. Aber wenigstens, ohne dass der deutsche Wählende, der seinerzeit noch als "Wähler" bezeichnet wurde, vom Blut der globalistischen Heuschrecken trinkt.

War es nun Fahrlässigkeit? War es Übermut angesichts der vielversprechenden Umfrageergebnisse? War es ein gedankenloser Rückfall des KanzlerInnenkandidaten der SPD in seine Cum-Ex-Figur? Olaf Scholz jedenfalls, von seiner strikt linken Parteiführung als moderater Konsenskandidat installiert, um Stimmen in der Mitte eines Wählerpotenzials abzufischen, dem beim Gedanken an eine kompletten Verstaatlichung der Wirtschaft unwohl wird, hat es getan: In einem Interview mit „Business Insider“ riet der Sozialdemokrat Bürgerinnen und Bürgern dazu, Geld in den Kapitalmarkt zu stecken. Er jedenfalls rate "jedem und jeder, zusätzlich etwas für das Alter zu tun“, sagte der Kanzlerkandidat. Dazu gehöre es aus seiner Sicht, "in Aktien zu investieren - das sollte man machen."

Olafs offener Verrat

Aus Sicht der deutschen Arbeiterbewegung, der der Kapitalismus im derzeitigen Stadium als das parasitäre, faulende und sterbende Zeitalter des Imperialismus gilt, kommt Scholzens Aufruf einem offenen Verrat gleich. Das linke Glaubensbekenntnis ruht auf der Erkenntnis, dass "nur der Staat kann, was nur der Staat kann" (Franz Müntefering), so etwa, die Hälfte allen Erwerbseinkommens seiner Bürger*/-Innen für sich zu reklamieren - immerhin fünfmal mehr als die katholische Kirche mit ihrem Zehnten in ihrer Blütezeit abzuzapfen schaffte.

Eine beeindruckende Leistung, die angesichts der Vermögensverteilung in Europa, der selbst von den langjährigen Regierungsparteien unisono beklagten maroden Infrastruktur, der überall sichtbaren Rückstände bei der Adaption neuer Technologien und der Jahr für Jahr wachsenden Armut weiter Bevölkerungsteile allerdings Fragen aufwirft. Wo verschwindet das ganze Geld eigentlich? Und wenn es nicht weg ist, wer hat es dann? Wieso war es die norwegische Arbeiterpartei, die 2006 einen Staatsfond gründete, der für jede Norwegerin und jeden Norwegerin bis heute 217.000 Dollar in Aktien angespart hat? Und nicht die deutsche Sozialdemokratie? Die damit verantwortlich dafür ist, dass jeder einzelne Norweger im ersten Quartal des Jahres mehr Vermögenszuwachs aus seinen Fondsanteilen erzielte als seine deutschen Nachbarn mühsam mit ihrer Hände Arbeit zusammenstoppelten?

Die Brandmauer zum Aktienkapitalismus

Auf rund 2.500 Dollar im Monat belief sich das passive Einkommen jedes norwegischen Bürgers aus dem Wertzuwachs des  Oljefondet genannten staatlichen Pensionsfonds zuletzt - während der Spitzenkandidat der deutschen Sozialdemokratie seinen Wählerinnen und Wählern eine sofortige Erhöhung der Mindestlöhne um 2,40 Euro versprach. War das noch eine klare Klassenposition, zeigt Scholz' Spekulationsaufruf nun, dass der Ruf der SPD als Verräterpartei nicht unverdient ist. Hatten sich SPD-AnhängerInnen eben noch darauf verlassen können, dass ihre Partei im Schulterschluss mit der Linken nicht zögern wird, die Heuschrecken, Spekulanten und Manager schnellstmöglich zu enteignen, blinkt Olaf Scholz nun plötzlich rechts, indem er bei den Schutzbefohlenen Ängste schürt, die von der deutschen Arbeiterbewegung so hart erkämpfte staatliche Rente könnte wie schon zweimal in der Geschichte nicht mehr ausreichen, den gewohnten Lebensstandard beizubehalten.

Unverantwortlich für einen KanzlerInnenkandidaten, auch wenn er  derzeit auf einer Erfolgswelle schwimmt. Konnten sich die Menschen bisher darauf verlassen, dass es immer weiter heißen würde "länger arbeiten, mehr Beiträge zahlen, weniger rausbekommen" (MDR), weil die SPD den Staat als Rentengaranten für unersetzlich erklärt hatte, verwirrt Scholz' radikaler Meinungsumschwung nun Millionen. Wenn Scholz Vorschläge macht, wie sie bisher von Friedrich Merz kamen, wie falsch sind sie dann? Was ist aus dem sozialdemokratischen Versprechen geworden, dass der verlassen sei, der sich auf die Aktienmärkte verlasse? Und wer jetzt noch Aktien kaufen will, wie viele Jahre zu spät kommt der?

Aufruf zum Rassismus: Nichts und niemand

"Sonst niemand" meint nichts.

Rassismus gehört ausgegrenzt, sonst niemand", fordert die grüne Wahlkampagne in diesen Tagen ultimativ und Deutschlehrer landauf, landab schlagen die Hände über dem Kopf zusammen. Als wäre die Ökopartei nicht ein gebranntes Kind seit der schiefgelaufenen Verwendung der Großschreibung von "Ihr" im Kleingedruckten der Wahlplakate, ist auch im antirassistischen Furor wieder quergelaufen, was querlaufen konnte: "Rassismus gehört ausgegrenzt. Sonst niemand.", wie es wörtlich heißt, ist weder grammatikalisch noch inhaltlich richtig und es wird schon gar nicht richtiger dadurch, dass die bei der früheren F.D.P nicht mehr benötigten Satzzeichen hier ökologisch nachhaltig nachgenutzt werden.

Der Rassismus als jemand

Denn um "niemand" zu sein, der allein nur noch "ausgegrenzt gehört", müsste der Rassismus jemand sein, der er nachweislich nicht ist. Bei Rassismus, einer "oft implizit oder unterbewusst praktizierten Lehre beziehungsweise Geisteshaltung zur Rechtfertigung von Diskriminierung, handelt es sich zweifellos nicht um eine Person, sondern um ein Ding, also etwas, nicht jemand. Das Gegenteil von etwas ist aber dann eben nicht niemand, sondern nichts. Rassismus gehört ausgegrenzt, sonst nichts", wäre die korrekte Formulierung der grünen Botschaft gewesen, knapp vorbei, aber es ist ja auch schwer, auf den Punkt zu kommen in einer Zeit, die geprägt ist von einem allgemeinen Bildungsabbau.

Mit "nichts" zu arbeiten oder in einer milderen Form von nichts "keiner" anstelle von "niemand" zu setzen, als "Rassismus gehört ausgegrenzt, sonst keiner", verbot sich von selbst, weil ausgerechnet jner "Keiner" der Kandidat zur Bundestagswahl ist, der in allen Umfragen derzeit uneinholbar an der Spitze liegt. Reklame für diesen großen Unbekannten, der PPQ bereits im Januar zum Favoriten ausgerufen hatte, im Dreikampf um das Kanzleramt das Rennen zu machen, verbot sich deshalb.

Niemand soll nicht ausgegrenzt werden

Nein, niemals. So kam es zu "niemand", der nicht ausgegrenzt werden soll, obwohl mit "jemand" der  Rassismus nicht gemeint sein kann, der nun mal kein er, sondern ein es ist. "Niemand" kommt aus dem Mittelhochdeutschen "nieman" oder "niemen", eine Zusammensetzung von "ni" wie "nicht" und "man" für "Mensch" und meint genau das: Kein Mensch. Dass das aus einer Partei der Hochgebildeten  kommt, die sich zwar zum Teil mit eingebildeten Studienabschlüssen schmückt wie Cem Özdemir einst mit seinen von Moritz Hunzinger geliehenen Krawatten, andererseits aber auch durchaus echte Doktortitel trägt, die auch noch einem Studium der Germanistik entsprungen sind, zeugt von besten Absichten, aber Unfähigkeit bei der Umsetzung.

Dafür spricht auch die Verwendung des Begriffes "Ausgrenzung", der hier benutzt wird, obwohl er negativ konnotiert wird. Motiv ist wohl die Vermeidung des Wortes "Vermeidung", das treffender ist, aber zu wenig radikal und appellativ. "Ausgrenzung" ausschließlich von Rassismus impliziert eine Welt, die überall Platz für alles hat - für alles, nicht für alle, siehe "Jemand" - nur nicht für Rassismus. Dass es diese Welt nicht gibt, weil Ausgrenzung die Voraussetzung für jede Realität ist, stört die Verfasser nicht. Aber in n der klassischen Physik gilt nicht ohne Grund: Wo ein Körper ist, kann kein zweiter sein, wo eine Grünen-Plakat hängt, passt keins von der Linken mehr hin. Und so grenzt das Plakat, das "niemand" aufgrenzen will, selbst sofprt und überall aus, wo es auftaucht.

Ein Armutszeugnis überall

Ein Armutszeugnis wie schon die Verwendung des großgeschriebenen "ihr" in der gesamten Kampagne, die früh schon Befürchtungen vor einem Bildungsnotstand bei den Grünen geweckt hatte. Wenn eine Parteivorsitzende im Eifer des Klimagefechtes erneuerbare Energien zu "erneuerbaren Industrien" macht, dann ist das eine Sache, dass sie sich bei der Übersetzung des eigenen Programms in sogenannte leichte Sprache von einer Dolmetscherin helfen lassen muss, eine andere. Doch "niemand" und "nichts"zu verwechseln, Menschen also Dingen gleichzusetzen, die in diesem Fall auch noch ein angefasst, in einen Schrank gestellt oder wenigstens mit einem Lappen abgeputzt werden können, spricht für ein gerüttelt Maß an Menschenverachtung.

Donnerstag, 19. August 2021

Hippiesk wie Johnny Depp: Die Mode der neuen Taliban

Der moderne Talib kleidet sich wie Johnny Depp als Keith Richards in "Fluch der Karibik".

Als große Niederlage nicht nur für Joe Biden, Angela Merkel, Heiko Maas, den BND, die CIA, die Uno und AKK hat ein extrem rechter Identitärer den Siegeszug der Taliban in Afghanistan gerühmt. Unterstützt von einem extrem linken Linken, der als erster überhaupt kein Herz aus seiner Mördergrube machte und die Hoffnung äußerte, mit dem dem neuen Kalifat bekomme der weltweit regierende Kapitalismus nun endlich eine Alternative vor die Nase gesetzt. Ohne Profistreben, ohne klimaschädliches Wachstum bis in alle Ewigkeit. Ohne besinnungslosen Konsum, eine aus allen Nähten platzendes Unterhaltungsindustrie. Ohne Fernsehen, weder privat noch öffentlich-rechtlich. Und ohne Unterdrückung der Frau, weil die daheim bleibt, wo die Zahl potenzieller Unterdrücker überschaubar ist.

Gleicher Lohn für gleiche Arbeitslosigkeit

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, egal, welchem Geschlecht eine/r/s angehört oder angehören zu meinen glaubt, das ist in einem System inkludiert, in dem ausschließlich Männer arbeiten. Niemand kann einer Frau, die daheim sitzt und die Kinder hütet, den gleichen Lohn verwehren, den ein Mann bekäme, müsste er das tun. Privatsache, der Stundenlohn ein Kinderlächeln. Was die Bildung betrifft, erübrigt sie sich weitgehend in einem Wirtschaftssystem, das auf den Anbau hochveredelbarer Grundstoffe für das Nachtleben des Abendlandes setzt. Naturnaher Anbau ohne Biogift aus den Laboren der Chemiekonzerne kommt mit wenig Bewässerung aus, die nach traditionellen Verfahren organisiert werden kann.

Ein Fanal für die Welt, das die Lumpensoldaten des Talibanrates angezündet haben. War Afghanistan bei seiner Energieversorgung bisher schon beispielhaft unterwegs - so benötigt ein Afghane nicht einmal ein Hundertstel an Strom, Treibstoff und Heizung wie ein Europäer, vier Fünftel davon werden zudem importiert - könnte künftig noch mehr Zukunft am Hindukusch vorgelebt werden.  Ohne sklavisches Festhalten am Wirtschaftswachstum erübrigt sich das Hamsterrad der Immerschneller-Gesellschaft. Statt zu kaufen, wird getauscht, statt gezielt lancierten Moden hinterherzulaufen, folgt das ganze Land dem Ideal der schwedischen Klimaschützerin Greta Thunberg, die er erst kürzlich verdeutlicht hatte, dass sie den nachhaltigen Weg der Taliban begrüßt: "Das letzte Mal, dass ich etwas Neues gekauft habe, war vor drei Jahren, und es war secondhand", hatte die junge Schwedin versichert.

Hoffnungen auf einen Neuanfang

Große Hoffnungen, die auf den jungen Gotteskriegern lasten, denen immer noch der Ruf anhängt, eine mörderische Terrorvereinigung zu sein, gebildet aus bärbeißigen Radikalen,  die sich auf einen Koran berufen, den sie gründlich missverstanden haben. Blut und Tod im Gepäck, so hatten sie Afghanistan unter ihrer Knute gehalten, als sie zum ersten Mal in Kabul herrschten. Bei denen, die nun zurückgekehrt sind in die ehemalige Hauptstadt des ehemaligen Kalifats, handelt es sich aber nach jüngsten Beobachtungen eben nicht um dieselben halb vertierten, intoleranten Männer, die nicht diskutieren, sondern auf alles schießen, was anders ist.

Nein, die "neue Generation Taliban" (Stuttgarter Zeitung) ist selbst schon ganz anders. Sie tragen nicht mehr die traurigen Kittel in Grau, Schwarz und Schmutzig, in denen sie zuletzt Furcht und Schrecken verbreitet hatten. Auch die berühmte Taliban-Sandale, ein an Hausschuhe aus breiten Lederriemen erinnerndes Kleidungsstück, musste weichen. Die Bärte sind kürzer und gepflegter, Turbane aus glänzendem, mutig ornamentiertem Stoff haben die wollenen paschtunischen Pakol-Kappen abgelöst, die als Mittelding zwischen Hut und Mütze jeden Träger aussehen ließen wie einen traurigen Schäfer, der in einen Platzregen geraten war.

Die neuen Islamit*innen

Die neuen "Islamist*innen" (ZDF) überraschen die Welt nun mit Weltoffenheit und einem Händchen für einen wilden Hippiestyle. Wie Johnny Depp in seiner großen Rolle als Keith Richards in "Fluch der Karibik" trägt der moderne Talib Piratentuch und Hippieschal, seine Tunika ist orange, hellblau oder rot und sie wird am Bein ergänzt durch Kompressionsstrümpfe, die sportlich bis ans Knie gezogen werden. Turnschuhe, Kordelgürtel, Jägerweste und Sonnenbrille ergänzen ein Outfit, das kaum noch an die "Barbaren" (Tag24) erinnert, vor denen die Welt sich aufgrund der Erfahrungen der Jahrtausendwende bis heute fürchtet.

Haben sich die Taliban etwa gemässigt?", fragt die Neue Zürcher Zeitung erschrocken. Oder ist es so, dass die Taliban mit ihrem frischen Style, mit der versprochenen inklusiven Regierung, ausbleibenden Massenexekutionen und der angekündigten Generalamnestie "versuchen, vor der internationalen Gemeinschaft gut dazustehen, um die wirtschaftlichen und finanziellen, Hilfen, von denen das Land abhängig ist, nicht zu gefährden" (ZDF)? Noch sind Zweifel erlaubt, noch wirkt der Wandel der Gotteskrieger*innen wie der etwas unbeholfene Versuch, die breite Öffentlichkeit im Westen über modisches Accessories einzufangen und mit einem Nachhaltigkeitsversprechen zu punkten, das auf den Läufen mehrerer Jahrzehnte alter Kalaschnikow-Gewehre ruht.

Eine Strategie, die angesichts der ökologisch sensiblen Stimmungslage im Westen aufgehen könnte, wenn sie ernstgemeint ist. Nachnutzung und Tauschwirtschaft, Minuswachstum, Buntheit und die Robustheit, zugunsten des Klimas auf viele moderne Annehmlichkeiten zu verzichten, sind  womöglich noch nicht überall mehrheitsfähig. Gelänge es den neuen Herren am Hindukusch aber, in ihrem frisch eroberten Land ein ökologisch nachhaltiges, klimaneutrales System mit kommoder Unterdrückung aufzubauen, könnte sich das schnell ändern. Dann erst hätte der Westen, wie er heute ist, ein wirkliches Problem mit den Taliban in Afghanistan.

Es gab ihn wirklich: Der Himalaya-Plan

Brachte Blumen für Asien: Heiko Maas, als er noch große Pläne für die Welt hatte.

S
elbstverständlich ist er keine Erfindung. Wie der sagenumwobene Hades-Plan, den ein kleiner und streng geheimer Kreis von Spitzenpolitikern um den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl erdachte und aufs Gleis hob,  ist auch der Himalaya-Plan des Bundesaußenministeriums ein festes, ein greifbares Konzept, das kompromisslos auf eine Neuordnung der Welt zielt. Offiziell "Leitlinien der Bundesregierung zum Indo-Pazifik" genannt, öffnete der vor knapp einem Jahr vorgestellte Plan zur Verschiebung von "Deutschlands außenpolitischen Prioritäten hin zum Indo-Pazifik" (Tagesspiegel) für Deutschland, aber zugleich für ganz EUropa eine neue Perspektive auf Prosperität, peace und Globalität.  

Gestaltungsmacht Germania

Mit einer "Gestaltungsmacht Deutschland" an der Spitze werde das "21. Jahrhundert gemeinsam gestaltet", hatte Heiko Maas als federführender Minister hinter dem Masterplan angekündigt. In Asien knallten die Sektkorken vorgestellt, denn seit dem Abzug der Deutschen aus Tsingtao warten dort Millionen auf eine Rückkehr der einstigen Herren des Strandes. Ein Ruf, den die Bundesregierung in ihrem letzten Jahr endlich erhörte. Ungeachtet der schweren Belastungen durch die Pandemie, das auseinanderstrebende Europa mit seinen Machthabern, Diktatoren und zweifelhaften Demokraten ließ Heiko Maas es an Entschlossenheit nicht vermissen. "Der politische Westen liegt auch im Osten", ließ er wissen, ein Philosoph wie so oft, der viel mehr meint als er zu sagen scheint.

Nur das "klare Zeichen" leuchtete dennoch in die ganze Welt: "Der Indo-Pazifik ist eine Priorität der deutschen Außenpolitik", hatten Maas, Merkel und Kramp-Karrenbauer als Chefin der Bundeswehr festgelegt. Das stellte Weichen für die künftigen Beziehungen der europäischen Zentralmacht zum indo-pazifischen Raum. Schon zwei Monate später forcierte Annegret Kramp-Karrenbauer die Umsetzung der Leitlinien. Australien war hellauf begeistert. Fast wäre Indien das neue China geworden. Dann legte allerdings doch nur die Fregatte "Bayern" ab, um Flagge zu zeigen dem Chinesen zu demonstrieren, dass Deutschland für eine regelbasierte Weltordnung eintritt. 

Eine neue Großmacht betritt das Feld 

Asien, nach Einschätzung der Bundesregierung eine "heterogenen Region", die "auch von Wettrüsten, Gebietsstreitereien und zunehmend vom Kräftemessen der Großmächte bestimmt" ist, stand vor einer neuen Freiheit, vor neuem Glück und einer neuen Partnerschaft mit Menschen, die regelbasiert leben und sich nach Zusammenarbeit in den "Bereichen Multilateralismus, Klimawandel, Menschenrechte, regelbasierter Freihandel, Konnektivität und Digitalisierung sowie insbesondere im sicherheitspolitischen Bereich" sehnen.

Dass der Plan daheim schon am ersten Tag ins Wasser fiel, weil außer dem dem Außenminister seit jeher freundschaftlich verbundenen "Tagesspiegel" niemand auf den über die gestellte Weiche fahrenden Zug aufsprang, gehört zur persönlichen Tragik eines Ministers, dessen kleine Körperlichkeit ihn zwingt, große und noch größere Pläne zu schmieden. Ihn  gleichzeitig aber auch stets soweit in Bodennähe verankert, dass "der Himalaya und die Straße von Malakka" nicht nur "weit entfernt scheinen mögen", wie Maas selbst einmal gesagt hat. Sondern fern sind und immer bleiben, obwohl der thailändische König ja nun schon seit Jahren illegal in Deutschland residiert. 

Acht Monate ohne Asien

Maas ließ nach der Verkündigung des Himalaya-Planes acht Monate vergehen, ohne ein asiatisches Land zu besuchen oder auch nur daran zu erinnern, dass der deutsche Wohlstand darauf beruhe, "wie wir mit den Staaten des Indo-Pazifiks zusammenarbeiten". Dann erst meldete er sich auf dem asiatischen friedensschauplatz zurück, mit einem Beitrag, der nun Europa streng mahnte: Die EU, wie immer, wenn deutsche Politiker von Europa sprechen, meinen sie diesen Teil, brauche eine Strategie für den Indo-Pazifik, insistierte der Minister, der vor hat "die geopolitische Rivalität in Asien gemeinsam bändigen". Denn "dort entscheidet sich mehr als irgendwo sonst die Ausgestaltung der internationalen Ordnung von morgen."

Welche kühne Idee! Die, wenn es zu ihrer Umsetzung gekommen wäre, zweifellos die Geschicke der Menschheit in eine neue Richtung hätte lenken können. Doch wie es der Teufel will, als es langsam ernst wurde, die Fregatte "Bayern" hatte Kurs auf die Kanaren genommen, putschten die Taliban. Ein Schlag, der für die deutschen Geheimdienste so unerwartet kam wie die Hamburger Terrorzelle 20 Jahre zuvor, Abhörpraxis der NSA, die Taten des NSU, der "Vorfall in Berlin" mit Anis Amri und der Umstand, dass Griechenland die Maastricht-Kriterien nie wirklich eingehalten hatte.

Der indopazifistische Visionär

Alles Streben im Außenamt galt nun plötzlich nicht mehr der strategischen Partnerschaft mit Völkern am anderen Anfang der Welt, sondern allein dem Überleben des Ministers im Amt. Alle eingeschworenen Feinde des Sozialdemokraten sind mit dem Einmarsch der Gotteskrieger in Kabul aus den Gräben gekrochen und sie haben sich auf Maas eingeschossen. Der indopazifische Visionär, der vorhatte, spätestens in der nächsten Legislaturperiode "diese Ordnung mitzugestalten", damit sie "nicht auf dem Recht des Stärkeren" basiert, sieht sich unversehends konfrontiert mit einer Wirklichkeit, mit der er nie gerechnet hat: Bärtigen Lumpensoldaten mit vor 35 Jahren gestohlenen sowjetischen Kalaschnikows, die auf dem Recht des Stärkeren beharren. Und keinerlei Bereitschasft zeigen "unsere demokratischen und freiheitlichen Werte" (Maas) zu teilen.

Wie schön war es eben noch in Gedanken, im Gefühl, mit dem Himalaya-Plan einen Rosenstrauß zu den Mühseligen und Beladenen im und um den Indopazifik zu bringen, der "den Gedanken einer multipolaren Welt" zu stärken wird, "in der sich kein Land zwischen Machtpolen entscheiden muss". Und einen Lidschlag später ist der ganze Indo-Pazifik kein µ mehr wichtig, weil alles, was zählt, die Frage ist, wie sich das Kabul-Chaos so wegerklären lässt, dass es sich nicht negativ auf die eigenen Wahlchancen auswirkt, wohl aber auf die des politischen Gegners. Der seinerseits aber natürlich dasselbe Spiel spielt.

Milliarden Asiaten warten vergebens

Egal, wer gewinnt, Asien hat vorerst verloren. Der Himalaya-Plan, so gut er klang und so wegweisend er für Milliarden Asiaten gewesen wäre, er wird den Wahltag im September nicht überleben. Auch aus der versprochenen "Erarbeitung einer europäischen Strategie zum Indo-Pazifik, die sich an unseren Prinzipien und Werten orientiert" (Maas), wird zweifellos nichts mehr werden. Das Ziel, von Maas unumwunden mit "eine neue Weltordnung" umrissen, rückt in weiter Ferne. Die muss es weiter machen. Mit Taliban und ohne Plan.

Mittwoch, 18. August 2021

Heiko Maas: Herrscher in seiner eigenen Welt

"Die ganze Welt ist eine Bühne und alle Männer und Frauen sind nur Schauspieler: Sie haben ihre Abgänge und ihre Auftritte; und ein Mann in seiner Zeit spielt viele Rollen …"

William Shakespeare

 

Es waren große Männer, Männer von Statur, die diesen Posten im Kabinett ausfüllten. Adenauer selbst. Heinrich von Brentano, Brandt, Scheel, Genscher, Schmidt, Kinkel, Fischer, sogar Westerwelle, den niemand mochte, weil die Leute rochen, dass er anders war. Und selbst, ja, Sigmar Gabriel machte eine gute Figur, wenn er sich wie hingegossen in einem Flugzeugsitz fotografieren ließ, unterwegs zu hektischen Verhandlungen am Ende der Welt, sichtlich entschlossen, die Ungeheuer dieser Erde nicht durchkommen zu lassen mit ihrer Menschenfeindlichkeit, sondern das Gute und Schöne zu retten.  

Das Feld vor der Tür

Wer deutscher Außenminister war, und sogar auf Sigmar Gabriel traf das nach kürzester Zeit zu, war Deutschlands beliebtester Politiker. Das Feld draußen vor der Tür zu beackern hieß zuverlässig, etwas zu tun, das niemand im Land wehtat. Hans-Dietrich Genscher, der den Job des Vertreters eines Landes ohne eigene Außenpolitik 18 Jahre lang ausfüllte, machte das bald so routiniert, dass er gar nicht mehr machen musste. Man glaubte, man vertraute ihm. Und gemocht wurde er mehr als alle anderen, obwohl er ein Liberaler war, von denen die Menschen im Lande mehrheitlich überzeugt sind, sie wollten die Steuern abschaffen, damit der Staat den Armen und den Kindern keine Renten mehr zahlen kann.

Mit Sigmar Gabriel, der Steinmeier abgelöst hatte, der den Posten nach Guido Westerwelles Tod zum zweiten Male angetreten hatte, aber bald als Kompromisskandidat für den Bundespräsidentenstuhl gebraucht wurde, erreichte die Magie des Außenamtes ihren Höhepunkt. Gabriel, in jenen letzten Tagen seiner politischen Laufbahn noch recht gut gelitten in der Partei, aber in der Bevölkerung eigentlich als einer ihrer Totengräber berüchtigt, entwickelte als Handlungsreisender in Sachen Weltmoral und Signalgeber für leere Sprüche eine Beliebtheit, wie der Mann aus Goslar sie sein Leben lang nicht gespürt hatte.

Gegengewicht des Guten

Gabriel wollte bleiben, eingerichtet zwischen Putin, Trump, Erdogan und all den anderen bösen Männern als 120 Kilogramm schweres Gegengewicht des Guten. Doch seine Partei vergalt ihm die Mühe, die Anstrengung und das jahrelange Manövern zwischen Realos und Fundis mit einem tritt in den Hintern. Gabriel, der doch gerade so "an Statur gewonnen hatte" (Die Zeit) musste gehen. Eingewechselt wurde eine halbe Portion, Heiko Maas, einer der zahllosen Saarländer in der Bundespolitik, denen es in den zurückliegenden Jahren gelungen ist, eine "the Saarlandization of German Politics" einzuleiten, wie es der britische "Economist" nennt.

Maas ist das Gegenteil von allem, was deutsche Außenpolitik je dargestellt hat. waren seine Vorgänger sich immer darüber im Klaren, dass ihr Wirken und Tun sich vor allem der Tatsache verdankt, dass ein Land nun mal einen Außenminister zu haben pflegt, auch wenn es im Grunde keine eigene Außenpolitik zu vertreten hat, trat der kleingewachsene, zeitweise aber von einem großen Möbelanbieter gesponserte Erfinder des erweiterten Meinungsfreiheitsschutzes sein Amt an, Deutschland auch formell zu der Führungsnation Europas zu machen, als die der Hades-Plan das Land in der Mitte des Kontinent stets entworfen hatte.

Auf zum Himalaya-Plan

Große Pläne für den winzigen Soldatensohn aus Saarlouis, der schon als Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz und als Minister für Wirtschaft, Arbeit, Energie und Verkehr im Saarland gedient und mehrere Landtagswahlen verloren hatte. Maas plante eine "Allianz der Multilateralisten", die er selbst zu führen beabsichtigte, er würde das Einstimmigkeitsprinzip in der EU abschaffen, kündigte er an, und mit dem "Himalaya-Plan" würde es ganz hoch hinaus gehen: Maas würde "die Außenpolitik radikal neu denken" und Deutschlands außenpolitische Prioritäten "hin zum Indo-Pazifik" ändern, um eine neue Weltordnung erstehen zu lassen, die den deutschen Wohlstand sichert.

Was für kühne Gedanken, was für grandiose Absichten. Die ganze Welt war sein Feld und alles auf ihr der Lehm, aus dem Heiko Maas sie neu formte.großzügig lud der Deutsche die um den Erdball verstreut lebenden Nationen ein, sich ein Beispiel zu nehmen am deutschen Wesen und internationale Regeln gegen das „Recht des Stärkeren“ durchzusetzen, indem man gemeinsam Front gegen Schwergewichte wie China, Indien und Japan macht.

Ein Freund der Kurzstrecke

Nun weisen seine Auslandsreisen den deutschen Außenminister  als einen Freund der Kurzstrecke aus. Zudem gelang es ihm nicht immer, Dein und Mein sicher zu unterscheiden oder souverän zu wählen, ob nun Maske oder Kaffee. Jedenfalls riss mit dem ehrgeizigsten Minister im Auswärtigen Amt die endlose Kette der Beliebtheitsdominanz des "Auswärtigen", wie der deutsche Außenminister seit der Weimarer Republik offiziell heißt. Maas, trotz all seiner Mühen, steht nur auf Platz vier, abgeschlagen hinter Merkel, Söder und Scholz, selbst Spahn sitzt ihm im Nacken und auch Habeck und Lindner, die nicht einmal irgendein repräsentatives Amt innehaben.

Die gute Figur, die der "Regierungsvertreter*in" (Maas über Maas) auf Fotos macht, stammt aus seiner eigenen Welt, in der er unumschränkt  herrscht. Hier ist Deutschland immer auf Augenhöhe mit allen. Hier schaut die Welt nach Berlin, um sich zu orientieren. Hier werden auch die Taliban  in Kürze erkennen müssen, dass eine selbstbewusste afghanische Zivilgesellschaft ihnen ihre Grenzen aufzeigt.