Donnerstag, 28. Februar 2008

Es gilt nicht das gesprochene Wort

Er weiß nicht mehr, was er redet, aber seine Betreuer sind nicht zur Stelle, wenn es brennt. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer hat erst behauptet, die DDR töte 18 Jahre nach ihrem friedlichen Ableben immer noch
haufenweise kleine Kinder, auf die folgende Empörung wollte der Hauslatsch unter den deutschen Ministerpräsidenten "falsch verstanden" worden sein, als auch das nicht half, bedauerte er jetzt nicht etwa seine Aussagen, sondern deren "Wirkung" (Böhmer).

Dem Landtag in Magdeburg, in dem sich zur Feier des Tages reihenweise Abgeordnete mit zum rituellen Ministerpräsidentenmord gewetzten Messern eingefunden hatten, präsentiert Böhmer die Deutungsvariante, dass er missverstanden worden sei, dies aber eigentlich gar nicht an seinem eigenen Gebrabbel gelegen habe, sondern aus "Fehlern in der Staatskanzlei entstanden" sei, "die das Interview freigegeben habe". Das er, ergänzen wir, genauso gegeben hat, vor dessen möglicher öffentlicher Wirkung ihn seine subalternen Beamten aber hätten schützen müssen, in dem sie das, was Böhmer sagte, mit ein paar flotten Federstrichen glattbürsten.

Nun ist der Mann aus Wittenberg, der natürlich wirklich glaubt, dass die Häufigkeit von Kindstötungen in den neuen Ländern vor allem auf einen leichtfertigeren Umgang mit werdendem Leben aufgrund der DDR-Abtreibungspolitik zurückzuführen ist, stinksauer. "Ich übernehme für die Ergebnisse die politische Verantwortung, ob mir das gefällt oder nicht", knurrt er charmant wie immer und meint damit: Ich kann ja nichts dafür, dass die, die auf mich aufpassen sollen, das nicht tun.

Ein Vorgang, der tief in das Selbstverständnis des deutschen Journalismus weist. Im Gegensatz zu den USA oder Großbritannien gehört es hierzulande zum Tagesgeschäft, dass gegebene Interviews von Politikern im Nachhinein von deren Mitarbeitern umgeschrieben, geglättet und um alle Ecken und Kanten bereinigt werden. Am Ende steht nicht mehr die Antwort, die der Befragte wirklich gegeben hat, sondern die Antwort, die er nach Ansicht seiner Berater am besten hätte geben sollen. Da wird nicht mehr laut gedacht, da gilt nicht etwa das gesprochene Wort.

Nicht der Ministerpräsident, Minister oder Parteichef entscheidet, was das Volk von seinen Ansichten erfährt. Stattdessen bügeln namenlose Spindoctors vermutete Scharten aus, kürzen persönliche Mitarbeiter, die über eine nur per Gehalt verliehene Befugnis gebieten, alle denkbaren Mißverständnisse vor Drucklegung weg. Nur wenn sie mal schlafen, dann blinzelt ein Stück Wirklichkeit aus dem kaum reflektierten Geschwätz, das bei Böhmer in dem auf tiefe Gedankenarbeit deutenden Satz gipfelte: "Es kommt mir vor als ob Kindstötungen von Neugeborenen für manche ein Mittel der Familienplanung sind."

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