Montag, 15. Februar 2010

Eins plus eins ist eigentlich elf

So ändern sich die Zeiten. Hätte vor zehn Jahren ein Politiker behauptet, dass ein Mensch, der arbeitet, mehr Geld bekommen muss als jemand, der nicht arbeitet, hätte diese Äußerung wahrscheinlich genauso viel Aufregung verursacht wie die Mitteilung eines führenden Mathematikers, dass Eins plus Eins Zwei ergibt.

Doch die Welt steht nicht still, die Erde dreht sich weiter, je älter der Volkskörper, desto empfindlicher reagiert er auch auf diffuse Reize. Seit FDP-Chef Guido Westerwelle in der "Welt" schrieb "Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein", peitscht ein Aufruhr an Empörung durchs Land, als habe der Außenminister zur Krisenbekämpfung den Bau von Autobahnen gefordert. Eine Hannelore Kraft, SPD-Vorsitzende in Nordrhein-Westfalen und derzeit wegen des laufenden Wahlkampfes etwas aufgeregt, analysiert messerscharf, Westerwelle fische „mit billigen Stammtischparolen im braunen Sumpf“, SPD-Parteichef Sigmar Gabriel verortet das späte Rom spontan und um knapp 400 Jahre daneben in die Zeit von Kaiser Nero, sorgt aber für Einigkeit bei SPD, Gewerkschaften, Linken und Grünen:
"Die drastischen Äußerungen des Vize-Kanzlers zur Debatte um Hartz IV verärgern alle."

Unter anderem auch Michael Sommer, den Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, dessen Mitgliedsgewerkschaft Verdi im Tarifstreit mit ihren Angestellten gerade jede Gehaltserhöhung verweigert hat. Statt ihm selbst solle doch der Außenminister "dafür sorgen, dass die soziale Balance in diesem Land erhalten bleibt", fordert Sommer. Es sei "für einen Vizekanzler unangemessen, Millionen von ’Hartz IV’-Beziehern so zu diffamieren".

Um welche "Diffamierung" es geht, bleibt in der "Debatte" (Der Spiegel) unerforscht. Westerwelle hat ausweislich seines Kommentars in der "Welt" die Ansicht geäußert, es sei falsch, nach dem Hartz-4-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes reflexhaft nach höheren Hartz-4-Bezügen für alle zu rufen, weil jeder Euro, der vom Staat an Wohlfahrtszahlungen geleistet wird, auf der anderen Seite vom arbeitenden Teil der Bevölkerung erwirtschaftet werden müsse. Eine Ansicht, mit der Westerwelle vor zehn Jahren genauso viel Aufregung verursacht hätte wie mit der Mitteilung, er glaube daran, dass Eins plus Eins Zwei ergebe.

Doch "Debatten" dieser Art laufen heute anders. Weil Westerwelle Arbeitslose und Hartz-4-Empfänger weder beschimpft noch irgendeinen Vergleich mit Hitler, Konzentrationslagern oder dem Holocaust bemüht hat, wird einfach so getan, als habe er. Das Gesagte, in diesem kmonkreten Fall sogar geschrieben, wird verformt und verstanden, bis es als Empörungsvorlage taugt: Es habe nichts mit Müßiggang und Bequemlichkeit zu tun, wenn Menschen nach Jahren der grenzenlosen Gier in der Finanzwirtschaft ihre Arbeit verlören und Unterstützung bräuchten, steuert SPD-Fraktionschef Walter Steinmeier einen Satz zur Diskussion bei, der jeden Zusammenhang mit Westerwelles Äußerungen vermissen lässt. Von Müßiggang oder Bequemlichkeit war bei dem nicht die Rede. Steinmeier, dem offenbar völlig entgangen ist, dass es bereits vor den "Jahren der grenzenlosen Gier in der Finanzwirtschaft", als die inzwischen von ihm geführte SPD noch nicht zur deregulierung der Märkte und zur Zulassung von derivaten Finanzinstrumenten geblasen hatte, Arbeitslose gegeben hat, schwingt die Verbalkeule: „Unglaublicher Zynismus“ sei das, was Westerwelle betreibe.

Was er genau b etreibt, weiß man nicht, aber soetwas wie Volksverhetzung scheint es ja schon zun sein. Das kommt gut an, draußen im Lande, wo die Hartz-4-Demos gegen zu geringe Staatsüberweisungen an die Ärmsten längst versandet sind. Wer weiß schon noch, dass es Walter Steinmeier war, der Kanzler Gerhard Schröder einst zu den Hartz-4-Reformen inspirierte? Eine fünfköpfige Familie im mitteldeutschen Halle lebt nicht schlecht von Hartz-4: 700 Euro Miete zahlt das Amt, 200 Euro Gas und Heizung ebenso, dazu kommen 1300 Euro Unterhaltsleistungen. Macht 2200 Euro - das Einkommen einer Friseusin und eines Kellners, die beide 40 Wochenstunden arbeiten, liegt niedriger.

Was folgt daraus? Nicht nur Hartz-4-Empfänger müssen mehr Geld bekommen, nein, auch Friseusen und Kellner müssen mehr verdienen. Gerechtigkeit aus der Gießkanne, oder wie es die Linke im letzten Wahlkampf probehalber in einer Parole zu Ende dachte: "Reichtum für alle" ist der einzige Weg zu vollendeter Gerechtigkeit. Und eins plus eins ist elf, das kann ja jeder sehen, der die beiden Zahlen hintereinanderschreibt.

5 Kommentare:

Die Anmerkung hat gesagt…

Daß Problem bei Westerwelle war ja noch nie, was er gesagt hat, sondern daß er was gesagt hat.

Sarrazzin ist weg. Es lebe Westerwelle.

Das Aufzählen von Fakten mögen die deutschen Medien überhaupt nicht, denn Fakten, Fakten, Fakten, das ist ihre Spielwiese. Da lassen sie nunmal niemanden anderes rauf.

Insofern haben wir es mit einer Zeit zu tun, in der so viel heiße Luft gen Himmel geblasen wird, daß in mir die leise Hoffnung aufkeimt, in Kürze die Reichsenteisung erleben zu können. Darauf freue ich mich richtiggehend.

ppq hat gesagt…

wo du recht hast, hast du echt. es wird also auf lange sicht zu etwas gutem führen. wenn das mal von der klimakanzlerin nicht von anfang an so geplant war

Anonym hat gesagt…

Was auch gern vergessen wird:
Eben weil das Sozialamt.. oder ARGE oder wie auch immer das Ding derzeit heißt Mieten und Lebensunterhalt garantiert wird ein Bedarf erzeugt welcher Preise etabliert die von Friseurin und Schlosser nicht gezahlt werden können - und somit ihre Arbeit marginalisiert.

derherold hat gesagt…

Ich gehe davon aus, daß Guido W. ein bißchen "Profil" zeigen wollte - schließlich muß er auch seinen Wählern zeigen, daß es die FDP noch gibt ... auch wenn es eben keine Steuersenkungen gibt.

@Anonym: Na ja, die "Preise" sind schon knapp kalkuliert. Ich weiß nicht, wo Lebensmittelpreise hin sollen. Für die Mieten, die in Halle, Zeitz, Gera oder Oberhausen, Bremen, Gelsenkirchen gezahlt werden, kann man die Bauten nicht erhalten.

capiVara hat gesagt…

"Was folgt daraus? Nicht nur Hartz-4-Empfänger müssen mehr Geld bekommen, nein, auch Friseusen und Kellner müssen mehr verdienen."

Man kann trefflich darüber streiten, ob die Hartz-4-Sätze erhöht werden sollten oder nicht. Was aber eine Tatsache ist, ist dass das generelle Drücken nach unten nur dazu führt, dass die unteren Einkommen mit leichter zeitlicher Verzögerung dardurch auch sinken werden.

Der Mechanismus nennt sich Sanktion, d.h. wenn ein Hartz-4-Empfänger eine sog. "Zumutbare Arbeit" nicht aufnimmt, wird ihm das Geld gekürzt, im Wiederholungsfall kann es zeitweise ganz gestrichen werden. Das führt dazu, dass Unternehmen eine ganze Reihe von Tätigkeiten zu Löhnen durchführen lassen, von denen niemand leben, oft noch zusätzlich Hartz-4 beziehen muss (Stichwort Kombilöhne, Aufstockung) - eine Wahl, zu sagen "nein ordentlich bezahlt soll es schon sein", hat ein Hartz-4-Empfänger nicht wirklich.

Diese Situation nutzen natürlich etliche Unternehmen, da es rein betriebswirtschaftlich natürlich Sinn macht, auf diese Art die unteren Löhne weiter zu drücken. Eine Reduzierung der Hartz-4-Sätze würde diese Abwärtsspirale vorantreiben.

Das Lohnabstandsgebot, eigentlich ein sinnvoller Gedanke, wird auf diese Art völlig pervertiert - anstelle dass sich Arbeit wirklich lohnt (was sie in einigen Tätigkeitsbereichen einfach nicht mehr tut! Und das liegt nicht an Steuersätzen und Hartz-4, sondern an der Relation des Monatseinkommen zu den Lebenshaltungskosten!), weil man von einer Vollzeitstelle auch ohne Staatshilfe leben kann, wurde seit der Regierung Schröders das ganze umdefiniert:

"Arbeit muss sich lohnen" heißt jetzt nur noch, dass man mehr haben soll, wenn man arbeitet, als wenn man arbeitslos ist. Wieviel mehr das ist, und ob man vom einen oder anderen auch vernünftigt leben kann, wird gekommt unter den Teppich gekehrt.

Betriebswirtschaftlich macht das für die profitierenden Unternehmen natürlich Sinn, volkswirtschaftlich ist es mittl- bis langfristig eine Katastrophe, weil es die Binnenwirtschaft immer mehr und mehr zerfrisst. Ich erinnere an das Zitat von Ford: "Autos kaufen keine Autos".