Freitag, 2. Dezember 2016

In der Lava der totalen Irrelevanz



Ursprünglich war es der russische Potentat Wladimir Putin, dessen permanente Wühltätigkeit an den Wurzeln der deutschen Demokratie zu empörenden Auswüchsen wie den Pegida-Demonstrationen in Dresden und der grundgesetzwidrigen Gründung der mutmaßlich von Rechtsextremen, rechten, Rechtsradikalen und rechtsetremisten durchsetzten AfD führten. Dann aber kam Trump und angesichts eines beiderseits des Atlantik unübersehbaren medialen Trommelfeuers für dessen Konkurrentin Hillary Clinton konnte das Narrativ der Moskauer Trollfrabiken, die den Macho-Milliardär im Dienst des Kreml ins Amt geschrieben hätten, nicht verwendet werden.

Doch ein Beinbruch ist das nicht, denn mit Mark Zuckerberg und seinem Sozialnetzwerk Facebook fanden die einschlägigen Postillen sofort einen neuen Verantwortlichen für das Desaster der eigenen Erwartungen. Unverhohlen gespickt mit antisemitischen Ressentiments, liefen die Berichterstatter der unter dem Wahlergebnis leidenden Medien zu höchster Form auf: Facebook gelinge es nicht, "seinen Newsfeed halbwegs frei von Falschmeldungen zu halten", hieß es da ungeachtet des Umstandes, dass Facebook nicht einen, sondern der Anzahl seiner Mitglieder entsprechend rund 1,2 Milliarden Newsfeeds ausliefert. Deshalb beschere "der Facebook-Algorithmus in einem von Lügen und Halbwahrheiten dominierten US-Wahlkampf erfundenen Nachrichten Millionen von Interaktionen" , schreib das Magazin "Der Spiegel", das in den Wahlkampfwochen selbst wie ein 3D-Drucker für Erfundenes, Herbeigewünschtes und absurde Fantasien funktioniert hatte.

Statt Selbstkritik zu üben und zu fragen, wie es passieren konnte, dass eine komplette Branche in kompletter Überschätzung der realen Lage wie der eigenen Bedeutung versucht, sich eine ebenso blutleere wie skandalumwitterte Politveteranin zur Präsidentin zu backen, soll der Jude Zuckerberg, der sich im Wahlkampf geweigert hatte, den Trump-Unterstützer Peter Thiel aus dem Facebook-Vorstand zu entfernen, mit seinen typisch jüdischen Winkelzügen Schuld sein.

"Zuckerberg versucht, sich seit dem Trump-Erfolg aus der Affäre zu ziehen, indem er die Macht seines Netzwerks kleinredet", raunt es im "Spiegel". Schon meuterten die Mitarbeiter gegen den Chef und seine irrwitzigen Erklärungen.

Das würde in deutschen Medienunternehmen nie passieren, denn deutsche Medien werden bei Workshops im Bundesinnenministerium über die jeweils geltende aktuelle Sichtweise gebrieft.

So muss Markus Somm in der Basler Zeitung in die Tiefe bohren und fragen "Warum haben die Journalisten das nicht kommen sehen?" Somms Betrachtung ist schlüssig, sein Urteil so hart wie treffend: "Man tat alles, um diesen Mann zu verhindern – und schreckte vor nichts zurück", schreibt er, "Kommentare, Meinungen, Bilder, Zitate, Berichte, Reportagen, Fakten: Viel zu viel wurde gebogen, manipuliert, gedreht und gedrückt, bis die Realität so aussah, wie man von vornherein wusste, wie sie auszusehen hatte."

Aus Information wurde Propaganda, aus Nachricht der Wunsch, die Wirklichkeit möge sich danach richten. "Es war die faktische Wirkung des Normativen: Nicht was ist, sondern was sein soll, war plötzlich zu dem geworden, was war", heißt es bei Markus Somm, der nur vordergründig über amerikanische Medien schreibt. Deren Leiden gleicht dem ihrer deutschen Pendants: Vom Strukturwandel wie von einer Schlammlawine überrollt, sind sie jetzt im Begriff, von der "Lava der totalen Irrelevanz" (Somm) verbrannt und ausgelöscht zu werden.

Der Schaden, den realitätsferne Wunschberichterstattung, Schweigen und Gefälligkeitsjournalismus in den vergangenen Jahren bereits angerichtet haben, ist noch einmal größer geworden. "Was immer die Journalisten rieten, viele Wähler kümmerten sich nicht darum, was immer sie berichteten, viele Amerikaner hielten es für falsch", glaubt Markus Somm und er hätte "Amerikaner" zweifellos auch durch "Leser" ersetzen können.

Vertrauen lässt sich nur einmal verspielen. Ist es erst weg, bleibt es verschwunden.


2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Vertrauen ließe sich zurückgewinnen. Wiedergutmachung durch Selbstreflexion. Diese verkommt bei unseren Qualitätsjournalisten allerdings i.d.R. zur Selbstermahnung, man habe sich bei der Erfüllung des volkspaedagogischen Auftrages nur nicht genügend angestrengt. Auf ein Neues!

Armes Volk.

ppq hat gesagt…

mehr vom selben soll ein entgegengesetztes resultat erbringen. die hoffnung des menschen auf wunder ist etwas rätselhaftes