Freitag, 6. Mai 2022

Neun-Euro-Ticket: Ja, muss es denn erst Pflicht werden?

Wen schon kein Bus kommt, dann sollte das mitfahren wenigstens günstig sein.

Es sollte Pendler entlasten, das Klima, die Brieftasche - und nebenher noch Spaß bringen, bei der Heizung sparen helfen und auch den Ärmsten der Armen mal einen Urlaub ermöglichen, obwohl die Preise so stark gestiegen sind, dass sich nun sogar die EZB geirrt hat. Im zweiten Entlastungspaket ist das sogenannte Neun-Euro-Ticket ein Sparpfeiler, drei Sommermonate lang sollte es Millionen zusätzlicher Fahrgäste auf die Schiene und in die Busse des ÖPNV bringen. Bis Sylt, hatten Sparfüchse schnell ausgerechnet, könne ein zu allem entschlossener Reisender während der Sommerferien durchaus gelangen - für ganz, ganz kleines Geld, für das man früher eine Kiste Bier bekam.

Großzügige Steuerrückzahlung

Es war gut gedacht, großzügig und während alle anderen Entlastungsschritte mit Rücksicht auf die Staatskasse erst irgendwann im Herbst in Kraft treten werden, weil das zusätzlich ausgegebene Geld für die Bürgerinnen und Bürger erst über die höheren Einnahmen aus der mit den explodierenden Preisen gestiegenen Umsatzsteuer eingespielt werden muss, sieht beim Billigticket alles nach einem pünktlichen Start mit Ferienbeginn aus. 

Dennoch fallen erste Tränen in den Wein des Aufbruchs in einer neue Ära des kollektiven Transports in nicht-klimatisierten Waggons und mit 40 Prozent Russendiesel betriebenen Bussen. Die Menschen draußen im Land sehen offenbar nicht ein, warum sie neun Euro dafür bezahlen sollen, um zu Orten zu fahren, die sie nicht kennen und auf die sie auch keineswegs neugierig sind.

Verstockte Verweigerung

Eine erste Umfrage lässt das mögliche Ausmaß der verstockten Verweigerung in einer Bevölkerung erahnen, die noch immer nicht begriffen hat, was die Stunde schlägt. Nur rund ein Drittel der Befragten plant wie von der Bundesregierung vorgesehen, die Sparfahrkarte zu kaufen, um sie für den Arbeitsweg zu nutzen. Ein weiteres Drittel ist noch unschlüssig, ob es sich lohnt, fast zehn Euro auszugeben, wenn das Auto dann ungenutzt herumsteht. Und das letzte Drittel der Menschen in Deutschland hat überhaupt nicht vor, sich vom Geschenk der Bundesregierung in Busse und Bahnen locken zu lassen.

Es sind ernüchternde Zahlen, die das Meinungsforschungsinstitut YouGov da unter mehr als 2.000 Erwachsenen in Deutschland ermittelt hat. Nur 37 Prozent der Befragten äußerten sich rundum positiv zur Entlastungsgeste der Ampelkoalition, die meisten mit dem Argument, einem geschenkten Gaul schaue man nicht ins Maul. 33 Prozent gaben an, für diesen Preis dann auch selbst mal Bus oder Bahn fahren zu wollen. 43 Prozent dagegen haben offenbar noch nicht ausreichend verstanden, wie zusätzliche Fahrten im regionalen Umfeld ihnen helfen kann, angesichts steigender Preise in allen Warengruppen Geld zu sparen. 

Die Alten sind die Sorgenkinder

Vor allem die Gruppe der Menschen ab 55 Jahren besteht überwiegend aus Sorgenkindern: Nur rund ein Viertel will hier Gebrauch vom großzügigen Angebot der Regierung machen: Viele sagten auch nur, sie würden das überlegen, wenn der Sommer wieder sehr kühl werde, dann müssten die Züge aber gut geheizt sein, so dass man sich dort kurzzeitig aufwärmen könne. 

Deutschlands fossiles Erbe schlägt sich hier deutlich nieder. Eine Mehrheit derjenigen, die sich bockbeinig zeigt und das Ticket partout nicht nutzen möchten, nannten als Begründung, sie bräuchten es nicht. Gut jeder Dritte (34 Prozent) behauptete, lieber andere Fortbewegungsmittel zu nutzen. Herbert Haase vom Klimawatch-Institut (CLW) im sächsischen Grimma warnt vor einer schleichenden Akzeptanz dieser stillen Verweigungshaltung. "Gerade im ländlichen Raum, wo das Angebot dünn bis nicht vorhanden ist, so dass keine Busse kommen, schon gar nicht, wenn man sie braucht, gilt es, die Menschen mit einer überzeugenden Werbekampagne von den Mehrwerten des Günstigtickets zu überzeugen."

Werbekampagne wie fürs Impfen

Haase schwebt eine breite Werbekampagne vor, wie sie die Bundesregierung zuletzt so erfolgreich genutzt hat, um die Impfüberzeugung im Land zu stärken. Plakate, vielleicht ein Auftritt des Kanzlers bei Anne Will oder im ZDF, dazu Postwurfsendungen und Tweet auf den offiziellen Regierungskanälen. "Das kann schon einige Abos bringen." Notwendig sei das, weil dem kühnen Plan vom versuchsweisen Ausstieg aus der Individualmobilität sonst ein schneller, trauriger Tod im Vorortzug drohe. "Wenn nur 51 Prozent der Befragten, die überhaupt bereits sind, das Geld zu investieren, angeben, dass sie mit dem Ticket vor allem touristische Ausflüge machen  wollen, dann bleiben viele Regionalzüge auch in der Ferienzeit in diesem Sommer leer."

Gelinge es nicht, mit Überzeugung breitere Schichten der "fossil verdorbenen" (Haase) Bevölkerung vom Erwerb eines Neun-Euro-Tickets zu überzeugen, müssten aus Sicht des sächsischen Forschers andere Saiten aufgezogen werden. Ein Tempolimit etwa wäre hilfreich, die Geschwindigkeitsvorteile von privaten Pkw auszugleichen, ebenso denkbar seien autofreie Wochenende, die touristische Verkehre automatisch auf Busse und Bahnen umlenken würden. "Führt all das nicht zu einer Zunahme der Fahrgäste im ÖPNV", warnt Herbert Haase, "bleibt als letztes Mittel nur noch der verpflichtende des Tickets." 

Bürger*/I:innen müssen mitziehen

Unbürokratisch abgewickelt werden könne der direkt von den Finanzämtern, bei denen dank der Steuerbürger-Identifikationsnummer (Steuer-ID) alle Daten vorliegen, die ja in Kürze auch dazu dienen werden, die seit Jahren erhobene CO2-Abgabe als "Klima-" und "Energiegeld"  an alle Bürgerinnen und Bürger außer den Rentnerinnen und Rentner zurückzuerstatten. "Die Menschen draußen im lande sollten gewarnt sein", glaubt Herbert Haase, "wenn sie hier nicht ausreichend engagiert mitziehen, wird der Bundesregierung angesichts der Zeitenwende nichts anderes übrigbleiben als die Säumigen und die Quertreiber mit harten Hand in die richtige Richtung zu lenken."


5 Kommentare:

Jodel hat gesagt…

Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, dass die Ablehnung des supergünstigen Tickets mit der bereits erfolgen Nutzung von Bus und Bahn in den letzten Monaten korreliert. Wer schon einmal mit einer überfüllten Kiste ohne Klimaanlage in der Pampa gestrandet ist, wird gegenüber Bus und Bahn ein wenig vorsichtig sein.
Wohingegen sich ein Großteil der begeisterten angekündigten Ticketnutzer aus dem SUV fahrenden Grünenwahlvolk rekrutiert. Die kaufen das Tickt zwar als solidarische Aktion, werden aber keine Fuß in die Proletenbeförderungsmittel setzen. So viel Volksnähe muss nun auch nicht sein.
Im Großen und Ganzen dürfte die Aktion daher wohl einfach verpuffen. Die Regionalverbindungen auf dem platten Land, die hier und da, dann und wann, vielleicht oder auch mal nicht halten, werden weiterhin nicht genutzt werden und die überfüllten Hauptverbindungen werden noch mehr überfüllt sein. Die Medien werden uns hinterher erzählen, was für ein bombastischer Erfolg diese Idee doch gewesen sein wird und dass zur Weltrettung ab sofort die kompletten öffentlichen Verkehrsmittel umsonst sein müssen. Wie sonst sollten die fast nur noch prekär beschäftigten Journalisten ohne Aussicht auf einen eigenen fahrbaren Untersatz denn von A nach B kommen?
Für die ganzen Lobgesänge auf die Grünen kann man schließlich auch mal eine Gegenleistung verlangen.

Anonym hat gesagt…

Welchem Habe-wenig-bis-nix nützt ein Billigbillet, wenn's für alles weitere am Zielort nicht reicht? Klar kann man für 9 Euro spottbillig nach z.B. Sylt fahren und stinkreiche Promis anglotzen, doch ein Bier oder Kaffee ist dort dann schon insolvenzkritisch.

Da bleibe ich lieber wohnmobil, denn das Tynihouse auf Rädern kostet mich etwa 2,50 Euro pro Tag. Da kommt dann zwar noch Sprit dazu, doch kann ich damit in trauter Umgebung bequem von Tür zu Tür cruisen oder einfach irgendwo pausieren und auch nächtigen, um meine Fahrtüchtigkeit wieder herzustellen. Insgesamt also das bessere Wohlfühlpaket als in vollen Massentransportern eingepfercht sein, deren Haltestellen ja auch irgendwie erreicht werden müssen. Das mag in der großen Stadt einigermaßen klappen, nicht aber auf dem Land.

Alle diese Preiswert-Ideen sind also urbane Missgeburten.

Außerdem ist es zwar ein umständliches Abenteuer aber keine Erholung, wenn dieselben prekären Städterhorden, die du werktags in der City antriffst, sich am Wochenende dann am dadurch nicht mehr idyllischen Ausflugsziel tummeln.

Einmal mehr brüteten Kokser und Alkoholiker in Betonwüsten Hirngespinste und Schnapsideen aus. Das sind doch Großstadtneurotiker mit notorischem Heilmitteltrieb jenseits jeder Realität.

Es gibt im besten aller Schlands aber reichlich Mitläufer, die solche uniformen Massenbewegungen toll finden. Das nennen sie dann Sozialkompetenz. Und so eine Herde Gleichgesinnter bietet ja auch Schutz. Immer mitten im Schwarm bzw. Strom schwimmen minimiert schließlich die Gefahr einer persönlichen Haiattacke. Da regiert nicht der Verstand, sondern trifft der Instinkt alle Entscheidungen.

Püschologie der Massen für Anfänger.

Anonym hat gesagt…

Es wäre besser für das Klima, wenn jeder für 9 Euro ein Zuhausebleib-Ticket bekäme.

ppq hat gesagt…

der negativismus ist mit händen zu greifen. wenn aber jeder so denken würde, würde niemand das 9-euro-ticket wertschätzen. und was wäre dann mit der entlastung wegen der hohen preise? eben, nüscht.

Anonym hat gesagt…

Es wäre besser für das Klima, wenn jeder für 9 Euro ein Zuhausebleib-Ticket bekäme ...


Ist das jetzt mißglückte Ironie, oder hast Du einen weichen Keks?