Freitag, 22. Juli 2022

Einladung zur Erpressung: Am Nasenring der eigenen Angst

Selbstverständlich hat Wladimir Putin den Gasfluss durch die Alt-Pipeline Nord Stream 1 nicht gestoppt. Kein Erpresser, der etwas erreichen will, erschießt seine Geisel. Kein Stratege, der einen Plan hat, verzichtet auf ein Druckmittel, ohne aus seinem Einsatz einen Nutzen zu ziehen. Dass Deutschlands Politiker und Deutschlands Medien das Ende der russischen Gaslieferungen tagelang beinahe schon als feststehende Tatsache diskutierten, verdankt sich derselben Intention wie Putins von Weitem wirr erscheinende Ankündigungspolitik: Einmal stellt er klar, dass geliefert wird. Dann wieder, dass alle Lieferungen jederzeit zu Ende sein könnten.  

Unsicherheit und Angst

Öffentlich davon auszugehen, dass der Kreml-Herrscher seine wirksamste Waffe fortwirft, Deutschland in Unsicherheit und Angst vor dem kommenden Winter zu halten, dient einerseits dem Zweck,  das Schlimmste zumindest schon einmal gesagt zu haben, so dass niemand sich beschweren kann, wenn es dann wirklich so kommt. Und kommt es anders, wird allenthalben Dankbarkeit herrschen. Wie gut die Politik das wieder gemanagt hat! Wie sicher sie das Land durch alle Fährnisse steuert! Wie sie Nutzen und Frommen nicht nur des deutschen Volkes mehrt, sondern aller Menschen in EU, Europa und auf der Welt.

Eine Strategie, die als "Habecken" bekannt geworden ist, ihren Erfinder Robert Habeck in den zurückliegenden vier, fünf Monaten zum beliebtesten Kanzler der Deutschen machte und nun mehr und mehr Nachahmer auch im Lager derer findet, die politische Kommunikation bisher eher in der Tradition des ehemaligen CDU-Politikers Thomas de Maiziere betrieben: Mit der Begründung, dass "ein Teil dieser Antworten die Bevölkerung verunsichern" könne, hatte der damalige Innenminister es abgelehnt, Einzelheiten zu unschönen Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden rund um den geplanten Terroranschlag auf ein Fußballspiel öffentlich zu machen.

Schwarzmalen als Routine

Heute dagegen gehört Schwarzmalen und das Annehmen des allerschlimmsten Falles zur politischen Routine. Wenn das Gas nicht reicht, wird abgedreht, zuvor aber so lange ausgiebig und ergebnislos darüber debattiert, bei wem, dass am Ende niemand mehr überrascht sein wird, wenn es ihn trifft. Können weite Teile der Bevölkerung die hohen Preise für Energie nicht zahlen, wissen sie zumindest, dass ihnen kalte Duschen im Sommer nicht nur viel erspart, sondern auch eine gewisse Vorabhärtung hergestellt hätten. Und wenn erst die Energiepauschale ausgezahlt wird, mit 300 Euro für ein ganzes exzessives Inflationsjahr mit versiebenfachten Gaspreisen, reicht das wenigstens bei den ganz Armen, den Erdgasabschlag für den Monat zu begleichen, in dem Vater Staat die Summe ausreicht.

Fünf Milliarden werden da angewiesen, von den nicht einmal zwei als Lohnsteuern der Bedachten wieder zurückfließen. Das ist beinahe die Hälfte der Summe, die der Finanzminister zwischen Januar und März wegen steigender Preise an Mehreinnahmen aus der Umsatzsteuer verzeichnet hat. Nach dem Auslaufen des Gute-Laune-Tickets im September aber droht sich die Stimmung dennoch einzutrüben. Die kommunalen Verkehrsunternehmen drohen angesichts hoher Diesel- und Strompreise mit einem Angebotsrückbau, Behörden planen kalte Büros, Unternehmen verbannen ihre Mitarbeiter wieder ins Homeoffice, um in den Firmen Heizkosten zu sparen.

Rettung vom Balkonkraftwerk

Noch sind die führendsten deutschen Realitätsprüfer uneinig, ob Balkonkraftwerke die Situation entscheidend entspannen können oder doch abgewartet werden muss, bis in drei, vier oder sieben Jahren der Energieausstieg vollendet ist und Sparen als eigene Stromquelle anerkannt wird. Rebellen hängen die Kleinstanlagen ohne Genehmigung an ihre Brüstungen, unbürokratisch wie die Bundesregierung neuerdings ihre Schulden in Vermögen verwandelt und ohne Beachtung aller EU-Regularien zu Ausschreibungspflichten Waffen beschafft.

An der Entschlossenheit der Deutschen, auch diese erneut größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg zu überleben, bestehen Zweifel, an der der Bundesregierung nicht. Die eigenen Beschlüsse, "nie wieder" (Annalena Baerbock) russisches Gas und russisches Öl und russische Kohle nutzen zu wollen, gelten schon drei Monaten als besonders ausgemachte Teufelei Putins. Nicht Deutschland will nicht mehr beliefert werden, nein, er will nicht mehr liefern. 

Was zu Kriegsbeginn ähnlich emotional entscheiden wurde wie vor Jahren der Ausstieg aus der Kernenergienutzen, findet sich vier Monate später zu einer Naturkatastrophe umgedeutet: Das über dem nächsten deutschen Winter schwebende Gas-Aus erscheint in allen offiziellen Darstellungen wie ein russischer Willkürakt, eine Kriegshandlung ohne Anlass, der die größte europäische Wirtschaftsnation nur mit Sparappellen, Gürtelenger-Parolen und Versprechen auf eine lichte Zukunft vom Sonne und Wind irgendwo jenseits des Jahres 2030. begegnen kann. 

Wohl und Wehe hängt an Kanada

Ob es besonders klug war, in den Verhandlungen mit Kanada um die Freigabe der Siemens-Turbine, an der Wohl und Wehe Deutschlands hängen, mit dem Zusammenbruch der Ordnung hierzulande noch vor Winterbeginn zu drohen, wird sich zeigen. "Wenn wir kein Gas mehr bekommen, sind wir mit Volksaufständen beschäftigt", habe die deutsche Seite den Kanadiern verdeutlicht, die entschlossen waren, die vom Westen gemeinsam beschlossenen "härtesten Sanktionen aller Zeiten" (Olaf Scholz)  auch dort durchzuziehen, wo sie wirklich hart sind. Und sei es um den Preis "verheerender innenpolitischer Auswirkungen" (Die Welt) in einem verbündeten Staat.

Statt sich darauf zu besinnen, dass bereits die vorige Bundesregierung bei der inneren Sicherheit aufgerüstet hat, so dass eventuelle, von rechten Hetzern und Quertreibern instrumentalisierte Hunger- oder Kälteaufstände schnell und gründlich niedergeschlagen werden können, hat die Bundesregierung Wladimir Putin ihre offene Flanke gezeigt: Die offen eingestandene deutsche Furcht vor Sozialprotesten dürfte der Kremlherrscher als Einladung verstehen, seine Taktik beizubehalten und Deutschland am Nasenring der eigenen Angst über die Weltbühne zu führen. „Auftrag der Bundesregierung ist es, die sozialen Kompetenzen abzufedern“, hat die Außenministerin ihre eigene Verantwortung beschrieben. Ein Satz, der lange und laut nachhallt.



12 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Unseren sanktionsgeilen Klimaschützern und Weltrettern in Berlin scheint langsam zu dämmern, dass ein frierendes und hungerndes Volk sich nicht mehr nur per Propagandaglotze mit modernen Gladiatorenspielen bei Laune halten lässt.

Und unsere längst zum Staatsschutz umbenannte Polizei wird sich wie schon früher sicher gerne zu Killerbrigaden des Regimes umschulen lassen. Stecke einen Menschen in eine Uniform, und der wird ...

Gegen Fachkräfte-Prügeleien in Schwimmbädern tun die nix, aber murrende 'Kartoffeln' werden die brutal disziplinieren. Dann herrscht endlich Ruhe im Land der Import-Skipetaren.

Freuen wir uns also auf die Totenstille im winterlich eisigen Hungerspieleparadies.

Anonym hat gesagt…

Ohne Putins Gas können wir die Sanktionen gegen Putin nicht aufrechterhalten.

Ich finde, diese Logik der feministischen Außenpolitikerin wurde noch nicht ausreichend gewürdigt.

ppq hat gesagt…

das ist eine logik, die ganz naheliegt. der täter muss den von ihm angerichteten schaden natürlich selbst bezahlen - putin also die kosten dafür tragen, dass wir im unterschied zum kalten krieg heute durch unsere moralische weiterentwicklung genötigt sind, ihn mit den härtesten sanktionen aller zeiten zu bestrafen. klar ist aber, dass er dafür geradestehen muss!

Anonym hat gesagt…

@ ppq

Putin steht heute schon gerader da, als viele Westwertekrüppel es jemals schaffen werden.

Carl Gustaf hat gesagt…

"Und alle treten auf und wissen alles. Vermutungen, taktische Vorschläge, Wahrsagerei, Wunschvorstellungen. Während Krieg ist, haben alle Vordränglerischen eine gute Zeit." Marlene Streeruwitz, Handbuch gegen den Krieg

Anonym hat gesagt…

@ Bernd

Feinmechanik klingt die Folgen betreffend immer so schön filigran bzw. filetiert.

Aber auch mit der richtigen Mischung frei käuflicher schnöder Haushaltsmittel kann man schon recht beindruckende Gillabend-Feuerwerke basteln.

Die Anmerkung hat gesagt…

Wir werden dem Putin unsere Sanktionen nie verzeihen.

Dr. Habück

Die Anmerkung hat gesagt…

Genosse Oberst a.D. Douglas McGregor hat es für die hier aus dem angel und sächsischen Mitlesenden wie folgt ausgedrückt.

I think it's time to end this all that the Russians will do - within 30 days.

Nobody in Europe wants war with the Russians. Most of the armed forces of these countries are purely symbolic. Scenery! They haven't fought in decades. And they are definitely not ready to take the blow of the Russians.

Russia has plenty of resources, perhaps the most resource-rich country, and is not going to back down. And Putin's popularity ratings are going through the roof. After all, he defended Russia.

ppq hat gesagt…

wer die bundeswehr eine symbolische armee nennt, verharmlost sie!

Anonym hat gesagt…

die Bundeswehr beschäftigt gerne völlig unfähige Freimaurersöhne und andere Oberschichtkinder .

ZB wollte ein "Diplomingenieur" und Oberleutnant ( damals , als es noch NVA Leute beim Bund gab ) ein Loch in ein Panzerblech bohren .

gesagt - getan ; 12er HSS-E Bohrer ausm shop , Standbohrmaschine und schon kann das Praktikum für Offiziere beginnen ; ganz ohne Kühlung .

Kleinbernd war damals Obaidakind und hat Unimogs und Audos heilegemacht und dann mal beim Offizier zugeguckt.

"also ich würde da Kühlung drangeben "

" ja klar doch - aber : warum bin ich Loidnannt und du nur Fahnenjunky ? "
"weil du alles viel besser kannst Herr Generalfeldmarschall"

"werd mal nich frech hier" (der Bohrer verbrennt in der gnadenlosen Panzerplatte ).

"oh Scheiße man , schon der dritte Bohrer heute " .

Bernd holt also einen seiner güldenen Bohrer aus seiner Privatkiste und spannt ein 20mm Panzerblech direkt auf die Gussplatte.

"ist der vergoldet der Bohrer ?" fragt der Herr Obaloidnant .

"Im Prinzip ja " antwortet Bernd


https://de.wikipedia.org/wiki/Titannitrid

Anonym hat gesagt…

Oberleutnant ( damals , als es noch NVA Leute beim Bund gab ) ...

Zum großen Teil, jedenfalls in den 70ern, füllte die Enn-Fau-Ah ihre Kader dadurch auf, dass Typen, die durchs Abitur zu rasseln drohten, güldene Brücken gebaut und sie mit Vier minus irgendwie durchgeschleift wurden, unter der Bedingung, dass ...

Anonym hat gesagt…

Kaderkinder sind im Osten nirgendwo durchgerasselt - die wurden durch den Schulbetrieb "begleitet" .

Arbeiterkinder wurden im Osten und im Westen vom Schulsystem gemobbt . Die Bourgeoisie verschwindet ja nicht nur weil sie sich rot angemalt hat .