Mittwoch, 29. März 2023

Kriegskasse: So tödlich wirken Wortgranaten

Mit großem Staunen und noch größerer Freunde haben die Europäer gestern von einer speziellen EU-Friedenskasse erfahren.

Lange stand es im Schatten des älteren und viel bekannteren deutschen Bruders, seine Mitarbeitenden mühten sich, machten Vorschläge, konnten sich aber kaum irgendwo wirklich Gehör verschaffen. Zynisch höhnten die üblichen Kritiker*innen schon, dass das Europäische Amt für einheitliche Ansagen (AEA), erst vor zwei Jahren durch einen feierlichen Rechtsakt der EU-Kommission im Dom zu Speyer aus der Taufe gehoben, eine "Totgeburt" sei wie so viele EU-Initiativen der vergangenen Jahrzehnte - von der Gesundheitsunion Hera bis zur Montanunion, von der längst überhaupt niemand mehr spricht.  

Ein funkelnagelneuer Kampfbegriff

Beharrlich aber und ohne den Mut jemals sinken zu lassen, haben die Vorkämpfer für Verständlichkeit und Debattenkultur in einem gemeinsamen europäischen Sprachrahmen an ihrer Mission festgehalten. Zwar gelang es den heute 4.324 Angestellten des EU-Zentralsprachamtes vor dem Hintergrund der zersplitterten EU-Öffentlichkeiten nie, so bedeutsame Neuschöpfungen wie "Euro-Rettungsschirm", "Energiewende" und "Wachstumspakt" am Medienmarkt zu platzieren. Doch mit dem "Green Deal", dem Programm "Fit for 55" und dem "Chips Act" zeigte die Europäische Worthülsenagentur bereits, "dass eine engere Koordinierung in der EU, einheitliche Sprachregelungen und eine bessere Versorgung mit einem gemeinschaftliche genutzten Krisenvokabular" in der Tat gelingen kann, wenn konsequent die Muttersprache der fünf Millionen noch in der EU lebenden Englisch-Muttersprachler als ligua franca genutzt wird. 

Die ehemalige EU-Armee

Auch bei der Suche nach einem neuen Namen für das ehemals als "Europäische Armee" (Jean-Claude Juncker, 2015) geplante gemeinsame EU-Heer war die AEA kreativ. Als European Defence Agency (Europäische Verteidigungsagentur) bekam das mit 140 Bürosoldaten besetzte EU-Verteidigungsressort eine Bezeichnung, die halb an knallharte Geheimdienste fremder Staaten erinnert, sich aber in der Übersetzung ins Deutsche sofort in die Filiale einer Versicherung verwandelt. Die Deutschen wollen es so, die weniger empfindlichen Polen und Franzosen dagegen anders. Das denken die Beamter der AEA immer mit - und zusehends erfolgreich. 

War etwa ihr Vorschlag, eine zusätzliche Kasse außerhalb des gewöhnlichen Haushalts der Gemeinschaft als "European Peace Facility" (EPF, auf Deutsch "Europäische Friedensfazilität") zu bezeichnen vor zwei Jahren noch beinahe wortlos wurden, ohne bei den Medien auf große Begeisterung oder auch nur Protokollbemühungen zu treffen, entpuppt sich die dunkelgraue Kasse im Rahmen der Bemühungen der Union, die Ukraine bei ihrem Abwehrkampf gegen Russland zu unterstützen, nun als echter Trumpf. 

Ein innovatives Finanzierungsinstrument

Kein Geringerer als Josep Borrell, zuweilen nach einem Vorschlag der AEA von echten EUphorikern auch schon als "EU-Außenminister" (BPB) bezeichnet, hat das innovative "Finanzierungsinstrument" (Bundesministerium für Verteidigung) jetzt aus der Vergessenheit geholt und unversehens zu einer zentralen Waffe des europäischen Krisenmanagements erklärt. Die Friedensfazilität erweitere "die große Bandbreite ziviler und militärischer Instrumente der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP ®©) und stärke damit "die Handlungsfähigkeit und Glaubwürdigkeit der EU und ihrer Mitgliedstaaten", lobte Borrell die 2021 eingeführte "neue konkrete Komponente" (EU), nach der selbst die wenigen verbliebenen Fachleute in den Kriegsressorts der großen Sender und Magazine erst googeln mussten. 

Die teilstaatliche Nachrichtenplattform T-Online fand am schnellsten einen Weg, 84 Millionen freudig erregten Deutschen das "Finanzierungsinstrument außerhalb des EU-Haushaltes" (EU) schmackhaft zu machen. Als sei in den zurückliegenden beiden Jahren seit der Gründung der grauen Kasse über kaum etwas anderes geschrieben worden, verwandelte sich die "Fazilität" (vom Lateinischen facilitas ‚Leichtigkeit‘; zu Deutsch ist sinngemäß "leichterhand" gemeint) in eine Geheimwaffe, die nicht mehr nur wie ursprünglich geplant friedensunterstützende Operationen mitfinanziert, sondern fronttauglich weiterentwickelt wurde, um Waffen und militärische Güter zu kaufen -  mit einem globalen Ansatz, also nicht auf eine bestimmte Region begrenzt. 

Ein globales Sondervermögen

Hier zeigt sich, was die oft unterschätzte Arbeit von Bundesworthülsenfabrik (BWHF) und den EU-Kolleg*innen des AEA so wichtig macht. Das Wort "Faszilität" allein, gekoppelt mit der Allerwelts- und Wagenknecht-Parole vom "Peace" und den magischen Buchstaben "EU" reicht aus, Rechnungen zu bezahlen, für die kein Geld da ist. Ein bewährtes und inzwischen tagtäglich angewandtes Verfahren: Vor 20 Jahren erteilte sich die Gemeinschaft die erste Genehmigung zur Schaffung einer "Fazilität", damals noch eine Darlehens-Fazilität, die Mitgliedstaaten Kredite gab, die sich die Gemeinschaftswährung Euro nicht leisten konnten. Von anfangs zwölf wurde die Obergrenze der schwarzen Kasse später auf 50 Milliarden Euro angehoben. 2010 folgte dann schon die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität, die später zum Großen Europäischen Rettungsschirm aufgespannt wurde.

Die peace facility knüpft an diese erfolgreichen Vorläufer an, seit sie damals während der von den Völkern der Welt langersehnten deutschen EU-Ratspräsidentschaft im Jahr 2020 entscheidend vorangebracht wurde. Zweieinhalb Jahre hatte es am Ende gedauert, eine politische Einigung zur Ausgestaltung mit allen Mitgliedsstaaten zu erreichen, fast auf den Tag genau vor zwei Jahren machte schließlich der Rat für Auswärtige Angelegenheiten (RfAB) Nägel mit Köpfen in Brüssel, so dass die European Peace Facility noch kurz vor knapp vor Ausbruch des russischen Angriffs auf die Ukraine "mit Leben gefüllt" (EU) werden konnte. Josep Borrell ist es zu danken, dass an diesen schönen und stolzen Jahrestag erinnert wird. Denn wie der Spanier bei T-Online wissen lässt: "Dies wird zur gesamtheitlichen Weiterentwicklung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik beitragen."

Nicht irgendeinen Frieden

Dort weiß man jetzt, dass die EU nicht irgendeinen Frieden will und dafür auch bereit ist, zu zeigen, dass sie, wenn es nötig ist, auch dazu bereit ist, Tabus zu brechen und einen weiteren großen Schritt zu machen: Der Ukraine die Munition zu liefern, die sie so dringend benötigt. In sack und Tüten, wie man im politischen Brüssel sagt, ist schon die Finanzierung der Bereitstellung von Artilleriemunition aus vorhandenen Beständen oder aus noch nicht erteilten Aufträgen, dazu kommt nun die gemeinsame Beschaffung neuer Artilleriegranaten nach dem Vorbild der Corona-Spritzen und als drittes Puzzleteil die Aufforderung an die europäische Verteidigungsindustrie zur Erhöhung der Produktionskapazitäten. 

Undenkbar ohne die Europäischen Friedensfazilität, die Entschädigung für Mitgliedstaaten zahlen wird, die Munition an die Ukraine liefern und auch die Rechnung für Neubestellungen von "Munition des Kalibers 155 Millimeter und, falls notwendig, Raketen" zu übernehmen wird. Zwei Milliarden stehen bereit, zwei weitere Milliarden sollen die Mitgliedsstaaten drauflegen. Eine Million Artilleriegeschosse sollen eingekauft werden - bei Kosten von 3.000 Euro pro Granate und dem Mengenrabatt, den die federführend beteiligte Europäische Verteidigungsagentur zweifellos heraushandeln wird, bleibt sogar noch Raum für einen Schuss obendrauf, wenn es dann auf die Krim geht.


4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Erinnert einen an früher, wo auch immer alles, was für den Krieg war, als für den Frieden deklariert wurde. Die gleichen Euphemismen von den gleichen Gestalten.
Na aber wir wollen doch alle Frieden! Du etwa nicht, Genosse?

OT Physiknachhilfe
https://www.anti-spiegel.ru/2023/wie-russland-auf-die-lieferung-von-uranmunition-an-kiew-reagiert/?doing_wp_cron=1680018073.3224480152130126953125

Er besteht aus einem Metall namens Uran-238. Das ist ein Metall, dessen spezifisches Gewicht dem von Gold nahe kommt. Es ist mehr als doppelt so schwer wie Stahl. Dieses Gewicht macht seine kinetische Energie gigantisch.

Die kinetische Energie kommt aus der Treibladung. Die hat bei DU-Geschossen praktisch die gleiche Masse wie bei anderen Geschossen.

Der entscheidende Parameter ist die Querschnittsbelastung:
https://de.wikipedia.org/wiki/Querschnittsbelastung

Was dort von Booten steht, ist freilich Schwachsinn. Weil keiner mehr Bock auf Wokiblödia hat, kann es aber da stehen bleiben.

Die Anmerkung hat gesagt…

Das freut mich, daß noch jemand Russenmathe für Anfänger entdeckt hat.

Anonym hat gesagt…

Wenn Journalisten keine Waffen durcheinanderwürfeln können, dann eben Parameter der Ballistik. Sie finden immer was.

Anonym hat gesagt…

Man kann es mit allem übertreiben, so auch mit der Vorsicht.
Oder aber, man glaubt den Mulm tatsächlich selber - was wir doch nicht hoffen wollen.