Sonntag, 7. April 2024

Gerhard Schröder: Vom Helden zum Hassobjekt

Vor 20 Jahren der Held, der die SPD wieder groß gemacht hatte. Zum 80. gratuliert ihm seine Partei nicht einmal mehr, denn nun gilt Gerhard Schröder als Hassfigur.

Es muss ihr und es muss auch ihm Angst und Bange werden beim Blick auf das, was eben wieder geschieht. Gerhard Schröder wird 80 Jahre alt. Und das Land, das dem Sozialdemokraten das vorübergehende Ende eines langen Siechtums und die Wiederauferstehung von Lager des kranken Mannes Europas verdankt, kennt nur eine Gefühlsregung beim Blick auf das Geburtstagskind: Hass, mal verwunden und versteckt, mal offen und demonstrativ ausgestellt.

Auf dem Sünderbänkchen

Zum runden Geburtstag geschieht Schröder, was seinem Vorgänger Helmut Kohl ebenso widerfuhr. Ausgeschlossen aus der Gemeinde der Demokraten, die sie selbst einst angeführt hatten, müssen die Überväter ihrer eigenen Ära auf dem Sünderbänkchen Platz nehmen. Halbwüchsige, die in ihren großen Tagen nicht mal als Mundschenk oder Aschenbrödelnde bei Hofe vorgelassen worden wären, arbeiten sich an den einstigen Giganten ab. Der Segen, den die Großkopferten früher genossen, verwandelt sich in einen Fluch, in den alle bereitwillig einstimmen.  

Nein, es war nicht alles schlecht damals. Aber es war auch nichts gut an dem, was diese vermeintlich großen und heute alten weißen Männern gewollt und bewirkt haben. Zehn Jahre nach dem ersten Versuch, den vormaligen Parteipatriarchen Schröder loszuwerden, sind die anderen seinerzeit mit dem Fall befassten Genossen weitgehend anderweitig untergekommen. Yasmin Fahimi rettete sich in den Führungsposten beim DGB, Sigmar Gabriel privatisiert und Martin Schulz wurde mit einem Job des Vorsitzenden der SPD-eigenen Friedrich-Ebert-Stiftung für seine Leistung abgefunden, knapp die Hälfte der Leute, die Schröder 2002 gewählt hatten, 2017 ins politische Exil getrieben zu haben. 

Vergessene Kulissenschieber

Niemand schert sich mehr um diese Kulissenschieber, niemand weiß überhaupt noch, wer Katarina Barley war, Andrea Nahles oder Carsten Schneider. Schröder aber bleibt wie Kohl bis zu seinem letzten Tag ein Symbol: Dem Niedersachsen gelang es mit Zigarre, Bier und neoliberaler Vernunft, die deutsche Sozialdemokratie zumindest vorübergehend von der Idee zu überzeugen, dass Menschen nicht grundsätzlich betreuungsbedürftig sind, häufig zu eigenen Entscheidungen fähig und oft dankbar, wenn sie einfach in Ruhe gelassen werden statt fortwährend mit neuen Vorschriften und Verboten behelligt.

Für die heutige SPD reine Ketzerei. Zwar hat die frühere Arbeiterpartei (Willy Brandt) ihren Kanzlerposten mit einem früheren Schröderianer besetzt, ebenso den Posten des Bundespräsidenten. Doch beide mussten zuvor abschwören: Schröders Sozialreformen wurden erst umbenannt, dann abgeschafft. An seine Idee zusammen mit den Grünen entwickelten Idee der Energiepartnerschaft mit Russland hielt die Partei länger fest. Aber die Sprengung von Nordstream war dann wie das Zeigen der Instrumente in den Folterkammern der Heiligen Inquisition. Schröder wurde vom zweiten Brandt zum zweiten Hitler. Ein Vaterlandsverräter. Ein unbeirrbar Irrender. Ein Unikum auf dem Abstellgleis, das nur leider nicht stille sein will.

Verhasste Ruhmestaten

Gerhard Schröder selbst wirkt meist amüsiert, wenn er mit den Versuchen seiner Partei konfrontiert wird, ihre erfolgreichsten Jahre aus den Geschichtsbüchern zu radieren. Seine Nachfolgerin Angela Merkel aber, im Unterschied zu ihm wegen ihrer fortdauernden Wirkung noch mit Büro und Mitarbeitern ausgestattet, als führe sie ein erfolgreiches mittelständisches Unternehmen, dürfte sich langsam große Sorgen um ihren Platz in der Historie machen: Nach Helmut Schmidt, der erst als rauchender Talkshow-Gast wieder an Beliebtheit gewann, Helmut Kohl und Gerhard Schröder wäre sie die nächste Kandidatin für eine umfassende Verdammung aller ihrer früheren Ruhmestaten.

Hat die seit ihrem Abschied aus dem Amt weitgehend abgetauchte Kanzlerin schon Angst? Fürchtet sie ein Scherbengericht, wie es Schröder erlebt? Denkt sie wie ihr Vorgänger über ihre Nachfolger in der Partei? Sieht sie auch "armselige Gestalten" und "armselige Leute" mit Führungsfiguren, deren "Provinzialität" jeden Politiker traurig und besorgt stimmen muss, der in seiner Zeit an den globalen Steuerrädern mitgedreht hat? Und nun für seine Wirkmächtigkeit bestraft wird, indem ihm die eigene Parteiführung Geburtstagsglückwünsche zum 80. verweigert? 

Stil ist der Griff einer Schippe in der Hand der Nomenklatura, die sich die SPD seit Jahren in der Assiette der Wahlkreisbüros ihrer schwinden Zahl von Abgeordneten backt. Dass Schröder, würde er heute zur Wahl antreten, vermutlich spielend mehr Stimmen holen würde, als Demoskopen dem derzeitigen Zugpferd Scholz im Moment zutrauen, wurmt die Kühnert, Faeser, Heil und Klingbeil ganz besonders. Schröder ist ihr Wagenknecht. Das Gespenst einer SPD, die anders wäre. Aber dann ohne sie.

Vom Ende her gedacht

Elf Jahre wird Angel Merkel bangen und bibbern müssen, dass es ihr nicht eines Tages auch so geht. Heute schon stehen ihre früher im Geheimen gegen sie arbeitenden Feinde selbstbewusst zu ihren obstruktiven Plänen, heute schon muss sich die Ostdeutsche aus Hamburg immer öfter fragen lassen, wie falsch das alles war, wie gefährlich und wie viel Wohlstand und Klimagerechtigkeit sinnlos vernichtet wurden. Merkel, die ihren begeisterten Propagandisten zufolge eine ganze Laufbahn lang immer alles vom Ende eher gedacht hat, stellt in diesen Tagen fest, dass das alles gar kein Ende hat.

Merkel mag noch hoffen, dass der Kelch der Verdammnis an ihr vorübergeht oder sie als Frau auf mehr Rücksichtnahme rechnen darf. Wo Schröder seinen Erben vorhält, dass viele Leute glaubten, "die kümmern sich in Berlin mehr um Gendern, Cannabis und solche Sachen" und seine Partei "den Kompass verloren"  habe, versucht die Christdemokratin noch, ihren Nachruhm durch Unsichtbarkeit zu wahren. Noch steht ihr Vorgänger wie ein Schutzschirm vor ihr. Dass sie es war, die Schröders und Fischers und Schwesigs Nordstream gebaut hat und Putin mit Umarmungen ruhigstellen wollen, kommt erst zur Sprache, wenn der Jubilar fort ist.



4 Kommentare:

Volker hat gesagt…

"Niemand schert sich mehr um diese Kulissenschieber, niemand weiß überhaupt noch, wer Katarina Barley war, Andrea Nahles oder Carsten Schneider"

Carsten Schneider?
Der hat immerhin noch den Posten des SPD-Chefkomikers. Die besten Witze reißt er in Sachen Meinungsfreiheit

n0by hat gesagt…

Ob Putin mit dem Krieg Russland ähnliches zumutet, was Schröder mit den Hartz-Gesetzen uns zugemutet hat?

Anonym hat gesagt…

Eine Art Apologie für Gerhard Rotkohl? Ohne mich.
Dass er sich dem direkten Einsatz der Bimbeswehr im Ersten Golfkrieg widersetzt hatte, war erstens Sachzwängen geschuldet, und hat er zweitens durch etliche andere Sauereien mehr als wettgemacht.

Anonym hat gesagt…

Korrektur: Im Zweiten Golfkrieg naturalmente. Peinlich.