Samstag, 14. Juni 2025

Zitate zur Zeit: Brief aus dem Krieg

Waffen Heinrich Böll Krieg Briefe

Der Krieg, jeder Krieg ist ein Verbrechen, ich hasse den Krieg, und all diejenigen, die Freude an ihm finden, hasse ich noch viel mehr; ich hasse ihn aus tiefster Seele, den Krieg und jedes Lied, jedes Wort, jede Geste, jeden, der irgendetwas anderes für den Krieg kennt als Hass. 

Das Leben ist grausam, und der Krieg, jeder Krieg ist ein Verbrechen; für immer bin ich absoluter Anti-Militarist geworden in diesen letzten Monaten elender Quälerei mit stupidem Kasernenhofdrill. 

Das Kasernenleben ist das absolute Institut des Stumpfsinns, das Soldatenleben große Scheiße. 

Heinrich Böll in einem Brief aus dem Krieg

Haltungsökonomie: Die Kompanie der Kontraindikatoren

Jede Fehlprognose hat ihre Zeit, aber auf jede falsche Vorhersage folgt eine nächste.

Der Hungerkünstler begreift den Mangel an Nahrungsmitteln als höchstes Glück, der gute Ökonom seine Fehleinschätzungen als weltverändernde Warnungen. Nur derentwegen konnte alles anders kommen als vorhergesagt. Nur weil sie sich als falsch herausstellen, immer wieder und wieder, sind sie richtig gewesen.

Mit Marcel Fratzscher, Mark Schieritz, Ulrike Hermann und Maurice Höfgen hält sich Deutschland eine ganze Kompanie aus Kontraindikatoren. Nach der Devise "Das Geld ist da, es hat jetzt nur ein anderer" übertreffen sich die Männer gegenseitig in Fehlurteilen. Bei ihnen war Inflation kein Problem, der Wertverfall des Euro nur ein temporäres, die Transformation der Wirtschaft weg von der Produktion, hin zum Beamtentum sollten ihren Bekundungen nach rasend schnell grünen Wohlstand schaffen und Deutschland in ein zweites Bhutan mit blühender Armut verwandeln. Naturnah, bescheiden und glücklich mit dem, was es hat. 

Regelmäßiges Versagen bei der Einschätzung 

In früheren Zeiten unvorstellbar: Aus dem regelmäßigen Versagen bei der Einschätzung der Lage zieht eine ganze Generation von Ökonomen ihr Selbstbewusstsein. Je häufiger Fratzscher, Schieritz, Höfgen und Kollegen danebenliegen, umso lauter behaupten sie, es genau gewusst zu haben und natürlich auch aktuell wieder genau zu wissen. 

Die Studie muss noch erfunden werden, die absurd genug wäre, um ihnen nicht als Grundlage für eine verrückte Zukunftsprojektion herzuhalten: Es gibt keine Pullfaktoren, die Zufluchtsuchende aus aller Welt letztlich in auffallend großer Zahl in Deutschland landen lassen, denn das habe die Wissenschaft vielfach herausgefunden. Es habe auch keinen Sinn, in einem Land, das einen der weltweit höchsten Unternehmenssteuersätze hat, an der Körperschaftsteuer zu schrauben, um die Belastung der Unternehmer zu senken.

Reiche aus dem hart arbeitenden Mittelstand 

Populär ist in diesen Kreisen auch die These, dass angesichts von rekordhohen Steuereinnahmen des Staates nur die Steuern für Reiche aus dem hart arbeitenden Mittelstand erhöht werden müssten, um endlich mit der Sanierung der maroden Infrastruktur beginnen zu können, die einstmals aufgebaut wurde, als die Steuersätze noch bei einem Drittel der heutigen lagen.

Ja, es werde "Zumutungen" geben müssen, hat Marcel Fratzscher gerade bekanntgegeben. Ein Kurswechsel stehe an, der "vielen Menschen Entbehrungen abverlangen" werde, gleichwohl aber alternativlos sei: Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung DIW und Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität in Berlin, der lange an die klimagesundheitsfördernde Wirkung hoher Inflationsraten geglaubt hatte, durch die "Transformation der deutschen Wirtschaft" wie von Zauberhand herbeigeführt würde, hat sich umentschieden. 

Konsequente Umsetzung der Ziele

Es ist zu spät. "Deutschland hat heute nicht die Wahl zwischen einer kleinen Deindustrialisierung und der Beibehaltung des Status quo, sondern zwischen einer geringen und kurzen oder einer starken und lang anhaltenden Deindustrialisierung" ist Fratzscher zufolge die neue Rückzugsline. Dies erfordere "auch eine konsequente Umsetzung der Ziele und Maßnahmen in Bezug auf Klima und Umwelt – und zwar ohne Verzögerung". Das "auch" lässt spätere Korrekturen offen. Kommt es so, kommt es so. Kommt es anders, ist auch die neue Prognose unbestreitbar korrekt gewesen.

In der Parallelwelt der Vulgärökonomie hat sich die Wirklichkeit an Vorhersagen anzupassen, die auf Beobachtungen in der gefühlten Natur beruhen. Maurice Höfgen, ein Taz-Ökonom aus der Hermann-Schule der progressiven Degression, hat errechnet, dass es drei Jahre brauchen wird, "um die Verluste von drei Jahren gesunkener Reallöhne wieder aufzuholen". Dazu, mathematisch ist das kaum anzuzweifeln, "müssen die Reallöhne nicht nur wieder auf das Niveau von vor der Krise". Sondern danach auch noch "erstmal drei Jahre darüber liegen". 

Neue Definition von Wohlstand 

Nicht jede Branche hat wie der Bundestag die Möglichkeit, sich generell nach dem Nominallohnindex zu bedienen oder die eigene Bezahlung gleich generell mit der Inflationsrate wachsen zu lassen.  Das gilt es zu ändern, schlägt Höfgen vor. So könnte etwa die staatliche Bundesbahn verstaatlicht werden und wieder eine Behörde werden, statt wie heute als "Börsenbahn" (Höfgen) Fahrgäste zu verschrecken. 

Zahlt der Staat erst alles, kommt der Abschwung aus einer Hand. Die "neue Definition von Wohlstand", die die Degrowth-Ökonomin Ulrike Hermann vor längerer Zeit vorgeschlagen hat, müsste dann nur noch in die Köpfe der Uneinsichtigen, um Glücksgefühle über ein Stück Brot, ein Stück gute Butter von der Tafel oder eine lauschige Stunde in einem wohlig beheizten Zimmer im kalten Klimawinter auszulösen. 

Falsche Entlastung 

Unternehmen von Kosten zu entlasten, wäre nicht mehr falsch, sondern unnötig. Um den Konsum anzukurbeln, könnten die Steuern erhöht werden. Es würde weniger konsumiert und dank höherer Kosten trotzdem mehr gekauft. Die Abwanderung von Firmen wäre ein Segen, denn weil sie die deutsche Klimabilanz aufbessern würde. Vorbildhaft könnte Deutschland zeigen, wie lange sich eine vorhandene Infrastruktur nutzen lässt, bis alles zusammenbricht. Die DDR schaffte 40 Jahre nahezu ohne adäquate Anschlussinvestitionen. 

Das kleinere Deutschland aber war auch schon mit einer maroden Grundausstattung gestartet. Da geht zweifellos mehr, wenn die Bereitschaft zum Verzicht auf den Glauben trifft, dass 84 Millionen Einwohner Deutschlands wirklich etwas bewirken können, wenn sie ihre Lebensweise drastisch ändern. Der Rückbau der Beschäftigung in der Industrie ist ein wichtiger Baustein, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen. Einstige Schlüsselbranchen gehen entschiedenen Schritten voran und aktuelle Projektionen des Ifo-Institutes zeigen, dass beides zugleich möglich ist: Schrumpfen und kräftig zulegen. 

Widerlegte Glaubenssätze 

Alte Glaubenssätze werden von neuen Statistiken widerlegt. Obwohl die Industrie im Land binnen eines Jahres 100.000 Fachkräfte für Abschlussverwendungen in volkswirtschaftlich wichtigeren Bereichen freigesetzt hat, blieb das Bruttoinlandsprodukt stabil. Die PWC- und McKinsey-Regel, wonach sich immer ein Fünftel aller Stellen einsparen lässt, ohne dass sich das Betriebsergebnis entsprechend negativ entwickelt, lässt auf gesamtgesellschaftlicher Ebene noch reichlich Spielraum. 

Eine Woche vor der von Friedrich Merz für den Sommer vorhergesagten Stimmungswende im Land stehen die Zeichen auf Grün. Marcel Fratzscher hat errechnet, dass  mehr Arbeit nicht mehr Wohlstand bedeutet, weniger Arbeit folgerichtigerweise auch nicht weniger. Mark Schieritz sieht sich selbst vom "kräftigen" (Ifo) Wachstumsschub bestätigt: "Die Regierung nimmt Geld in die Hand und das Wachstum springt an", hat er bemerkt, noch ehe die neue Bundesregierung auch nur einen Haushalt beschließen oder ihre Entbürokratisierungszusagen in ein Gesetz gießen konnte. 

Höfgen gefällt das nicht 

Höfgen gefällt das oder auch nicht: "Stell dir vor, du bist Finanzminister und SPD-Chef und mit deinem ersten Gesetz erlässt du Firmen 46 Milliarden Euro an Steuern." Es gibt keine Pullfaktoren, nirgends. Kein Untenehmen investiert, nur weil niedrigere Steuern höhere oder überhaupt Gewinne versprechen. Kein Arbeitnehmer legt sich krumm, würden ihm von tausend Euro mehr nicht mehr nur 500, sondern 600, 700 oder 800 bleiben. 

Die CDU hat das schon wenige Tage nach der Bundestagswahl verstanden. Aus dem wahlversprechen, dass Rentner mit der neuen "Aktivrente" bis zu 2000 Euro monatlich steuerfrei hinzuverdienen dürften, ist die Zusage geworden, sie dürften das. So lange sie keine Rentner seien.

Während die USA nach aktuellen Befunden untergehen wie einst das Römische Empire, wächst in Europa unerbittlich die Zuversicht. "Hunderttausende Babyboomer gehen vorzeitig in Rente",hat das frühere Nachrichtenmagazin der Spiegel auf einer wagemutigen Expedition zu Pudels Kern herausgefunden. Die, die von 75 Jahren Frieden durch ein vereintes Europa, durch Mauerfall, Wehrpflicht, Euro-Einführung, Hartz.4-Reformen und Steuererhöhungen profitiert haben, machen sich in dem Moment einen schlanken Fuß, in dem sie am dringendsten gebraucht werden. "Der Wirtschaft fehlen Fachkräfte, Betriebe umwerben Babyboomer - doch die steigen auffällig frühzeitig aus, obwohl die Lebenserwartung steigt."

Auffällig frühzeitig 

"Auffällig frühzeitig" ist das neue "Verdachtsfall", das zu einer Einstufung als "gesicherte Bestrebung" führen kann. Mancher hat noch keine 45, viele haben noch keine 50 Jahre gearbeitet und statt die alten Knochen im Sinne des Gemeinwohls wenigstens noch weiter auf die Baustelle zu schleppen, bis die Generation Greta die Arbeitshandschuhe und Gummistiefel anzieht, schlagen sie sich faul in die Büsche. Keine geduld, darauf zu warten, dass Flüchtlinge werden Renten der Babyboomer zahlen, wie Marcel Fratzscher von zehn Jahren vorhergesagt hatte.

Jetzt sind "Migrantinnen und Migranten langfristig ein Gewinn für Deutschland, auch finanziell", hat der Wissenschaftler nachgeschärft. Die Politik müsse aufhören, Zuwanderung nur als Problem darzustellen. Dann gebe sich das mit den Wachtumsschmerzen.

Es ist der feige Abschied der Boomer vom Arbeitsmarkt, der den Lebensstandard bedroht. Er lässt die "Sicherungssysteme" (Spiegel) so schwer beben, dass selbst die Milliardenzuschüsse nicht reichen, mit denen Zugewanderte einer Studie des Instituts für Deutsche Wirtschaft nach heute schon die Kassen "massiv" (Volksverpetzer) füllen. 

7.100 Euro bringe jede zugewanderte Person als Boost für den Sozialstaat, hat der Ökonom und Wirtschaftsweise Martin Werding für den Mediendienst Integration ausgerechnet. Auf 100 Milliarden Euro jährlich taxiert er den Ertrag, den Migration den öffentlichen Haushalten beschert. Grundschulmathematik ist der Feind der Vulgärökonomie: 7.100 Euro jährlich wären selbst bei allen 2,4 Millionen Zuwanderern, die seit 2015 in Deutschland Zuflucht fanden, knappe 18 Miliarden, nicht 100. Nach Angaben des renommierten Faktencheck-Portals Volksverpetzer liegen die "Ausgaben für Geflüchtete aktuell bei etwa 30 Milliarden Euro jährlich". 

Immer mehr, immer weniger 

Aber so ist das. "Immer weniger Menschen", behauptet der "Spiegel", "müssen immer mehr erwirtschaften". Kein Fratzscher-Satz, denn aus wissenschaftlicher Sicht liegt "die Verantwortung für die Misere bei Politik und Unternehmen – nicht bei den Arbeitnehmern". Wohlstand sei mehr als nur der stetige Anstieg des Bruttosozialprodukts, Wohlstand ist, wenn der Boomer sich wohlfühlt, weil er auch im hohen Alter noch gebraucht wird. "Wir müssen weg von diesem sehr engstirnigen Denken, dass Wachstum das ist, was zählt", sagt Marcel Fratzscher. Jeder Mensch ist anders, niemand weiß wie. 

Niemand hat die Absicht, die Renten zu kürzen. "Das ist eine wichtige und gute Nachricht für die Rentnerinnen und Rentner", hat Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) die Position der alten Bundesregierung zu der der neuen gemacht. Es ist gut, wie es ist, und so soll es bleiben, nur anders. Nach Schwesigs Angaben ist das Vertrauen in die Rentenversicherung groß. "Über 70 Prozent haben Vertrauen in die Rentenversicherung", allerdings glaubten nur 20 Prozent,  "dass es eine auskömmliche Rente gibt". 

Doch sie haben es selbst in der Hand. Mehr arbeiten oder länger, mehr verzichten, sich einen neuenn Wohlstandsbegriff zulegen - die freiheitliche Gesellschaft bietet viele Möglichkeiten der Wahl. Entscheiden darf sich jeder selbst.

Freitag, 13. Juni 2025

EU-Coronageld: Es ist noch Suppe da

Von der Leyen Corona-Fonds Maske Kümram
Ursula von der Leyen kann selbst mit Maske Gelegenheiten erkennen, die sich eignen, der EU mehr Geld oder neue Zuständigkeiten zu erobern. Abb: Kümram, Buntstifte auf Wachspapier

Schneller war die Europäische Union nie zuvor gewesen. Die Corona-Pandemie hatte noch nicht einmal richtig begonnen, da war die Kommission mit einem Rettungsplan zur Stelle. Am 26. Mai vor fünf Jahren schlug sie den Mitgliedsstaaten den Europäischen Aufbauplan vor, ein Geldmonster mit 750 Milliarden Euro Inhalt, gerechnet nach Preisen von 2018, so dass eigentlich mehr als 800 zusammenkamen. So stabil war der Euro gewesen und so eilig hatten es die Staats- und Regierungschefs, dass sie nur zwei Monate brauchen, um dem bis dahin größten Gemeinschaftsprojekt der größten Staatengemeinschaft der Welt ihr Okay zu geben. 

Europas größter Geldtopf 

Der im Europadeutsch "Aufbau- und Resilienzfazilität" genannte Geldtopf bekam für die bessere Außenwirkung den schönen Namen "NextGenerationEU", als sollte er die EU der vorigen Generation ablösen. Und nun war er "mehr als nur ein Aufbauplan!", wie die Kommission sich selbst  überschwänglich lobte. 

NextGenerationEU sei "eine einmalige Gelegenheit, gestärkt aus der Pandemie hervorzugehen, unsere Volkswirtschaften umzugestalten sowie neue Chancen und Arbeitsplätze für unser Europa von morgen zu schaffen", begründete EU-Kommissarin Ursula von der Leyen den Schritt vom Ich zum Wir. Erstmals war nicht mehr jeder Mitgliedsstaat für seine eigenen Schulden zuständig, sondern jeder auch für die aller anderen. 

Seit der Finanzkrise zehn Jahre zuvor waren gemeinsame Schulden, gegen die kein nationales Parlament  mehr Einspruch einlegen kann, der große Traum der Brüsseler Bürokraten gewesen. Regierungsuntauglich, wer nicht die nächste Krise nutzt, um durch die Hintertür einen Vorschlag durchzusetzen, für den er zuvor schon mehrere Male durch die Vordertür aus dem Haus geschickt wurde. Ursula von der Leyen kennt das weder Scham noch Schüchternheit. Die deutsche Kommissionschefin weiß, dass die EU so lange funktioniert, wie sie Geld hat, das sich verteilen und den Bürgern daheim als warmer, kostenloser Regen von den Nachbarn verkaufen lässt.

Ausnahme! Ausnahme! 

Endet der warme Strom an pekuniärer Zuneigung, endet auch die Langmut der Bürgerinnen und Bürger mit Bürokratie, Vorschriftenunwesen und einer Überregulierung, die den selbsternannten Weltfriedenskontinent mehr und mehr von sämtlichen Fortschrittstechnologien abklemmt. Danach endet aber als Nächstes die Beliebtheit des Apparates. Und damit über kurz oder lang dessen selbstgenügsame Existenz. Von der Leyen setzte auf Sieg. Und sie gewann: Erstmals bekam die EU gemeinsame Schulden. Ausnahme! Ausnahme! Nur diesmal, so wurde der Sündenfall, den die Väter der Europäischen Verträge ausdrücklich ausgeschlossen hatten, entschuldigt.

Jede Krise ist so nicht nur im Chinesischen zugleich eine Chance, sondern erst recht im Europäischen. Hektisch werden Krisenpakete geschnürt und Rettungsschirme aufgespannt, das Europäische Amt für einheitliche Ansagen (AEA), Pendant zur Bundesworthülsenfabrik (BWHF) in Berlin, tüftelt emsig hübsche Namen: NextGenerationEU (NGEU), Covid-19-Aufbaupaket,  "Horizont Europa", "rescEU" und "EU4Health". Manche etwas unglücklich, andere missverständlich, immer ein Sprachquark wie aus dem Setzkasten.

Mangel an Fachpersonal 

Doch seit dem Austritt der Briten fehlt es auch beim AEA an englischen Muttersprachler. Um die Internationalität und Weltgeltung der Brüsseler Beschlüsse zu untermauern, besteht Ursula von der Leyen aber dennoch auf Programmnamen, die zumindest dem nicht Sprachkundigen wie Englisch vorkommen sollen.

Als der Name stand, hatten "wir alles, was dafür nötig ist -  klare Vorstellungen, einen Plan und die Abmachung, gemeinsam 806,9 Mrd. EUR* zu investieren", hieß es vor fünf Jahren. Sofort machte sich Europa an die Arbeit, es galt Anträge zu schreiben und Coronaschäden nachzuweisen, Anträge nachzubessern und Formulare so auszufüllen, dass es wenigstens den Anschein erweckte, Europa werde "grüner, digitaler und krisenfester" sein, wenn es das Geld endlich los ist.

Es hilft, egal wogegen 

Kurz machten die italienischen Aufbaupläne Furore. Der mit EU-Geld gepolsterte Wiederaufbaufonds der Regierung in Rom (auf Italienisch "Piano Nazionale di Ripresa e Resilienza", kurz PNRR) umfasst 194,4 Milliarden Euro. Italien sanierte damit ein denkmalgeschütztes Stadion, es baute Paddelstrecken gegen das nächste Virus, die Sportanlage "Bosco dello Sport" bei Venedig und Olivenpressen. Es war der Glaube, dass das helfen wird, der die Frage verhinderte, wogegen es wohl helfen könne.

Letztlich ist aber doch alles gut ausgegangen. Lange schon war nur noch wenig vom größten Wurf der Gemeinschaft zu hören, die letzten Meldungen tröpfelten allenfalls und Triumphnachrichten waren nicht darunter. Nach vier Jahren, hieß es 2025, seien die Kommission jetzt 150 Milliarden irgendwie doch losgeworden. Die Fazilität schien doch Chancen zu haben, noch vor dem Jahr 2058 leer zu werden, wenn die 800 Milliarden plus Zinsen zurückgezahlt sein sollen.

"Befristetes Aufbauinstrument" 

Aber gar so schnell schießen die Blütenträume nicht ins Kraut. Auch zu fünften Jubiläum des Starts des "befristeten Aufbauinstruments" (EU) liegt mit 335 Milliarden Euro noch fast die Hälfte der ursprünglich für den Wiederaufbau der Gemeinschaft lebensnotwendigen Summe im Tresor. Keiner will es haben, weil, niemand weiß, wofür. Die Mehrzahl der von Brüssel aus attestierten "unmittelbar coronabedingten Schäden für Wirtschaft und Gesellschaft" hat es nie gegeben oder aber sie waren von einer Art, die sich mit EU-Geld nicht "abfedern" (EU) ließ.

Für viele Organisationen, Unternehmen oder Privatleute wäre es ein Problem, sich bei der eigenen Finanzplanung derart verrechnet zu haben. Ein Häuslebauer, der für 335.000 baut, aber 800.000 als Kredit aufnimmt? Schlecht beraten, denn der benötigte Kredit kostet ihn etwas mehr als 700.000 Euro, der höhere hingegen 1,6 Millionen. Für eine EU-Kommission aber, die mit sechs Nullen mehr rechnet, ist das keine große Sache. 

Ausnahme! Ausnahme! 

Zum Glück war die nächste Krise pünktlich zur Stelle, Ursula von der Leyen war eine der Ersten, die sie für sich entdeckte. Den Namensvorschlag "ReArm Europa" für die große Rüstungssause auf Kosten einer neuen Gemeinschaftsfazilität (Ausnahme! Ausnahme! Nur diesmal!) musste die Deutsche zwar zurückziehen. Einige wankelmütige Mitglieder hatten sich an der krawallgierigen Bezeichnung gestoßen. Aber das "Stählerne Stachelschwein", in das die Kommission EU-Europa verwandeln will, darf gezüchtet werden - Codename jetzt "Readiness 2030", so getauft nach dem Jahr, in dem der Russe kommt, weil er weiß, dass Europas Armeen jetzt bereit sind zur großen Endschlacht.

Das Corona-Geld kommt so auch noch unter die Leute. Was an Milliarden übrig ist, und das sind nicht wenige,  wird "umgewidmet", wie es im Behördendeutsch heißt. Weg mit Schaden, egal warum, Hauptsache ausgegeben. Die EU hat es gut, denn sie ist nicht Deutschland: Dort hatte das Bundesverfassungsgericht die Verwendung übriggebliebener Corona-Milliarden aus Angela Merkels letzter Amtszeit zu Klimazwecken verboten.

Majas Martyrium: Mit der Kettensäge am Gemeinschaftsrecht

Das Ziel ist klar: Zweifel am gemeinsamen Europa wecken, die Grundlagen der EU unterminieren, Russland zur Hand gehen.


Sie nennt sich jetzt "Maja" und sie ist verzweifelt. In einem Gefängnis in Budapest,  wo sie Wärter ungeachtet der deutschen Rechtslage als "Simeon" ansprechen können, ist die nonbinäre Person vielfältigen Nachstellungen ausgesetzt. Maja T. muss sich gegen den Vorwurf wehren, gemeinsam mit anderen Aktivisten und Antifas mehrere mutmaßlich Andrrsdenkende mit Hämmern krankenhausref geschlagen zu haben. Maja T. droht zudem ein Gerichtsverfahren, das mit einer Haftstrafe enden könnte, deren Dauer in Deutschland unvorstellbar wäre.  

Die harte Hand der Willkür 

Doch in Ungarn herrschen Viktor Orban und die harte Hand der Willkür einer Justiz, die Strafe vor Resozialisierung setzt. Das frühere Ostblockland feiert sich heute als eines der sichersten Länder Europas, Statistiker verweisen auf Zahlen, die das zu belegen scheinen: Das Kriminalitätsniveau gilt als niedrig, es sei sogar sicherer als in Deutschland, nachts allein durch die Straßen  zu gehen. Der Eindruck, den das Regime in Budapest erwecken will, ist der eines ganz gewöhnlichen EU-Mitgliedsstaates, in dem weniger Morde als in den altgedienten Demokratien Westeuropas stattfinden.  

Eine Fassade, die der Fall Maja T. scheinbar bröckeln lässt. Spielte sich der Kampf der Ideologien zwischen Brüssel, Berlin und Budapest bisher nur auf der Ebene verbaler Geplänkel, gegenseitiger Vorwürfe und gelegentlicher Drohungen der EU-Kommission mit dem Entzug von Milliarden Euro an Fördermitteln ab, erreicht er ausgerechnet mit dem Ringen um das Schicksal der mutmaßlichen deutschen Terroristenperson den gefühlten Alltag von Millionen.

Zweifel an der EU 

Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit, Zweifel an Gleichwertigkeit und Äquivalenz, Zweifel an der von einer eigenen "Gleichbehandlungsstelle" der Gemeinschaft garantierten diskriminierungsfreien Betreuung - all das wird auf einmal hoffähig. Angriffe auf die Grundlagen der Europäischen Union, die üblicherweise aus dem rechten Lager geritten werden, kommen plötzlich über die linke Flanke. Bereitwillig beteiligen sich große Medienhäuser an Unterstellungen, dass derdie deutsche mutmaßlich Gewaltgetaenhabende von der ungarischen Justiz gequält, gefoltert und so schlecht behandelt werde, dass es zum Hungerstreik als letztem Mittel der Gegenwehr greifen müsse.

Das Strickmuster der Vorwürfe ist bekannt. Indem sie in Abrede stellen, dass Maja T. zurecht dort der Prozess gemacht wird, wo sie ihre mutmaßlichen Taten begangen hat, stellen die Gegner der europäishcen Rechtsstaatsgemeinschaft die Legitimität der EU infrage. "Lebendig in einer Gefängniszelle begraben" sitze Maja T. in "Isolationshaft" - dieser Begriff, zuletzt genutzt von den abgeurteilten Terroristen der Rote Armee Fraktion, verrät die Absicht. Es geht darum, die Grundlagen der Europäischen Union, insbesondere der Anerkennung der Rechtsstaatlichkeit und einer funktionierenden Justiz in allen Mitgliedsstaaten, in Zweifel zu ziehen, um an den Fundamenten der EU-Wertegemeinschaft zu rütteln. 

Nach den typischen Kreml-Drehbuch 

Ein hybrider Angriff, nach dem typischen Kreml-Drehbuch ausgeführt. Er ist umso wirksamer, als dass es für gewöhnlich die Linke ist, die aus ihrer kollektivistischen Tradition heraus zur bedingungslosen Verteidigung des behäbigen, durch seine fein ziselierte Überbürokratisierung in so vielen Situationen vollkommen überforderten EU-Apparates neigt. 

Für die Linkspartei, aber auch für die SPD besteht mit der zenrtalistisch gefürhten Staatengemeinschaft die Hoffnung fort, dass aus dem Nukleus der Meta-Verwaltung eines Tages doch noch eine neue Sowjetunion wächst. Ihr Name steht mit  "Vereinigte Staaten von Europa" bereits fest. Nur das geplante Datum der Ausrufung - ursprünglich für Januar 2025 angesetzt - musste verschoben werden.

Ein monströser Verrat 

Vor diesem Hintergrund erscheint der Verrat noch monströser, den die Linke an der europäischen Idee begeht. Auf einmal soll nichts mehr richtig sein, nicht einmal die Auslieferung deutscherr Staatsbürger an andere Mitgliedsstaaten. Die Linke, die sich in der geschichte immer als internationalistische Kraft verstanden hat, möchte zurück zu Sonderwegen und nationalen Lösungen. 

Romantisch träumen Aktivisten von den Zeiten, in denen Art. 16 Abs.2 GG die Auslieferung deutscher Staatsangehöriger an andere Staaten noch rigoros ausgeschloss. Ohne faktische Belege werden von Maja T. behauptete Vorwürfe einer "menschenunwürdigen Langzeiteinzelhaft", vom "Schlafentzug durch stündliche Kontrollen" und "mangelhaften hygienischen Bedingungen" wiederholt und genutzt, um Zweifel an der europäischen Idee gegenseitigen Vertrauens und gegenseitiger Akzeptanz zu wecken.

Instrumentalisierung von Maja T. 

Die Instrumentalisierung des Falls Maja T. als hybride Waffe für multiple Angriffe auf den Konsens der EU-Wertegemeinschaft zeigt, wie wenig sicher sich die Institutionen der Union selbst der Unterstützung ihrer treuesten Anhänger sein können. Es reicht eine mutmaßliche Gewalttäterin, um die Justiz eines Staates unter Generalverdacht zu stellen, der schon mehr als zwei Jahrzehnte Teil der Gemeinschaft ist. 

Zwar gibt es eine Reihe von Klagen gegen Ungarn, die darauf abzielen, vor ordentlichen Gerichten ermitteln zu lassen, wie es um die Respektierung der Vorgaben aus Brüssel durch die Orban-Administration steht. Rechtsstaatliche Entscheidungen darüber aber sind noch nicht gefallen. Vielmehr schwenkten immer mehr EU-Staaten zuletzt etwa bei der Grenzsicherung auf einen Kurs ein, den Ungarn bereits seit Jahren verfolgt.

Ungarn als Vorreiter 

Für ausstehende Gerichtsentscheidungen über von Ungarn betriebene Einschränkungen des Zugangs zum Asylverfahren, von denen viele bisher annahmen, dass sie im Gegensatz zur Asylverfahrensrichtlinie der EU stehen, könnte die aktuellen Wendungen ausschlaggebend sein. Was zehn Jahre richtig war, würde dann als falsch gelten. Ungarn, dessen harte Linie mit Kontrollen, Zaunbau und schäbigen Unterhaltsangeboten an Geflüchtete immer richtig als illegaler Versuch der Abschreckung von Schutzsuchenden verstanden worden war, verwandelte sich dann mit einem Schlag in einen Musterschüler europäischer Migratiosnabwehrversuche.

Umso schwerer treffen die EU die aktuellen Vorwürfe, die Auslieferung von Maja T. nach Ungarn sei aufgrund der dortigen Haftbedingungen und der nach ungarischem Recht zu erwartenden hohen Strafe ein Beweis für eine vermeintliche Rechtsstaatlichkeitskrise in der gesamten Gemeinschaft. Deren Basis ist die Akzeptanz aller Entscheidungen aller Mitglieder durch alle anderen Mitglieder. Das in den Giftküchen linker Extremisten gekochte Narrative, dieser internationalistsichen Ansatz sei falsch und ein allein auf nationalen Werten und Grundsätzen ruhender alternativlos, legt die Kettensäge an das Gemeinschaftrecht.

Angriffe in einem größeren Kontext 

Die Attacken, geritten von der Linkspartei, den Grünen und der gewaltaffinen Antifa, passen perfekt in einen größeren Kontext von Angriffen auf die EU. Unterstellt wird, dass ein Mitgliedsstaat zu "grausamer und unmenschlicher Behandlung" greife, dass das Institut des Europäischen Haftbefehls falsch sei und Menschen mit deutschem Pass das Recht hätten, anders behandelt zu werden als EU-Bürger ohne deutschen Pass. 

Die Methode funktioniert verblüffend gut, weil sie an die historischen Strategien der Öffentlichkeitsarbeit der RAF andockt. Schon deren wegen zahlreicher Morde, Überfälle und Anschläge verurteilte Häftlinge bezeichneten sich selbst als "Gefangene", denen in Haft elementare Menschenrechte verwehrt würden. Zielscheibe war damals noch der deutsche Staat, der sich als Unrechtsregime dargestellt sah. Heute muss Ungarn herhalten, ein Land, dessen Ruf durch seit Jahren anhaltende Disziplinierungsversuche der EU-Kommission bereits schwer angeschlagen ist.

Ideal geeignet 

Maja T. eignet sich aus Sicht linker EU-Feinde ideal, um die Wertegemeinschaft der 27 weiter zu spalten. Eine non-binäre Person aus dem ostdeutschen Thüringen, nach Lesart ihrer Verteidiger  im Dezember 2023 in Berlin festgenommen und im Juni 2024 in einer umstrittenen Nacht-und-Nebel-Aktion nach Ungarn verschleppt, wird für ihren handfesten Einsatz gegen Teilnehmer des rechtsextremen "Tages der Ehre" von  einem Regime abgestraft, das nach einer Analyse des früheren Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" selbst faschistisch ist. 

Nur dadurch erklärt sich, dass Maja T. nach den brutalen Angriffen auf mutmaßliche Neonazis, die teils schwer verletzt wurden und eine Lehre fürs Leben erteilt bekamen, überhaupt wegen der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und schwerer Körperverletzung angeklagt wurde. In den empörten und teilweise zu gewalttätigen Protestaktionen aufwiegelnden Einlassungen finden sich zahlreiche Versatzstücke russischer Propaganda.

Eine "militante Unterstützungskampagne" soll Europa von innen angreifen, während der Kontinent im Osten  bereits von Putin und im Westen von Trump unter Druck gesetzt wird. Dass die zentrale europäische Idee gemeinsamer Standards, die von allen eingehalten werden, durch solche konzertierten Offensiven dauerhaft zerstört wird, ist kein Kollateralschaden. Die Geschichte zeigt, dass es nur einen gibt, der von solchen Aktionen profitiert und der sitzt im Kreml und er reibt sich die Hände.

Eppler-Bahr und Free Maja 

Gerade erst das pazifistische Manifest des Eppler-Bahr-Flügels der deutschen Sozialdemokratie, der behauptet, Entspannungspolitik sei gerade nötig, wenn die Spannung steige. Und parallel dazu die Behauptung der "Free Maja"-Bewegung, die Auslieferung von deutschen Staatsbürgern in andere EU-Länder müsse unter dem Einzelfallvorbehalt stehen, dass rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt würden. Ein Zangengriff um die EU, mit dem die Wertegemeinschaft selbst als Angeklagter in den ausladenden holzvertäfelten Saal 36 des Budapester Stadtgerichts gezerrt werden soll. 
 
Europa soll sich für Dinge verantworten, die in Europa Standard sind. Angeklage werden aus Sicherheitsgründen überall in der Gemeinschaft in Fesseln vor ihre Richter geführt. Immer wieder sind vermummte Polizisten dabei anwesend, die selbst Fußfesseln nur auf Richteranweisung öffnen. Die Familie von Maja T., ihre Anwälte und Unterstützer wissen da. Sie riskieren es aber trotzdem sehenden Auges, die Wertegemeinschaft von 440 Millionen EU-Bürgern zu delegitimieren, indem sie die Haftbedingungen von Maja T. als "abscheulich", die Auslieferung als "rechtswidrig" und den Prozess als "nicht fair" bezeichnen. 
 

Insgesamt infragegestellt 

 
So wird die Rechtsstaatlichkeit in der EU insgesamt infragegestellt, und das nicht nur von außen. Auch der Linken-Politiker Martin Schirdewan und die für die Linke im EU-Parlament sitzende ehemalige Seenotretterin Carola Rackete beteiligen sich an der Leugnung der Richtigkeit grundlegender Vereinbarungen der EU – wie dem Europäischen Haftbefehl.
 
Das Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) und Artikel 16 Abs. 2 des Grundgesetzes erlauben die Auslieferung deutscher Staatsangehöriger an EU-Mitgliedsstaaten, sofern rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind -von Ungarn aber wird einfach und endlos wiederholt behauptet, dass es das nicht tut. Rackete fordert etwa, Bundeskanzler Friedrich Merz solle Maja T. nach Deutschland zurückholen, um "einen fairen Prozess zu ermöglichen". 
 
Mit der Unterstellung, ein solcher sei in Ungarn überhaupt nicht möglich, soll die Vertrauensbasis zwischen den Mitgliedsstaaten erschüttern und mit der Taktik der Öffentlichkeitsarbeit der Rote Armee Fraktion (RAF) der Eindruck erweckt werden, es seien Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit von EU-Staaten angebracht. 
 

Die alte Strategie der RAF 

 
RAF-Häftlinge wie Andreas Baader und Gudrun Ensslin hatten in den 70er- und 80er-Jahren eine sogenannte "weiße Folter" in deutschen Gefängnissen erfunden, zu der Isolation, sensorische Deprivation und psychologischer Druck durch ständige Überwachung gehört hätten. 
 
Diese Vorwürfe, obwohl ebenfalls nicht immer unabhängig verifiziert, fanden breite Resonanz in den Medien und wurden genutzt, um das deutsche Justizsystem als repressiv darzustellen. Die RAF konnte so Sympathisanten mobilisieren und ihre Angriffe auf den Staat aus der Haft heraus fortführen - ein Ziel, das sich auch die Hammerbande gesetzt hatte, indem sie die Bestrafung vermeintlicher Nazis mit Teleskopschlagstöcken und Hämmern selbst in die Hand nahm. 
 

Vorwurf politischer Verfolgung 

 
Geschickt wird durch diese Darstellung ausgeblendet, dass Maja T. mutmaßlich an schweren Gewalttaten beteiligt war. Suggeriert wird stattdessen, dass die Inhaftierung primär eine politische Verfolgung ist und die Haft nicht der Durchführung eines rechtsstaatlichen Schuldermittlungsverfahren dient, sondern als vorgezoge Bestrafung gedacht ist. 
 
Dafür gibt es keinerlei Belege. Zwar wurde Ungarn von der EU-Kommission wiederholt wegen rechtsstaatlicher Defizite kritisiert. Doch hat das Europäische Gericht für Menschenrechte (EGMR) hat bis heute nie systematische Verstöße gegen die Menschenrechtskonvention in ungarischen Haftanstalten festgestellt, die eine generelle Aussetzung von Auslieferungen rechtfertigen würden.

Donnerstag, 12. Juni 2025

Antwort auf Pazifismusseuche: Kampfgruppe des Bundestages

Kampfgruppe Bundestag - paramilitärischer Verband
Stärke zeigen, Härte und Entschlossenheit: Die Kampfgruppe des deutschen Bundestages (KGB) knüpft an die großen Traditionen der Befreiungskriege und der unternehmensnahen Massenheere der DDR an.

Sie leugnen die russische Beddrohung, fordern Gespräche mit Russland und stellen sich gegen die hohen Ausgaben fürs Militär, sie verweigern den freiwilligen Wehrdienst, geben kleinlaut zu, dass sie keine Lust haben, für die Werte des Westens zu kämpfen und notfalls zu streben. Lieber sollen andere das tun, sie würden aber auch, heißt es bei vielen, die diese Gesellschaft großgezogen, ausgebildet und mit den besten Startchancen für ein Leben in Frieden und Wohlstand ausgestattet hat, gern unter russischer Knute leben. 

Bloß nicht kämpfen, für nichts, das ist die Grundeinstellung einer Generation,  die lieber fliehen würde als an der Front zu kämpfen. Im Geschichtsunterricht haben diese Jungen und Mädchen so oft gefehlt, dass sie tatsächlich fest daran glauben, im Ernstfall das Recht auf Kriegsdienstverweigerung zu haben. Oder aber ausreisen zu dürfen, um nicht mitmarschieren und schießen zu müssen. Dass sie, wenn es erst so weit ist, nicht einmal jemand fragen würde, ob sie wirklich Bock haben, im Schützengraben zu liegen, kommt ihnen gar nicht in den Sinn. 

Die Illusionen von Elias 

Nicht einmal fragen würde ihn jemand.
So jung, so - meist - links, so unwissend, so willfährig, der Bedrohung nachzugeben wie ein Boxer, der den Ring meidet. Erst waren es nur einige wenige Nachwuchskader der Parteien der demokratischen Mitte, die sich der Aufrüstungslogik und dem Milliardenplan zur Herstellung von Kriegstüchtigkeit bis zum russischen Angriff im späten Frühjahr 2030 verweigerten. 

Mit dem demonstrativen Aufstand mehrerer bekannter SPD-Politiker gegen die im Konsens aller Parteien und aller westlichen Verbündeten beschlossene Außen- und Sicherheitspolitik bekommen die Zweifel an der Standhaftigkeit unserer Demokratie aber nun prominente Gesichter: Rolf Mützenich ist dabei, der kremlfreundliche frühere SPD-Fraktionsvorsitzende. Neben ihm agiert der Holsteiner Ralf Stegner, der lange als eine Art Parteiclown und Verschwörungstheoretiker wahrgenommen wurde, jetzt aber seit Kurzem das Kostüm eines Außenpolitikers trägt. 

Dem Übergewicht der Kriegslüsternen, die nach Kanonenbooten, schweren Geschützen und Drohnenflotten verlangen, setzen diese alten Genossen ihre Erzählung von einer angeblich notwendigen Rückkehr zur Entspannung der Beziehungen und zu einer Zusammenarbeit mit Russland entgegen. Auch der einst von SPD-Kaderplaner Kevin Kühnert als proletarisches Element aus dem Ruhestand zurückgeholte Ex-Parteichef Norbert Walter-Borjans und der als "Flugbereitschaftsminister" bekannte ehemalige Finanzminister Hans Eichel versuchen, mit einem sogenannten "Manifest" Stimmung gegen Wehrwillen, Fünf-Prozent-Ziel und Aufrüstung zu machen.

Angriff auf unsere Demokratie 

Ein Angriff auf zentrale Elemente der Außen- und Sicherheitspolitik der demokratischen Parteien, der Nato-Verbündeten und damit auch der Bundesregierung. Gerade noch hat die neue Bundestagspräsidentin Julia Klöckner russischen Drohungen mit Atomangriffen auf Deutschland beherzt ins Gesicht gelacht. Der Kreml könne drohen, Deutschlands Parlamentarier aber ließen sich nicht einschüchtern, auch nicht von der Aussicht, zum dritten Mal in den zurückliegenden 125 Jahren in eine direkte militärische Auseinandersetzung mit Russland gezogen zu werden. 

Es sollte ein Signal der Geschlossenheit sein, eine unnachgiebige Botschaft an Putin, es lieber gut sein zu lassen, weil er am kürzeren Hebel sitzt. Hinter der Christdemokratin mit der klaren Haltung aber wühlt nun die Fünfte Kolonne des Kreml mit kruder Kritik an der geplanten Aufrüstung, mit Hetze gegen US-Raketen und Angstparolen wie der, die weitere Standhaftigkeit im Kampf gegen Russland mache Deutschland zum Kriegsteilnehmer. Das Geld reiche nicht, das Soziale komme zu kurz, die für Prozent, die Bundeskanzler Friedrich Merz dem US-Präsidenten Donald Trump als Friedensgabe mit nach Washington gebracht hatte, seien nicht finanzierbar. Zudem fehle es an wehrwilligem und wehrfähigen Menschenmaterial für die Truppe.

Aufgabe der Bundeswehr 

Das schürt Ängste, nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch bei den Verbündeten, die Deutschland zumindest ab 2030 wieder in seiner alten Rolle und Funktion gesehen hatten: Ist Polen überrannt und das Baltikum geschlagen, sollte eine kriegstüchtig gemachte Bundeswehr dem Angreifer wie in den 70er und 80er Jahren wieder zwei bis maximal sieben Tage standhalten. Hinhaltend kämpfend, verschafft sie der Nato so genug Zeit, um im großen Ringen um Europa letztlich zu triumphieren.

Pläne des sowjetischen Generalstabes, innerhalb von nur 15 Tagen an der französischen Atlantikküste anzukommen, um die eintreffenden US-amerikanischen und britischen Hauptkräfte beim Ausschiffen zerstören zu können, sollten damit torpediert werden. Abschreckungspotenzial, das den kalten Krieg entschied: Weil die Sowjetführer wussten, dass ihr Durchmarsch bis Finistère schon in Wetzlar, Wuppertal und Wangen gestoppt werden würde, verzichteten sie auf den Versuch.

Übermacht im Rollstuhl 

Eine Entscheidung, auf die ein Kreis prominenter Bundestagspolitiker jetzt auch wieder hinarbeiten will. Statt die derzeitige Übermacht der russischen Militärmaschinerie hinzunehmen, die seit Monaten schon vor aller Augen zerfällt und inzwischen bereits Soldaten auf Krücken und selbst im Rollstuhl auf das Schlachtfeld schickt, wollen die Initiatoren verstärkter Wehrwilligkeit an ein erfolgreiches Kapitel ostdeutscher Militärgeschichte anknüpfen. 

Nicht jammern und klagen, sondern selbst Uniform tragen, das sei es, wozu sich der Wohlstandswesten aufraffen müsse, sagt ein Parlamentarier.  "Wir müssen wegkommen von Papiertiger-Diskussionen", unterstreicht ein anderer. Wenn der aktuell auf 60.000 Soldaten taxierte Mehrbedarf an kriegstüchtigem Menschenmaterial über eine Rückkehr zur Wehrpflicht nicht zu rekrutieren sei, dann müsse ein grundsätzliches Umdenken stattfinden. "Es geht uns um die Wiederbewaffnung der Gesamtgesellschaft, um eine Kriegstüchtigkeit, die sich aus Quellen im ganzen Land speist", beschreibt einer der Initiatoren.

Heimatschutz mit Helm 

Vorbild sind die Kampfgruppen der Arbeiterklasse, die die DDR 1953 gründete, um die Resilienz ihrer kritischen Infrastruktur im Kriegs- und Konfliktfall zu erhöhen. In einem sehr kleinen Maßstab hatte die Ampelregierung zwar versucht, sogenannte Heimatschutz-Truppen neu aufzustellen, die eigens für den Einsatz im Inneren vorgesehen sind. Doch auch dort fehlt es an Personal, an Waffen und Munition, an Unterkünften, Paradeplätzen und einer verfassungsmäßigen Möglichkeit, gegen Unruhen hart durchzugreifen.

Mit der ersten Kampfgruppeneinheit, demonstrativ aufgestellt im Deutschen Bundestag und besetzt mit kampfbereiten Parlamentariern, deren Beratern und wehrwilligen Büromitarbeitern, soll ein Zeichen gegen Defätismus, Kleingläubigkeit und Zweifel an den Siegchancen der Demokratie gesetzt werden. Zwar ist die erste Einheit klein, kaum mehr als ein Rumpf-Regiment, ausgerüstet mit aussortierten Friedensgewehren des regulären Heeres und eingekleidet in Uniformen aus Altbeständen der Konversionsjahre und Helmrückläufer aus der Ukraine. 

Kampf gegen Feinde 

Ihre offizielle Aufgabe soll der Kampf gegen Saboteure und andere Feinde unserer Demokratie sein, auch Noteinsätze beim  Schutz von wichtigen Parlamentsgebäuden oder Paraden. Zudem plant der Aufbaustab der ersten Einheit, in der Öffentlichkeit Präsenz zu zeigen, etwa bei Straßenkampfmanövern oder Aufmärschen in vollem Wichs zu hohen Feiertagen.

Doch es ist das Zeichen, das zählt und das, so hoffen die Initiatoren der neuen Graswurzelarmee, weit ins Land und bestenfalls bis Moskau ausstrahlt: Hier entsteht ein Massenheer aus fest entschlossenen Freischärlern, wie sie schon im Kampf gegen Napoleon und in den Befreiungskriegen eine bedeutende Rolle spielten. Nicht zuletzt war es ihnen zu verdanken, dass aus den vielen deutschen Kleinstaaten überhaupt eine Nation wurde, die sich einen Staat schuf, der später beinahe zwei Weltkriege gewonnen hätte. 

In einer großen Tradition 

An diese hehre Tradition will die Kampfgruppe des Deutschen Bundestags (KGB) anknüpfen. Angeordnete, obschon zum Teil in hohem Alter, wollen zeigen, dass Wehrwille keine Frage von Sportlichkeit oder Ausbildung ist, sondern eine Charakterfrage. Ob Frau oder Mann, jeder kann für seine Werte kämpfen und sterben. Und jeder hilft mit seinem unbedingten Einsatz, den Feind vergeblich anrennen und letztlich erfolglos ausbluten zu lassen.

Mit einem Appell in der Berliner Julius-Leber-Kaserne, in der die Bundeswehr bereits ihre Heimatschutzdivision "Oberes Havelland" in Dienst genommen hatte, will der neue Großverband ein erstes Zeichen setzen - formell völlig unabhängig vom "Manifest" der SPD-Genossen, die versuchen, das progressive Lager zu spalten. 

Die Planungen zur Gründung der Kampfgruppe Bundestag seien bereits weit vorangetrieben gewesen, heißt es im politischen Berlin, ehe der russlandfreundliche, antiwestliche und kriegsfeindliche Flügel der früheren Arbeiterpartei seinen Versuch gestartet habe, mit Blick auf die anstehenden Landtagswahlen im Osten Wählende von AfD und BSW durch einen Bückling vor Putin zurückzugewinnen. 

Methode Stärke 

Die Kampfgruppe setzt auf eine andere Methode: Stärke zeigen, Härte und Entschlossenheit und dem Territorialen Führungskommando (TFK), das vor geraumer Zeit endgültig im neuen Operativen Führungskommando der Bundeswehr (OPB) aufgegangen ist, eine wehrhafte Struktur zur Verfügung zu stellen, deren Kampfkraft keinem russischen Rollstuhlkommando nachsteht. Der paramilitärische Verband, Nukleus eines Netzwerks an regional geleiteten Freiwilligenmilizen, will die Antwort der demokratischen Mitte auf die pazifistische Versuchung sein, die der Kreml-Flügel der SPD aus Angst vor Putin predigt.

Mit 700 freiwilligen Abgeordneten und deren Bürokräften soll die KGB starten, das weitere Ausrollen und die Aufnahme des Wirkbetriebes mit Paraden und Manöver erfolgt dann im Laufe des Jahres. Dass sich weitere Parlamentarier*innen der Initiative anschließen werden, gilt im politischen Berlin als sicher. Die Initiatoren rechnen auf Solidarität von älteren Semestern aus den pazifistischen Jahren der frühen Jahre der Bundesrepublik, aber auch Neuankömmlinge aus Trumps Amerika, die lieber stehend in Europa sterben wollen, als sich gemeinsam mit dem Präsidenten Russland zu unterwerfen.

Ein zusätzliches Millionenheer 

Ziel sei es, erklärt einer aus der Aufbauorganisation, eine gesellschaftliche Durchdringung wie in der ehemaligen Ex-DDR zu erreichen: Dort standen rund 200.000 Mann unter Waffen, zum Teil damals schon Frauen darunter. Für das größer und erwachsener gewordene Deutschland mit seiner viel höheren weltweiten Verantwortung würde ein solcher Organisationsgrad ein Heer von mindestens einer zusätzlichen Million  an unerschrockenen Kämper*innen bedeutet. Genug, um dem Kreml klarzumachen: Hier gibt es für Usurpatoren nicht zu gewinnen.

Plötzlich Außenpolitiker: Pöbel-Ralles neue Kleider

Ein Mann bekommt nach einer Veröffentlichung eines "Manifestes" im Internet im Morgengrauen Polizeibesuch. Die Szene ist nachgestellt.

"Nun ist Ralf Stegner in der SPD keine besonders wichtige Figur", watschte das ehemalige Nachrichtenmagazin Der Spiegel ihn ab, als er gerade im Begriff war, sich neu zu erfinden. Ralf Stegner hatte vieles ausprobiert und manches erreicht, jetzt galt er als "das Symptom" seiner Partei.

Die völlige Abwesenheit jeglichen Bemühens um eine diplomatische Lösung für den Krieg Russlands gegen die Ukraine nannte er "verstörend". Einen "Vorrang für Diplomatie" hielt er für unumgänglich. Es war die Zeit einen Monat vor dem russischen Einmarsch. Als einer der ersten deutschen Politiker warnte der Mann aus Schleswig-Holstein vor einer "Militarisierung der Politik", die noch nirgendwo zu sehen war.

Er war schon alles 

Stegner konnte sie spüren. 40 Jahre war er in der SPD, fast 25 Jahre lang bekleidete er schon Ämter in Partei und Staat. Nicht die, die er sich gewünscht hatte. Aber die, die ihm zufielen. Stegner war Parteivorstand und Innenminister gewesen, Fraktionsvorsitzender im Landtag und SPD-Spitzenkandidat, Kronprinz seiner Partei in Schleswig-Holstein und Stabschef einer Ministerin, einer von sechs Stellvertretern des Parteivorsitzenden und einmal trat er sogar selbst an, Parteichef zu werden.

Die Mitglieder wollten ihn nicht. Doch aus Niederlagen gestärkt hervorgehen, das kann dieser Mann. Stegner hatte sein ganzes Leben in der politischen Provinz verbracht, er war immer gescheitert, wenn es nach oben gehen sollte. Einmal schien er kurz davor zu sein, als ein Mann anrief und fragte, ob er das Amt des Vizekanzlers annehmen werde, wenn die Parteiführung es ihm anböte. Das Ja, es kam aus ganzem Herzen, eingebettet in den Satz "Vorstellen kann ich mir das". Doch am anderen Ende war nur ein Komiker, der den Mitschnitt höhnisch unter dem Titel "Pöbel Ralle Vizekanzler" veröffentlichte.

Vom Osthang der Egge 

Vielleicht genau in diesem Moment, als er ganz unten war, beschloss Ralf Stegner, nach Berlin zu gehen. Nicht mehr länger als Parteiclown der SPD verlacht werden. Nicht mehr als bärbeißiger Wahlnorddeutscher mit herabhängenden Lefzen erst sprechen und dann - vielleicht - denken.

Bei der Bundestagswahl gewann er das Direktmandat, bei der nächsten reichte es noch über die Landesliste. Dass er in den Medien allenfalls als "SPD-Urgestein" bezeichnet wurde, obwohl er sich einen Platz im Auswärtigen Ausschuss hatte sichern können, focht Stegner nicht an. Der "MdB für Pinneberg" beschickte die Republik mit seinem "Moin vom Osthang der Egge!" und klassischen alten Popsongs. Zur Abwechslung grantelte und dichtete er deutlich weniger - ein linker Flügelmann der deutschen Sozialdemokratie, der endlich angekommen schien.

Natürlich wäre Ralf Stegner gern Minister geworden. Als der Ruf zum zweiten Mal ausblieb, besann er sich allerdings auf eine Kernkompetenz, die öffentlich allzulange verkannt worden war. Der in Medienbeiträgen gern als "früherer SPD-Parteivize" vorgestellte "SPD-Rambo" (Mopo) war jetzt, nach mehr als 30 Jahren im Kieler Landtag, Außenpolitiker geworden. Zuerst einmal für sich selbst, denn als ganz junger Bursche hat Stegner seinen Doktor mit einer Arbeit unter dem Titel "Theatralische Politik made in USA - Das Präsidentenamt im Spannungsfeld von moderner Fernsehdemokratie und kommerzialisierter PR-Show" erlangt. 

Geduldiges Warten 

Nach fast fünf Jahren des geduldigen Wartens aber, einer Zeit, in der die Aufmerksamkeit des Publikums sich mehr und mehr von ihm abwandte, ist es jetzt so weit: Wo über ihn geschrieben wird, ist Ralf Stegner nicht mehr Pöbel-Ralle oder SPD-Rambo, nicht mehr der ehemalige Parteivize und nicht "keine besonders wichtige Figur", für die Trump der dickste Stamm, an dem sie sich reiben kann, ohne Ärger zu bekommen. Pöbel-Ralle hat sich neu erfunden. Als das, was er immer hatte sein wollen: Der "Außenpolitiker Ralf Stegner" nennen sie ihn ehrfürchtig und auf allen Kanälen.

Für jemanden, der 65 Jahre alt ist und sein Leben lang allenfalls mit der dänischen Minderheit außenpolitisch grundierte Gespräche führen durfte, ist das ein Ritterschlag. Mag das von Stegner initiierte "Manifest" - Ältere erkennen im Titel den feinen historischen Humor des Federführenden - als "Angriff auf die schwarz-rote Bundesregierung und auf die eigene Parteiführung rund um Vizekanzler Lars Klingbeil" gewertet werden - für Ralf Stegner hat es sich schon gelohnt. 

Noch ein Aufstand alter Männer 

So gering die Wahrscheinlichkeit ist, dass der Aufstand der alten Männer um ihn, Ex-Fraktionschef Rolf Mützenich und den früheren halben Parteivorsitzenden Norbert Walter-Borjans die Bundesregierung, die Nato oder den Kreml zu einer "Abkehr von der Aufrüstungspolitik" bewegt, so groß ist doch die Chance, dass die Bezeichnung bleiben wird.

"Außenpolitiker", wie stolz das klingt. Nicht mehr nach Osthang der Egge, sondern die Welt als Feld. Nicht mehr in Gummistiefeln durch Bordesholm, sondern in geheimer Mission nach Aserbaidschan, das Land, aus dem Deutschland sein russisches Öl bezieht. Stegner ist für "direkte diplomatische Gespräche mit Russland", von Anfang an. Dafür ist er lange belächelt und links außen liegengelassen worden. Erst mit dem "Manifest" hat der frühere Stipendiat der Stiftung Volkswagenwerk einen Treffer gelandet: Nicht nur, dass ihm die aktuelle Parteiführung zumindest leise widerspricht und die andere Regierungspartei laut. Nein, die Medien, sein eigentliches Publikum, kennen ihn jetzt nur noch als den "SPD-Außenpolitiker", der er immer hatte sein wollen.

Der Pöbel-Diplomat 

Stegners Warnung vor "militärischer Alarmrhetorik" und der Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenraketen in Deutschland, vor hunderten von Milliarden für neue Waffen ohne Plan, wer sie dereinst bedienen soll, ist selbst beim Kreml-Flügel der SPD nicht mehrheitsfähig. Spät, aber dann doch haben dort die übernommen, die für die klar ist, dass nicht geredet werden kann, ehe nicht Wladimir Putin selbst um Gehör bittet. Dass es ausgerechnet der so lange als "Pöbel-Ralle" verlachte Wahlholsteiner ist, der auf einmal nach Diplomatie ruft, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. 

Mittwoch, 11. Juni 2025

Widerrechtliche Zurückweisungen: Asyl per Telefon

Polen baut Zäune an der Grenze
Wladimir Putin hat im Rahmen seiner Strategie der hybriden Kriegsführung Flüchtlinge über Belarusdasfrühereweißrussland in Marsch gesetzt, um die EU zu destabilisieren.

Wie Donnerhall rollte das Urteil des Verwaltungsgerichtes Berlin in der vergangenen Woche über Land. Selbstintime Kenner der Justizlandschaft waren anschließend uneinig. Erlaubt das Urteil nun Rückweisungen an der Grenze?, wie die "Tagesschau" vermutete. Weil es nur welche hinter der Grenze verbietet? Oder ist auch die Zurückweisung Asylsuchender an der deutschen Grenze rechtswidrig, wie die Taz aus der Begründung herauslas? 

Rückabwicklung der Merkelwende 

Das "Spiegel"-Outlet LTO war wenig später sogar sicher, in gründlicher Lektüre ermittelt zu haben, dass "auch Flüchtlinge, die einen Asylantrag stellen wollen, nicht mehr nach Deutschland einreisen können". Diese "große "Asylwende" erfolge genau wie der letzte mündliche Merkelbefehl im Jahr 2015: Diesmal sei es Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) gewesen, dem "ein Schreiben an die Bundespolizei" genügt habe, "um eine neue deutsche Asylpolitik einzuführen". 

Der Plan, nahezu alle Asylsuchenden nun "an den deutschen Grenzen" abzuweisen und damit ein Versprechen umzusetzen, das Friedrich Merz im Wahlkampf gegeben hatte, sei so nicht umsetzbar. Denn auch wenn es sich "physisch klar unterscheiden" lasse, ob ein Einreisewilliger seinen Asylantrag vor der deutschen Grenze oder dahinter stelle – also im Ausland oder bereits im Inland – folgerten die LTO-Experten, sei diese "Konstellation aber eher hypothetisch, denn dazu müssten deutsche Grenzbeamte auf dem Territorium des ausländischen Staates hoheitlich tätig werden dürfen".

Mit beiden Beinen auf dem Grundgesetz 

Faktisch steht der Bundespolizist nicht nur Wache und dabei im wortwörtlichen Sinn mit beiden Beinen auf dem Boden des Grundgesetzes. Er müsste auch, um ein Asylbegehren rechtssicher zurückweisen zu können, nach dieser Lesart ins Territorium des Nachbarstaates hineinregieren, weil sich der Schutzsuchende ja dort befindet, hinter dem Schlagbaum, auch wenn der an den deutschen Außengrenzen ein rein metaphorischer ist. "Ein dies gestattendes Abkommen existiert bislang nur mit der Schweiz", heißt es bei LTO in einem Aufsatz über die "Mythen des Zurückweisungsbeschlusses des VG Berlin". 

Ohne Abkommen aber kein Hinüber- und Hineinregieren. So sieht es aus. Zwar habe das Berliner Verwaltungsgericht ausdrücklich nur über Zurückweisungen von Personen entschieden, die ihr Asylgesuch äußerten, während sie sich bereits im Inland befinden. Doch wie der Gießener Migrationsrechtler Jürgen Bast erläutert, sei das "europarechtlich völlig belanglos". 

Wer wie LTO-Autor Max Kolter weiträumig um die Frage herumschifft, ob Inland oder Ausland eine Rolle spielt, indem er darüber nachdenken lässt, "was wäre, wenn die Person erst am dritten oder vierten Bahnhof hinter der Grenze kontrolliert wird?", sind alle Klarheiten beseitigt. 

Egal, wo der Bahnhof steht 

Wenn der erste Bahnhof hinter der Grenze genauso Inland ist wie der vierte, siebte oder 22., dann tut es kaum mehr zur Sache, wenn der Bahnhof in Warschau oder Minsk steht, in Riga, Athen oder Madrid. Und selbst der Umstand, dass er vielleicht gar kein Bahnhof ist, wäre dann "europarechtlich völlig belanglos". Schließlich steht nicht nur fest, dass eine Zurückweisung an der Grenze wegen fehlender Abkommen nicht möglich ist. Sondern auch, dass es für die Unionsrechtswidrigkeit der Zurückweisungen keine Rolle spielt, "ob der Asylsuchende sein Schutzgesuch am ersten grenznahen Bahnhof oder erst weiter im Inland äußert". 

Die Weiterungen dieser eindeutigen Lage sind bemerkenswert. Wenn der Bundesbeamte den oder die Schutzsuchenden nicht abweisen darf, wenn der vor ihm steht, sich aber noch im Ausland befindet, weil er den Schlagbaum noch nicht passiert hat, Europarecht ihn aber auch daran hindert, den oder die Betreffenden zurückzuschicken, wenn er erst auf deutschen Territorium gestellt wird, gibt es keine Situation mehr, in der die Bearbeitung eines Gesuchs durch deutsche Behörden nicht zwingend vorgeschrieben ist.

Die EU-Fiktion der Nichteinreise 

Für die Arbeit der Bundespolizei hat das Folgen, die weit über die bisher breit diskutierten hinausgehen. Zwar hat auch die Europäische Kommission in ihrem letzten großen Migrationspakt die "Fiktion der Nichteinreise" als zentralen Pfeiler für den Bau der Auffanglager für die eines Tages geplanten  "schnellen Asylverfahren an den EU-Außengrenzen" vorgesehen. Doch im Licht des Berliner Beschlusses kann es die bisher bereits von der Bundespolizei bemühte Nichteinreisefiktion nicht geben. 

Wer noch nicht drin ist, darf rein. Wer drin ist, darf bis zur Entscheidung bleiben. Selbst wenn aufgrund der Reiseroute der Verdacht naheliegt, dass es sich bei dem Neuankömmling um einen als menschliche Waffe missbrauchte Person handeln könne, die von Wladimir Putin im Rahmen seiner Strategie der hybriden Kriegsführung in Marsch gesetzt wurde, um die EU zu destabilisieren. Die drei vor Gericht siegreichen Schutzsuchenden aus Somalia kamen über Belarusdasfrühereweissrussland nach Europa. Über Litauen umgingen sie die 2021 ausgebauten polnischen Grenzbefestigungen. Anschließend fuhren sie nach Frankfurt an der Oder und dann - inzwischen faktisch eingereist - nach Berlin.

Unbeeindruckt von hybriden Angriffen 

Weder das Verwaltungsgericht noch die Medien zeigten sich von der für hybride russische Angriffe typischen Route beeindruckt. Auch im politischen Raum spielte das typische sogenannte "Moskauer Muster" keine Rolle. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt will Wiederholungen verhindern, indem er demnächst "in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn Zurückweisungen an den Grenzen auch bei Asylgesuchen vornehmen" lässt. 

Doch ob das noch gelingt, steht angesichts der üblichen Dauer der Verhandlungen zu endgültigen, wirksamen und gemeinsamen EU-Migrationskrisenlösungen infrage. Vom großen Zustrom bis zum letzten EU-Migrationspakt dauerte es neun Jahre. Erst der dabei von Ursula von der Leyen bewirkte fundamentale Durchbruch schuf den Status des "legal fiction of non-entry",  der es erlaubt, Migranten nicht zu erlauben, "to enter the country's territory and instead be kept at facilities on the border", wie die Asylum Procedures Regulation (APR) die europarechtlich nicht völlig belanglose Regelung umschreibt.

Der kühne Migrationspaktplan 

Vor 14 Monaten hatte auch das EU-Parlament die kühne Konzeption von Inländern im Inland, die im Ausland verbleiben, und Lagern an der Grenze, aber dahinter, knapp gebilligt. Die Lager gibt es noch nicht, denn so schnell vermag auf dem alten Kontinent niemand ein paar Container zusammenzustellen. Zum Glück, denn sobald sich die Rechtsfolgen des Berliner Asylurteils erst im Rest der Welt herumsprechen, sind die ohnedies überflüssig. 

Der "historic day", über den EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola im April 2024 gejubelt hatte, er kommt er jetzt, wo bald niemand mehr überhaupt erst kommen muss, um Asyl zu beantragen. Da es egal ist, ob jemand vor dem Schlagbaum oder dahinter um Schutz in Deutschland nachfragt, kann das künftig auch aus jedem Nachbarstaat oder sogar aus dem weit entfernten Heimatland erfolgen. 

Brief oder - wegen der bekannten Unzuverlässigkeit der DHL Group (ehemals Deutsche Post) besser Einschreiben - ans  "Zentrale Ausländerbehörde (ZAB)" oder eines der 549 Ausländerämter (ALA) im Land. Dann in Geduld fassen. An der Möglichkeit, per Onlineformular oder telefonisch Asyl zu beantragen, wird gearbeitet.

Akute Abkühlung: So wirkt Deutschlands Hitzeschild

Regen und Dürre stören deutschlands Grillfeste
Dürre und Dauerregen bei 17 Grad: Deutschlands Hitzeschutzplanung wirkt. 

Die ersten Herbststürme kamen diesmal schon im Mai und Anfang Juni. Die Dürre und der Dauerregen aber blieben und einzelne Böen der Stärke sechs ließen die Stimmung auf Grillpartys bis zum Gefrierpunkt sinken. Bis in die zentralen Wetterredaktionen geht die Sorge um, ob die jüngste Rekordserie jetzt doch reißt: Bisher war der letzte immer der heißeste Monat aller Zeiten. Jetzt aber lassen Sturmböen Bäume umstürzen, starke Gewitter grollen über Berlin, eine S-Bahn "fährt gegen einen Ast" und es ist überall nass, kühl und ungemütlich.  

Brücke zwischen Widersprüchen 

Diesmal aber ist es nicht die Nordatlantische Oszillation, die als Erklärung parat steht und eine wissenschaftlich standfeste Brücke zwischen den Widersprüchen bauen. Wie beim Kühlschrank für Erwärmung zu Kälte. Wo hinten Hitze herauskommt, wird es vorn besonders kalt. Schon seit Monaten ist das Medienphänomen, das immer zur Stelle ist, wenn der Klimakonsens der Verteidigung bedarf, abgetaucht. Auch der Mai war der zweitwärmste seit immer. Weltweit konnten 1,4 Grad mehr gemessen werden als im vorindustriellen Zeitalter. Deutschland war noch schwerer betroffen. Und schon droht die nächste Hitzewelle.

Das Wetter, vom Klima beeinflusst, ist viel zu warm, aber deutlich zu kühl für die Jahreszeit. Liegt es am Regierungswechsel? Oder zeitigen die Klimaschutzbemühungen der Ampel doch noch Erfolg? Bereits seit Jahren ist die Zahl der Heißen Tage (Eigenschreibweise), an denen das Umweltbundesamt Temperaturen von 30 Grad Celsius oder mehr messen musste, rückläufig. Waren in den Jahren 2003, 2015, 2018 und 2022 noch zwischen 18 und 20 Heiße Tage aktenkundig geworden, waren es 2023, dem wärmsten Jahr seit Messbeginn 1881, nur noch 12 und 2024 gerade mal 12,5. 

Hilfe vom Hitzeschutzplan 

Unverkennbar zeigen sich in dieser Statistik die Folgen des Nationalen Hitzeschutzplan (HS) , mit dem der damalige Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach im Juni vor zwei Jahren 2023 erste konkrete und bedeutungsvolle Schritte einleitete, um den Klimawandel zu zügeln. Fünf Warn-, Alarm- und Einsatzstufen regeln seitdem die Reaktionstiefe, mit der Behörden das Alltagsleben aufrechterhalten müssen.

Je nach Heat Readiness Condition (Hetcon) - dem aktuelle ausgerufenen sogenannten Hitzebereitschaftszustand - wissen Städte und Kommunen heute genau, welche Automatismen wann zu greifen haben. Bei Stufe 1, der bedrohlichen Hitze, sind Trinkhelfer einzusetzen. Stufe 2, die gefährliche Hitze, erlaubt es Fachressorts in Stadtverwaltungen und Ministerien, Medien mit Pressemitteilungen zu angemessener Bekleidung zu versorgen. 

Bei Stufe 3, die erhöhten Kühlungsbedarf signalisiert, sind Rundfunksender verpflichtet, regelmäßig vor dem Verlassen geschützter Räume zu warnen. Stufe 4 markiert die Vorwarnstufe zum freiwilligen Einrücken der vulnerablen Bevölkerung in Innenräume (Code: Fast Pace). Und Stufe 5 leitet schließlich die Verbringung aller Lebewesen in eigens gekühlte kommunale Schutzbauten (Code: Crocked Pistol) ein. 

Treffen am Trinkbrunnen 

Dort warten Trinkbrunnen, dünne Leinenlaken und ausgebildete Hitzehelfer. Vorbeugen ist besser als heilen, das zeigt die erste Zwei-Jahres-Bilanz des Lauterbach-Plans, über den sich hitzebelastete Kommunen und die an Sofort-Maßnahme und langfristiger Planung interessierte Bevölkerung auf der eigens eingerichtet digitalen Internetseite hitzeservice.de informieren können. 

Die auf dem Weg zum Supermarkt mitgeführte Trinkflasche an einer modernen Refill-Station auffüllen, das Morbiditätsgeschehen während des Sommers bzw. einer längeren Hitzeperiode zu beobachten oder eine hitzegerechte Veranstaltung im Rahmen der Fürsorgepflicht des Veranstalters idealerweise über vorgesehene Maß hinaus zu organisieren, das ist inzwischen kein Hexenwerk mehr. 

Allein die von Experten erarbeiteten Checklisten für das Überleben in großer Hitze haben viel bewirkt: Die "Klimaerhitzung" ist im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" schon fast ein Jahr lang nicht mehr aufgetaucht. Deutschland, dem von der Wissenschaft eine Erwärmung "deutlich schneller als der globale Durchschnitt" vorhergesagt worden war, ist hinter andere Weltregionen zurückgefallen. Ein kleiner Erfolg im Kampf um das 1,5-Grad-Ziel

Beunruhigende Zahlen 

Doch es wäre viel mehr drin gewesen, glaubt der Klimawissenschaftler Herbert Haase, der mit seinen Kolleg*innen vom Climate Watch Institut (CWI) im sächsischen Grimma zuletzt eine wegweisende Studie über die CO2-Einspareffekte warmer Winter vorlegte. Haase verweist auf die beunruhigenden Zahlen der Bundesnetzagentur (BNetzA) zum Gasverbrauch in der zurückliegenden Heizperiode. Obwohl jeder Monat der ehemals kalten Zeit wärmer gewesen sei als jeder jemals zuvor, hätten Bürgerinnen und Bürger geheizt, als sei es so kalt gewesen wie früher.

"Wir sehen hier die verhängnisvollen Folgen des gestoppten Heizungsgesetzes", sagt der Wissenschaftler. Haase ist überzeugt, dass das populistische Agitieren gegen die Wärmewende ein grundlegendes Umsteuern behindert hat. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen unterschiedlicher Fachrichtungen haben Haase und Forschende vom Institut für Vielfalt und Nachhaltigkeit den Diskurs um die Hitzebremse der Ampel analysiert und entdeckt, mit welch perfiden Methoden eine fossile Mafia die Ziele des Gebäudeenergiegesetzes torpediert haben.

Tiefschlag für Deutschland 

Statt Heizen endgültig klimafreundlicher zu machen und die Klimaerhitzung damit zu bändigen, haben Verbraucher zuletzt erstmals seit zwei Jahren wieder mehrheitlich Strom aus Kohle und Gas verbrauchen müssen. Der Anteil der erneuerbaren Energiequellen an der Stromproduktion ging nach Angaben des Statistischen Bundesamtes auf 49,5 Prozent zurück. Anfang 2024 waren es noch 58,5 Prozent. Die Stromerzeugung aus Kohle stieg um 15,3 Prozent, die Erzeugung aus Erdgas sogar um 27,5 Prozent. Ein Tiefschlag für Deutschland Ambitionen, weltweite Zeichen zu setzen.

Haase ist alarmiert. "Wer auf das Heizungsgesetz als Initialzündung für die Wärmewende gesetzt hatte, spürt jetzt die Folgen der populistischen Attacken auf die Klimapolitik." Bis zur Umbenennung des als  "Habecks Heiz-Hammer" verleumdeten Umbaugesetzes hätten vor allem konservative, wirtschaftsliberale und andere Medien gegen die Pläne zum Austausch aller Kohle-, Öl- und Gasheizungen nach der 65-Prozent-Regel geschossen. Selbst Vorwürfe auf privater Ebene und Angriffe auf die im Entstehen begriffene neue Wasserstoff-Infrastruktur seien unübersehbar gewesen. "Mit solchen Strategien wurde große Entrüstung ausgelöst."

Polemische Überspitzungen 

Gezielt, so wissen die Forscher heute. Während die Bürgerinnen und Bürger lange Zeit nicht geahnt hätten, was auf sie zukommt oder sich bereits damit abgefunden hatten, seien von interessierten Kreisen gezielt Ängste geschürt worden. Obwohl das Gebäudeenergiegesetz (GEG) schon 2020 vom Kabinett Merkel IV entworfen und im Bundestag verabschiedet wurde, um die nationalen Klimaschutzziele im Gebäudesektor erreichen zu können, habe erst die Verschärfung von Dämm- und Austauschvorgaben zu polemischen Überspitzungen wie "Energie-Stasi" und Vorwürfen wie dem geführt, dass sich Ältere und Arme die geforderten Investitionen würden leisten können.

Das Muster sei bekannt, sagt Haase, gearbeitet worden sei auch mit Unwahrheiten: "Dass durch das Gesetz eine Enteignung von Hausbesitzern stattfinde, dass eine Form von Entmündigung stattfinde." Menschen sei eingeredet worden, dass sie sich keine Wärmepumpe für ihre alten Häuser hätten leisten können, dass Banken Senioren keine Kredite geben würden und sich ein Umbau für Hochbetagte niemals rechnen werde. 

Entmündigt und enteignet

Das seien die bekannten Diskursstrategien der Populisten, sagt Haase: "Ihnen wird eingeredet, sie würden vom Staat entmündigt und enteignet." Dabei sei das Gebäudeenergiegesetz von demokratisch gewählten Parlamentariern beschlossen worden, die ausdrücklich Fördermittelzahlungen vorgesehen hätten. "Und wer den Eigenanteil nicht hätte aufbringen können, dem wäre es unbenommen geblieben, aus seinem meist ohnehin zu großen Eigenheim auf dem Land oder am Stadtrand in eine kleine gemütliche Mietswohnung zu ziehen." 

In der damaligen Bundesregierung hätten alle die Wirkungsmacht solch stumpfer Parolen unterschätzt. "Im Fachministerium sah man die Notwendigkeit, das jetzt durchzuziehen, der Bundeskanzler wollte selbst am liebsten nichts damit zu tun haben - deshalb stellte er sich letztlich nicht wirklich hinter diese wichtige Initiative."

Hoffnung auf Wärmeplanung 

Für das globale Klima ist der Schaden immens. Nachdem Deutschland als Vorbild ausfiel, scheuten andere Staaten davor zurück, bei sich ähnlich rigorose Maßnahmen zu ergreifen. Ein  Sieg der Populisten, auch wenn das Heizungsgesetz letztlich nicht aufgehoben, sondern sein Inkrafttreten nur nach hinten verschoben wurde. 

"Die Fertigstellung der sogenannten kommunalen Wärmeplanung dazwischenzuschieben, war geschickt, doch ob das reichen wird, wissen wir nicht." Wenn  Gemeindegebiete mit mehr als 100.000 Einwohnern im Juni 2026 und Gemeinden mit bis zu 100.000 Einwohnern ihren Wärmeplan bis zum 30. Juni 2028 vorlegen müssen, drohe die gesamte Diskussion von vorn zu beginnen. 

"Wir erwarten, dass sich dann wieder bestimmte Akteure zur Stimme einer vermeintlichen Mehrheit aufschwingen werden, die für die nötigen Klimaschutzmaßnahmen nicht zahlen will." Das learning aus dem fatalen Ende der Heizdebatte, so der Klimaforscher, liege auf der Hand: Der Bevölkerung müsse die Angst genommen werden, dass Klimaschutzinvestitionen viel Geld kosteten, ohne sich in absehbarer Zeit auszuzahlen. 

Es muss teurer werden 

"Darum brauchen wir eine höhere CO2-Steuer als klares Kostensignal."  Wenn Kohle, Öl und Gas ausreichend verteuert seien, wachse der Raum für demokratische Entscheidungen zugunsten strengerer Vorgaben für eine nachhaltige Gesellschaft, glaubt Herbert Haase. Statt wie der Vorsitzende der Linkspartei, Jan van Aken, ein Abfinden mit der Klimalkatastrophe zu suchen, indem Anpassungsmaßnahmen das Wort gerdet werde, gelte es, gerade jetzt noch mehr zu tun.

Der Ertrag sei es allemal wert, wie die Zwischenbilanz von vergleichsweise zarten Klimamaßnahmen wie der Hitzeschutzplanung und der abrupt gestoppten E-Auto-Förderung für Wohlhabende zeigt. " Die neue Bundesregierung hat das sofort begriffen und deshalb entschieden, besonders großzügige neue Zulagen an Unternehmen zu zahlen." Solche sozialpolitischen Hilfsangebote ließen populistische Kampagnen ins Leere laufen, sie stärkten die Entschlossenheit von Demokraten, sich für den Klimaschutz einzusetzen. "Selbst Populisten sind in vielen Fällen für Argumente zugänglich, wenn sie überzeugend sind."