Einfach mal zurücklehnen, einfach mal entspannen. Nach zehn Wochen im
Regierungsamt ist der Großteil der Arbeit getan, Friedrich Merz und sein SPD-Vize Lars Klingbeil können entspannt in die Sommerferien gehen. Selten zuvor hat eine Bundesregierung in noch kürzerer Zeit noch mehr geschafft, so hat es der Kanzler nach einem großen historischen Vergleich des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages bei seiner großen Abschiedspressekonferenz selbst verkündet. Weltlage im GriffNiemand hätte gedacht, dass das alles in so kurzer Zeit möglich. Die Weltlage ist nach etlichen Einsätzen out of area wieder im Griff. Die Verhandlungen der EU mit Amerika laufen. Ein neues Sanktionspaket hat den Kreml zum 18. Mal hart getroffen. Und noch ehe es jemand anders sagen konnte, hat Deutschlands neuer Kanzler bei seiner Sommerpressekonferenz den Nagel in den Sarg von Angela Merkels weltweit einmaliger Flüchtlingspolitik geschlagen. Zehn Jahre danach sein klar, dass Deutschland es "offenkundig nicht geschafft" habe, stellte Merz seiner alten Intimfeindin das denkbar schlechteste Zeugnis aus. Die mit höchsten Ehren aus dem Amt verabschiedete ehemals mächtigste Frau der Welt soll es nun gewesen sein, die für die "erheblichen Schwierigkeiten bei der Integration" verantwortlich ist, die das "Land kaputtgespart" hat, der zu verdanken ist, dass die Steuern und Abgaben zu hoch sind, das Wachstum zu niedrig, die Sozialkassen leer und Ideen dazu, woher denn jetzt noch Rettung kommen könnte, so rar wie nie. Das Ruder herumFriedrich Merz weiß es und er hat es öffentlich bekannt: Seine Regierung wird das Ruder herumreißen müssen. Es ist niemand anderes da als dieser Kanzler ohne Regierungserfahrung und dieser Vize-Kanzler als sein Finanzminister, der niemals zu vor ein Ministerium geleitet oder sich mit Finanzfragen beschäftigt hat. Das letzte Aufgebot der so lange so stolzen und von so vielen anderen Staaten beneideten Wirtschaftsnation ist entschlossen ans Werk gegangen. Jetzt aber ist time for a break, Zeit für Strand und Ferien vom Staatsstress. Am Wunder der Wiederauferstehung wird natürlich zu gegebener Zeit weitergearbeitet werden. Aber nicht sofort. Acht knappe Wochen Zeit nimmt sich der Berliner Politikbetrieb, um mal runterzukommen vom Dauerwahlkampf um Brandmauern, Verfassungsrichterinnen, Wohnungsbauoffensive und Umstellung auf Kriegswirtschaft. Es werden Monate sein, die auch auf das Land beruhigend zu wirken versprechen: Wenn die Regierenden samt Parlament 50 Tage Ferien vom Staatsstress machen können, mitten in einer weltgeschichtlichen Phase mit multiplen Krisen, dann kann es so übel um die Dinge nicht stehen. Für Friedrich Merz und Lars Klingbeil aber kommt der Sommerurlaub gerade richtig, um nicht nur auszuspannen, ein gutes Buch zu lesen und sich an alldem zu erfreuen, was bisher bereits geschafft wurde. Sondern auch, um mal über die Dinge in einem größeren Rahmen nachzudenken. Besser geht's nichtFakt ist, dass es besser nicht hätte laufen können. Die Stimmung ist zwar noch nicht wie geplant in der ganzen Bevölkerung aus tiefer Depression in Richtung grundlosem Optimismus gekippt. Doch die überwiegend vom Staat finanzierten Wirtschaftsforschungsinstituten sehen schon Licht am Horizont und den Anflug eines Silberstreifens. Abgesehen davon, dass niemand wissen könne, was die EU im Zollstreit genau mit Donald Trump aushandelt, wie es an der Ostflanke weitergeht und ob der Karlsruher Richterstreit am Ende nur durch einen Bruch der Koalition gelöst werden kann, gebe es viele Gründe, fröhlich zu sein. Der Sommer! Sonne! Strand! Nur für Merz und Klingbeil gilt es, im Urlaub strategisch zu denken, um sich von inneren und äußeren Feinden nicht noch einmal auf dem falschen Bein erwischen zu lassen. Für den Kanzler, heißt es in seinem engeren Umfeld, sei es ein Alptraum gewesen, auf den letzten Metern eines Wahlkampfes, der ihn absehbar ins Kanzleramt führen würde, alle seit Monaten fertigen Pläne und Strategien für den Fall der Regierungsübernahme verwerfen und plötzlich improvisieren zu müssen. Umplanen im UrlaubSchulden statt Schuldenbremse, it's the rearmament statt it's the economy, kontrollierte statt geschlossene Grenzen und notgedrungene Bücklinge vor Amerika anstelle von selbstbewussten Ansagen. Friedrich Merz, von Haus aus ein politischer Planwirtschaftler, der sich Ziele für abrechenbare Termine setzt, bezog das Kanzleramt als erster neuer Regierungschef ohne durchgerechnete Strategie. Der 69-Jährige war einzig und allein ausgestattet mit dem Eindruck dringender Handlungsnotwendigkeit, nachdem Donald Trump den Verbündeten der USA erstmals deutlich signalisiert hatte, dass es ein Weiterso nicht geben werde. Doch was und wie und wozu? Nicht nur im Wahlkampf hatte eine plötzliche Entdeckung des bereit zwei Jahre laufenden Ukrainekrieges als Ereignis mit direkten Konsequenzen für Deutschland keine Rolle gespielt, sondern auch in den Planspielen der CDU-Strategen. Als legendär gelten unter den engsten Mitarbeitern des CDU-Vorsitzenden und seines SPD-Kollegen heute schon die Stunden im Führerbunker, als sich die ganze Wahrheit zu zeigen begann: Schnell und informell hatten sich beide Seiten auf ein zweites und ein drittes Sondervermögen geeinigt. Unklarer UmfangUnklar erschien allein der notwendige Umfang der neuen Schulden, weil niemand sagen konnte, wofür sie überhaupt gebraucht werden würden, abgesehen von den beiden Hauptzwecken, der Bevölkerung den Ernst der Lage zu verdeutlichen und der Regierung vorsorglich Handlungsspielräume zu verschaffen. Wie viele Panzer die Bundeswehr denn eigentlich benötige, um den Russen zurückzuschlagen, wurde gefragt. Doch genau sagen konnte das niemand. Ebenso blieb die Frage unbeantwortet, was so ein Panzer genau koste. Merz habe Klingbeil angeschaut, der den Kopf schüttelte. Jemand habe fragend "Boris?" gesagt, doch der Verteidigungsminister konnte nur mit "drei bis 30 Millionen" antworten. Letztlich sei gegoogelt worden, wie auch später beim Infrastrukturpaket, bei dem die Wiederaufbaukosten für die Dresdner Carolabrücke in Höhe von 100 Millionen Euro als Grundlage für eine Hochrechnung genutzt wurden, die letztlich auf ein Gesamtvolumen des Infrastrukturtopfes von 500 Milliarden hinauslief. Niemand wusste es besser. Großzügig durchgewunkenNiemand widersprach. Nicht im alten Bundestag, der seinen letzten Dienst am Vaterland leistete, indem er die erst wenige Jahre zuvor von ihm selbst beschlossene Schuldenbremse verwarf. Und nicht in Brüssel, wo die EU-Kommission hofft, für ihr großzügiges Durchwinken der brachialen deutschen Verstöße gegen die völkerrechtlich bindenden Maastricht-Kriterien zu gegebener Zeit mit ähnlicher Großzügigkeit belohnt zu werden. In den Ferien aber müssen Merz und Klingbeil liefern. Statt durchzuschnaufen, zu wandern und ein erstes Buch über das bisher Geleistete zu schreiben, steht konzeptionelle Arbeit an. Wohin nur mit dem ganzen Geld, das jetzt schon überall fehlt? Wie kann es ausgegeben werden, ohne allzu viel Schaden anzurichten, weil alle, die nichts abbekommen, sich nicht wertgeschätzt, missachtet und zurückgesetzt fühlen werden? Durcharbeiten in den FerienSchwere Fragen, die Suche nach Antworten wird dauern. Obwohl Bundeskanzler Friedrich Merz und sein Kabinett seit ihrem Amtsantritt noch nicht einmal hundert Tage absolviert haben, ist im politischen Berlin schon lange nicht mehr die Rede davon, sich in diesem Jahr aufgrund der drängenden Probleme nur ein verkürzte parlamentarische Sommerpause zu gönnen. Der Kanzler wird durcharbeiten, aber in aller Stille, beim Nachdenken darüber, wie es weitergehen soll mit den großen Projekten: Wird Frauke Brosius-Gersdorf doch noch Verfassungsrichterin? Wie werden sich Trumps Zölle nutzen lassen, um das vierte Rezessionsjahr zu begründen? |
Sonntag, 20. Juli 2025
Die Geschafften: Ferien vom Staatsstress
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1 Kommentar:
Auch die heutigen Cäsaren können beruhigt Luxusurlaube genießen, denn Sie wissen ja, dass ihre aktuelle Prätorianergarde, jetzt Staatsschutz genannt, daheim das weiter ihre fürstlichen Diäten herbei malochende Sklavenheer strafandrohend engmaschig bewachen wird.
Bisher fand nämlich noch jeder Herrscher reichlich minimal privilegierte Folterknechte.
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