Dienstag, 30. Dezember 2025

Parteien des Jahres: Alle für die eine

Mit den großen Protesten in Gießen verschaffte die Zivilgesellschaft der AfD weitere anderthalb Prozent Aufwind.

Das Jahr 2025 war nicht nur ein Jahr der Unsicherheit, der Neuordnung der Meinungslandschaft und der Aufkündigung alter Freundschaften. Es war auch ein Jahr der alteingesessenen Parteien, die bewiesen, dass in einer Demokratie nicht alle Stimmen gleich viel wiegen. Um die Handlungsfähigkeit des Staates in einer Zeit multipler Herausforderungen zu sichern, haben die Parteien wichtige Schritte unternommen, um ihre Position als Herz, Kopf und Gesicht der Demokratie zu festigen.   

Eine Brandmauer stärkt die innere Stabilität. Neue Allianzen über die alten ideologischen Gräben hinweg haben Vertrauen zurückgewonnen. Neue Leute reagieren mit bewährten Maßnahmen auf Veränderungen, die sie oft selbst nicht verstehen. Lager sind zerfallen. Wer eben noch Mitte war, ist heute schon rechts. Die gewachsene Bedeutung der Parteien hat die traditionelle Demokratie umgestaltet zur modernen Parteiendemokratie. 

Die liefert Democracy at its best. Parteienzentralen sind heute das Rückgrat des Systems, doch wie der Blick ins zurückliegende Jahr zeigt: Zu ihrem Besten ist das nicht. 

Es funktioniert wie Westfernsehen. Wie Zucker. Nikotin. Alkohol. Wie verbotener Sex. "Keiner tut gern tun, was er tun darf", reimte der deutsche Volksdichter Wolf Biermann vor 60 Jahren, denn "was verboten ist, das macht uns grade scharf!"  In "des Zwanges sauren Apfel mag das Volk nicht beißen", riet er der roten Obrigkeit. So sei es doch wohl die beste Idee, "stellt man unter strengste Strafe jedes Loblied auf den Staat, jede kühne Aufbautat". Denn dann werde das Volk nicht mehr böse Witze reißen über die Genossen an der Spitze. Sondern genau das Gegenteil tun.

Die Ursache des Erfolges 

Ein Prinzip, das anzuwenden das DDR-Politbüro nie wagte. Und das doch seit zehn Jahren zeigt, wie wirkungsmächtig es ist. Die gefürchtete Alternative für Deutschland verdankt ihm den Großteil ihrer Erfolge. Ihr Aufstieg zu nachfragestärksten Partei Deutschlands - werden CDU und CSU getrennt betrachtet sogar zur einzigen Volkspartei im Land - ist nicht erklärbar ohne die anhaltenden kollektiven Bemühungen der Wettbewerber aus allen Lagern, sie kaut und deutliche zu ignorieren. Die Wähler zu ihrer Verachtung zu erziehen. Und sie zu verbieten.

Einen ähnlichen Weg gingen die Grünen in den Kindertagen des Ökoglaubens. Auch sie wurden ausgegrenzt, angegriffen und wegen ihrer Nähe zu diktatorischen Regimes, totalitären Ideologien und anerkannten Terrorgruppen als mutmaßlich staatsfeindlich vom Verfassungsschutz beobachtet. 

Hippies, Maoisten, Wehrkraftzersetzer 

Der "bunte Haufen aus Hippies und Maoisten, K-Gruppen-Mitgliedern und Friedensaposteln", wie ihn die Frankfurter Rundschau beschreibt, wurde allerdings schon zwei Jahre später als Mehrheitsbeschaffer gebraucht. Joschka Fischer, eben noch Mitglied eines "Putztruppe" genannten Vorläufers der antifaschistischen "Hammerbande" der Jetztzeit, verwandelte sich vom Widerstandskämpfer gegen die parlamentarische Demokratie in einen leibhaftigen Minister.

Die Brandmauer nach links, sie fiel endgültig, als Fischer 15 Jahre später Bundesminister wurde. Seine Partei war am Ziel. Sie musste nun nicht mehr einen Pazifismus predigen, der die Bereitschaft einschloss, sich dem Einmarsch sowjetischen Besatzungstruppen mit erhobenen Armen zu ergeben. Sie konnte direkt mit dem neuen Zaren verhandeln und ihn mit Wirtschaftsverträgen gnädig stimmen. Gemeinsam mit der SPD, wie die Grünen am Anfang der 90er Jahre energisch engagiert für die Beibehaltung der Spaltung Deutschlands und Europas, kassierten die Grünen die Friedensdividende, die Kohl, Genscher und Schäuble im Pokerspiel mit Gorbatschow, Thatcher und Bush erwirtschaftet hatten.

Sie haben sich längst verziehen 

Die Geschichte hat beiden Parteien verziehen. Auch sie selbst sind sich wegen ihrer früheren ideologischen Verirrungen nicht mehr gram. Gemeinsam mit Russland, das gerade in Afghanistan einmarschiert war, gegen Amerika gekämpft zu haben, auch das ist "ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt" deutscher Geschichte, wie es ein anderer deutscher Extremist früher einmal ausgedrückt hatte. 

Selbst der Verfassungsschutz erkannte das an. Ein Beobachtungsinteresse bestand nicht mehr. Einen Zusammenhang mit dem Aufrücken eines früheren Grünen-Politikers ins Amt des Bundesinnenministers gab es nicht  - ein Vorgang, der sich später wiederholte, als ein lange beobachteter PDS-Politiker in die Erfurter Staatskanzlei einzog. Nie gelang es mutmaßlich grundsätzlichen Kritikern der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, den langen Marsch durch die Institutionen mit einer Machtübernahme zu krönen. Immer verwandelten sie sich zuvor in gute Demokraten der Mitte.

Sittengemälde der Klassengesellschaft  

Doch sie verloren dabei eben immer auch die große, geheimnisvolle Anziehungskraft, die aus ihrer Ablehnung durch das etablierte Macht- und Mediengeschäft entspringt. Der westdeutsche Liedermacher Franz Josef Degenhardt, wie Biermann Kommunist, wie Biermann notorisch unzufrieden mit Verhältnissen ohne richtigen Sozialismus, hat in seiner Moritat "Spiel nicht mit den Schmuddelkindern" ein Sittengemälde der Klassengesellschaft gezeichnet: "Spiel nicht mit den Schmuddelkindern , sing nicht ihre Lieder, geh doch in die Oberstadt, mach's wie deine Brüder!", heißt es da.

Im Lied über einen Jungen, den es magisch in die Kaninchenställe der armen Nachbarn zieht, "wo sie Sechsundsechzig spielten um Tabak und Rattenfelle, Mädchen unter Röcke schielten und wo man, wenn der Regen rauschte, Engelbert dem Blöden lauschte." In der streng nach Bonner Republik riechenden außerparlamentarischen Erziehungspoesie wird das Opfer der Verhältnisse aus Rache reich, er baut sich ein Haus, nimmt täglich ein Bad und liebt "hochgestellte Frauen". Bis ihm die Schicksalstunde schlägt: Erst ein Unfall. Dann Kindesmissbrauch. "Seine Leiche fand man, die im Rattenteich rumschwamm", versucht Degenhardt das unausweichliche Ende in einer Art Reim zu packen.

Die Erfindung der Brandmauer 

Die Grünen sind diesem Los entgangen. 40 Jahre nach Fischers Turnschuhauftritt in Wiesbaden sind sie es, die definieren, wer zur demokratischen Mitte gehört und wer nicht. Die AfD muss dankbar dafür sein: Nach einem halben Jahrzehnt, in dem die neugegründete Professorenpartei mit überschaubarem Erfolg um EUnzufriedene warb, gelang es Angela Merkel, erste Lücken in die Dornenhecke zwischen den Blauen und der Mehrheitsgesellschaft zu schlagen. Ehe dann mit der Erfindung der Brandmauer der Durchmarsch an die Spitze der Parteienhitparade folgte.

Die AfD selbst musste fast nichts dazu beitragen. Natürlich hat sie ein Parteiprogramm. Allerdings interessiert das niemanden. Sie hat auch eine Parteiführung, doch statt Tino Chrupalla und Alice Weidel könnten auch immer noch Frauke Petry und  Jörg Meuthen amtieren - oder Tim und Struppi. Die AfD wird nicht für das gewählt, was sie ist. Sondern für das, was sie nicht ist. Die findet ihre Wähler nicht bei denen, die ihr etwas zutrauen. Sondern bei denen, die den anderen Parteien nichts mehr zutrauen. 

Kaum fassbares Glück 

Jede Warnung, die von SPD, Union, Grünen oder Linkspartei kommt, zahlt auf das Stimmungskonto der Blauen ein. Jede Protestkampagne, die die staatliche Zivilgesellschaft wegen dieses oder jenes Vorfalls organisiert, treibt die Zustimmung weiter nach oben. Jede Verteufelung, jede verharmlosende Gleichsetzung mit millionenfachen Mördern und jeder geschichtsvergessene Aufruf zum antifaschistischen Widerstand spült neue Zustimmung in Wellen auf die Mühlen der Opposition.

Seit Jahren schon kann die AfD-Führung ihr Glück nicht fassen. Alle arbeiten für sie, alle setzen sich so engagiert ein, dass die Parteivorsitzende  bei einem ihrer größten Auftritte im Sommer, zu Gast beim ARD-Sommerinterview, keinen einzigen verständlichen Satz sagen musste, um sich bei der Sonntagsfrage in der Woche danach  über einen weiteren Beliebtheitshüpfer freuen zu dürfen. Auch mit den großen Protesten in Gießen, die die Gründung einer Nachwuchsorganisation der AfD hatten verhindern sollen, verschaffte die Zivilgesellschaft der AfD weitere anderthalb Prozent Aufwind.

Überall Wahlkampfhelfer 

Die Wahlkampfhelfer der Anfang des Jahres schon einmal kurzzeitig als in Gänze gesichert rechtsextremistisch eingestuften Partei sitzen überall. Sie haben in den konkurrierenden Parteien kleine und große Posten. Sie arbeiten als Demokratiehüter in den Gemeinsinnmedien. Sie schreiben sich die Finger wund, sie singen und schicken Petitionen, sie haben die Steigbügel gehalten und schauen nun erstaunt hoch zu dem Reiter auf dem Pferd, das schneller läuft, als sie rennen können. 

Die Medizin, sie wirkt nicht. Die Medizin, sie bewirkt das ganze Gegenteil. Der Patient Unseredemokratie wird immer schwächer, je lauter seine nahe Gesundung durch komplette Isolation durch eine hermetische Brandmauer verkündet wird. Doch die besorgten Ärzte an seinem Bett sind überzeugt, dass die Dosis einfach noch zu niedrig ist. Die große Koalition der Fördergeldzivilisten, Petitionsfetischisten und Verbotsfanatiker lässt sich von der Wirklichkeit nicht irritieren. Sie arbeitet hartnäckig weiter daran, die AfD zu popularisieren und den Rechtsruck zu institutionalisieren. 

Je lauter die Alarmsirenen 

Den anhaltenden Enthüllungen, bei den Parteimitgliedern handele es sich um Hassprediger, Stürmer und Dämokraten, wird von den Enthüllern immer noch zugetraut, sie könnten das miese Blatt wenden. Große Hoffnungen ruhen auch auf Recherchen, die zeigen, wie zerstritten die AfD ist, wie fürchterlich korrupt, wie russland- und amerikafreundlich, wie über vernetzt mit Rechtsextremisten, neurechten Vordenkern und christlichen Kreisen. Je lauter die Alarmsirenen schrillen, desto mehr profitiert die AfD.

So lange die Brandmauer hält und die Verteufelung in keinem Text zur AfD fehlt, muss deren Parteiführung keinen Finger rühren. Ihre Siege fallen ihr in den Schoß.   


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