Montag, 9. Juni 2025

Verdeckter Einsatz gegen Europa: Fördermilliarden im Klimakrieg

EU-Kommission, Zivilgesellschaft, NGOs, Fördermittel, Demokratie, Transparenz, Lobbygruppen
Die EU-Kommission kann nicht alles selbst tun. Deshalb gibt sie Jahr für Jahr Milliarden aus, um zivilgesellschaftliche Organisationen zu finanzieren. Abb: EU-Kommission

Ein Skandal, der keiner ist. Für Mark Schieritz, einen der Vordenker des Umbaus Europas zu einer einheitlichen und zentral angeleiteten Zivilgesellschaft für ganz Europa, deutet alles auf eine rechte Verschwörung gegen die Gemeinschaft. "Die Verstrickungen der EU-Kommission mit den nicht-staatliche Organisationen sind so geheim, dass es dafür sogar eine Webseite gibt", schrieb er und nutzte geschickt ein Argument, das gerade von erklärten Feinden der demokratischen Demokratie häufig genutzt wird. Niemand, der Böses plant und unsere Demokratie aushöhlen will, würde darüber im Internet informieren.  

Durchsichtiger Angriff  

Nein, in Wahrheit ist es genau andersherum, wie der grüne EU-Parlamentarier Michael Bloss umgehend bestätigte: Für eine undurchschaubare zentralistisches Leitungsinstanz, wie sie sich die derzeit noch 27 Mitgliedsstaaten der EU mit der EU-Kommission geschaffen haben, ist die finanzielle Unterstützung und ideologische Anleitung von zivilgesellschaftlichem Engagement unterstützt nicht nur "gängige Praxis und absolut notwendig" (Bloss). Sie ist auch keineswegs verwunderlich oder gar empörend. 

Michael Bloss, der ohne Umwege über ein bürgerliches Berufsleben nach dem Studium als politischer Referent einer grünen Abgeordneten im Europaparlament in seine Politikerkarriere  gestartet war, ist hier wie Schieritz einem Skandal auf der Spur, wo keiner ist. NGO steht im Englischen für "Non-Governmental Organisation", auf Deutsch wird der Begriff allerdings schon lange mit "Nocheineregierungsorganisation", kurz NRO, übersetzt. 

Uneigennützige Fördermittelverbraucher 

Das Besondere an NROs ist, dass sie zum überwiegenden Teil von Regierungen, Ministerien oder über undurchsichtige Stiftungen finanziert werden. Nach außen hin aber als uneigennützige Vertretungen eines gesellschaftlichen Gesamtinteresses auftreten, das infragezustellen als unanständig oder gar demokratiefeindlich gilt. Nach Jahrzehnten des Auf- und Ausbaus eines Tausende Organisationen umfassenden Systems aus pressure groups, Institutionen zur Lieferung von wissenschaftlich verkleideten Stichwort-Studien, Abmahn- und Klagevereinen, Faktencheck-Agenturen und  Petitionsplattformen ist das Biotop mit seinen zehntausenden von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mächtig genug, sich selbst gegen jeden Angriff zu verteidigen.

Eine Erfahrung, die auch der derzeit amtierende deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz und seine Union machen mussten, als sie im Bundestagswahlkampf versuchten, die an der Seite von Grünen, SPD und Linkspartei kämpfenden Zivilgesellschaftler mit Hilfe von 551 Fragen als nur pro forma ausgelagerten Teil des Staatsapparates zu überführen. 

Instrumentalisierte Wissenschaftler 

Die kleine Bundestagsanfrage mit dem Titel "Politische Neutralität staatlich geförderter Organisationen" wurde von den Organisationen selbst als Frontalangriff auf die Demokratie gewertet. Lobbygruppen sprangen den Lobbygruppen zu Seite. Wissenschaftler ließen sich instrumentalisieren und Medien erklären jede Nachfrage zum Verblieb von  hunderten Millionen Euro Steuergeld zum Versuch, verdienstvolle Programme wie "Demokratie leben!",  das sich der Staat allein 182 Millionen Euro pro Jahr kosten lässt, zu torpedieren.

Solche Anfragen zur Herstellung angeblicher Transparenz seien ein "Foulspiel", klagte SPD-Chef Lars Klingbeil. Die linke Bundestagsabgeordnete Clara Bünger, die nach dem Studium ohne den Umweg über eine bürgerliche Erwerbstätigkeit als Mitarbeiterin einer grünen Abgeordneten im Bundestag in ihre Politikerkarriere gestartet war, kritisierte, dass die "freie Zivilgesellschaft" durch die Fragen nach ihrer staatlichen Finanzierung behandelt werde wie "in autoritären Staaten". 

Der Steuerzahler soll vertrauen 

Sobald der Steuerzahler wisse, bei wem sein Geld lande, das ist medialer Konsens, leiden Demokratieförderung, Vielfaltsgestaltung und Extremismusprävention. Der gute Zweck stünde unter öffentlichem Zustimmungsvorbehalt - mit womöglich weitreichenden Folgen. Ein gemeinnütziger Verein wie die Deutsche Umwelthilfe (DUH), dem es immer wieder gelingt, Bauvorhaben  durch Klagen nach dem Unterlassungsklagengesetz um Jahrzehnte zu verzögern und um Milliarden zu verteuern, könnten plötzlich infragegestellt werden. Und das alles nur, weil die DUH mit ihrer Tochter DUH Umweltschutz Service GmbH sogenannte Kommunikationdienstleistungen in Zusammenhang mit der Durchführung der Klimawende für die Bundesregierung erledigt, von der sie mit Projekt- und Fördermitteln ausgestattet wird.

Niemand, der am Ruder sitzt, kann das wollen. Die Union, als Regierungspartei seit einigen Wochen selbst mit der Verfügungsgewalt über die Geldhähne, gab unmittelbar  nach Übernahme der Geschäfte Ruhe. Einzelne Abgeordnete nur beklagen noch die "manipulierte Demokratie", die man geschaffen habe.  Der CDU-Parlamentarier Sven Simon etwa empört sich, dass der Staat Lobbygruppen so auskömmlich finanziere, dass sie Diskurs beherrschen können, "als Exekutivorgane jenseits des Staates" agieren, als Legitimationsquelle für immer neue Verbotsforderungen dienen und dabei helfen, abweichende Meinungen zu delegitimieren und als extremistisch zu brandmarken. 

Eine heimliche Allianz 

Aber das ist eine Einzelstimme auch nach den vermeintlichen Enthüllungen der "Welt" über Geheimverträge der EU-Kommission mit NGOs, denen gegen Bezahlung mit Fördermillionen detaillierte Arbeitsaufträge gestellt wurden. Die "heimliche Allianz" haben das Ziel verfolgt, mit Hilfe der selbsternannten Aktivisten fossile Energieunternehmen und Handelsabkommen zu torpedieren. Die EU-Kommission habe über den unauffälligen Umweg selbst Klagen gegen Klarftwerksbeteiber finanziert, um deren "finanzielles und rechtliches Risiko" zu erhöhen. 

Die undurchsichtige NGO-Dachgesellschaft "Friends of the Earth", die ihren Unterhalt schon seit Jahren überwiegend aus Steuermitteln bestreitet, wurde dem Bericht zufolge beauftragt, das Freihandelsabkommen Mercosur zwischen Europa und Südamerika zu torpedieren. Andere Gruppen bekamen Geld für die Beeinflussung von EU-Abgeordneten vor Abstimmungen zu Pflanzenschutzmitteln und Chemikalien. 

Methode Mao 

Die Methode erinnert an Mao Zedong, der für seine Kulturrevolution die Jugend in Anspruch nahm. Der unumschränkte Herrscher des revolutionären China rief die Roten Garden zur Bekämpfung der alten Ideen, der alten Kultur, der alten Gewohnheiten und der alten Sitten auf. Bürgerliche Elemente in  Regierung und Gesellschaft sollten beseitigt werden, Kinder waren aufgerufen, ihre Eltern als Konterrevolutionäre oder "Rechtsabweichler" zu denunzieren. Die ersten Trusted Flagger, die die Denunziation und nachfolgende Abstrafung weniger zu einem Herrschaftsinstrument machten, das viele erzog, waren halbwüchsige Chinesen, deren zivilgesellschaftliches Engagement mit Lob statt Geld vergolten wurde.

Dafür steht heute niemand mehr auf. In der EU sind die Mieten zu hoch, die Strom- und Lebensmittelpreise zu stark gestiegen, als das selbst überzeugte Sozialisten Kampagnen gegen Klimaleugner, Rechtsabweichler und politische Feinde einer immer weiter fortschreitenden Staatswerdung der EU gratis betreiben könnten. Die Infrastruktur muss unterhalten werden, die Büros, Vermetzungskonferenzen, Sozialabgaben für die Mitarbeiter, alles kostet. 

Unumgängliche Millarden

Dass die EU-Kommission hauptberufliches zivilgesellschaftliches Engagement zusätzlich zu den von den Mitgliedsstaaten fließenden Fördermitteln unterstützt, ist daher unumgänglich. Die 3.691 Organisationen, die im Europäischen Transparenzregister in der Kategorie "NGO" geführt werden, benötigten einem bericht des Europäischen Rechnungshohes zufolge zwischen 2021 und 2023 7,4 Milliarden Euro, um die EU in Sachen Kohäsion, Forschung, Migration und Umwelt tatkräftig zu unterstützen. Wie genau das erfolge, konnten die Rechnungsprfer allerdings nicht herausfinden: Die Kommission veröffentliche nur bruchstückhafte Informationen. Es sei daher nicht vollständig klar, welche Rolle NGOs in der EU-Politik spielen.

Und das ist gut so. 7,4 Milliarden Euro - davon 4,8 Milliarden Euro von der EU-Kommission und 2,6 Milliarden Euro von den Mitgliedstaaten - sond pro Kopf jedes Eu-Bürgers gerademal 15 Euro. Kein Geld, das irgendjemandem fehlt, wenn es ein anderer hat. Dass EU-Beamten vor der Auszahlung der Mitten an die Hilfsverbände genau formuliert haben sollen, was die europäische Gemeinschaft als  Gegenleistung erwartet – etwa eine bestimmte Anzahl an Lobby-Briefen, Nachrichten in den sozialen Medien und Treffen mit Abgeordneten des Europäischen Parlaments - spricht für das hohe Maß an Verantwortungsbewusstsein, mit dem jeder einzelbne Euro ausgegeben wird. 

Verdeckter Einsatz gegen Europa 

Der verdeckte Einsatz von  Umweltverbände gegen Unternehmen und von der EU finanzierte Klagen gegen Firmen und die Planung Kampagnen zur Verschärfung von Nachweispflichten für Bauern bis zu einer schwelle, an der sie zur Aufgabe ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit gezwungen wären, sollte letztlich viel Gutes für die Gesellschaft und die Umwelt bewirken. Sinkender Energieverbrauch, sinkende Klimalasten, sinkende Abhängigkeit von traditioneller Selbstversorgung - dass die Kommission ihren geschickte Beeinflussungspolitik nicht auf dem Marktplatz diskutiert hat, erscheint nachvollziehbar. Kein Zaubertrick funktioniert, wenn er vorgeführt wird, ohne die Illusion zu erzeugen, er beruhe nicht auf geschickter Manipulation. 

Wer die staatlich durchfinanzierten nichtstaatlichen Organisationen angreift, zielt auf diese Illusion. Wer diese Illusion anvisiert, will die über Jahre sorgsam aufgebaute hauptamtliche Zivilgesellschaft schwächen, die aus der Demokratie "unsere Demokratie" gemacht hat. Diese noch relativ neue Spielart einer Volksherrrschaft ohne Volk kommt ohne kritische Stimmen aus. Erforderlich ist ausschließlich das staatlich kanalisierte Engagement von Bürger*innen in sogenannten "Bürgerräten", um einen demokratischen Diskurs zu simulieren.

Die Legende von der "Zivilgesellschaft" 

Vertrauen ist gut, Kontrolle nicht notwendig. Nach den perfiden Vorwürfen aus Deutschland hat die EU-Kommission umgehend klargemacht, dass "einige Finanzierungen aus dem 5,4 Milliarden Euro schweren EU-Umweltprogramm LIFE möglicherweise unangemessen gewesen" seien. Gemeint waren Vereinbarungen der Kommison mit NGOs, die darauf abzielten, Abgeordnete des Europäischen Parlaments so lange vermeintlich von außen zu bearbeiten, bis sie der Kommissionslinie zustimmen. 

Andere NGOS waren beauftragt, die Öffentlichkeit von der Klimapolitik der EU zu überzeugen: Auch sie spielen dabei die Rolle angeblich unabhängiger, durch wissenschaftliche Erkenntnisse motivierter Akteure aus der Zivilgesellschaft. 

Unter dieser Legende führten sie "radikale Aktionen, verdecktes politisches Lobbying und die Druckausübung auf Entscheidungsträger", durch, erklärte die CSU-Europaabgeordnete Monika Hohlmeier der WamS. Sowohl der frühere EU-Kommissar für Klima Frans Timmermans als auch Umwerlt-Kommissar Virginijus Sinkevičius hätten pauschale Zuschüsse gegeben, um ihre "subversiven Pläne" (Hohlmeier) umzusetzen.

Sonntag, 8. Juni 2025

Vom Himmel ein Brausen: Pfingstwunder zum Opferfest

Google Trends Eid Mubarak Pfingsten Grafik Zeitverlauf
Siegeszug eines Kompromissbegriffes: Der Zuckerfest-Gruß Eid Mubarak wünscht Pfingsten ökumenisch mit.
 
Es war der fünfzigste Tag und da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und er erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Zungen wie von Feuer erschienen, die sich verteilten; auf jedem von ihnen ließ sich eine nieder mit einem einzigen Zweck. Sie alle wurden vom Heiligen Geist erfüllt und sie begannen, in anderen Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab, der wollte, dass die kleine urchristliche Gemeinde in Jerusalem eine Tradition begründete.
 

Respekt, Toleranz, Vielfalt 

Heute heißt sie das Pfingstfest und sie dient dazu, an Respekt, Toleranz und Vielfalt zu erinnern. Pfingsten hat keinen Platz für Ausgrenzung und Diskriminierung, Pfinsten ist das Miteinander geprägt von Austausch und Zusammenhalt. Die einen besuchen Gottesdienste, die anderen schächten ein Schaf. Die einen ziehen als Prozession durchs Dorf, die anderen wünschen allen ein gesegnetes Opferfest. Mancher beschenkt die Kinder und spendet für Bedürftige. Andere sind noch auf großer Pilgerfahrt nach Mekka, der "Haddsch". Und die dritten klagen in Erinnerung an Weihnachten und Ostern: "Pfingsten sind die Geschenke am Geringsten". 

Die Nähe aber, die Gläubige fühlen, ist groß. Nach den Angaben des Koran begab es sich in diesen Tagen, dass Allah seinen Propheten Ibrahim aufforderte, seinen Sohn zu opfern, um die Ernsthaftigkeit seines Glaubens unter Beweis zu stellen. Pfingstlern kommt die Geschichte bekannt vor: In der Bibel (Gen 22,1-19) ist es Abraham, den der Christengott redegewandt wie ein Enkeltrick-Anrufer dazu bringt, seinen Sohn Isaak zu opfern, um die Prüfung seiner Treue zu Gott zu bestehen. 

Im religiösen Wahn

Abraham gehorcht, führt Isaak zum Opferberg und fesselt ihn. Doch Gott, für den alles nur ein Spaß war oder ein Test, um zu sehen, wie weit Menschen im religiösen Wahn zu gehen bereit sind, schickt im letzten Augenblick einen Engel, um ihn vom Mord abzuhalten. Die muslimische Nacherzählung endet ebenso. Hier ist es Ismael, der weiterleben darf. An seiner statt wird ein Tier geschlachtet. 

Der Popularität beider Religionen hat weder das grausame Ansinnen ihres Gottes geschadet, eines misstrauischen Allmächtigen, der kleinlich darauf besteht, von den Seinen blutige Opfer zu erpressen. Noch der Sinneswandel des Allerhöchsten im letzten Augenblick, der von einer tiefsitzenden Menschenverachtung erzählt, kombiniert mit wankelmütiger Entscheidungsschwäche. 

Der neue Pfingstgruß Eid Mubarak 

Vor allem der traditionelle Pfingstgruß "Eid Mubarak", bis vor einigen Jahren ein verbreiteter Festtagsgruß in der islamischen Welt, wird von Jahr zu Jahr beliebter. Der Gruß drückt einerseits den Wunsch aus, dass Allah allen Rechtgläubigen den Gefallen tun möge, ihr hartnäckiges Fasten im gesegneten Monat Ramadan als Ehrfurchtsbeweis anzunehmen. Dort, wo er am häufigsten geben wird, verbindet sich mit ihm aber vor allem die Sehnsucht, als respektvoll, tolerant und vielfältig wahrgenommen zu werden.

Es geht um Akzeptanz, um die mit beiläufiger Unterwerfung geworben wird. Die Reinigung der Schafe,  die Moscheen, gefüllt mit Menschen in festlicher Kleidung – "oft neu gekauft oder liebevoll hergerichtet" (Stern). Die vielen Namen des "Höhepunkt ihrer Religion" (Merkur). Die Feier, "die Glaube, Gemeinschaft und Großzügigkeit miteinander verwebt" und die aufs Blut zerstrittenen Sunniten und Schiiten Jahr für Jahr für ein paar Tage zu Glaubensschwestern und -brüdern macht.

Ökumene im Abendland 

"Eid Mubarak" eignet sich bestens dazu, alle mitzunehmen. Der aus dem Nahen Osten importierte Pfingstgruß ist schon in seiner Bedeutung im besten Sinne ökumenisch, denn übersetzt heißt er religionsgattungsübergreifend "Gesegnetes Fest". Das passt immer, das hat sich in den zurückliegenden zehn Jahren durchgesetzt. Heute gilt es nicht nur als gesellschaftlicher Konsens, nicht mehr den früher missbrauchten deutschen Begriff "Moslem" zu benutzen, sondern das weltläufige englischsprachige Pendant "Muslim". Sondern auch, statt des Andersglaubende ausschließende "Frohe Pfingsten" oder "Frohes Pfingstfest" lieber "Eid Mubarak" zu wünschen, das jeden mitnehmen will.

Gute Christenmenschen scheuen sich nicht, diesen Umstand klug auszunutzen, um Bande über die Abgründe zu knüpfen, in denen die Überempfindlichen, die Kleinlichen und die ewigen Beckmesser verharren. Die zählen nach, welche offizielle Stelle wem was wünscht und wem nicht. Die schimpfen über Schächtungen, die angebliche Kinderehe des Propheten Mohammed, der die Einführung des Opferfestes während seiner ersten Pilgerfahrt nach Mekka vor 1397 Jahren persönlich verfügt haben soll. 

Pfingsten hat keine Chance 

Doch all das ist vergeblich. In Deutschland wie im gesamten Abendland ist das Zuckerfest, auch Eid al-Adha genannt, nicht nur anerkannt, sondern hochgeschätzt. Es sei "mehr als ein Brauch, es ist eine Einladung zur Selbstbefragung" und es setze "dem Konsum das Teilen entgegen, der Isolation die Gemeinschaft, der Angst das Vertrauen". Alles Dinge, gegen die die "Ausgießung des Geistes über alles Fleisch", die auch als Pfingstwunder der Christen bekannt ist, keine Chance hat.

 

Braindrain: Warum nicht nur Baerbock und Habeck das Land verlassen

Trump Habeck Begrüßung Braindrain
Bei seiner Ankunft auf Ellis Island wird Robert Habeck von US-Präsident Donald Trump (r.) begrüßt.

Überbordende Bürokratie, knappe Kassen, strenge Förderrichtlinien, immer engere Grenzen bei der Meinungsfreiheit und beständig wechselnde politische Vorgaben aus Brüssel erschweren Wirtschaft, Politik, Sportverbänden und der Wissenschaft in Europa mehr und mehr die Arbeit. Anfangs schien es so, als könne der weltweit erfolgreichste Kontinentalverband nach dem Amtsantritt von Präsident Trump viel leichter viel mehr Spitzenkräfte aus den USA abwerben

Doch den ersten vielversprechenden Ankündigungen folgten bis heute keine Vollzugsmeldungen. Stattdessen mehren sich die Hinweise, dass es die Vereinigten Staaten sind, die begehrte Führungskräfte aus Deutschland abziehen.

Es sah nach Zufall aus 

Es schien ein Zufall zu sein, geschuldet allein dem glücklichen Umstand, dass Deutschland weltweit geschätzte Außenministerin Annalena Baerbock gerade Zeit für eine Anschlussverwendung hatte, als die Vereinten Nationen einen neuen Versammlungsleiter suchten. Baerbock, die die Grünen als Vorsitzende zur Volkspartei gemacht und als Kanzlerkandidatin zum besten Wahlergebnis aller Zeiten geführt hatte, ließ sich nicht lange bitten. Nicht einmal drei Monate nach der ersten Anfrage aus den USA erfüllte sie den Wunsch der Weltgemeinschaft und wechselte nach New York.

Mittlerweile wirkt es wie ein Zeichen. Immer mehr Führungskräfte, hoffnungsvolle Nachwuchstalente und von geistiger Enge, Bevormundung und Überbürokratie genervte Menschen packen die Koffer, um nach Übersee zu verschwinden. Statt das Deutschland und Europa von einem Braindrain aus Amerika profitieren, wie es ursprünglich vorgesehen war, droht eine Massenflucht in Trumps Amerika.

Ein Alptraum für Europa, das auch ohne den laufenden aktuellen Aderlass schon an akutem Fachkräftemangel leidet. Die USA waren einst ein Land, das einst für Wissenschaftlerinnen und Fachkräfte ein Magnet war. Doch durch Donald Trump wurden sie für fortschrittliche Medien ähnlich abschreckend wie Russland, Nordkorea und Großbritannien direkt nach dem Brexit. 

Große Hoffnungen 

Groß war die Hoffnung, dass sich das auszahlen würde: 500 Millionen Kopfgeld setzten EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vor einem Monat aus, um Forschenden, Künstlernden und Erfindenden Angebote zum Auswandern zu machen. 13 europäische Länder, darunter Frankreich, Deutschland und Österreich, forderten daher, diesen Menschen zu machen. "Die richtigen Anreize bieten", so von der Leyen, werde "Europa zu einem Magneten machen".

Die Begrüßungsreden waren geschrieben, Bahnhöfe und Flughäfen geschmückt. Nachdem über Jahre schätzungsweise 80.000 bis 100.000 Forscher pro Jahr Deutschland verließen und dem Staat dadurch "zudem Einnahmen von zirka 600.000 Euro" (Die Zeit) entgingen, sollte vor allem Deutschland zum ultimativen Sehnsuchtsort für die US-Elite werden. Die Angst vor Trump, dessen rigide Einwanderungspolitik und seine verrückten Zoll-Erklärungen erschienen wie eine goldene Gelegenheit. 

Nach Baerbock auch Habeck? 

Doch jetzt schrillen die Alarmglocken; nach Annalena Barrbock hat auch deren früherer grüner Kollege Robert Habeck verkündet, Deutschland verlassen zu wollen. Statt im Bundestag das Mandat auszufüllen, dass ihm seine Wählerinnen und Wähler erteilt haben, wechselt der ehemals beliebteste deutsche Politiker in die USA. An  der Elite-Uni Berkeley will Habeck Lektionen in Krisenbewältigung geben: Wie ziehe ich ein Heizungsgesetz zurück? Wie entledige ich mich eines in familiäre Gunstbeziehungen verstrickten Staatssekretärs, ohne selbst Schaden zu nehmen?

Doch es ist nicht nur das. Auch die niedrigeren Steuersätze, die deutlich höheren Gehälter und eine Meinungsfreiheit, die deutlich großzügiger ist als in Deutschland und EU-Europa locken nicht nur Habeck. Wie die Ex-Minister*innen Baerbock und Habeck zieht es auch Nachwuchstalente wie die Meerbuscherin Antonia Neddermann, der Basketballer Sananda Fru, Junioren-Schwimm-Europameisterin Nina Jazy oder die Tiefseeforscherin Antje Boetius über den großen Teich. 

Ein sirenengleicher Ruf 

Sogar Unternehmen wie Marvel Fusion folgen dem sirenengleichen Ruf der Vereinigten Staaten - zum Entsetzen der deutschen und der europäischen Politik, die darauf gesetzt hatten, dass die kriselnden hiesigen Konzerne viel leichter Spitzenkräfte aus den USA abwerben und damit auch die in der EU fehlenden Innovationen importiert werden können. Stattdessen verschwinden Start Ups, der Mittelstand wandert ab. Bei Börsengängen ist New York erste Wahl, nicht Frankfurt.

Doch was treibt diese Massenabwanderung an? Sind es die prominenten Beispiele von Politikern wie Baerbock und Habeck, die Menschen zur Migration motivieren? Warum sind die USA plötzlich so sexy für Deutschlands Elite? Ist Trump, vor dem die größten deutschen Medienhäuser zehn Jahre lang ausdrücklich gewarnt haben, wirklich der Messias der Fachkräfte? Oder sind Deutschland und die EU einfach nur ein bürokratisches Albtraumland geworden? Sind die, die die Koffer packen, zu ersetzen? Oder wird die Wertegemeinschaft EU im globalen Kräftespiel wieder einmal verlieren?

Fachkräfte auf Strümpfen 

Wenn hochqualifizierte Fachkräfte sich auf die Strümpfe machen, gibt es meist mehr als einen Grund. Anderswo ist das Gras grüner, die Steuern sind niedriger und die Bürokratie ist weniger kafkaesk. Doch gerade deutsche Führungskräfte sind an Formulare in dreifacher Ausfertigung und Gendersternchen gewohnt, dass die Arbeits- und  Verwaltungswelt nicht digitalisiert sind und die Universitäten unter "importiertem Antisemitismus" (Freeidrich Merz ) leiden, ist nicht erst seit kurzem bekannt. 

Dennoch lesen sich erst die neuesten Schlagzeilen wie ein Auszug aus einem dystopischen Roman: Annalena Baerbock lebt jetzt in New York. Robert Habeck geht nach Kalifornien. Der Dortmunder Stürmerathlet Ben Berzen schließt in den USA Sponsorenverträge ab, die in Deutschland undenkbar wären. Emma Deden, Torhüterin der U17 von SC Bayer 05 Uerdingen, sieht in den USA bessere Chancen für eine Profikarriere.

Who’s Who der europäischen Elite 

Die Liste der Abwanderer liest sich wie ein Who’s Who der europäischen Elite. Neben Barbock und Habeck, die ihre grüne Vergangenheit gegen einen glänzenden US-Zukunftstraum eingetauscht haben, sind da Antje Boetius, eine der renommiertesten Tiefseeforscherinnen Deutschlands, Junioren-Schwimm-Europameisterin Nina Jazy und Telekom-Deutschlandchef Srini Gopalan. Auch Sebastian Kurz, der ehemalige österreichische Kanzler, hat sich in die USA abgesetzt, um in der Privatwirtschaft Fuß zu fassen, ebenso der Schlagzeug-Künstler Paul Albrecht und der Fußball-Trainer wie Alexander Straus.

Deutschland versucht, mit Programmen wie dem "Meitner-Einstein-Programm" vergeblich, US-Forscher*innen anzulocken. Die Realität zeigt: Der Strom fließt in die andere Richtung.  Und das kommt nicht von ungefähr. Trumps USA erscheinen vielen als Paradies für jeden, der genug von deutscher Überregulierung hat. Während in Deutschland Einkommensteuersätze von bis zu 45 Prozent plus Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer den Kontostand schrumpfen lassen, locken die USA mit deutlich niedrigeren Sätzen. 

100.000 Euro mehr 

Dadurch verdient ein Professor in Berkeley nicht nur mehr als sein Kollege in Bielefeld, sondern er behält auch mehr davon in der Tasche. Selbst US-Präsident Joe Biden und seien Frau Jill, mussten 2023 auf ein Einkommen von 620.000 Dollar nur 146.629 Dollar an Bundessteuern zahlen. Das entspricht einem Steuersatz von 23,7 Prozent. In Deutschland wären etwa 100.000 Euro mehr fällig gewesen. 

Laut einer Analyse des Tax Policy Center liegt der effektive Steuersatz für Spitzenverdiener in den USA oft bei unter 30 Prozent. Ein Traum für deutsche Fachkräfte, die sich daheim oft geschröpft und ausgenommen fühlen, weil Steuern und Abgaben auf Spitzenniveau liegen, der Staat aber dennoch nicht funktioniert. 

Auf der anderen Seite ist auch nicht alles gut, aber vieles besser und zudem auch finanziell lukrativ. Ein Top-Wissenschaftler an einer Ivy-League-Universität wie Robert Habeck einer sein wird, verdient leicht das Doppelte eines deutschen Professors. Selbst ein Bundestagsmandat zahlt sich weniger aus, zumindest, wenn mit dem Rückzug aus der ersten Reihe die Einladungen in die großen Talkshows ausbleiben und Passanten einen nur noch höhnisch "Bündniskanzler" hinterherrufen.  

Neue Rollen in New York und Berkeley 

Baerbock und Habeck dürften in ihren neuen Rollen in New York und Berkeley nicht nur ideologisch, sondern auch finanziell aufblühen. Zusätzlich ersparen sie sich den oft so leidigen Ärger mit der Bürokratie, die für alles ein Formular verlangt, eine Genehmigung und drei Gutachten, statt Lösungen mit Hilfe von KI und hochmodernen Chips zu suchen. Europa hat all das nicht, reguliert es aber vorbildlich, um den Status Quo zu bewahren. Unternehmen wie Marvel Fusion, die alles ändern wollen, sind hier falsch, weil sie sich von den vorgeschriebenen monatelangen Antragsmarathons ausgebremst fühlen.

Dazu kommt die Meinungsfreiheit: Während in Deutschland jede Äußerung ein Shitstorm- und Bademantel-Risiko birgt, gewähren die USA derzeit eine Redefreiheit, die es erlaubt, auch kontroverse Themen zu diskutieren. Eigenverantwortung wird größer geschrieben - auch das ist es wohl, was Robert Habeck und Annalena Baerbock so magisch anzieht. Dazu kommt ein weitgehender Verzicht auf staatliche Verbote und strenge Vorgaben. In Deutschland regelt der Staat alles – vom CO₂-Ausstoß bis zur richtigen Mülltrennung. In den USA herrscht ein Klima der Freiheit, in dem Innovation und Risikobereitschaft belohnt werden. Kein Wunder, dass die beiden Grünen-Politiker nach ihrem Scheitern in Deutschland versuchen, in Trumps Amerika Fuß zu fassen. 

In bürokratischen Fesseln 

Es scheint so, als habe Trump hat mit seiner "America First"-Politik ein Umfeld geschaffen, in dem Talent gefördert und nicht gegängelt wird. Während Europa sich selbst in bürokratische Fesseln legt, locken die USA die Besten der Welt. Deutschland schaut der Abwanderung seiner Elite im Moment mit einer Mischung aus Entsetzen und Resignation zu. Die Politik redet sich die Lage schön, die Max-Planck-Gesellschaft spricht verklausuliert von "herausfordernden Zeiten", der Bayrische Rundfunk beklagt zu viel Regulierung etwa von "Hochrisiko-KI", die dafür sorge, "dass nur US-amerikanische Großkonzerne tatsächlich eine Chance im KI-Wettrennen" hätten.

Trumps Triumph ist Deutschlands Tragödie. Von Annalena Baerbock über Robert Habeck bis hin zu Nachwuchstalenten wie Antonia Neddermann  folgen viele dem Ruf eines Landes, das weniger reglementiert, finanziell großzügiger und freiheitsliebender ist. Niedrigere Steuern, höhere Gehälter, weniger Bürokratie und eine robuste Meinungsfreiheit machen die USA einmal mehr zum neuen Gelobten Land - denn wer will schon dort froschen, wo ein Forschungsantrag länger dauert als die Forschung selbst? Dort leben, wo die Infrastruktur in Deutschland dahinbröckelt? Niedrige Gehälter von hohen Abgaben aufgefressen werden, jeder Flug bereut werden soll und Lastenradfahren als moderne Tugend gilt? 

Zukunft nur als Zentrum 

Während die USA mit milliardenschweren Investitionen in KI, Raumfahrt und erneuerbare Energien locken, kämpft Deutschland mit Förderprogrammen, die in der Regel in Komitees versanden. Die Zukunft bekommt hier allenfalls ein "Zukunftszentrum " gebaut, vom Staat, der mit dem Gebäude an die weit zurückligende Vergangenheit erinnern will, als es noch keine 40 Jahre dauerte, 100 Kilometer Autobahn fertigzustellen. Deutschlands und Europas Elite bricht auf zu neuen Ufern, Deutschland bleibt zurück, gefangen in einem Netz aus Vorschriften und Verboten. Vielleicht ist es an der Zeit, dass Deutschland sich fragt: Ist Trump wirklich das Problem, oder sind wir es selbst?


Samstag, 7. Juni 2025

Zitate zur Zeit: Der Frosch namens Freiheit

Frosch im Kochtopf

Es geht um Kontrolle, um die Konsolidierung der Macht unter dem Deckmantel der öffentlichen Sicherheit. Das ist ein uraltes Spiel, das im Laufe der Zeit tausendfach auf großen und kleinen Regierungsbühnen gespielt wurde. 

Die Aushöhlung unserer Rechte ist der langsame Tod der Freiheit. Wir sind die Frösche, die sich in der warmen Badewanne sonnen, während das Wasser uns zu Tode kocht. Und manche von uns merken es nicht einmal.

Kyla Stone, "Edge of Collapse - Am Rande der Anarchie"

 

Ostmulle Reichinnek: Per TikTok nach oben

Eine echte ostmulle : heidi reichinnek
Tätowiert, häufig auf TikTok tanzend: Mit Heidi Reichinnek kann es eine sogenannte "Ostmulle" jetzt sogar in den Parlamentarischen Kontrollausschuss für die Geheimdienste schaffen. Abb: Kümram, Buntstift auf Pergament

Von wegen, in Deutschland kann es niemand mehr ganz nach oben schaffen, der nicht geerbt hat, skrupellos seinen Vorteil auf Kosten anderer sucht oder zumindest reich heiratet. Von wegen, Ostdeutsche stoßen an eine gläserne Decke. Und von wegen, die Politik wache eifesüchtig darüber, dass kein erklärter Gegner unserer Demokratie Gelegenheit bekommt, sie von innenn anzugreifen. 

Die Linkspartei hat sich einem Bericht des "Spiegel" nach darauf verständigt, ihre Fraktionsvorsitzende Heidi Reichinnek als Vertreterin für das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) im Bundestag zu nnominieren - der geheimste Geheimausschuss des Bundestages bekommt damit zum ersten Mal ein Mitglied, das offen zugibt, die parlamentarische Demokratie abzulehnen, die Marktwirtschaft abschaffen und die Ukraine am liebsten dem russischen Aggressor überlassen zu wollen.

Eine märchenhafte Geschichte 

Es ist das Ende einer märchenhaften Geschichte, die wenig mit Poltik und viel mit dem Phänomen der sogenannten "Ostmullen" zu tun hat. Junge Frauen, tätowiert, mit gefärbten Haaren und einer absichtlich ausgestellten Trash- Ästhetik, die die sich selbst ermächtigen, dem gesellschaftlichen Klischees über Frauen aus Ostdeutschland zu widersprechen: rückständig, leicht zu beeinflussen, angepasst. 

Das alles sind sie keineswegs, die Ostmullen, die sich nicht abfinden mit der Behauptung, sozialer Aufstieg nur denen möglich, die die "rechte soziale Herkunft" vorweisen können, wie die Taz die Lage in doppelt klaren Worten schildert. Nein, diese Jugend glaubt noch an sozialen Aufstieg. Mögen die Älteren, denen er nicht gelungen ist, auch wissen, dass "alles dagegenspricht" (Die Welt). Die Jungen beweisen, dass der Mythos vom Aufstieg in die exklusivsten Zirkel eben doch keiner ist.

Kader aus dem Bionadeadel 

Die Reichen in Deutschland können sich ihrer privilegierten Position immer sicherer sein, wer aus dem Biotop des vorzugshalber westdeutschen Bionadeadels kommt, dem sind die Wanderschuhe für den langen Weg zur Spitze von Geburt an in den Rucksack gelegt. Auserwählt zu werden für die Nachwuchskaderlaufbahn einer der großen demokratischen Parteien und in deren Nomenklatura aufzurücken, ist die sichere Gewähr für ein Leben als Teil der politischen Klasse

Die Generation Parteiarbeiter lernt von der Pike auf, dass Absteiger aus den bekannten Risikogruppen kommen: Von inneren Zweifeln an der Parteilinie befallen, ostdeutsch, schlechter vernetzt und vor dem Start in die politische Karriere regulär in der freien Wirtschaft beschäftigt. Einer Studie der SPD-nahen Böckler-Stiftung zufolge schafften es zwischen 1991 und 1995 noch rund 47 Prozent der Armen, in die hart arbeitende untere Mitte aufzusteigen, jenen sagenhaften gesellschaftlichen Bereich, für den vor jeder Wahl alle Parteien Politik zu machen versprechen. 

Aufbau von Bürokratie und Verwaltung 

Nach dem Vollzug des Beitritts der neugegründeten ostdeutschen Länder ließ sich der notwendige Aufbau einer ausufernden Verwaltung und der umfassenden Bürokratie nach westdeutschem Vorbild wegen des notwendigen Elitentauschs nur durch rasche Neuaufnahmen stemmen - als er beendet war, versteinerten die Strukturen umgehend. 

Von 2009 bis 2013 gelang es nur noch 36 Prozent, der von Geburt aus Benachteiligten, sich oberhalb der Armutsgrenze zu etablieren. Höhere Verwaltungsposten und bedeutsame Führungsaufgaben in der Politik, die bis Mitte der 90er Jahre mit 30- bis 40-Jährigen besetzt worden waren, werden nach und nach erst im Zeitraum bis 2030 frei - und zwar ungeachtet der guten Konjunktur, der Reallohnzuwächse und der Rekordbeschäftigung, wie die Böckler-Stiftung anmerkt.

Wer aus dem Osten kommt, hat es doppelt schwer, denn wegen des Fachkräftemangels haben sich im politischen Raum hier bereits Strukturen herauskristallisiert, die an die ostdeutsche Tradition der demokratischen Dauerherrschaft einer alternativlosen Führungsriege erinnern. 

Dauerherrschaft statt Disruption 

Wer hier einmal in ein Amt einzieht, der behält es - vier der fünf Ministerpräsidenten der ostdeutschen Länder amtieren länger als acht Jahre, zwei länger als zwölf. Disruption, tabula rasa, Zeitenwende: So schlecht es auch laufen mag, die Mehrheit der "Wählenden" (Tagesschau) in Deutschland entscheidet sich immer für den Status Quo.  Die Erfahrung lehrt: Besser wird es nie, schlimmer immer und ein Übel, das man kennt, ist einfacher zu ertragen als eines, das man erst kennenlernen muss.

Umso mehr fallen die auf, die es gegen jede Wahrscheinlichkeit schaffen, ohne vom Establishment protegiert zu werden und obwohl die eigene Herkunft aus den ostdeutschen Flächenländern, in denen die erst kürzlich als komplett gesichert rechtsextremistisch eingestufte in Teilen rechtsextreme AfD die stimmenstärkste Partei ist, sich nicht leugnen lässt.

Im Schatten der Feinstaubfabriken 

Heidi Rechinnek versucht es aber gar nicht erst. Die gebürtige Ostdeutsche, ihre Babywiege stand im Schatten der Feinstaub- und Klimagasfabriken, die im mitteldeutschen Chemiedreieck für den Aufbau des Kommunismus auf dem letzten Loch keuchten, ist eine jener selbstbewussten ostdeutschen Frauen, die auf die "mangelnde Chancengleichheit" (Capital) pfeiffen, die ihnen das kapitalistische System gewährt. Obwohl Aufstieg und Karriere in Deutschland von der sozialen Herkunft abhängen und Reichinneks Eltern als Chemiefacharbeiterin und Elektriker arbeiten mussten, hat die heute 37-Jährige ihren Weg ganz nach oben gemacht.

Abitur, Studium der Politikwissenschaft, Nahoststudien in Ägypten, Forschungen zu Islamismus und Salafismus, mit dem Anschwellen des "Zustroms" (Merkel) Sprach- und Kulturfachkraft in der Ausbildung geflüchteter Kinder und Jugendlicher, nebenher Chefin des linken Jugendverbandes Solid und mutige Werberin für neue Wege: Reichinnek setzte sich früh für linke Bündnisse mit religiösen Fundamentalisten und Steinzeitislamisten ein, um den gemeinsamen Feind Kapitalismus zu schlagen. Sie ist zudem feministische Frauenrechtlerin, sie lehnt das Militär und Krieg ab, tritt für die Enteignung von Milliardären und die Verstaatlichung der Deutschen Bahn ein, die derzeit noch zu 100 Prozent in Bundesbesitz ist.

Starke Stimme gegen das System 

Positionen, die Reichinnek als starke Stimme im politischen Berlin etabliert haben. Die in Niedersachsen ansässige Politikerin, die vor einem Jahr  noch niemand kannte, gilt Umfragen zufolge inzwischen als beliebteste deutsche Politikerin. Wenn sie auf TikTok gegen andere Parteien und deren Beschlüsse wütet, schauen Millionen fasziniert zu. Wenn sie mit anderen Genossinnen tanzt, hagelt es beim chinesischen Spionageportal Herzchen über Herzchen.  

Heidi Reichinnek bringt die aus den Zeiten Stalins und Honeckers bekannte Systemfrage sympathisch rüber, sie macht den "demokratischen Sozialismus" einer jungen Generation schmackhaft, die von Mao, Pol Pot, Chavez und Castro allenfalls weiß, dass sie für hervorragende Chancen für den sozialen Aufstieg aller sorgten, die ideologisch gestählt und von der Mission der Arbeiterklasse durchdrungen waren. 

Fleiß und Bildung reichen nicht 

Vorwürfe gerade aus den Kreisen der in der alten Heimat Zurückgebliebenen, dass Blümchenstudien und totalitäre Flausen im Kopf  die Gesellschaft nicht voranbringen, lässt Reichinnek an sich abprallen. Sie zeigt: Fleiß und Bildung allein reichen tatsächlich nicht mehr, um ganz nach oben zu kommen. Erfolgreiche Aufwärtsmobilität braucht heutzutage Einfallsreichtum, einen leicht erkennbaren Markenkern und ein geschicktes Aufmerksamkeitsmanagement

Galt der Aufstiegswillige noch im Mittelalter als Narr, der die göttliche Ordnung missachtete, war er im Osten der Nachwendejahre als anmaßender Parvenü verschrien. Führungspositionen waren Westdeutschen vorbehalten. Ostdeutsche, die in ihrer Kindheit massiv davon geprägt worden seien, dass sie in der Gruppe stark sind, aber einzeln schwach, bleiben emotional verarmt und sei würden zu verunsicherten Menschen, so hat es der Kriminologe Christian Pfeiffer später beschrieben. Diese Kinder sind nach Überzeugung des niedersächsichen Experten auch als Erwachsene ungeeignet für eine Gesellschaftsordnung, "die von ihnen individuelle Power verlangt, Wettbewerbsfähigkeit, Show in gewissem Sinne".

Aber nicht alle 

Aber eben nicht alle. Heute erzählt die Aufstiegsgeschichte der Heidi Reichinnek Hunderttausenden von Kindern im Osten geht, dass dank TikTok, Instagram und Telegram alles machbar ist: Wo eben noch der düstere Schatten der Sahra Wagenknecht auf eine deprimierte, von den Grünen links überholte Partei fiel, deren einziges bekannteste Gesicht die Thüringerin gewesen war, erstrahlte mit Reichinnek unverhofft ein Licht, das heller schien als das der abtrünnigen Genossin.

Die Linke weiß genau, was sie Heidi Reichinnek zu verdanken hat. Es ist nicht nur der unerwartete Wiedereinzug in den Bundestag, sogar in Fraktionsstärke. Sondern auch die Rückkehr zur öffentlichen  Wahrnehmung. Reichinnek hat den angestammten Wagenknecht-Platz in allen Talkshows übernommen, sie verlangt dort in der Regel umgehende drastische Änderungen im kapitalistischen System, das überwunden werden müsse, um die Demokratie zu schützen und soziale Gerechtigkeit zu erreichen. 

Trotzig gegen politische Korrektheit 

Für unvorbereitete Zuschauer klingt die linke Fraktionsvorsitzende häufig und gänzlich unvorbereitet. Sie widerspricht sich, kennt Fakten nicht und kann nicht einmal beschreiben, wie anders ihr Sozialismus sein wird, verglichen mit dem totalitären DDR-System, das auf den Bajonetten von Gewehren und der unstillbaren Neugier hunderttausender Spitzel und Blockwarte ruhte. 

Doch bei denen, die selbst noch nicht Gelegenheit hatten, an einem sozialistischen Menschenversuch teilzunehmen, kommen Reichinneks Enteignungsforderungen und ihre Versprechen radikaler politischen Änderungen zur Einführung einer umfassenden Gleichheit hervorragend an. Den Kapitalismus stürzen wolle sie, sagt Heidi Reichinnek an - trotzig gegen eine politische Korrektheit, die es verbietet, die Systemfrage zu stellen. 

Um als Vertreterin der mit der SED rechtsidentischen Linkspartei in das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) im Bundestag einzuziehen, braucht Reichinnek neben Stimmen von Grünen und SPD auch die Zustimmung einiger Unionsabgeordneter. Die aber werden eine informelle Bitte um Unterstützung nicht ignorieren können, weil Bundeskanzler Friedrich Merz in den kommenden Jahren zuweilen auch auf Stimmen der Linken angewiesen sein wird. 

Freitag, 6. Juni 2025

Trump vs. Musk: Nahkampf der Narzissten

Elon Musk Donald Trump Boxing Wrestling
Mit US-Präsident Donald Trump und dem Multimilliardär Elon Musk streiten die beiden größten Egomanen der Gegenwart auf offener Bühne, Schläge unter die Gürtellinie inbegriffen. 

Es ist beinahe wie der Streit, den sich die SPD mit ihrem ehemaligen Kanzler und Vorsitzenden Gerhard Schröder lieferte. Oder wie der Feldzug, den die CDU gegen Helmut Kohl führte. Es rappelt im Karton, es fliegen die Fetzen, es geht unter die Gürtellinie und in die Hose. Das aktuelle Drama aber läuft in den USA. Naturgemäß ist alles größer, bunter und bedeutsamer. Den Beteiligten geht es nicht darum, einander nur wehzutun oder sich aneinander zu rächen, indem der eine den anderen möglichst schwer beschädigt.

Die wichtigsten Figuren der Gegenwart

Mit Donald Trump und Elon Musk treten viel die beiden wichtigsten Figuren der Gegenwart auf: Trump ist der polarisierende Populist mit der nationalistischen Agenda. Musk der technokratische Visionär mit globalistischen Ambitionen, der zum Libertären neigt. Trump will einen starken Staat, Musk am liebsten einen ganz kleinen. Die Allianz beider beruhte auf gemeinsamen Interessen, sie richtete sich gegen das, was Trump "swamp" nennt: Verhältnisse, unter denen sich eine selbsternannte "politische Klasse" Staat, Behörden und Institutionen zu eigen gemacht und in "unsere Demokratie" umverwandelt hat.

Die beiden Egomanen haben gemeinsame Interessen. Aber auch tiefe ideologische und persönliche Animositäten. Beide befürworteten Steuersenkungen für Unternehmen und den Abbau bürokratischer Hürden. Musk lobte Trumps Deregulierungswelle 2025, einig sind sich der mächtigste und der reichste Mann auch in ihrer Kritik an der "Woke Culture" mit ihrer Identitätspolitik, die Gruppen von Menschen je nach ihren Merkmalen gezielt anders behandelt, um die gleichzubehandeln. 

Frieden um jeden Preis 

Wie Musk sieht sich auch Trump als Kämpfer für die Meinungsfreiheit, die durch politische Korrektheit und die Verengung der Freiräume für die freie Rede bedroht ist. Beide sind zudem Realpolitiker, die davon überzeugt sind, dass ein schnelles Ende des Ukraine-Krieges besser für alle Beteiligten ist als ein endlos andauerndes Ringen, bei dem die Toten stolz darauf sein können, nie aufgegeben zu haben. Friede gilt Trump wie Musk als Basis für gute Geschäfte. So lange die Kosten für einen Friedensschluss ihrer Berechnung nach niedriger sind als die für eine Fortsetzung der Kämpfe, sind sie bereit, einen hohen Preis dafür zu zahlen. Wie hoch, ergibt sich durch eine einfache Gleichung: Ein Krieg auf unbestimmte Zeit mit ungewissem Ausgang kostet alles. Alles, was weniger kostet, ist ein guter Deal.

Dass Trump und Musk und Musk und Trump aneinandergeraten mussten, liegt im Naturell beider begründet. Während eine multinationale Organisation wie die EU sich gemächlich bewegt, oft über ein Jahrzehnt gar nicht, haben es Trump und Musk immer eilig. Die Vorstellung, es könne zwölf Jahre an intensiven Verhandlungen brauchen, um gerade eingeführte Fluggastrechte in Teilen wieder abzuschaffen, erschiene beiden absurd. 

Zwei gegen die EU-Fluggastverordnung 

2013, als die EU begann, über eine "Änderung der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung"  zu verhandeln, gelang Musks Start Up SpaxeX der erste erfolgreiche Start einer Falcon 9 v1.1 von der Vandenberg Air Force Base. Inzwischen starten und landen SpaceX-Raketen häufiger als Busse in manchen ostdeutschen Dörfern halten.

Nur über die Richtung sind die beiden nicht einig. Aus Sicht von Musk hat Trump mit seinem "Großen schönen Gesetz", das höhere Staatsausgaben vorsieht, den gemeinsamen Konsens verraten, den Staat auf das Nötigste zurückzuschneiden. Aus Sicht von Trump hat Musk mit seinen öffentlichen Aufforderungen an republikanische Abgeordnete, das Gesetz zu stoppen - "Kill Bill" postete er - seine Kompetenzen überschritten. "Elon und ich hatten ein großartiges Verhältnis. Ich weiß nicht, ob wir das noch haben werden", sagte Trump am Rande seiner Audienz für den deutschen  Bundeskanzler Friedrich Merz, der im Angesicht des heraufziehenden Streits der Giganten zu einer Nebenfigur wurde.

Kampf der Titanen 

Trump bedeutete Musk öffentlich, dass die US-Regierung künftig auf die Dienste seiner Raketen verzichten könne. "Der einfachste Weg, in unserem Haushalt Milliarden und Abermilliarden Dollar einzusparen, besteht darin, Elons staatliche Subventionen und Verträge zu kündigen", so Trump. Er habe nie verstanden, warum Joe Biden das nicht getan habe. Musk konterte mit der Ankündigung, seine "Dragon"-Kapseln ab sofort nicht mehr zur Verfügung zu stellen. 

Der von Trump vor ein paar Tagen noch als "einer der größten Wirtschaftsführer und Innovatoren, die die Welt je hervorgebracht hat" gelobte gebürtige Südafrikaner forderte Dankbarkeit ein. "Ohne mich hätte Trump die Wahl verloren" schrieb er, der angeblich 250 Millionen Dollar in Trumps Wahlkampf gesteckt hatte. Musk fühlt sich verraten. "So eine Undankbarkeit", schrieb er und er fragte seine 220 Millionen Follower bei X: "Ist es an der Zeit, in Amerika eine neue politische Partei zu gründen, die tatsächlich die 80 Prozent in der Mitte vertritt?".

Vernichtung angedroht

Der Nahkampf der Narzissten gipfelte schließlich in Musks "Big Bomb": Donald Trump werde in den Epstein-Akten erwähnt und das sei "der wahre Grund, warum sie nicht öffentlich gemacht wurden". Aus dem ideologischen Streit war eine Schlammsschlacht geworden, in der Musk schließlich auch noch die sofortige Ablösung von Trump durch JD Vance forderte. Trump-Soldaten wie Stephen Bannon riefen derweil nach Ermittlungen gegen den reichsten Mann der Welt, um ihn möglichst schnell aus den USA ausweisen zu können. Bannon, ehemals selbst Trump-Berater, von diesem aber nach kurzer Zeit gefeuert, sagte, er sei "der festen Überzeugung bin, dass er ein illegaler Einwanderer ist und sofort aus dem Land abgeschoben werden sollte".

Wo die Mehrheit den Sieger im Streit vermutet, zeigte sich an der Börse: Die Aktien des US-Autobauers Tesla fielen um rund 14 Prozent. Musk verlor in einer Nacht rund 18 Milliarden Dollar, aber wie diese rechnerischen Einbußen interessieren den 53-Jährigen schon immer nicht mehr als den durchschnittlichen deutschen Eigenheimbesitzer die Entwicklung der Immobilienpreise. Höhnisch kommentiert Musk: "Trump hat noch 3,5 Jahre als Präsident vor sich, aber ich werde noch mehr als 40 Jahre dabei sein..."

Ein Schulhofstreit der Egomanen 

Trump selbst hat diese Art Konflikt, die sich aus dem Nichts aufschaukeln und in absoluter Unversöhnlichkeit enden, kurz zuvor im Weißen Haus beschrieben, als er den Ukraine-Krieg mit einem  Schulhofstreit verglich, bei dem keiner der Beteiligten nachgeben wolle. Russen und Ukrainer seien voller Hass aufeinander, sie ähnelten damit kleinen Kindern, die wie verrückt streiten und einfach nicht mehr aufhören können. Dann  sei es, so Trump, seiner Erfahrung nach "manchmal besser, sie eine Weile kämpfen zu lassen und sie erst dann auseinanderzuziehen". Erst ausreichend langes Leiden, so habe er es auch Wladimir Putin gesagt, motiviere die Beteiligten, mit Kämpfen aufzuhören.

Auch der Krieg des mächtigsten Mannes der Welt mit dem reichsten Mann der Welt erinnert an einen solchen Schulhofstreit. Aus den "Bros" der ersten Wochen nach Trumps Rückkehr ins Amt, in denen Musk beauftragt war, mit dem Department of Government Efficiency (DOGE) Regierungsausgaben zu drücken und Einsparungen aus dem Sieben-Billionen-Dollar-Etat der Bundesregierung in Washington zu pressen, sind zumindest für den Augenblick erbitterte Feinde geworden.

Jetzt Feind und Berater

Elon Musk, der beim Abschied aus seinem Ehrenamt bei DOGE noch versprochen hatte, dem Präsidenten weiterhin "Freund und Berater" zu sein, ruft zum Kampf gegen Trumps  One Big Beautiful Bill Act (OBBBA), der vorangetriebene Steuersenkungen mit höheren Ausgaben kombiniert. Die Vereinigten Staaten könnten sich eine noch höhere Verschuldung nicht leisten, argumentiert er mit Verweis auf die derzeit mehr als 36 Billionen Dollar schwere Kreditlast der USA, die Jahr für Jahr Zinszahlungen erfordert, die so hoch sind wie zwei deutsche Bundeshaushalte. 

In den zurückliegenden fünf Jahren sind die Kreditkosten deutlich gestiegen: 2019 zahlten die USA noch 600 Milliarden an Zinsen. Inzwischen werden 1,2 Billionen werden jedes Jahr fällig, ein Drittel mehr, als die US-Regierung für Rüstung ausgibt. Für Musk ein Weg, der zwangsläufig in die Katastrophe führt: "Wenn das ganze Geld nur für die Zahlung von Schuldenzinsen ausgegeben wird, bleibt für nichts anderes mehr Geld übrig", hat er seine Sichtweise erklärt. Ein Land sei nicht anders als ein Mensch. "Gibt ein Land zu viel aus, geht das Land pleite, genauso wie ein Mensch, der zu viel ausgibt, pleitegeht." Für Musk ist es "keine Option, diese Probleme zu lösen". Sie müssen gelöst werden.

Trump kontert mit Vorwürfen, dass Musk eben doch genau so von geschäftlichen Interessen geleitet werde, wie es dessen Kritiker immer unterstellt hatten. Trump sagte, Musk habe kein Problem mit OBBBA gehabt - bis er erfahren habe, dass vorgesehen sei, die milliardenschwerer Subventionen für Elektrofahrzeuge zu kürzen. Musk habe das Innenleben des Gesetzes "besser als fast jeder" gekannt. Und er habe nie ein Problem damit gehabt, so lange er im weißen Haus gearbeitet habe. 

Stimmt nicht, stimmt nicht 

Stimmt nicht, grollte Musk umgehend zurück: "Dieser Gesetzentwurf wurde mir nicht ein einziges Mal gezeigt." Erregt prangert er an, dass das Gesetz "mitten in der Nacht so schnell verabschiedet" worden sei, "dass fast niemand im Kongress es überhaupt lesen konnte!" Trump hat den Aufstand seines ausgeschiedenen Beraters Nummer 1 beiläufig abgetan: "Manche Mitarbeiter werden feindselig, weil sie den Abschied aus dem Weißen Haus nicht verkraften." Das sei schon früher bei Menschen passiert, die seine Regierung verlassen hätten. "Sie gehen und wachen am Morgen auf, und der Glamour ist weg", sagte Trump, der das Phänomen als Trump Derangement Syndrom bezeichnet und Elon Musk damit psychologisiert hat.

Wird der das hinnehmen? Wer wird wem als nächstes was vorwerfen? Kann einer der beiden über den eigenen Schatten springen?

 

Held mit Hofknicks: Deutschlands Chefdiplomat

Honigkuchenpferd und der Mann, der sie "Hassprediger", "Irrer" und "Putin-Freund", "Frauenfeind", "verurteilter Straftäter", "Rassist" und Faschist nannten.
 

Es hätte im schlimmsten Fall schrecklich enden können. Unvergessen ist die Szene, die Donald Trump und sein Vize JD Vance dem ukrainischen Präsidenten Volodymyr Selenskyj bereiteten, nachdem der sich kurzfristig geweigert hatte, einen vorab vereinbaren Vertrag mit den USA zu unterschreiben. Trump und Vance führten den Ukrainer vor. Europa sah die westliche Welt vor seinen Augen zerfallen. Trump würde die Ukraine nun aufgeben. Er würde die Nato verlassen. Man müsse nun hart bleiben und ihm deutlich machen, dass er weit mehr zu verlieren habe als die europäischen Partner, die gut ohne die Vereinigten Staaten klar kämen.

Europa unter Schock 

Europa stand unter Schock. Deutschland rief schon wieder eine Zeitenwende aus. Dieselben Politiker, die den US-Präsidenten in dessen erster Amtszeit wegen seiner Forderung verhöhnt hatten, jedes Nato-Mitglied müsse zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts in die eigene Verteidigung investieren, hoben plötzlich die Hände, um über Nacht und ohne jeden Plan ausgerufene "Sondervermögen" auf die Staatsschulden zu häufen. Dieselben Parteien, die gerade noch das Klima als wichtigstes Menschheitsthema beschworen hatten, echauffierten sich nicht mehr über die "Aufrüstungsforderung von Trump" (Lars Klingbeil, 2018), scharen sich nun um den Amerikaner, als sagen der nur, was sie schon immer gedacht hatten. 

Friedrich Merz im weißen Haus, das durfte alles werden, aber kein Selenskyj-Desaster oder eine Vorführung, wie sie Südafrikas Präsident Ramaphosa im Oval Office erlebte. Merz hatte vorgebaut und die Amerikaner gewarnt: Er werde "nicht als Bittsteller kommen", "nicht mit leeren Händen" und selbstbewusst, aber "zugewandt" auftreten. Kein Mann für Theater, sondern einer, der als Partner auf Augenhöhe mitreden will, wenn über Krieg, Frieden, Zölle und Staatsausgaben entschieden wird.

Überragender Münsterländer 

Körperlich gesehen überragt der Münsterländer den Enkel eines Pfälzers aus Kallstadt sogar und leere Hände hatte er wirklich nicht. Eine nachgemalte Geburtsurkunde des Trump-Opas hatte Merz dabei, als Präsent, für das sich ein sichtlich gut gelaunter Trump freundlich bedankte. Einen Ehrenplatz werde der goldene Bilderrahmen bekommen, hieß es. Gleich anschließend lobte Trump seinen Gast dafür, wie schnell er umfallen könne: Mitte Mai noch hatte  Merz es abgelehnt, sich auf ein Prozentziel bei den Rüstungsausgaben festnageln zu lassen. Noch ehe sein Flugzeug in Washington landete, hatten seine Mitarbeiter dem Weißen Haus offenbar signalisiert, dass das "magische Ziel" (Morgenpost) kein Problem mehr sei. 

Ein bisschen spitzer Bleistift ist dabei, wie immer, wenn Deutschland hinterm Zeitplan einläuft. Als Merzens Vorgänger Olaf Scholz dem Militärbündnis im Februar 2024 erstmals stolz und ganz überraschend ein erreichtes zwei-Prozent-Ziel meldete, hatten die Taschenrechnerkrieger im Kabinett  zum regulären Wehretat nicht nur knapp 20 Milliarden Euro aus dem Sonderschuldentopf für die Zeitenwende addiert, sondern zusätzlich auch Kindergeld für den Nachwuchs von Bundeswehrsoldaten, die Pensionszahlungen ehemaliger NVA-Offziere und die 5.000 Schutzhelme für die Ukraine. 

Das Wunder der 2,01 Prozent 

Dazu kamen so lange Malerarbeiten in Kasernenklos und die Kosten für das Verschneiden von Rosenhecken vor Stabsbaracken bis fest stand: Obendrauf noch die Ausgaben für Entwicklungshilfe und dies und das vom Auswärtigen Amt. Und oh, Wunder: Auf einmal lagen die deutschen "Militärausgaben" sogar bei 2,01 Prozent der Wirtschaftsleistung.

Die Nato-Außenminister haben sich bei ihrem Gipfel in Brüssel, der zeitgleich zum Treffen von Merz und Trump stattfand, ein Beispiel daran genommen. Die fünf Prozent sind nur 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, der Rest kann durch "sicherheitsrelevante Investitionen" nachgewiesen werden.  Straßen, die nach Osten führen. Brücken, die panzertauglich saniert werden. Zivilverteidigungsschulungen. Schießunterricht. Der Fantasie der Ministerialbürokratie sind erfahrungsgemäß keine Grenzen gesetzt.

Selbstgehärtete Bunker 

Der Bau von Bunkern etwa ist ein vielversprechender Investitionsbereich. Die alte Bundesregierung hatte es noch abgelehnt, für Schutzbauten überhaupt Geld zugeben hatte. Weil derzeit in ganz Deutschland kein einziger offiziell zugelassener Schutzraum in Deutschland existiert, so die Überlegung, wäre jeder Versuch vergebens, für 84 Millionen Menschen eilig irgendetwas graben und betonieren zu lassen. Es würde ohnehin nicht reichen, nicht einmal für kaum jemanden.

Stattdessen setzten die Merkel und die Ampel-Regierung auf "bauliche Selbstschutzräume", wie sie Prepper bevorzugen: Dabei handelt es sich einfach und ganz gewöhnliche Kellerräume unterhalb der Erdoberfläche, die von den Eigentümern selbst "gehärtet" werden sollen – etwa durch die Abdeckung der Kellerfenster mit Hilfe von Beton- oder Stahlplatten. Das ist im Ernstfall nützlich wie eine Aktentasche über dem Kopf gegen eine 500-Kilotonnen-Kernwaffe in zwei Kilometer Entfernung. Aber "die am schnellsten umsetzbare und kostengünstigste Schutzmöglichkeit für den Großteil der Zivilbevölkerung".

Merz' kommt in Frieden 

Das könnte sich schnell ändern, denn dass es der Staat allein sein muss, der fünf Prozent für Rüstung ausgibt, steht nirgendwo. Merz' Friedensangebot war im Weißen Haus wohlwollend aufgenommen worden. Trump lobte seinen Gast als "großartigen" Kerl und sehr respektierten Mann, ein bisschen kompliziert, aber das sei doch "besser als einfach", scherzte der Präsident. 

Deutschland Kanzlers zeigte eine Art Honigkuchenpferdgesicht, im Sitzen wurde er mit jedem Streichler größer. Vom "sehr klar meine Meinung sagen", wie es Merz vorher angekündigt hatte, blieb nur ein winziger Aufstand, als Merz die Ukraine dafür lobte, weil sie "nur militärische Ziele, nicht auf Zivilisten oder die Energieversorgung" angreife. 2:47 Minuten spricht Merz in dieser historischen Nichtganzstunde. 43:23 Minuten bleiben Trump.

Der Koch ist wieder der Koch 

Aber das Ergebnis ist jede Sekunde wert. Fast unwirklich mutet es an, dass ein deutscher Spitzenpolitiker im Ausland nicht als Lehrmeister, Forderer und Vorbild auftritt. Merz" Vorgängerin Angela Merkel hatte diesen "Am deutschen Wesen"-Stil in Trumps erster Amtszeit entwickelt. Der Ampel-Kanzler und seine Außenministerin hatten ihn bis zur peinlichen Vollendung perfektioniert. Jetzt aber sitzt da Friedrich Merz, daheim als "FTZFRZ" verhöhnt, und vollzieht elegant und ohne aufzustehen einen Hofknicks vor dem US-Präsidenten, der nicht anderes ist als ein Fußfall

Kraftprobe beendet. Aufstand abgesagt. Der Koch ist doch wieder der Koch, der Kellner kellnert. Jeder ist dankbar, seinen Job zu haben. Friedrich Merz sitzt sichtlich glücklich neben Donald Trump, der dieses und jenes referiert, von Thema zu Thema springt, die Journalisten ab und zu mal um eine Frage an Friedrich bittet und dann doch lieber wieder selbst weiterspricht. Jede Sekunde, die vergeht, es ist dem neuen deutschen Chefdiplomaten förmlich anzusehen, verringert die Gefahr, dass der US-Präsident doch noch üble Dinge wie die Meinungsfreiheit anspricht. Etwas sagt, dem man für die Leute daheim an den "Tagesschau"-Empfänger zumindest leise widersprechen müsste. 

Trump tut dem Deutschen den Gefallen.

Donnerstag, 5. Juni 2025

Das Herz eines Boxer: Kulturkampf im Ring

Imane Khelif Boxer Genderdebatte
Vor einem Jahr war die Wahrheit klar. Mittlerweile verschwimmt sie wieder.

Die italienische Boxerin Angela Carini jammerte und beschwerte sich. Ihre deutsche Kollegin Regina Halmich nörgelte. Gerüchte, Desinformation und Hass verbreiteten sich im Netz. Die Boxerin Imane Khelif sei in Wirklichkeit ein Mann, hieß es, und wenn so etwas künftig erlaubt werde, sei das "Ende des Frauensports" gekommen. Eine "Schande für den Sport" habe erleben müssen, wer gesehen hatte, wie die Algerierin ihre italienische Gegnerin Carini aus dem Boxring geprügelt habe.  

Der  Mann ein Mann

Männer, vor allem von rechts, machten sich plötzlich für Frauen stark. Boxen dürfen sollten sie aber bitte unter sich. Und wer sich den Körperbau von Imane Khelif anschaue, der könne Grönemeyers alte Frage beantworten: Dann ist der Mann ein Mann!

Es war eine der großen Verschwörungen zur Zerstörung von Vertrauen in Olympia als Fest der Jugend der Welt, in  die Fairness des Wettbewerbs und das noch recht neue Konzept der gefühlten Geschlechter. Russland vor allem schürte Misstrauen, nicht offen, sondern verdeckt, indem es Prominente wie Halmich, die Schriftstellerin  J. K. Rowling und Elon Musk in Marsch setzte, Zweifel an der Weiblichkeit der jungen Frau aus "einem ländlichen Dorf in Algerien" (Volksverpetzer) zu wecken. 

Starke Familie 

Die olympische Familie allerdings blieb stabil und stark. Khelif gewann Gold, auch mit ähnlichen Vorwürfen überzogene taiwanesische Boxerin Lin Yu-Ting durfte ihre Goldmedaille mit gutem Gewissen mit nach Hause nehmen.

Ein Sieg des Fortschritts über die zweigeschlechtliche Kleinlichkeit, die vor allen Dingen  einer festen Front aus Faktencheckern zu verdanken war. Kaum waren die ersten Vorwürfe gegen die beiden Box-Ladys aufgekommen, warf sich die deutschsprachige Branche wie ein Mann in den Ring. Angeführt vom preisgekrönten Volksverhetzer, der unter dem Titel "Imane Khelif ist eine cis Frau" Argumente sammelte wie das, dass Imane Khelif einst davon erzählt habe, "wie sie als Mädchen in aufwuchs, und dass ihr Vater ihr anfangs nicht erlaubte, Sport zu treiben, da ihr Vater Boxen nicht für angemessen für Mädchen halte", bis zu Correctiv, dem Goldstandard der Fake News-Verbreitung, wurden sämtliche "Falschmeldungen und Gerüchte" umfassend zurückgewiesen.

Identifiziertes Geschlecht 

"Sie ist eine cis Frau – also eine Frau, die sich mit dem Geschlecht identifiziert, das bei der Geburt bestimmt wurde", betonten  und . Correctiv betonte, dass Imane Khelif hingegen sich nie als trans oder intersexuell bezeichnet, sondern schon immer als Frau gekämpft habe. Mit voller Unterstützung des algerischen Olympischen Komitees, das die Angriffe auf Khelif als verleumdend und böswillig bezeichnet habe, denn "sie beruhten auf Lügen". 

Deutschlandfunk und Tagesschau wollten da nicht hintenanstehen. Auch sie hatten Beweise: Ein angeblich Geschlechtertest, nachdem Khelif einen männlcihen Chromosomensatz habe, stamme  vom Boxverband IBA, den das IOC nach  Korruptions- und Manipulationsvorwürfen suspendiert habe. Der Sex-Test (RND) sei zudem "umstritten", denn nach den IOC-Regeln sei das im Pass angegebene Geschlecht maßgeblich für die Zulassung zu den Wettbewerben.

Kulturkampf im Ring 

Der "Spiegel" sah die Algerierin nicht im Ring, sondern in einem "Kulturkampf" faustfechten. Siegt sie, sie bekommen nach dem deutschen Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag (SBGG)  alle deutschen Boxer, bei denen es im Ring nicht zu Siegen gegen Männer reicht, die Chance, als Frau Olympiasieger zu werden. Die Misere des deutschen Boxens wäre vorüber. Neue Halmichs stünden bald in Divisionsstärke parat, tänzelnd und fintierend so manche Samstagnacht zu füllen wie weiland Schulz, Maske und Rocky Rocchigiani. Nach ihrem Finalsieg gegen die Rauner und Verleumder durfte die algerische Boxerin in einem Interview bekennen: "Ich bin eine Frau wie jede andere Frau auch".

Die "große Debatte" (Volksverpetzer) war damit beendet. "Rechtsextreme und andere Transphobe" hatten verloren, die wirklich wahren Fakten einen rauschenden Triumph gefeiert. Laschyk, dessen  Portal kurz vor dem Hetz-Skandal gegen die Boxerin die Gemeinnützigkeit entzogen worden war,freute sich, dass sich "langsam bei allen Vernünftigen durchgesetzt hat, dass die algerische Boxerin Imane Khelif wirklich eine cis Frau ist". 

Schaden für Gleichstellung 

Oder besser war, denn ein knappes Jahr nach dem endgültigen Beweis, wie der Augenschein trügen kann,  bedroht eine "neue Richtlinie zu Geschlecht, Alter und Gewicht" die alte Wahrheit vom fragwürdigen Boxverband, der einer Frau das Startrecht in Frauenwettbewerben verwehrt hat, weil er der "Gleichstellung der Geschlechter im Sport" Schaden zufügen wollte. Jetzt fordert auch der offenbar nicht fragwürdige neue Boxweltverband World Boxing einen "Nachweis des biologischen Geschlechts". Den Imane Khelif noch nicht erbracht hat. Die Olympiasiegerin darf deshalb vorerst nicht antreten.

Die Meldung ist noch frisch, weder Correctiv noch der Volksverpetzer konnten bisher eine Wahrheitskampagne starten, um die Ehre der cis Frau zu retten. Oder wie es beim Volksverpetzer heißt: "Ideologische Desinformationsverbreiter und Kulturkämpfer halten wie immer verbittert am Narrativ fest."

Millionärsmangel: Staat statt privat

Geld versteckt vor dem Staat
So lange nicht Geld vor dem Staat versteckt wird, kann der nicht ruhig schlafen.


Das letzte Hemd hat keine Taschen und das letzte bisschen Geld, das Vater Staat noch nicht hat, ist kaum mehr etwas wert. Es wird für den Haushalt gebraucht werden, den der Bund schon seit fast einem Jahr nicht mehr hat. Doch so schlecht stehen die Dinge nicht. Zwar hinkt Deutschland mit einer weiterhin stabil schrumpfenden Wirtschaft dem weltweiten Wachstum schon im dritten Jahr hinterher. Doch die staatliche Kreditanstalt für Wiederaufbau, der Name ist Programm, sieht Licht am Horizont: Mit Merz kam der Frühling, "ich habe noch nie einen so rasanten Stimmungswechsel erlebt", seufzt  Stefan Wintels, der als Chef der KfW eine der großen schwarzen Kassen des Bundes führt.

Wiederaufbau nach dem Krieg 

1948 gegründet, um Kredite für den Wiederaufbau nach dem Krieg zu vergeben, überlebte das heute als KfW Bankengruppe firmierende Institut seine milliardenschweren Spekulationen mit US-Immobilienkrediten nur knapp und auf Kosten der Steuerzahler. Die SPD-Politikerin Ingrid Matthäus-Maier musste gehen, die Bank blieb, gerettet vom Steuerzahler. Heute ist sie das drittgrößte Geldinstitut Deutschlands, unverzichtbar wie die staatlichen Lottogesellschaften, weil von der KfW vergebene Kredite so hoch sein können, wie sie wollen, sie werden trotzdem nicht dem Staat zugerechnet, der für sie bürgt. 

Eine Konstruktion, die sich bewährt hat. Wo immer Finanzminister Sonderprogramme ausrufen und private Investoren mit Fördermitteln locken wollen, kommt die Frankfurter Staatsbank ins Spiel, die inzwischen nahezu alle ihre früheren privaten Konkurrenten überlebt hat. Die Hypovereinsbank und die Dresdner Bank sind verschwunden, letztere in einem kühnen mitternächtlichen Tauschhandel zwischen Finanzminister und der Commerzbank, die das Schlachtfeld in Kürze auch verlassen wird. Geblieben sind die Deutsche Bank und die DZ Bank der Genossenschaften, dahinter folgt schon die KfW. Sie ist heute eins der zehn Geldinstitute in Staats- oder Bundesbesitz auf der Liste der größten Banken im Land.

Deutschland verstaatlicht sich selbst 

Deutschland ist bei seiner eigenen Verstaatlichung gut vorangekommen. Bis heute beschwört das Bundesfinanzministerium auf seiner Internetseite, dass "Staat und Unternehmen durch Privatisierungen Handlungsfreiheiten gewinnen": Der Bund setze damit "Reformpotenziale frei und die Unternehmen steigern ihre Effizienz, um sich im internationalen Wettbewerb zu positionieren". In nahezu allen Bereichen, in denen aus staatlichen monopolisierten Industrien wettbewerbsorientierte Märkte und eine Vielfalt des Angebots entstanden, sei das "den Verbraucherinnen und Verbrauchern sowie Unternehmen zu Gute gekommen", ließ noch die frühere Ampel-Regierung wissen.

Wie ernst das genommen wird, zeigt sich an der beeindruckenden Privatisierungsbilanz. Seit dem Verkauf von Anteilen an der Deutschen Telekom an Bürgerinnen und Bürger, denen diese Anteile faktisch vorher schon gehört hatten, hat der Bund aufgehört, weitere Beteiligungen zu privatisieren.  Der "weitere konsequente Schritt auf dem Weg zur Privatisierung der Deutschen Telekom" vor 20 Jahren war der letzte in diese Richtung. 

Zwar steht heute immer  "die regelmäßige Überprüfung der Bundesbeteiligungen" als "ein wesentlicher Bestandteil der Privatisierungspolitik des Bundes" auf dem Papier. Doch die Liste der mehr als hundert bundeseigenen Unternehmen schrumpft nicht mehr, weil es inzwischen unvorstellbar scheint, dass Werften, Energieerzeuger, Gästehäuser, Flughäfen, Filmgesellschaften oder Impfstoffhersteller in Privatbesitz sind.

Eine theoretische Grundüberzeugung 

Selbstverständlich verleiht das Haushaltsrecht des Bundes erklärtermaßen dennoch "der ökonomischen und politischen Grundüberzeugung Ausdruck, dass privater Initiative und Eigentümerschaft gegenüber einer Beteiligung des Bundes grundsätzlich der Vorrang zu geben ist und die Betätigung des Bundes als Unternehmer auf das Notwendige beschränkt bleibt". Notwendig aber ist so vieles, weil das "wichtige Bundesinteresse", das als Voraussetzung für das Festhalten an einer Beteiligung des Bundes gilt, bei jeder Überprüfung zeigt, dass "der vom Bund mit der Beteiligung angestrebte Zweck nicht besser und wirtschaftlicher durch Private erfüllt werden kann".

Was der Staat kann, kann nur der Staat, hat der frühere SPD-Vorsitzende Franz Müntefering immer wieder gepredigt, als er zum Kampf gegen "Manager" und "Spekulanten" aufrief. Formal gelten die inzwischen als begehrte Investoren, die Münteferings Nachfolger Lars Klingbeil mit einem "Investitionsbooster", kürzeren Abschreibungsfristen und damit höheren Renditen anlocken will. Sobald aber der Verdacht aufkommt, Beteiligte strichen unanständige Übergewinne ein, ruft es dort nach strengen Regeln, wo eben noch die Angst vor dem Untergang geschürt worden war, wenn es nicht gelinge, attraktiver für internationaler Geldgeber zu werden.

Untergang mit vielen Gesichtern 

Der Untergang hat viele Gesichter. Natürlich erfolgt schon lange nirgendwo im Firmenimperium des Bundes mehr eine "Prüfung auch mit dem Ziel, Freiräume für privates Unternehmertum und für Wettbewerb zu eröffnen, um damit den Wirtschaftsstandort Deutschland weiter zu stärken". Die letzte große Privatisierung war die der Telekom vor einem Vierteljahrhundert. Seitdem wird eher mehr nach Verstaatlichung verlangt, in der Linken sogar nach der Verstaatlichung staatlicher Unternehmen. 

Aktuelle Statistiken zeigen das Gegenteil: Nur zwei Branchen in Deutschland schaffen noch neue Arbeitsplätze - der Staat und das - in großen Teilen staatliche - Gesundheitswesen. 2022 waren noch elf Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland im Staatsdienst beschäftigt, 2023 bereits zwölf, 2024 werden es nicht wneiger geworden sein. Binnen eines Jahres stellten Behörden und öffentliche Verwaltungen 60.000 neue Mitarbeiter ein, im Gesundheitswesen und der Pflege waren es sogar 128.000. Gleichzeitig gingen in der Industrie und auf den Bau 350.000 Arbeitsplätze verloren.

Es kommt kein Geld ins Land 

Für eine Volkswirtschaft, die kaum darauf hoffen kann, sich in naher Zukunft mit großen Innovationen zurückzukämpfen unter die Nationen, deren Warenexporte in aller Welt begehrt sind, sind das beunruhigende Nachrichten. Wo nicht produziert wird, kann nicht exportiert werden. Wo nichts ausgeführt wird, kommt kein Geld ins Land. Es drohen fortschreitende Wohlstandsverluste, höhere Schulden und ein niedrigerer Lebensstandard. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Nach neuerer Lesart reicht der Staat allein, um Jobwunder zu wirken und sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf der Wachstumsschwäche zu ziehen. 

Wenn die Steuereinnahmen steigen und die Zahl der Millionäre sinkt, ist schon viel erreicht, wenn auch noch nicht alles. Geld gehört in die Hände derer, die alles ausgeben. Privates Horten ist nicht verboten, hat aber in Deutschland traditionell einen schlechten Ruf. Wer spart, etwa fürs Alter, drückt damit insgeheim aus, dass er den staatlichen Rentenversprechen nicht weiter traut, als ein Kabinett eine Haltelinie zugleich nach oben und nach unten werfen kann. Ein Rosskur für Neoliberale, die vom Irrglauben nicht lassen wollen, dass weniger Staat und mehr Markt es sind, die andere Weltregionen davoneilen und die zentraler Planung unterworfene EU zurückfallen lassen.

Wie anders alles werden muss 

Der Fortschritt auf dem alten Kontinent, er ist einer aus Beschwichtigungen, wie schlimm die Lage letztlich gar nicht sei, kombiniert mit beständig wiederholten Ansagen, wie anders alles werden muss, damit es bleiben kann, wie es ist. Zwischen Wiederaufbau und Transformation liegt meist nur eine Von-der-Leyen-Rede, mit Leidenschaft und voller innerer Überzeugung vor einem zumeist gähnend leeren Saal gehalten.

Wo eben noch alles grün werden sollte, kann heute schon olivgrün ausgerufen werden. Alles ist immer zum Besten aller. Jede Entscheidung, die ganz plötzlich von weither verkündet wird, zeichnet sich durch ihre Alternativlosigkeit aus: Ein Verbrennerverbot kann unumgänglich sein, seine Aufhebung aber ebenso. Grenzen sind sowohl unmöglich zu bewachen als auch problemlos zu kontrollieren. Das wiederum kann als nachgewiesenermaßen vollkommen zwecklos abgelehnt und - von derselben Person - als sehr effektive und nützliche Maßnahme gelobt werden.

Mehr oder weniger 

Niemand weiß, was morgen ist, denn richtig klar ist ja nicht einmal, womit wir es heute zu tun haben. Zeitgleich hat Europa nach Angaben des "World Wealth Report 2025" zuletzt sein Ziel erreicht, die Zahl der Millionäre zu senken, während nach Angaben der Bundesstatistiker die Zahl der Millionäre deutlich stieg

Nach den Daten des Statistischen Bundesamts rund 34.500 Deutsche mit einem Einkommen von mindestens einer Million Euro, im Vergleich zu 2020 ein deutlicher Anstieg von 18 Prozent, wobei nach aktuelleren Zahlen binnen Jahresfrist gut 40.000 Millionäre keine mehr sind. Diese höhere Zahl an Einkommensmillionären verdient ihr Geld zum Entsetzen gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung hauptsächlich mit privaten Gewerbebetriebe und durch eigene Arbeit. 

Das Gefühl entscheidet 

Der SPD-nahe Think Tank, dessen 220 Beschäftigte mehr als ein Drittel ihres Gehaltes direkt Staat bekommen, zeigt sich besorgt über die Zahlen. Mehr Einkommensmillionäre stünden einem Zuwachs an Armut gegenüber, beklagen die Gewerkschaftsfunktionäre die Reichtumsverschiebung nach Übersee. Ist es nicht die wachsende große soziale Ungleichheit, die "Wasser auf die Mühlen derer ist", die demokratische Ordnung grundsätzlich infrage stellen", dann muss es "das Gefühl einer solchen  wachsenden großen sozialen Ungleichheit" sein. 

Und wie: 134.200 Steuerpflichtige zahlten zuletzt den Steuersatz für Extrareiche. Diese 0,3 Prozent aller Steuerzahler spendierten nach Angaben des Statistischen Bundesamtes fast 16 Prozent aller Steuereinnahmen. Auf die Art geht es allen gut, sehr gut sogar. Die laufenden Geschäfte sind nicht in Gefahr, die Sondervermögen scharren schon mit den Hufen und mit Hilfe einer Übergewinnsteuer für Rüstungsfirmen, die zu großen Teilen dem Bund gehören, kann der Finanzminister sich sogar noch zusätzliche Millionen aus den Rippen schneiden. Plus all die Milliarden, die auf nachrichtenlosen Konten liegen. Und schon ist das Land saniert.