Sonntag, 18. Februar 2024

Zwei-Grad-Ziel der Nato: Die Tapferen mit dem Taschenrechner

In der Vorstellung deutscher Politiker kann Geld nicht nur Tore schießen.

Könnte Geld nicht nur Tore, sondern richtig schießen, würde Deutschland wie eine unbezwingbare Festung in den Stürmen der Zeit stehen. Kommt ein Feind tatsächlich, und er müsste ja allem Anschein nach erst einmal durch Polen, dann wären die Grenzen zwar offen, weil viel lang, um sie zu kontrollieren, zu schließen oder gar zu verteidigen. Aber der Bundestag würde kurzerhand die Schuldenbremse aussetzen und mit zusätzlichen 300 oder 700 oder auch 10.000 Milliarden in der Hand von oberkommandierendem Kanzler und Generalstab hätte kein Feind noch eine Chance.  

Monetäre Verteidigung

Abgeschreckt vom puren Reichtum der imponierenden Sondervermögen trollte er sich umgehend, eingeschüchtert von den vielen, vielen klaren Zeichen entschlossener Signale einer unbedingten Verteidigungsbereitschaft. 

Das ist sie, die Welt der Bundesregierenden, in der ein Zwei-Grad-Ziel das globale Klima bändigt und ein Zwei-Prozent-Ziel ausreicht, um menschenverachtende Kriegstreiber, die keinerlei Rücksicht auf das Leben der eigenen Bürger nehmen, von brutalen und irrsinnigen Angriffen abzuschrecken. Als es vor 22 Jahren besprochen wurde, war das Zwei-Prozent-Ziel der Nato tatsächlich so etwas wie der Vertrag von Kyoto: Alle sagten ja, eine feine Sache. Aber niemand hatte irgendeine Absicht, noch irgendetwas anderes in dieser Angelegenheit zu unternehmen. 

Was immer es kostet

Zwölf Jahre dauerte es, bis das dermaßen auffiel, dass man noch einmal darüber reden musste. Die Amerikaner, der große Friedenssponsor der EU, hatten im Nachgang zur Finanzkrise spitzbekommen, dass sie es waren, die 70 Jahre Frieden in Europa finanzierten, für die sich die EU-Politiker immer wieder feiern ließen. Das sollte nun vorbei sein. Nicht gleich natürlich. Aber irgendwann in zehn Jahren würden doch alle Mitgliedsstaaten zwei Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes übrighaben für eigene Verteidigung. 

Würden sie, ganz sicher, schließlich wussten alle am Tisch, dass keiner von ihnen in zehn Jahren noch mit dem Problem beschäftigt sein würde, das dazu notwendige Geld aufzutreiben. Vielleicht noch durch Kürzungen bei Sozialleistungen! Durch Steuererhöhungen! Durch neue Schulden bis es kracht! Um Gottes willen.

Kommt Rat, kommt Staat

Kommt Zeit, kommt Rat, kommt Vater Staat. Auch das Problem der zu niedrigen Rüstungsausgaben gingen die Parteien in Deutschland mit gewohnter Entschlossenheit an. Die SPD etwa machte klar, dass sie die zwei Prozent dreimal woanders ausgeben werde: Lieber sechs Prozent mehr für die Bildung als auch nur zwei Prozent für Panzer und Kanonen! Die Union saß mit den Sozialdemokraten in einem Boot, das die Kanzlerin gemächlich treiben ließ. Schon der Ankauf neuer Flinten für die Truppe wurde zu einem Unternehmen, das in beiderseitigem Einvernehmen deutlich länger dauerte als der letzte Weltkrieg

Drohnen? Aufrüstung? Eine neue Waffengattung gar? Die deutsche Sozialdemokratie lehnte "jede Vollautomatisierung der Kriegführung" ab. Man hatte "grundsätzlich erhebliche Vorbehalte gegen eine Politik der Aufrüstung", speziell aber eine gegen Waffengattungen, bei denen die eigenen Soldaten nicht gleich wie die Fliegen sterben. Drohnen also nach langem Handel doch ja. Aber bitte unbewaffnet!

Aber bitte ohne Waffen

Selbst als der Kanzler die Zeitenwende ausgerufen und 100 Milliarden Sonderschulden aufgenommen hatte, reichte es hinten und vor nicht bis zum Zwei-Prozent-Ziel.  Die treuen Gazetten sahen das nicht als so tragisch an. Die Vereinbarung von 2014 war im "Spiegel" nun nur noch ein "Wunsch" den das Nato-Bündnis an alle Mitgliedstaaten gerichtet habe. Es hat eben nicht geklappt und es wird auch weiter hin nicht klappen können, weil es dauerhaft an Geld fehle.

Nie ging es darum, was eigentlich gebraucht werden würde. Mehr Rekruten? Mehr Waffen? Schwere? Munition?  Schiffe? Flieger? Raketen? Oder Atombomben? Still und starr stand das Ziel, ausgerichtet am Bruttoinlandsprodukt wie ein Sparauftrag, der immer am Monatsende alles über 500 Euro auf ein Tagesgeldkonto schaufelt, um damit den Bau eines Einfamilienhauses zu finanzieren.

Addieren, bis es passt

Nichts hat mit nichts zu tun. Und völlig überraschend für die ganze Welt hat es schließlich doch geklappt. Erstmals hält Deutschland das Zwei-Fliegen-mit-einer-Klappe-Ziel ein: Zum regulären Wehretat von 52 Milliarden Euro haben die Verteidigungstaschenrechner dazu einfach nicht nur knapp 20 Milliarden Euro aus dem Sonderschuldentopf für die Bundeswehr gerechnet, sondern auch was sonst noch so entfernt olivgrün aussieht. Das Kindergeld für Bundeswehrsoldaten. Die Pensionen von ehemaligen NVA-Offzieren. Die Waffenhilfe für die Ukraine. Malerarbeiten in Kasernenklos. Dazu kommen Ausgaben für Entwicklungshilfe und des Auswärtigen Amts. Danach reichte es zu einer Punktlandung: Die deutschen "Militärausgaben" liegen nun bei 2,01 Prozent der Wirtschaftsleistung.

Und fest ist das noch nicht. Denn sollte die Wirtschaft weiterhin "dramatisch schlecht" (Robert Habeck) laufen und aus dem "peinlichen" (Christian Lindner) Mini-Wachstum ein negatives werden, dann könnte Deutschland sogar deutlich über der Zwei-Grad-ohne-direktes-Ziel-Vorgabe landen. Kein Feind hätte es  dadurch schwerer, auf Berlin zu marschieren, kein Angreifer müsste heftigeres Abwehrfeuer befürchten, das wissen auch die 17 anderen Nato-Staaten, die buchhalterisch gesehen genug ausgeben, um auch Donald Trump zufriedenzustellen. Aber weil ein Gutteil von ihnen sich ebenso kreativ mit dem Rechenschieber verteidigt, weniger gegen aufmarschierende fremde Mächte als vielmehr gegen zornige Freunde, rührt niemand ernsthaft am deutschen Militärmärchen.

Vielleicht reicht Geld ja auch aus: Die 600 Milliarden, die die Nato in diesem Jahr für Rüstung ausgibt, wären zumindest genug, um jedem der in der Ukraine eingesetzten 400.000 russischen Soldaten 1,5 Millionen zu zahlen, wenn er die Waffen niederlegt.




8 Kommentare:

Die Anmerkung hat gesagt…

Die Tapferen mit der lauten Stimme (gestern bei der Berlinale)

https://twitter.com/mz_storymakers/status/1758523668953551058

https://video.twimg.com/amplify_video/1758522839106277376/vid/avc1/1280x718/a4sYCnpJPo0rE1mK.mp4

Hase, Du bleibst hier... hat gesagt…

Wäre ich Staatssekretär bei unserem öbersten Waffenknecht, dann würde ich alle Waffen in Privatbesitz mit einrechnen, in den Etat der Landesverteidigung. Theoretisch stehen die ja zur Verfügung, wenn der Russe kommt.

Die Anmerkung hat gesagt…

@Hase ...

In der Praxis könnte es auch darauf hinauslaufen: Wann wir schießen Seit an Seit?

Ich bin mir da nicht so sicher, daß alle Waffenbesitzer dem Pistorius mit enthusiastischem Elan hinterherhumpeln und die Russen auf die andere Seite der Oder zurückhetzjagen.

Hase, Du bleibst hier... hat gesagt…

@Anmerkung In meiner Aufrechnung als "Staatssekretär" geht es gegen den Nörgler aus Übersee, der die 2% der Wirtschaftsleistung einfordert. Wenn das hier so weiter geht, kommt der Russe bald mit Wodka und Piroggen, uns wieder aufzupeppeln.

ppq hat gesagt…

eine wertvolle anregung! wir haben die wegweisende idee ergänzt und in einer dringenden depesche an die hardt-höhe die zurechnung aller inländischen küchenmesser (über 12 cm klingenlänge) zum deutschen waffenarsenal angeraten. antwort steht aus (auch bei der verteidigung ist wochenende)

Anonym hat gesagt…

Wenn das hier so weiter geht, kommt der Russe bald mit Wodka und Piroggen, uns wieder aufzupeppeln.

Könnte es immerhin sein, dass auf kürzere oder mittlere Frist die in "1984" bezeichneten Einflussgebiete eingeführt werden sollen?

Volker hat gesagt…

"kommt der Russe bald mit Wodka und Piroggen, uns wieder aufzupeppeln."

Ich nehme die Piroggen

Anonym hat gesagt…

Nach Ostland wollen wir reiten
nach Ostland wollen wir mit
wohl über die grüne Heiden
frisch über die Heiden
ist uns eine bessere Stätt´

Also jedenfalls heute nicht mehr. Es gibt aber Beklatschte, die glauben, dass doch.