Mittwoch, 6. April 2011

Speisefisch im Fichtennadelbad

Superlative, bis der Arzt kommt, so saugt Taz-Autor Ingo Arzt auch aus dem abgesagten Super-Gau im japanischen Kernkraftwerk Fukushima noch ein paar beunruhigende Zeilen. "Tausende Tonnen radioaktives Wasser werden in Japan ins Meer geleitet", analysiert er messerscharf, und noch schlimmer: "Der AKW-Betreiber Tepco spielt die Sache herunter", denn, das wissen sie in allen Redaktionsstuben zwischen München und Hamburg, die Rettungsmaßnahmen sind verzweifelt, der "Super-Gau" (n-tv), der vor zwei Wochen eine Woche lang stattfand, ist nicht mehr aufzuhalten. Zumindest so lange nicht ein Sonderkommando deutscher Kommentatoren und Reporter über Fukushima abgeworfen wird, um Millisievert und Bequerel wieder in die innere Reaktorhülle zurückzuschreiben.

Aber sie wollen keine Hilfe, diese Japaner, die dem deutschen Schlachtenbummler mit jedem Tag der größten Krise seit der Verhaftung des Wettermoderator Kachelmann immer rätselhafter werden. Kaum Proteste, keine Gewalt, keine Straßenblockaden vor Feuerwehrwagen und nirgendwo Rücktritte bei den versagenden Behörden. Von Deutschland aus betrachtet handelt es sich bei den ehemaligen Verbündeten um stoische Sushi-Esser, denen auch die akuteste Greenpeace-Warnung vor verseuchtem Meeresboden nicht den Appetit verdirbt.

Kraftwerksbetreiber Tepco, hierzulande längst als unglaubwürdig entlarvt, bestärkt die Bedauernswerten auch noch in ihrem unverständlichen Gleichmut, der mehr unter den Tsunamifolgen zu leiden vorgibt als unter den Strahlungswerten vor der Küste, die in der am meisten betroffenen Region Baden-Württemberg zu einem Erdrutschsieg der Grünen geführt hatten. Japaner könnten ruhig weiterhin frischen Fisch aus den Küstengewässern vor Fukushima genießen, behaupte Tepco. Selbst wenn Anwohner jeden Tag Meeresfrüchte aus der Region äßen, bliebe die radioaktive Belastung unter dem kritischen Grenzwert.

Das muss natürlich gelogen sein, denn ganz unbescheiden heißt der Text "Tepco verstrahlt Pazifik". Wie zuletzt bei der Öl-Katastrophe im Golf von Mexiko, die vor einem Jahr das neue Tschernobyl gewesen war, hilft die Macht der großen Zahl, die Angst vor der "größten Menschheitskatastrophe" (Der Vorwärts) aufrecht zu halten: Arbeiter hätten "über 11.500 Tonnen radioaktiv verseuchtes Wasser ins Meer gepumpt", rechnet der Arzt vor, dem die Leser vertrauen. Beim n-tv-Liveticker kommt infolgedessen schon "Radioaktivität in kanadischem Trinkwasser" an, das damit gleichzieht mit dem Brunnenwasser in Aue, Eisleben und Naumburg.

11.500 Tonnen radioaktives Wasser in den Pazifik einzuleiten, der rund 70.000.000.000.000.000 Tonnen Wasser enthält, entspricht etwa dem Verhältnis von einem Quadrilliarstel Teil Fichtelnadelbad auf eine volle Badewanne. Der Anteil des "weit über die Grenzwerte belasteten Wassers" beträgt rund 0,0000000000016 Prozent des gesamten Meeresinhalts. So wenig sich das Wasser in der Wanne von einem Molekül Fichtennadelbad grün färben wird, so wenig wird der Pazifik verstrahlt.

Aber "Betrüger nutzen Angst vor Strahlung aus", meldet n-tv, diesmal völlig zutreffend.

Wie immer ganz zuletzt, bevor das Thema in den Untiefen der Emp-Forschung entschwindet: Der Spiegel warnt vor der Panik, die er selbst erzeugt hat.

Auch der Tagesspiegel sagt die wiederaufflammende Kettenreaktion nunmehr ab.

10 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Jo, 11500 Tonnen klingt erst mal nach ner Meeeeeeeeeenge. Wenn wir aus 11500 die dritte Wurzel ziehen, erhalten wir etwa 23. Die 11500 Tonnen würden also in einen Würfel mit einer Kantenlänge von 23 Metern passen (unter der Annahme, dass ein Kubikmeter Wasser eine Tonne wiegt). Natürlich ist der ganze Schlamassel in Japan eine ziemlich ernste Sache, die Panikmache in den Medien ist aber eine riesige Sauerei!

ppq hat gesagt…

soweit ich sehe, hat sich die darstellungsweise mit 11,5 MILLIONEN LITER nun durchgesetzt. erwartungsgemäß, denn das ist nicht mehr, klingt aber nach noch mehr als 11500 tonnen.

Calimero hat gesagt…

Für unsere Homöopathieanhänger dürfte das eine massive Überdosierung sein. Es ist von einem unabwendbaren Pazifiksterben auszugehen. :-(

Anonym hat gesagt…

Hab gestern aus Solidarität mit dem um seine Atomunabhängigkeit kämpfenden japanischen Volk Fisch gegessen. Werde nun wohl bald versterben. Hoffe, ich lebe in Euch und Euren Taten weiter.

ppq hat gesagt…

wir waren vorsichtiger, haben den schweinebauch mit stäbchen gelöffelt und uns dabei gefilmt, um unsere solidarität zu zeigen.

in gedanken sind wir bei dir. alles gute. vielleicht kannst du ja über deinen langsamen verfall wenigstens noch ein buch machen? "das erste deutsche opfer" oder so? da lädt dich bestimmt auch der kerner ein. oder beckmann. ich weiß ja immer nicht, wie er sich gerade nennt

Anonym hat gesagt…

Ich benötige mal ein wenig Nachhilfe, vielleicht verstehe ich das ja auch nicht richtig. Ist es nun so, dass die Radioaktivität durch die Unmenge an Meerwasser aufgelöst, somit ausgelöscht, wird oder ist es nicht andersrum so, das radioaktive Teile andere wiederrum selber zum Strahlen bringen?

ppq hat gesagt…

klare antwort: nein

strahlung wird ja nicht "mehr"...

Anonym hat gesagt…

Also wenn die Strahlung im Meer nicht mehr wird bzw. eher abnimmt warum erspart man sich dann nicht die Suche nach einem Endlager und kippt den Schrott stattdessen einfach ins Meer? Genau das passiert doch in Fukushima und hier wird es klein geredet...

ppq hat gesagt…

hier wird nichts "kleingeredet", hier wird auf größenverhältnisse hingewiesen

ppq hat gesagt…

zur frage, warum man das nicht einfach alles versenkt, hier ein paar zahlen

die berechnungen zeigen, dass es an den zahlen nicht hängt