Samstag, 19. Januar 2013

Fasten und die explosive Fiebrigkeit

Wie sich die Bilder gleichen. Damals, am frühen Nachmittag des 12. Mai 1956, zerriß trockenes Peitschen von Gewehrsalven das laute Stimmengewirr in den engen Straßen der algerischen Stadt Constantine. Von den Wachtürmen und Sandsackbarrikaden der auf einem Felsen erbauten Stadt schepperten hackende MG-Garben, mit denen die französischen Sperrposten den Überfall der angreifenden arabischen Rebellen zurückzuschlagen suchten. Dazwischen hörte man die dumpfen Detonationen von Granatwerfern, so berichtete der „Spiegel“, der seinerzeit noch Worte wie „Moslemstadt“ und „Todesscharen Allahs“ im Repertoire hatte.

Es war das Jahr, als Nikita Chruschtschow die Entstalinisierung zur rettung des Stalinismus startete. Marokko, Tunesien und dem Sudan wurden unabhängig. Mit 1500 Freiwilligen gründete Deutschland die Bundeswehr. Und Adolf Hitler wurde vom Amtsgericht Berchtesgaden amtlich für tot erklärt. Damals jagten Feldhörner in der alttürkischen "Kasbah"-Kaserne ein Alarmsignal in den Sonnenuntergang. "Zur Stunde des Aperitifs, die die Europäer Constantines in dichten Reihen auf den Kaffeehausterrassen und in den Bistros der Rue Nationale, der Hauptstraße der Stadt, zu verbringen pflegen", ist das eine unerwartete Unterbrechung. „Fremdenlegionäre mit weißen Képis, Fallschirmjäger mit roten, blauen und grünen Baretten sprangen von den Tischen auf, ließen den Rotwein und den milchiggrünen Pernod stehen und stürzten in die Quartiere ihrer Einheiten, von denen bereits die ersten Stoßtrupps im Laufschritt zu ihren Einsatzposten in der Stadt unterwegs waren.“

Der Krieg ist da und aus der Rue Nationale brechen nun die bewussten "Todesscharen Allahs" hervor. Sie drängten, „Entsetzen verbreitend, in die aufgescheuchte Menschenmenge der überfüllten Straßen“, berichtet das Nachrichtenmagazin aus der Schlacht, „sie schossen auf alles und jeden, ohne darauf zu sehen, ob sie Weiße oder Glaubens- und Rassenbrüder trafen“.

Franzosen im Auslandseinsatz gegen „Fellaghas“, die sich „in Häusern, Mauerstücken und Ecken festsetzen“ und „erst nach langen Gefechten vernichtet oder in die Höhlen, Mauerlöcher und Gänge zurückgetrieben werden, aus denen sie emporgebrochen waren“. Gebrochen, nicht gekrochen.

Alles hat sich seitdem geändert. Die Kriegsberichterstattung deutscher Medien verzichtet längst auf Einzelheiten, auf taktische Finessen und tragische Schicksale, um sich dem großen, strategischen Überblick zu widmen. Wenn Frankreich in Mali siegt, und wir waren nicht dabei, was bedeutet das für die Europa-Politik? Verliert Merkel ihr Gesicht? Verliert sie gar Wahlen?

Auch der Einsatz selbst war damals ein farbigerer, weniger technisch ausgerichteter. es wurde noch gestorben, wenn auch unklar blieb, wie oft: „Wie viele unbeteiligte Araber getötet und verletzt wurden, blieb ungewiss, denn eine Woge turbanbedeckter Moslems sprang mit flatternden Burnussen die Gassen der Araberstadt hinunter, ihre Toten und Verletzten mit sich schleifend.“

Die Hinterlist der Feinde, in Deutschland bekannt aus Karl Mays Persien-Märchen, ist unverkennbar schon damals vorhanden gewesen. „Fellagha waren in den letzten Wochen truppweise als Pilger, Händler, Bauern und oft als Frauen verkleidet in die Felsenstadt gesickert, um den Aufstand vorzubereiten. Muselmanische Geheimbünde der Stadt, an deren Spitze bekannte arabische Ärzte, Apotheker und Anwälte stehen, hatten ihre Moslembrüder schon seit Jahren aufgeputscht.“

Ersetze muselmanische Geheimbünde mit Al Kaida im Maghreb und der heilige Krieg im algerischen Constantine der 50er Jahre fühlt sich im Mali 2013 wohl. Auch ohne den Ramadan, der in den ungebildeten 50ern noch als Erklärung für die Gewalt herhalten musste: „Die lange Zeit des Fastens pflegt in den Gemütern eine explosive Fiebrigkeit aufzuhäufen, die beim Übergang zur normalen Lebensweise nach Entladung drängt.“

500.000 Soldaten hatte Frankreich seinerzeit in seiner Kolonie stationiert, um sie mit Zähnen und Klauen zu verteidigen. Doch am Abend des Angriffs in Constantine häuften sich im Hauptquartier des Korpsgenerals Henri Augustin Lorillot, der in Algier als Wehrkreiskommandeur Algeriens residiert, Unglücksmeldungen aus fast allen größeren Städten der vier nordafrikanischen Departements Oran, Bône, Algier und Constantine.

Seit langem war sich der General darüber schon darüber im Klaren, „daß seine seit Anfang März mit der vollen Wucht militärischer Überlegenheit gegen die arabische Rebellion geführte Offensive in eine kritische Phase führen kann“. Das vordringlichste Ziel dieser Offensive war, die Rebellen aus den dicht besiedelten ländlichen Gebieten zu vertreiben, wo sie sich im Verlauf des letzten Jahres festgesetzt und teilweise sogar einen eigenen Behördenapparat aufgezogen haben. In den unwirtlichen Berge wollte man sie dann zum letzten Gefecht stellen.

Stattdessen wichen sie nun in die Städte aus. Dorthin, wo die ineinander übergehenden Wohnviertel der französischen und arabischen Bevölkerung den Einsatz von Militär erschweren, „wo schon die gesichtslose Masse der arabischen Bevölkerung die Rebellen vor dem Erkanntwerden schützt, wo der Neid der verelendeten Araber gegen die Franzosen den nationalistischen Zündstoff mit sozialem Dynamit anreichert und wo die Hysterie des europäischen Mobs dafür sorgt, daß die religiösen, nationalen und sozialen Gegensätze der beiden algerischen Bevölkerungsteile, der knapp anderthalb Millionen "Europäer" und der neun Millionen Araber, sich in blinde Leidenschaften verwandeln“.

Dort - in den Städten - bietet sich tatsächlich dem arabischen Aufstand die vorläufig letzte, aber auch furchtbarste Chance, das Land endgültig und unwiderruflich in blutige Wirren zu stürzen. "So", schreibt der "Spiegel" damals, "zeigte sich das bis heute anhaltende Bestreben der Aufständischen, das Land durch wahllosen Mord aufzuputschen". Ein wenig Analyse noch hinterher: "Der Amoklauf ist bis heute ein bewußt eingesetztes Mittel des arabischen Freiheitskampfes und der arabischen Politik geblieben".

Der ganze Feldpostbrief im „Spiegel“,

3 Kommentare:

Oels hat gesagt…

Dieser krude Spiegelartikel ist wirklich schwer zu ertragen.Er eignet sich auch nicht als Gutenachtgeschichte. 70 Prozent der dort verwendeten Begriffe gehören ersatzlos gestrichen. Die restlichen 30 am besten auch, wenn man mich fragt. Dies ist notwendig, um geschichtliche Überlieferungen an den sprachlichen und politischen Wandel anzupassen. Das ganze SPIEGEL-Archiv gehört tabulos durchforstet !

ppq hat gesagt…

die forderung wurde hier kürzlich völlig zu recht erhoben. leider scheinen die medienkonzerne nicht bereit, ihre fehler aus der vergangenheit anständig zu bereuen und richtigzustellen

apollinaris hat gesagt…

Wenn schon Ottfried Preußler dran glauben muss, dann das Spiegel-Archiv um so mehr! Hinweg mit diesem diskriminierenden Sprachmüll!