Samstag, 1. September 2018

Wie weiter im Osten: Lexikon der Verächtlichmachung III

Das Prinzip ist bekannt, die Methode erprobt, die Ablaufpläne sind bewährt und das zu verwendende Vokabular gleicht sich über alle Zeiten und herrschenden Gesellschaftssysteme. 

Ziel und Zweck ist stets die Delegitimierung des Widersprechenden, der als Gegner begriffen wird. Mit ihm muss nicht diskutiert, er muss - zumindest verbal - verächtlich gemacht, zum Unmenschen erklärt und als gesellschaftliches Wesen vernichtet werden, um nach Mao Tse-Tungs Lehrsatz "Bestrafe einen, erziehe hundert" für die Disziplinierung aller zu sorgen, die mit dem Gedanken spielen, alternativlosen Entscheidungen der Regierung ebenfalls zu widersprechen.

Die Begriffe, die in den hauptsächlich medial abgewickelten Schlachten um die Deutungshoheit über aktuelle Ereignisse verwendet werden, zeigen die historische Kontinuität, in der Populisten wie der Sozialdemokrat Ralf Stegner unverhohlen zum Kampf gegen Minderheiten aufrufen.

PPQ liefert in Zusammenarbeit mit Rainald Schawidow, dem Chef der Bundesworthülsenfabrik (BWHF) in Berlin nach dem Wörterbuch des Unmenschen und der Übersetzungshilfe "Krisisch - Deutsch" ein aktuelles Lexikon der Verächtlichmachung, das zeigt, wo "hemmungslose und zynische Propaganda" (Der Spiegel) bis heute Inspiration findet.


Vorverurteilungen - müssen stets vermieden werden, wenn es der Sache nicht dient.
Um "Krakeeler", "Rowdys" und "Randalierer"  in die Schranken zu weisen, kann es jedoch angebracht sein, die rein rechtlich gesehen mutmaßlichen Täter ansatzlos öffentlich abzustrafen.

Hetzjagd - am Hofe des Herzogs von Burgund alltäglich, weil die Menschen als grundsätzlich verschieden galten und der Herrgott verschiedene Jagdtechniken geschaffen hatte, damit Reiche und  Arme die für sie passenden aussuchen konnten. Nach Trutz von Trotha (1997) zielt die kollektive Hetzjagd auf das Ergreifen der Beute in einem Wettbewerb der Barbarei, deshalb benötige sie ein gewisses Maß an Selbstaufhetzung, schließt also an bei Hetze, einem jüngst wiederbelebten Klassiker aus DDR-Zeiten.

Nazihorden - historisch wurden insbesondere mongolische und tatarische Stammes- und Heeresverbände nach deren Selbstbenennung Ordu oder Urdu wurden als Horden bezeichnet. Steht  im allgemeinen Sinne für umherziehende wilde Bande oder Rotte (Tierreich) und gewinnt in Kombination mit dem Substantiv "Nazi" noch an Gefährlichkeit. Nazihorden sind aber keineswegs mongolischen oder tatarischen Ursprungs, sondern in der Regel aus Sachsen.


Demokratiefeinde - im Munitionslager der Kampfbegriffe ursprünglich für marxistisch-leninistische "scheindemokratische Utopisten" reserviert, die mit Hetze gegen den angeblich „kapitalistisch korrumpierten Polizeistaat" provozierten. Nach Ende dieser Aufstände universell anwendbar, um die Gesellschaft in "die" und "wir" zu spalten.


Selbstjustiz - von Hans Magnus Enzensberger im seligen Jahr 1968 als unter den Augen der Polizei möglich beschrieben, von Stalins Tscheka als  „von oben legalisiert" ausgeübt, derzeit aber vor allem als erzählerische Figur wichtig wie Pogrom. Selbstjustiz schafft Bilder, wo keine sind und beantwortet die Frage, ob jeder ohne richterliche Befugnis aus eigener Machtvollkommenheit (propria auctoritas) gegen Hexen vorgehen kann, mit nein. Das darf nur die Kirche.

Nährboden - eine besonders poetische Anleihe an Modernität und Wissenschaftlichkeit, mit großem bildnerischen Potential. "Nährboden" schafft automatisch Assoziationen zu Petrischalen und Pestbazillen, aus denen der Krebs falscher Vorstellungen in den gesunden Volkskörper wuchert. Vor allem die verheerten Landschaften im Osten gelten als "Nährboden", Hessen hingegen ist ein Feuchtbiotop für die Anprangerung dieses Umstandes.

Rechtsfreie Räume - ehemals "No-Go-Areas" (Uwe-Karsten Heye) oder auch "national-befreite Zonen"genannt. Existieren nicht, aber nur, wenn man fortwährend von ihnen spricht.


Ausschreitungen - Sammelbegriff für Zusammenrottungen, bei denen Böller gezündet, Gegendemonstranten provoziert und demokratiefeindliche Reden geschwungen werden. Vor Ausschreitungen werden in der Regel "Parolen gebrüllt" und es wird "skandiert", aktuelle treten allerdings keine vermummten Aktivisten auf.

Störenfriede - versuchen, die staatliche Ordnung vorsätzlich zu missachten und die gesellschaftliche Disziplin mit dem Ziel zu verletzen, sie, wie der Name sagt, zu stören. Eigentlich war der klassishe Störenfried mit dem Ende der DDR-Presse zur letzten Ruhe gebettet worden, doch aktuell-politische Ereignisse gestatteten es Forschern der Bundesworthülsenfabrik (BWHF), die kernige Vokabel zu reanimieren.

Chaoten -   Synonym für "Hooligans", "Rocker" und "Kampfsportler", die schon in der späten  DDR raubend und brandschatzend durch die Lande zogen. Bis heute Verursacher illegitimer, teils staatsfeindlicher Gewaltrituale, die - wie zuletzt in Chemnitz - von Kerngruppen feindlich-negativer Fußballfans ausgehen. Was von Historikern im Rückblick als " skurril-unwesentliche Fußnote der DDR-Geschichte" (Bundeszentrale für politische Bildung) gesehen wird, wirkt heute akut gesellschaftsbedrohend.

Wirrköpfe - altertümlich für "Reichsbürger", angelegentlich auch "Radaubrüder" (,Berliner Morgenpost"), "Radikalinskis" ("Bild"). Bekannt für Zusammenrottungen und Hetztiraden gegen die Verfassung. Synonym für demonstrierende Unterschichtenvertreter, altertümlich "Proleten", auch Akademiker, die mit ihrer Weisheit am Ende oder aus Sachsen sind. Missbrauchten die Meinungsfreiheit zu "ihren Zwecken". Die Zeitung "Bild" empfahl bereits in den 60er Jahren: "Polizeihiebe auf Krawallköpfe, um den möglicherweise doch vorhandenen Grips locker zu machen." Damalige Überschrift der "Morgenpost": ">Störenfriede ausmerzen."

2 Kommentare:

fatalist hat gesagt…

DDR 2.0 passt doch immer besser zur Merkel-BRD... der Totalitarismus zeigt längst wieder mal seine hässliche Fratze.

Die Anmerkung hat gesagt…

Fanalisiert Euch!

Wer bremst, was als „Schweigemarsch" getarnt beginnt?

Ein Kommentar zu den nazirassistischen Faschistenpogromen am Nüschel.