Dienstag, 17. August 2021

Nato nach Afghanistan: Bündnis Pflegefall

Als Blütenträume reiften: Vor 20 Jahren glaubte der Westen noch, die ganze Welt wolle westlich werden, westlich sein und westlich leben.

Der deutsche Außenminister ahnte noch 48 Stunden vor dem Einmarsch der Taliban in die afghanische Hauptstadt nichts. Die deutsche Verteidigungsministerin ist 48 Stunden nach dem Fall Kabuls froh, dass es der deutschen Militärmacht gelungen ist, doch noch mal ein Flugzeug in Afghanistan zu landen. Sieben zu Rettende seien ausgeflogen worden, sagt Annegret Kramp-Karrenbauer stolz. Sieben. Wird sie morgen schon mit einem Gürtel auftreten? Sieben auf einen Streich? 

In den USA ist die Lage dagegen ernst. Präsident Joe Biden, kein Mann, der sich oft öffentlich zeigt, trat vor die Kameras, wegen der bedrohlichen Lage drüben, dort weit hinten, wo die Völker aufeinanderschlagen, in "Paschtunistan" (Karl May), vorzeitig von seinem Landsitz Camp David in die US-Hauptstadt zurückgekehrt. Der Abzug sei so richtig wie der Einsatzbefehl vor 20 Jahren war, sagt Biden. Amerikas längster Krieg habe beendet werden müssen und nun sei er beendet worden.  

Deutschland Mondlandung in Kabul

Dass nicht alles glatt ging, dass für der deutschen Nato-Partner nun schon eine Airbus-Landung am Hindukusch gleichbedeutend ist mit einer Landung auf Mond, von der sich daheim stolz berichten lässt, es sind Details in einer Geschichte, die sich ihrem 20. Jahrestag nähert. Vier US-Präsidenten haben regiert, während der Westen versuchte, der in die Steinzeit zurückgefallenen islamischen Stammesgesellschaft zwischen dem Iran, Pakistan, Urkmenistan, Tashikistan und Usbekistan die Moderne zu bringen. „Ich will dies nicht einem fünften Präsidenten übergeben“, sagte Biden, der den Ausstiegsbeschluss seines Vorgängers Donald Trump vor allem den Teil betreffend umgesetzt hat, der den Abzug ohne Bedingungen anbelangt. 

Trump hatte das noch anders gedacht, er wollte den Abzug gegen die Zusage der Taliban, sich zu zivilisieren. Doch die Angst der neuen USA-Regierung, weiter in der längst fruchtlosen Mission festzustecken, zerstörte die Verhandlungsposition. Aus dem Abzugsangebot der Amerikaner wurde ein Abzugsultimatum der Taliban - das Kräfteverhältnis zeigte sich ganz offen: Hier die Nato, das größte, stärkste, friedlichste und einigste Militärbündnis der Welt. Dort ein Kommando aus 80.000 Lumpenstrümpfen, barfüßige Wickelköpfe mit gestohlenen Waffen, die bei Zielen die Augen zuzukneifen pflegen. 

Blamage gegen Gotteskrieger

Kein Sieg war je unwahrscheinlicher, keine Siegesfeier trauriger. Einerseits weigerten sich die über Jahrzehnte von westlichen Spezialisten ausgebildeten afghanischen Regierungstruppen, auch nur einen Schuss auf die in improvisierten Kampfwagen anrückenden Gotteskrieger abzugeben. Andererseits wurden die grimmigen Korankämpfer auch nirgendwo mit Jubel und Applaus als Befreier vom Joch der Ungläubigen begrüßt. Wie im Wachkoma schauten die Afghanen dem Siegeszug ihrer Nachbarn gegen die fremden Heere aus dem Westen zu. Wie eingesponnen in ihre eigene Vorstellung von Größe und Herrlichkeit all ihrer Parlamentsarmeen und Spezialkräftetruppen beharrten deren Führer darauf, vieles nicht hätten wissen zu können. Und alles übrige wie immer sehr richtig gemacht zu haben.

Immerhin hätten die USA hätten ihr Ziel erreicht, "die Verantwortlichen für die Terroranschläge 2001 zur Verantwortung zu ziehen", hat Joe Biden auf die extralegale Tötung Osama bin Ladens in Pakistan vor zehn Jahren verwiesen, ein Ereignis, das seinerzeit dafür gesorgt hatte, dass auch in Berlin alle Grundwerte  vergessen worden waren:  "Ich freue mich darüber, dass es gelungen ist, bin Laden zu töten", hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel  damals deutlich gemacht, dass das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Artikel 2 Absatz 2 des Grundgesetzes aus ihrer Sicht unter dem Vorbehalt einer regierungsamtlichen Bewertung steht, die in Washington getroffen wird.

Von dort kam der Marschbefehl für deutsche Soldaten nach Afghanistan, von dort kam auch der Abmarschbefehl. Gerade noch hatte der Bundestag das "Mandat" für den Einsatz wie immer ganz traditionell ohne Diskussion verlängert, bis Januar 2022 diesmal, in der insgesamt 20 Verlängerungsabstimmung. Da hieß es "Vorwärts, Soldaten, wir müssen zurück". Ein 27.000 Kilogramm schwerer Gedenkstein für die Helden der Mission war zu retten, zudem mussten mehr als 22.000 Liter geistiger Getränke zurück in die Heimat geflogen werden, neben all den "Dingos", "Papiertigern", "Mardern", "Füchsen", "Ratten", "Hasen" und "Mäusen", wie die deutsche Armee ihre Fahrzeug nach der stolzen alten Tradition der Vorväter mit ihren "Tigern" und "Panthern" nennt.

Auf allen Vieren aus dem Ring

Es war kein guter Zeitpunkt, aber es gebe sowieso niemals einen guten Zeitpunkt für einen Abzug, hat Joe Biden gestanden, dem angesichts der größten Blamage des Westens sogar in den eingeschworenen fanzines ein lauer Luft an Skepsis entgegenweht. Dafür kann er natürlich nichts, das Debakel ist eine Erbschaft und es ist selbstverständlich keine, die Obama hinterlassen hat, der aus dem "robusten" (Annegret Kramp-Karrenbauer) Einsatz eine Theatervorstellung gemacht hatte. Nein, es war Trump, dessen Ablehnung "endloser Militäreinsätze“ Biden jetzt als Begründung dafür anführt, dass die Nato-Streitmacht den Ring verlässt, wie es geschlagene Boxer tun: Auf allen Vieren.

Daheim angekommen, sind die Helden der stets fantasiereich benannten "Missionen" Resolute Support, Operation Dauerhafte Freiheit und Provincial Reconstruction ein weltpolitischer Pflegefall. Den  "friedenserzwingenden Auftrag" (Uno) haben die Nato-Kommandos nicht erfüllt. Dafür aber aller Welt deutlich gezeigt, dass sie zudem auch nicht in der Lage sind, ein Analphabeten-Heer zu besiegen, das nicht einmal ein Drittel der Stärke der Truppen des Vietkong im Vietnamkrieg hat. Während die deutschen Medien sich schon in eine Zukunft mit den Kopfabschneidern, Steinigern und Denkmalsprengern von den Taliban einfühlen, indem sie die neuen Herren vom Hindukusch  mit der liebevollen Bezeichnung "radikalislamisch" versehen als wären die nur eine Art moderate Vorfeldorganisation des echten Islamismus, stehen die USA, Deutschland, Großbritannien, Frankreich und all die anderen Abendländer als Aufschneider da, dem der Rock brennt, während seine Hose rutscht: Der Westen hat in Afghanistan nicht nur einen Krieg verloren, sondern seinen Ruf, Weltpolizist sein zu können.


6 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Das mit den sieben kann man sogar nachvollziehen.

Annegret:
Die Lage am Flughafen von Kabul ist "unübersichtlich, gefährlich, komplex", sagt Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer.

Zum Startzeitpunkt waren nur 7 Passagiere zur Stelle. Für ein Mitglied der Regierung ist das schon ziemlich komplex, bitte um Verständnis.

Warum der Flieger ohne eingereichten Flugplan überhaupt Flugbetrieb aufgenommen hat, wird ein Untersuchungsausschuss klären, die verantwortlichen Piloten kommen vor's Militärgericht.

Carl Gustaf hat gesagt…

"Vier US-Präsidenten haben regiert, während der Westen versuchte, der in die Steinzeit zurückgefallenen islamischen Stammesgesellschaft zwischen dem Iran, Pakistan, Urkmenistan, Tashikistan und Usbekistan die Moderne zu bringen."

Die Wahrheit ist, dass die Taliban nach 20 Jahren Besatzung wahrscheinlich ordentlicher durchdigitalisiert worden sind, als dies an deutschen Schulen der Fall ist.
Wenn man wissen möchte, warum die deutsche Mission oder gar die gesamte deutsche Politik und Wertvorstellung am Hindukusch gescheitert ist, sollte man Franz Werfels "Stern der Ungeborenen" lesen.

Anonym hat gesagt…

Wir sind nicht gescheitert! Ich erwarte stündlich die Lageeinschätzung unserer obersten politischen Führung, dass im Großen und Ganzen alles richtig gemacht wurde.

Anonym hat gesagt…

Nun gibt es ja die hübsche Verschwörungstheorie, dass für die Eliten der USA 1/6 viel traumatischer war als 9/11 und der Abzug eher ein Umorientierung auf den Feind im Inneren bedeutet. Mal sehen, eventuell werden in Zukunft Taliban im Westen zur Befriedung der Rednecks angesiedelt. Jedenfalls danke für die Posts, man ist ja fassungslos.

Pflegekraft hat gesagt…

Welchen weiteren Beweis einer totalen Verblödung vom freiwilligen Schützen Arsch bis hinauf zu den Nullen im Verteidigungsministerium und anderen Bundesbehörden braucht es eigentlich noch? Doch jetzt läuft die Maschinerie der Zerquatschung des Versagens eines quasi schon hirntoten Volkes und seiner gewählten Repräsentantenonkels medial an, um jede fragende Vernunftregung im Keim zu ersticken. Wir sind so verdammt schwachsinnig, aber stolz darauf.

Morgen, aber spätestens übermorgen ist das Piefkereich wieder selbstbewusst auf der kollektiven Marschlinie, die Welt an seinem Bessermenschen-Wesen genesen lassen zu müssen. Ein Sauhaufen, der Hygiene verkaufen will.

Mehr ist dazu nicht zu sagen, denn nicht nur Danisch hat sich bereits sehr detailliert dazu geäußert.

Anonym hat gesagt…

"auch ich kann nicht in die Zukunft schaun" (sic) / eben bei Phoenix .

https://www.zif-berlin.org/ansprechpartner/dr-almut-wieland-karimi

"alle ängstlichen Angstmenschen müssen evakuiert werden "

auch Frauen und auch Männer und alle Transtalibane , RadfahrerInnen und traumatisierte Mörder und Folterer .


Bernd hat heute Mun beim Kettner bestellt