Donnerstag, 17. November 2022

Kampfgefährtinnen: Ausflug in eine bizarre Glaubenswelt

Die Gäste aus der Klimabewegung sammeln Plastikmüll im Dorf ein. Anschließend reisen sie wieder ab.

Sie sind jung, sie sind hübsch, sie sind von einem messianischen Glauben beseelt. Regisseur Henri de Gerlache zeigt in seinem bemerkenswerte Dokumentarfilm "Kampfgefährtinnen" sechs Klimaaktivistinnen "aus verschiedenen Ländern, die sich an vorderster Front für den Umweltschutz einsetzen" (Arte): Luisa Neubauer, Léna Lazare, Anuna De Wever Van der Heyden, Adélaïde Charlier, Mitzi Jonelle Tan und Leah Namugerwa, alle "gerade einmal Anfang 20", sind glühende Verfechterinnen einer globalen Umkehr. Weg vom Wachstumsfaschismus. Umschalten auf ein Kontrastprogramm zum "Schutz unseres Planeten und seiner Ökosysteme".

Film der Superlative

Ein Film der Superlative, obwohl er nur knapp 70 Minuten lang ist. Die Aktivistinnen werden bei Auslandseinsätzen gezeigt, beim Nachdenken, beim Sinnieren mit Blick auf Landschaften, beim Müllsammeln am Amazonas und dabei, wie sie sich "ganz im Sinne von Greta Thunberg  auf der ganzen Welt für den Umwelt- und Klimaschutz stark" (Arte) machen. Im Film werden sie gegengeschnitten mit Aufnahmen und Aussagen der Altaktivistin Julia „Butterfly“ Hill. Die heute 48-Jährige lebte zwischen Dezember 1997 und Dezember 1999 738 Tage auf einem kalifornischen Küstenmammutbaum namens "Luna", um die - inzwischen pleitegegangene - Pacific Lumber Co. zu zwingen, auf die geplante Fällung des tausend Jahre alten Redwood-Baums zu verzichten.

Die Sache, um die es ihnen allen geht, ist nach Angaben des Senders Arte "größer ist als sie selbst". Und die sechs junge Aktivistinnen  machen sich keineswegs kleiner. Zwar kommen nur zwei von ihnen aus den ausgebeuteten Ländern des globalen Südens, sie alle aber teilen nicht nur Hoffnungen, Engagement und Ideale, sondern auch die beinahe schon religiöse Ablehnung der Erkenntnisse der  Wissenschaft und der Ergebnisse der industriellen Art des Wirtschaftens. 

Die Kampfgefährtinnen schauen auf Butterfly Hill wie auf den Messias: Wenn die grau gewordene Motivationstrainerin in der weißen Baumwollbluse versonnen durch einen Wald streift, Bäume streichelt und den Odem von Mutter Natur einsaugt, sitzen sie beeindruckt vor ihren modernen Smartphones, staunen zu und die kameraerfahrene Luisa Neubauer legt sich sogar zutiefst bewegt die Hand aufs Herz.

Hand aufs Herz

Es ist ein Ausflug in eine bizarre Glaubenswelt, in eine Zeit vor der Zeit von Forschung und Wissensdurst. Niemand hier traut der Wissenschaft weiter als er einen Demonstrationszug führen könnte. Wenn Hill ihnen von ihrem Baum "Luna" erzählt, von der Gottgleichheit des Weiblichen und von einer Menschheit, die wie "Baumwurzeln und Pilzgeflecht miteinander verbunden" sei, dann ist das wie die Verkündigung des Evangeliums. Dass Baumwurzeln nicht miteinander verbunden, sind, soweit es sich nicht um die Wurzeln des Baumes handelt, zu dem sie gehören, stört das bizarre Bild kaum.

Lena, eine kleine Französin, die zu klassischen Plastik-Sneakers aus Qualproduktion ein Kostüm aus "Unsere kleine Farm" trägt, bedauert ein bisschen, dass nicht viele Jungs mitmachen bei der Rettungsmission. Sehr gut sei aber, dass sich mehrheitlich junge Frauen beteiligen, die das Retten eher fühlen und nicht immer alles berechnen müssen. Lena will ohnehin weg von dieser männlichen Ingenieurskunst, die die Klimakatastrophe irgendwie maschinell zu bewältigen versucht. Soundso viele Tonnen. So und so die Maßnahmen. Lena lächelt die Versuchung zart weg. Besser gehe das doch, sagt sie, wenn Menschen in Verbindung seien und viel Liebe hätten. 

Gastspiel im Regenwald

Die kommt ganz oft auf den ersten Blick. Adélaïde Charlier sitzt bei einem Besuch im Regenwald kaum neben einer gleichaltrigen Einheimischen, als sie die beiden auch schon Schwesternschaft schließen. Man hat sich über den Dolmetscher ja auch schon das jeweilige Lebenslater mitgeteilt. Und fühlt sowieso gleich.

Leah Namugerwa aus Uganda hilft beim  Müllsammeln einem Dorf, in dem augenscheinlich traditionell eher lax mit Abfällen umgegangen wird. Ein paar Jungs tragen die Ausbeute auf einen Hügel neben der Ansiedlung, quer über einen Frischemarkt, auf dem die die Verkäufer*innen verblüfft zuschauen. Dann wird ausgekippt und anklagend geschaut. so viele Plastikflaschen. So viel  Schuld im Abendland. 

Müll im Wind

Was anschließend aus dem Müll wird, verbrannt, Re-Import nach Europa, Warten, dass der Wind ihn fortträgt, wird nicht verraten. Schnitt zu Demonstrationszügen, zu Reden auf Bühnen, Anuna De Wever Van der Heyden kündigt an, dass das noch nicht das Ende sei, auch nicht das Ende des Anfangs, sondern allenfalls der Anfang vom Anfang. Danach wieder eine Predigt von Butterfly Hill, empfangen von den Leitfiguren der Bewegung über iPhone und Android. Tränen im globalen Augenwinkel. 

Mitzi von den Philippinen, von Beruf "Fulltime Activist", und zieht Parallelen zwischen ihrem Kampf und dem ihrer Vorreiterin. Erfüllt von einer göttlichen Mission. Gefangen im Aberglauben. Durchdrungen von der Überzeugung, es gebe das Göttliche und es wohne im Menschlichen, wenn es denn nur weiblich ist. Henri de Gerlaches Dokumentarfilm zeigt, wie die bizarre Glaubenswelt der Vollzeit-Kampfgefährtinnen aussieht: Ein Obscurium aus gegenaufklärerischen Ansichten, okkulten Riten und einer Volksfrömmigkeit, die den traditionellen animalischen Magnetismus ersetzt durch die Vergötterung von Busch, Baum und heiligem Waldboden.


3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

OT
BinTolerant 16. November 2022 at 09:53
zu Reichelt`s Kommentar.

Toiletten 20 Meter link's ...

Anonym hat gesagt…

Im selben Kommentar: ...so gut wir Mundttot (sic) gemacht.

Die Anmerkung hat gesagt…

Alina Lipp
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https://t.me/neuesausrussland/11609

Nach Angaben von Go and See haben die russischen Raketenstreiks Einrichtungen der Gasindustrie in mehreren Regionen gleichzeitig getroffen.
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Ja, das sagt der Ukrainer auch immer, der meint 90 der 70 anfliegenden Raketen mit seiner deutschen Iris abgeschossen zu haben. Nur manchmal gibt es dabei auch einen Traktor-Vorfall, der sowas ähnliches wie ein LKW-Vorfall ist.

«Иди и смотри» mit Go and See zu übrersetzen, das muß man sich erst mal trauen. Fire and forget her in business.