Sonntag, 22. Januar 2023

Bundestagspoet: Loblied aus dem Loch zur Hölle

Windkraftanlage zerstörerische Kraft
"Wir bauen in stürmischen Zeiten / ein blühendes, friedliches Land" - der Bundestagspoet*in könnte dabei entscheidende Hilfe leisten.

Große Pläne hatte sie, damals vor einem Jahr. Das ganze System sollte weg vom mechanistischem Abarbeiten an der Gegenwart, vom Lösen selbstgestellter Probleme und der gesetzlichen Einhegung des selbst in Deutschland zuweilen überschäumenden Individualismus. Katrin Göring-Eckhardt kommt aus der DDR, dort hat sie gelernt, wie ein Staat funktionieren muss, in dem die Menschen vielleicht daheim im stillen Kämmerlein schimpfen und jammern, öffentlich aber kuschen und jede erwünschte Solidaritätserklärung mit den "Mächtigen der Welt" (Sandra Maischberger) abgeben, um nicht unter Verdacht der verfassungsfeindlichen Delegitimierung der zuständigen Organe zu geraten.  

Kein Platz für Ostdeutsche

Selbstverständlich wäre auch die Grüne aus Thüringen viel lieber Ministerin geworden als Bundestagsvizepräsidentin. Doch im Kabinett von Olaf Scholz fand sich weder noch ein Platz für eine Frau noch für eine/n zweite/n Ostdeutschen - der Kanzler ist zwar intersektioneller Feminist, aber auch ein Mann klarer Signale: Wer unter ihm Minister wird, der muss etwas können, der muss fachlich sattelfest sein, erste Wahl und zuverlässig zur Sache stehen.

Göring-Eckhardt nutzte deshalb ihre Möglichkeiten als Bundestagsvize, um Reformen im Land voranzubringen. Mehr Poesie wünschte sie sich für die Politik, mehr Reime beim Rühmen der klugen Gesetzesarbeit, mehr Friedenspoeme statt Panzer und Petitionen zur Verhinderung eines schnellen deutschen Kriegseintritts. Aus dem Elfenbeinturm des Reichstages, den bienenfleißige Bautrupps seit Jahren mehr und mehr in eine Festung mit Burggraben, Mauern und elektronischer Überwachung verwandeln, sollte nach Katrin Göring-Eckhardts ein Bundestagspoet das Hohelied von Demokratie, Durchregieren und Deutschland-Tempo singen. 

Zwischen Parlament und lebendiger Sprache

Mit Poesie einen diskursiven Raum zwischen Parlament & lebendiger Sprache öffnen", nannte das die Frau aus Friedrichroda, die es tatsächlich geschafft hat, seit 1984 noch nie einer Erwerbstätigkeit außerhalb des politischen Raumes nachgehen zu müssen. Eine Lebensleistung, die bislang viel zu wenig beachtet und gerühmt wird - umso verständlicher erscheint Göring-Eckhardts Wunsch nach dem, was die Berliner Tageszeitung sofort versuchte als "wohlige Auftragskunst im Dienst der Herrschenden und Politikkitsch"lächerlich zu machen. Katrin Göring-Eckhardt kuschte. Niemals wieder kam sie auf ihren Vorschlag der Einführung von politikbegleitenden Kunstmaßnahmen zurück.

Ihre Idee aber lebt, sie ist vital und kregel, wie die von Corona besonders betroffenen Menschen im Norden es nennen. Vom anderen Ende der Republik, aus dem tiefsten Bayern, kam jetzt ein ergreifendes und zutiefst erschütterndes Gedicht, das belegt, was ein verbeamteter Poet der Bundespolitik geben könnte: Leidenschaft, Empathie und eine Sprache, die einen diskursiven Raum öffnet, in dem er düster ist, sozial beängstigend kalt und klimatisch so heiß zugleich, dass es überall nach dem frischem Herzblut missbrauchter Aktivisti riecht.

Hilferuf junger Poeten

Max O" nennt sich der Dichter, eine augenzwinkernde Reverenz natürlich an den großen Arbeiterdichter an Max Zimmering, dessen "Marsch der Kampfgruppen" unvergessen ist. Wo es im Jahr 1973, als der Sachse Zimmering sein großes Werk schuf, entschieden hieß "wir bauen in stürmischen Zeiten / ein blühendes, friedliches Land/und halten im Auftrag des Volkes / die Waffen in ruhiger Hand", nimmt Max O ein halbes Jahrhundert später die proletarische Metrik auf, doch er wendet die Waffe gegen die Landschaftsvernichtung, die überall vonstatten geht.

Dort steht sie, die Tod bringende Maschine / Ausbrut menschlicher Gier und Hybris / Sie wird erleuchtet von diesem Loch, dem Tor zur Hölle / Ringsum ihre in schwarz gehüllten Diener, entsendet von ekstatischer, selbstvernichtender politischer Verantwortungslosigkeit", hat der junge Mann gedichtet, obwohl er im Moment mitten in einer Ausbildung zum Politikwissenschaftler steckt. Eine Anklage gegen die Verspargelung der Landschaft, gegen die irrige Vorstellung, Menschen könnten heute schon das Klima des Jahres 2050 planen und sich vor berechtigter Kritik wie frühere Fürsten durch ihre "schwarzen Diener", also die von staatlichen Überweisungen luxuriös lebenden Kirchenfürsten schützen lassen.

Ein gewaltiger Wumms

Ein mutiges Statement, dass die Etablierung eines Bundestagspoeten mit einem gewaltigen Wumms wieder auf die Tagesordnung setzt. Zwar hat Katrin Göring-Eckhardt nie wieder einen Versuch unternommen, die geplante Stelle zu schaffen - ebenso fiel der Aufbau einer geplanten Brigade aus Bundesbänkelsängern, Hofnarren, Partyzauberern, Schamanen, Astrologen und anderen Kleinkünstlern angesichts des Kriegsausbruches in der Ukraine dem Vergessen anheim -, das starke Statement aus Bayern aber sollte Signal genug sein, auch im Bundestag wegzukommen von der Stichflammenpolitik der Tagesaufgaben und sich wieder den großen Handlungsböden und strategischen Gesellschaftsveränderungen zuzuwenden.


5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Das Gedicht über die Kampfgruppen hat sich wenigstens noch gereimt. Nicht das ich jetzt Kampfgruppen verteidigen möchte.

Anonym hat gesagt…

Nicht das ich jetzt ... Autsch! Auf Neudeutsch ouch. Det här behövs inte.

Heute ahmd auf arte, dem Sender für die, als welche sich jebüldet dünken - "Der Zug" mit Bört Länkäster. Regie: Johannes Frankenheimer - muss ich mir nicht antun - mein Zinken ist schon dubios genug. Nicht, dass(!) er noch größer und krümmer würde. Wenn ich darauf angesprochen werde, pflege ich auf Dante Alighieri zu verweisen.

Anonym hat gesagt…

Ich schlage den grünbeinigen Durs aus Sachsen als Parlamentspoeten vor. Der bringt sogar Gerüste und Sperzäune zum Sprechen. Beispiel:

Wie die Ufer versteinern ... Nur er schaut aufs Meer hin wie immer.
»Dieses winzige Zweibein, wer ist das?«, fragen sich stumm die Gerüste
Am neusten Büroturm, die skelettsteifen Kräne. »Absolut spinnert«,
Gähnt ein Erdloch und stinkt.
Aus dem Schiffbruch kein Zimmer,
Vom Kinderbett keine Planke blieb übrig. »Nicht, daß ich wüßte«,
Schweigt ein Sperrzaun, befragt, ob der Mensch ihn an etwas erinnert.
Doch er kann es nicht lassen. Tief im Landesinnern gestrandet,
Sind die Dächer der Vorstadt sein Horizont, den er absucht. Wonach?
….
usw. im unverwechselbaren lyrischen Ton. Durs brächte selbst die Stühle und Tische im Bundestag dazu, Reden zu halten, zweifellos eine Entlastung für die arg gestreßten Abgeordneten, die dann mehr Zeit hätten, den Einflüsterungen von Lobbyisten zu lauschen und im Interesse des Volkswohls uneigennützige Entscheidungen zu treffen.

Anonym hat gesagt…

Ich glaube, das ist der Originaltweet:
https://mobile.twitter.com/MaxM_BY/status/1611560928092344323

Typischer Reply:
Hast du einen Stein an den Kopf gekriegt?

Das gelinde Danebengreifen im Wortschatzkästchen und der Attributedurchfall zeigen den linksgrünen Bildungsgweg recht klar an.

Anonym hat gesagt…

Was lernt uns das? 1.: Auch in Västerbotten liest man mit. 2.: Guhgeltränsläht ist für'n Aasch.