Freitag, 19. Dezember 2025

EU-Machtdemonstrationen: So viele traurige Siege

Weitere Kerben im Flintenschaft der EU: Nach 25 Jahren gehen die Verhandlungen über das Mercosur-Abkommen in die nächste Verlängerung. Und Russlands Vermögen bleiben russisch.

So viele Siege! In nicht einmal 24 Stunden gelang es der Europäischen Staatengemeinschaft, gleich zwei ihrer ehrgeizigen Vorhaben den Sand zu setzen. Zuerst musste die Unterzeichnung des seit einem Vierteljahrhundert mit  Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay verhandelten Mercosur-Abkommens ein weiteres Mal auf die lange Bank verschoben werden.  

Und in der Nacht dann fiel auch noch Friedrich Merz von der Leiter: Die ultimative Forderung des deutschen Kanzlers, die EU müsse sich Zugang zu russischen Auslandsvermögen verschaffen, um die Ukraine weiter zu finanzieren, lief ins Leere. 

Erneute peinliche Pleite 

Obwohl die deutsche EU-Chefin Ursula von der Leyen an Merz' Seite gefochten hatte, die Idee stammte ursprünglich ja auch von ihr, und sowohl die Außenbeauftragte Kallas als auch der portugiesische Ratsvorsitzende António Costa den Staatschefs gedroht hatte, sie dürften nicht nach Hause gehen, bis sie zugestimmt hätten, ließen sich nach Belgien, Ungar und der Slowakei auch Italien und Frankreich nicht davon überzeugen, dass es klug ist, das Völkerrecht zu brechen, um kurzfristig finanzielle Entlastung zu finden. 

Noch kurz vor dem Schicksalsgipfel der EU in Brüssel sprach Friedrich Merz noch einmal Klartext. Es gehe um sehr viel für Europa. Die EU rufe er zur Entschlossenheit auf. Meinungsverschiedenheiten beiseite. Unterschiedliche Interessenlagen auf Pause. Wichtig sei ein "klares Signal an Russland", das auch in den Vereinigten Staaten verstanden wird. Europa lässt sich nicht mehr herumschubsen. Europa steht für sich selbst ein. Und wenn die USA kein Partner mehr sein wollen, dann sucht sich die mächtigste Staatengemeinschaft der Menschheitsgeschichte eben andere.

Die neuen Bündnisse, so alt 

 


Der Plan stand schon seit dem vorübergehenden Ende der Zollkriege mit Donald Trump. Wenn der nicht, dann eben andere. Indien, Indonesien und Südamerika waren als Ersatz auserkoren. Sie sollten den ohnehin langsam versiegenden Strom von Waren und Anlagen aus den verbliebenden Fabriken in Europa aufsaugen, die China und die Amerikaner nicht mehr haben wollten. 

Mit dem Mercosur-Abkommen, einem Freihandelsvertrag, den die EU seit sagenhaften 25 Jahren mit Südamerika verhandelt, lag ein Ball auf dem Elfmeterpunkt. Es waren nur noch einige wenige EU-interne Meinungsverschiedenheiten abzuräumen, und dann ein mächtiges Zeichen ausgesendet werden an alle, die an der "auf einmal doch ziemlich mächtigen" (Die Zeit) EU gezweifelt hatten. Vier Kommissionschefs hatten sich daran versucht. Doch da nur Romano Prodi und  Jean-Claude Juncker keine zweite Amtszeit vergönnt war, sind es eigentlich sechs Amtszeiten, die Hochkaräter wie  José Manuel Barroso und Ursula von der Leyen benötigten, um zu einem Ergebnis zu kommen.

Gut abgehangen 

Das liegt jetzt auf dem Tisch, noch brandheiß: Die eigentlich geplante feierliche Unterzeichnung des Freihandelsabkommens der EU mit vier südamerikanischen Staaten findet doch nicht statt. Neben  Frankreich, Polen und Österreich, die nicht zustimmen wollen, aber überstimmt werden könnten, hat sich auch Italien nicht überzeugen lassen, das große Zeichen auszusenden. Auch Giorgia Meloni will vorher mehr Schutz für ihre Bauern. Ein Argument, das schon ihr französischer Kollege Emmanuel Macron vorgebracht hatte, um Sonderkonditionen für sein Land auszuhandeln.

Der Versuch, in letzter Minute eine sogenannte Schrödinger-Mechanik in die ausgehandelten Papiere  zu schummeln, scheiterte. Das EU-Parlament hatte diese "Schutzmechanismen" eigenhändig ausgedacht und ins Spiel gebracht, die dafür sorgen sollten, dass das Abkommen in Kraft tritt, aber keine Wirkungen entfaltet. Doch es half nichts. Vertreter des Parlaments müssen nun nicht mehr mit dem Rat der 27 EU-Staaten über den Vorschlag verhandeln, die mit dem Abkommen abgeschafften Zölle wieder einzuführen, wenn die Einfuhren bestimmter Produkte wegen der gefallenen Zölle ansteigen und in der EU die Preise drücken. 

Der umgefallene Habeck 

Unter Robert Habeck, als Grünen-Chef noch ein ausgewiesener Gegner des Handelsvertrages, war das "quasi fertige Mercosur-Abkommen noch einmal deutlich nachhaltiger und damit besser geworden", wie Habeck selbst sagte. Die Forderungen der Grünen nach einem "Stopp des Abkommens vor dem Hintergrund von Klimaschutz und Menschenrechten" verwandelten sich ein "Eigeninteresse Europas, weitere Handelsabkommen abzuschließen", um "die richtige Antwort" auf drohende Zölle etwa aus den USA und China zu geben. 

Wie bei TTIP, dem letztlich am Widerstand von progressiven Kräften und Medien gescheiterten Chlorhühnchenvertrag mit den USA und Kanada, triumphierten Hass und Hetze gegen den Freihandel. Der Versuch der Abschottung vor der unerlässlichen Globalisierung und ein systematischer Anti-Amerikanismus, der undurchschaubaren US-Machteliten hinterhältige Strategien zur Unterjochung der gesamten Welt unterstellte - sie hatten gezeigt, wie das Handwerkszeug moderner Demagogen funktioniert. 

Krude Thesen gegen Genfood 

Krude Thesen gegen Genfood, die als bedrohlich ausgemalte Harmonisierung von Produktionsstandards und den Wegfall von Importhemmnissen: Im Kampf dagegen vereinten sich Links und Rechts zu einem Hufeisen, das die Blaupause liefert für den Anti-Globalisierungskampf der EU. Unter dem Banner der Bedenkenträger gelang es der Gemeinschaft, länger über die Paragrafen eines Handelsabkommens zu feilschen, als die Weimarer Republik existierte. 

Die EU selbst, mit den Maastrichter Verträgen 1993 aus dem Taufbecken gehoben, ist mittlerweile 80 Prozent der Zeit ihrer Existenz damit beschäftigt, am Mercosur-Vertrag  zu feilen. Selbst mit der Schweiz, die 2014 mit der gegen walle Warnungen aus Brüssel erfolgreichen Volksabstimmung über die Ausschaffung von Ausländern aus der Gemeinschaft der zivilisierten Völker ausgeschieden war, wird noch nicht so lange über ein neues Rahmenabkommen verhandelt.

Es wird wieder nüscht 

Kurz vor Weihnachten sollte es etwas geben. Und nun wird es wieder nüscht. Wie alle Jahre wieder. Es ist ein kleines Jubiläum, wenn Ursula von der Leyen ihren Klimaflug zum Festakt in Brasilia absagt. Zum letzten Mal sollte Mercosur im Dezember  2024 unterzeichnet werden. Auch damals durfte die quicke Bewohnerin des 13. Stockwerks im Berlaymont-Gebäude daheimbleiben. Die große Reise der Ursula von der Leyen nach Montevideo wurde vertagt. Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay waren einverstanden. Die EU musste intern nachverhandeln. War es wirklich eine gute Idee, die Zölle auf 91 Prozent aller zwischen der EU und dem Mercosur gehandelten Waren abzuschaffen? Um ein Zeichen zu setzen?

Offenbar nicht. So sehr der neue Kanzler sich auch immer wieder "grundsätzlich für ein selbstbewusstes Auftreten Deutschlands und Europas in einer Welt stark" macht, "die sich gerade in einem epochalen Umbruch befindet", so schwer fällt es Brüssel, 27 widerstreitende Interessen zusammenzubinden. Wenn dann der Regenwald stirbt? Das Klima kippt? Der Amazonas als "eine Lebensversicherung für die Zukunft von uns Menschen auf diesem Planeten" ausfällt?

Kniefall des deutschen Außenstürmers 

Merz möchte "nicht dabei zusehen, wie die Welt neu geordnet wird". Der deutsche Außenstürmer war von Anfang an entschlossen, das vom lauen Olaf Scholz beschädigte Bild deutscher Führungsmacht neu zu malen. Merz sieht sich als echten Weltpolitiker, der einer Großmacht vorsteht, auf die andere hören müssen. Versuchte Scholz noch, Gefolgschaft zu mobilisieren, indem er Mitleid erregte, ist sein Nachfolger der Faustaufdentisch-Typ. Basta!

Mit seinem Wechsel auf die Seite derjenigen, die Ursula von der Leyens wagemutigen Plan zur Enteignung russischer Vermögen in Belgien unterstützten, zeigte Merz sein Merz-Gesicht. Erst hüh, dann hott und am Ende auf dem Bauch, nur noch darum bemüht, die krachende Niederlage zu einem klug herausgespielten Sieg zu erklären.

Kein Russengeld für die Ukraine 

Dass die EU der Ukraine nun kein russisches Geld überreicht, um den Aggressor mit den eigenen Waffen zu schlagen, wird als pragmatische Lösung verkauft. All die Aufregung um die Aushöhlung des Völkerrechts, die Angst vor Bestrafungen durch Russland und die Furcht davor, dass ganz am Ende doch alles selbst bezahlt werden muss, sie lösten sich im Verlauf einer Nacht wie von selbst auf. Der gefundene Kompromiss ist ein ganz einfacher: EU gibt der Ukraine 90 Milliarden Euro Kredit.

Dafür haften sollen nicht die unwilligen Mitgliedsstaaten, sondern der von den Mitgliedsstaaten finanzierte EU-Haushalt. Ursula von der Leyen hat damit ihr Hauptziel erreicht, wieder gemeinschaftliche Schulden produzieren zu dürfen, die von den EU-Verträgen ausdrücklich verboten werden. Die drei unwilligen Mitgliedsstaaten müssen nicht mitmachen beim Senden des großen Signals der Einheit nach Moskau, denn formal nimmt die EU-Kommission den Kriegskredit auf. 

Die krachende Niederlage als großer Triumph

Friedrich Merz hatte sich noch in der Nacht der schicksalhaften Entscheidung eine Erklärung aufschreiben lassen, warum das komplette Scheitern des 200-Milliarden-Coups von Brüssel einer seiner größten persönlichen Erfolge ist. Man haben nur die Reihenfolge umgedreht, indem man jetzt keinen Versuch starte, sich  die russischen Guthaben anzueignen. Das werd erst erfolgen, wenn Russland nach Kriegsende keine Entschädigung an die Ukraine zahle. Dann werden "wir in völliger Übereinstimmung mit dem Völkerrecht die russischen Vermögenswerte für die Rückzahlung heranziehen."

Merz selbst ist wahrscheinlich wirklich überzeugt davon, dass "Russland dennoch am Ende die Zeche zahlen" wird. Der Mann, der betont, dass "wir kein Spielball von Großmächten" sind, ist ein Spielball der innereuropäischen Kleinstaaterei. Wie ein Flummiball getreten, flippert Merz hin und her und die verworrene Strecke, die er dabei zurücklegt, hält er selbst für seinen "klaren Kompass". Beim Diebstahl des Russengeldes wollen die einen nicht mitmachen. Seis drum. Beim Vorwärtsverteidigen des Westens im Donbass sträuben sich die anderen. Der US-Präsident redet nicht mit ihm. Mit dem russischen Präsidenten darf und mag er nicht reden.

Merz hatte Europa Führung versprochen und ein "klares Zeichen der Stärke". Seine Fankurve hatte schon von einem neuen starken Mann geträumt, dem der Kontinent folgen werde. Jetzt muss verbal beschwichtigt werden, damit der Aufschlag des Weltpolitikers in der Realität nicht allzu dröhnend zu hören ist: Die "EU will vorerst kein russisches Vermögen zur Ukrainehilfe nutzen", umschreibt die Hamburger "Zeit" mit Formulierungshilfe aus dem Kanzleramt, was die Eu nicht kann.

Das Jahr ohne Sommer: Der Januar der Schmerzen

Empörende Vorfälle im Januar des Jahres überzeugten Millionen davon, dass es sich bei CDU und FDP doch nicht um verlässliche Parteien der politischen Linken handelt.

 An diesem Tag ist es endlich soweit,
zum ersten Mal wird es geschehn.
Ich fühle es, ich bin nun bereit
bis zum Äußersten heute zu gehn.

 Poldi Lembcke 

Es war ein Jahr zum Vergessen und vielen gelang das außerordentlich gut. Der neue Kanzler wusste schon nach Wochen nicht mehr, was er versprochen hatte. Seine Hilfstruppen von der SPD hatten verdrängt, dass sie wiedermal eine Wahl verloren hatten. In der Welt draußen wendete sich einiges zum Besseren. Deutschland aber blieb mit klarem Kompass auf Kurs. Der Sommer der Stimmungswende fiel ins Wasser. Der Herbst der Reformen folgte ihm leise.

Der Rückblick auf 2025 zeigt zwölf Monate, die es in sich hatten. Nie mehr wird es so sein wie vorher.  

Die Brandmauer, sie ist nur drei Buchstaben entfernt vom Brandstifter, doch ein gesamtgesellschaftliches Feuer entzünden, an dem sich Millionen für Wochen die Hände wärmen, das kann sie auch. Als im Januar eines Jahres, von dem sich eine große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger einen entschlossenen Neuanfang versprechen, die Masken im Bundestag fallen und die einen gemeinsam mit den anderen abstimmen, fegt ein Sturm durch Wasserglas wie zuletzt nach den Remigrationsvorwürfen gegen AfD-Hinterbänkler und ausländische Extremisten.

Deutschland in Not 

Deutschland in Not! Niemand weiß mehr Rettung, außer in der Vergangenheit. Das A in "Angela" steht plötzlich wieder für Antifa, das M in "Merz" für Missbrauch der Meinungsfreiheit. Die Demokratie erfindet sich neu, Mehrheit ist, wer lauter schreit. Wenigstens diese Gewissheit, seit Generationen im Flüsterton weitergegeben, erst vom Reichsrundfunk, dann von ARD, ZDF, Correctiv und Campact, sie ist geblieben.

Mit dem Untergang der "Letzten Generation", die angekündigt hatte, als "Neue Generation" zurückzukehren, scheitert auch der Plan vom großen Umbau. Friedrich Merz, nach außen knochenhart, innen windelweich, ist der passende Mann für den Übergang. Im unnachahmlichen Stil eines alten Politfunktionärs verspricht er allen das Richtige, um anschließend das Falsche zu tun. Im Januar nimmt er die eigene Partei in Geiselhaft, um dem Wahlvolk seine Entschlossenheit zu demonstrieren: Die Brandmauer, diese tragende Wand von Unseredemokratie, sie steht nicht mehr zwischen  ihm und denen, die denken wie er. 

Aufgepeitschte Massen 

Für die medial aufgepeitschten Massen ist es das Signal, alle Hemmungen fallen zu lassen. Die belanglose, rein symbolische Abstimmung im Bundestag, sie läutet nach allgemeiner Lesart das Vierte Reich ein. Alles demonstriert, was immer demonstriert, vor der CDU-Zentrale werden Transparente gereckt, auf denen "Merz = Höcke" steht. Beide gelten nun als Faschisten. Merz aber ist der Schlimmere.

Nach Milliarden und Abermilliarden, die Staat und Gesellschaft – Kurzcode "Wir" – in den "Kampf gegen rechts" (Angela Merkel) gebuttert haben, steht die CDU plötzlich da, wo die AfD vor einem Jahr war: als Verfassungsschutz-Verdachtsfall. Merz macht den Rücken gerade. Er ist noch nicht gewählt. Er muss noch an Prinzipien festhalten. 

Drumherum erfüllte sich erneut die Hoffnung nicht, dass am deutschen Wesen noch irgendjemand genesen will. Statt Bewunderung für ihre konsequente Politik der Wirklichkeitsverweigerung empfangen die Repräsentanten der demokratischen Mitte bei ihren gelegentlichen Ausflügen über die Grenzen Berlins vor allem ratlose Blicke und die stille Frage: Seid ihr noch bei Trost? Außerhalb der Blase kann jeder die Zeichen sehen, die auf Abstieg stehen.

So schnell geht es 

Dass es so schnell gehen kann mit einem Rückfall. Dass der hellste Stern der Hoffnung auf eine klimaneutrale Zukunft zur roten Laterne der wehrhaften Demokratie verglüht. Die Welt, die lange Zeit kaum Notiz genommen hatte von dem kleinen Land, das als letzte Großmacht der moralischen Überlegenheit mit Großkreuzen und Grundgesetzänderungen handelt, die keiner mehr geschenkt haben will, schüttelte nur noch den Kopf. 

Es war klar: Nur ein Verbotsverfahren gegen die schlimmste Konkurrenz könnte die Lage retten. Der Gedanke, die Demokratie mit Hilfe undemokratischer Maßnahmen vor den falschen Entscheidungen der Bürgerinnen und Bürger zu bewahren, ist nicht neu, erscheint aber in diesem Januar alternativlos. 

Ja, die Zeiten, in denen man die CDU noch faschistisch nennen konnte, ohne dass sie es tatsächlich war, sie sind lange vorüber. Wer das jetzt tut, heult mit Wölfen, die die Demokratie verteidigen. Verdachtsfall Bundestag, der Verfassungsschutz hat mutmaßlich längst ein Auge auf das Hohe Haus. Der Unsicherheit auf den Straßen ist nichts gegen die, die ein einziges AfD-Ja im Bundestag erzeugt. Ein kommender Kanzler, der mit den Rechtsextremisten paktiert. Die bürgerliche Mitte verstummt entsetzt. Wer die Gefahr nicht sieht, fragt sich besorgt: Bin ich jetzt auch schon so einer?

Spaten überall 

Familien spalten sich. Ehen werden geschieden. Kinder ziehen aus. Wutentbrannt. Verzweifelt. Wie zuletzt noch jeder Monat in jedem Jahr ist auch dieser Januar nach Kräften bemüht, die vorherigen alt aussehen zu lassen. Es geht noch hysterischer, noch lächerlicher, noch unterhaltsamer. Der "schlechteste Oppositionsführer, den Deutschland jemals hatte" (Faeser) stellt sich plötzlich als Retter der Grenzen dar, selbstbewusst mit Umfragewerten, mit denen früher niemand Anspruch auf eine Festanstellung als CDU-Ortsvorsitzender angemeldet hätte. 

Die Frau, die den Ereignissen das Bett bereitet hat, ist plötzlich wieder beliebter als alle Amtsinhaber zusammen. "Angela Antifa" ist ihr neuer Name. Die Erinnerung an sie, die die Lähmung als Stabilität zu preisen wusste, ist golden.

Wie auch nicht in einer Zeit, in der Begriffe wie "Faschismus", "Nazi" und "Rechtsruck" auf alles passen, was rechts von Heidi Reichinnek steht. CDU, CSU, FDP und die AfD sowieso kommen in den Genuss der Zuschreibung. Alle wollen sie spalten, Lager bauen, das Klima zerstören und die junge Generation mit unsagbaren Lasten erdrücken, um sich noch ein paar schöne Jahre zu gönnen.

Auf der Kippe 

Das Land steht moralisch und politisch auf der Kippe. Es ist ein Januar voller Zeitenwenden, symbolischer und realer Proteste, apokalyptischer Szenarien und dem ständigen Ruf nach neuen Lösungen gegen die Aushöhlung aller Gewissheiten. Linke, SPD und Grüne fordern eine brandneue Sozialpolitik, wer ihre Konzepte nicht gut findet, soll nicht mitbestimmen dürfen. Draußen im Land wächst die Verzweiflung. Es ist niemand da, den irgendjemand mit gutem Gewissen wählen könnte. Aber muss doch, den wie so oft ist Schicksalswahl.

Ein halbes Jahrhundert nach Willy Brandt haben es die demokratischen Parteien wirklich geschafft, den Saal nicht nur leerzuspielen, sondern gleich das ganze Theater abzubrennen. Wer im Februar noch wählen wird, wird es im Glauben tun müssen, wenigstens Schlimmeres zu verhindern. Mit Olaf Scholz hat die SPD eine Schlaftablette zum Spitzenkandidaten gemacht. Mit Robert Habeck kontern die Grünen mit einer Erlöserfigur. Merz, ein trockener Asket, spielt den Vernünftigen, der weiß, was das Drehbuch verlangt.

Trotzig das Gegenteil 

Alles bricht auseinander, weil längst nicht alle bereit sind, ihr Leben grundlegend zu verändern, auf Grenzen zu verzichten und sich Sprachvorgaben zu unterwerfen, die die Welt verbessern sollen. Sobald diese Menschen – oft in den weniger besseren Vierteln der Großstädte und draußen auf dem Land daheim – den Eindruck bekommen, jemand wolle ihnen etwas aufzwingen, fahren sie die Stacheln aus. Und wählen unbeirrbar das ganze Gegenteil, wie es Wolf Biermann schon wusste.

Der geplante Aufbau der neuen Welt, besiedelt vom neuen Menschen, ist schon kurz nach Neujahr abgesagt. Habeck rudert, doch er traut sich nicht auf die Marktplätze. So wird das nichts mit der großen Transformation, an der alle mit glühendem Herzen teilnehmen. Das Echo auf den "Bündniskanzler" kommt nur seiner eigenen Blase. Die Grünen, die ihr Schicksal unlösbar mit ihrem Sitzenkandidaten verbunden haben, wissen schon sechs Wochen vor der Wahl, dass ihre Zeit vorbei ist.

Das Ende einer Ära 

Leise verabschiedet sich eine Volkswirtschaft. Die CDU entdeckte ihre Leidenschaft für Sachpolitik, die SPD, dass ein ehemaliges Mitglied der Jusos kein Linker mehr ist, sobald es Klingbeil heißt. Die Reihen werden geschlossen, ein letztes Mal vielleicht. Aus dem Außenministerium werden bereits Telefonate geführt, um Anschlussverwendungen zu finden. Die Demos gegen rechts wirken im Rückblick wie die Abschiedsvorstellung einer Ära, die mit Teddybären und Jubel an den Bahnhöfen 15 Jahre zuvor begann. 

Abschied ist ein scharfes Schwert, das weiß Friedrich Merz, der viele Abschiede hinter sich hat. Jetzt ist er wieder da, ein Mann, der den Unbeugsamen spielt, dem Prinzipien wichtiger sind als die Macht. Man könnte jetzt schon sehen, dass es die Verlockung der Macht ist, die hin so prinzipienfest wirken lässt. Deshalb wohl auch gehen seine Umfragewerte nie durch die Decke, ungeachtet der Konkurrenz: Olaf Scholz, der Unsichtbare mit der Aktentasche. Weidel, die schrille mit dem Brandmal. Habeck, der Märchenerzähler. Lindner, der alles tun würde, um Minister bleiben zu können.

Wenig Wetter 

Es ist wenig vom Wetter die Rede, wenig von Klima und Katastrophe in diesem Januar. Dafür aber viel von der "wehrhaften Demokratie", einer nicht genauer umrissenen Idee, die eine höhere Moral bemüht, um niedere Beweggründe zu diskreditieren. Die Brandmauer-Strategie, mit der sich die Union in den sichersten und dynamischsten antifaschistischen Raum der Welt hatte verwandeln wollen, brauchte von der feierlichen Verkündung bis zum stillen Begräbnis genau einen Bundestagsantrag. Das Signal war gesetzt: Wer will, dass es anders wird, kann mich wählen. Wie genau es anders werden wird, wird allerdings erst später bekanntgegeben.

Die Sehnsucht nach tabula rasa, die Sehnsucht nach der Kettensäge, sie ist da, aber sie hat keine Mehrheit, das weiß auch Merz. Viel größer ist die Sehnsucht danach, dass alles wieder werden möge, wie es bei Merkel war. Mutti passt auf. Wenn die Küche brennt, kommt Mutti löschen. Manchmal schimpft sie. Aber immer ist zu spüren, wie gut sie es meint.

Ein verlorener  Ruf wie Donnerhall 

Und hat nicht Deutschland mit ihr an der Spitze noch einen Ruf genossen wie Donnerhall? Merkel gab den Startschuss für die deutsche Moraldiplomatie, Merkel zeigte, wie man eine Grenze öffnet, ohne sie zu öffnen. Merkel hätte nie ohne Rücksprache mit den anderen Blockparteien einen Antrag für eine Migrationswende abstimmen lassen, nur um sich auf der politischen Landkarte weiter rechts zu platzieren. 

Im Vertrauen auf sie konnte der Verfassungsschutz davon absehen, die Union als Verdachtsfall einzustufen. Jetzt aber muss die SPD die andere ehemalige Volkspartei proaktiv als Koalitionspartner ausschließen - ein Verzweiflungsakt zur Verteidigung der Demokratie, dem  auf dem Weg zur Enttäuschung und Enteignung der Mitte viele, viele weitere folgen werden.

Der Anfang vom Ende: 




 

Donnerstag, 18. Dezember 2025

Russengeld in Brüssel: Es hat nur ein anderer

Was ist die Gründung einer Bank, hatte schon Bertholt Brecht gelobt, gegen die Einziehung russischer Vermögenswerte.

Der Nikolaus stand noch vor dem Haus, da erlitt die Europäische Zentralbank (EZB) einen Anfall von Unabhängigkeit. EZB-Chefin Christine Lagarde sei gegen den Plan von Ursula von der Leyen und Friedrich Merz, der Ukraine mit sogenannten eingefrorenen russischen Geldern zu helfen, die nächsten beiden Jahre zu finanzieren. Sie wolle das Reparationsdarlehen nicht absichern, da das gegen EU-Vertragsrecht verstoße, hieß es. 

Belgien, die Slowakei, Ungarn und Italien schienen eine mächtige Verbündete erwachsen zu sein. Lagarde gilt als enge Vertraute von Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron. Wenn sie die belgischen Zweifel an der Rechtssicherheit des geplanten Zugriffs öffentlich teilt, heißt das, dass ihr keine anderen Anweisungen vorliegen.

Der Krieg ist nicht verloren 

Einen Augenblick lang war der Krieg verloren. Das russische Geld wird gebraucht, um neue gemeinsame EU-Schulden abzusichern, die wiederum benötigt werden, um der Ukraine über die Jahre 2026 und 2027 zu helfen. Was danach wird, weiß niemand. Noch mehr russisches Geld müsste aus dem Kreml geholt werden. Doch was zählt, ist der Moment. Und in dem sieht es so aus, als sei faktisch keine andere Quelle für zusätzliche Milliarden verfügbar. Kein EU-Land kann mehr in den verlorenen Krieg buttern. Nach den Vorgaben der europäischen Verträge dürften es die meisten nicht einmal, weil ihre Schulden schon längst über Maastricht-Niveau liegen.

So bleibt nur das Auslandsguthaben der russischen Staatsbank. Das will die EU aus guten Gründen nicht einfach einziehen und nach Kiew überweisen. Ein solches Vorgehen wäre Diebstahl, vor keinem Gericht der Welt kämen von der Leyen, Merz und Macron mit einem so durchsichtigen Manöver durch. 

Ein ganz einfacher Plan 

Deshalb ist der Trick zur Aneignung um einiges komplizierter, als es die "Tagesschau" verkünden mag, bei der einfach russisches Geld an die Ukraine geschickt wird. Das Gegenteil ist der Plan: Das Geld bleibt russisch. Die EU eignet es sich nur insofern an, dass sie bei Banken als Sicherheit hinterlegt. Die wiederum zahlen frische Milliarden aus, die an die Ukraine gehen. Hat Russland dann  erst den Krieg verloren, der CDU-Wehrexperte Norbert Röttgen hat eben erst noch einmal verkündet, dass es "sehr, sehr unwahrscheinlich" sei, dass dieser Fall nicht eintrete, muss der Kreml in der Kapitulationsurkunde förmlich auf seinen Anspruch verzichten. Das Russengeld löst dann den Kredit ab. Fertig.

Lagardes Bedenken, von EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen als "Skepsis der Europäischen Zentralbank" beschrieben, drohten, den größten öffentlich geplanten Eingehungsbetrug der Weltgeschichte  zu verhindern. Mit einer Chuzpe, die selbst für EU-Verhältnisse beeindruckend ausfiel, hatte die frühere deutsche Verteidigungsministerin es eben gerade erst geschafft, einen sogenannten "Mechanismus" in Kraft zu setzen, der das Handeln einfacher macht. 

Die Hände am Russenschatz 

Ohne große Ankündigung entschied eine einfache Mehrheit der Mitgliedstaaten, dass es die bisher notwendige Einstimmigkeit bei der Entscheidung über den Russen-Schatz nicht mehr brauche. Es werde künftig reichen, dass eine Mehrheit einverstanden sei. Und nun quengelte Christen Lagarde, eine in der Regel so zuverlässige Europäerin. Eine offene Bedrohung inmitten einer Situation, die den Europäern ohnehin längst über den Kopf gewachsen ist.

Der Aufstand der vorbestraften Französin endete nach wenigen Minuten. Schon kurz nach ihrer Wortmeldung, den den Coup der EU-Kommission zu durchkreuzen drohte, ruderte Christine Lagarde so eilig zurück, dass die EZB-Chefin in vielen Medien als eine der eifrigsten Enteigner Russlands gefeiert wurde.  Ein von der EU vorgelegter neuer Plan, lobte die 69-Jährige, komme "dem Völkerrecht so nahe wie keine bisherige Lösung". 

Fast im Einklang mit dem Völkerrecht 

Herauszulesen war, dass Lagarde die Aneignung des Vermögens eines Staates durch einen anderen immer noch für nicht ganz konfliktfrei hält. Aber der Raub, den die EU plane, werde ja beschwören, dass niemand Russland "den Eigentumstitel an den Vermögenswerten entzieht". Das Geld habe zwar ein anderer. Es sei aber nicht weg. Christine Lagarde hielt das nun für "rechtlich am ehesten vertretbar".

Das muss sie auch, denn Friedrich Merz und Ursula von der Leyen haben die EU mit ihren Enteignungsfantasien auf sehr dünnes Eis geführt. Gelingt es den beiden nicht, den sogenannten "Reparationskredit" beschließen zu lassen, steht die EU ein weiteres Mal blamiert da. Kein Kredit auf Kosten der russischen Staatskasse, das wären Merz' 5.000 Helme

Keiner will bezahlen 

Gleichzeitig müssten sich die Friedenskrieger ehrlich machen: Der Ukraine kein Geld mehr zu geben, nur weil es nicht da ist, würde schon in absehbarer Zeit den Zusammenbruch des Landes bedeuten. Die Ukraine weiter zu finanzieren, hieße daheim Ärger zu bekommen. Bisher hat der Westen dem angegriffenen Land rund 600 Milliarden Dollar zur Verfügung gestellt, den Großteil davon - etwa ein Drittel - haben die USA und Deutschland mit je 100 Milliarden aufgebracht. Das reicht für etwa ein halbes Kriegsführung auf einem Niveau, bei dem die Ukraine nicht verliert.

Nachdem sich die Amerikaner aber aus der Finanzierung zurückgezogen haben, droht für die verbliebenen Staaten alles noch teurer zu werden, bei gleichzeitige sinkenden Erfolgsaussichten. Niemand in der EU kann den US-Anteil zusätzlich finanzieren. Ohne das amerikanische Geld aber wird auch der Rest an europäischen Zahlungen nicht lange reichen, um die Front zu halten. 

Rechtsbruch als Signal

Deshalb, so eine Idee konnte nur aus dem sagenumwobenen 13. Stock des Berlaymont-Palastes in Brüssel kommen, hat es Ursula von der Leyen auf die russischen Milliarden abgesehen, seien es 90, 140 oder 210. Jeder Cent hilft, noch ein wenig weiterzuwirtschaften. Christine Lagarde wäre einverstanden,  wenn mit der Enteignung ein deutliches Signal an andere Investoren verbunden wird, dass die Beschlagnahmung und Weiterverwendung des Geldes "keiner Enteignung gleichkomme". 

Sie glaube, hat Largarde gesagt, "dass Investoren es zu schätzen wissen werden, dass die EU nicht versuche, Staatsvermögen einzuziehen, nur weil es uns gelegen käme". Man müsse ihnen dazu nur klarmachen, dass die derzeit geplante Einziehung "ein sehr, sehr außergewöhnlicher Fall" sei. So außergewöhnlich sogar, dass er einmalig ist: Weder im Ersten noch im Zweiten Weltkrieg wurde dergleichen versucht. In beiden Kriegen wurde erst der Sieger ausgefochten. Und dann über das Geld des Verlierers entschieden.

Es hätte nur ein anderer 

Aktuell wäre das russische Geld ist nicht weg. Es hätte nur ein anderer. Um so weit zu kommen, haben die Experten der EU-Kommission unter Zuhilfenahme auch quantenphysikalischer Betrachtungsweisen Neuland erkundet. Die Konstruktion, die einen rechtmäßigen Zugriff auf fremdes Eigentum zulassen soll, teilt russisches Vermögenswerte nach ihrem physikalischen Status in "russisch" und "nicht-russisch" auf.

Weil die eigentlichen Guthaben seit Russlands Angriff auf die Ukraine 2022 im Zuge der Sanktionen eingefroren worden sind, indem sie gegen Bargeld eingetauscht wurden, habe Russland seine Eigentumsrechte daran verloren, argumentiert die EU-Kommission. EU-Sanktionen verhinderten ja eine Überweisung der Guthaben an Moskau. 

Bargeld ist kein Vermögen 

Daher habe Russland kein Geld mehr im Ausland, sondern nur noch einen Forderungsanspruch, den die russische Regierung eines fernen Tages gegenüber den EU-Finanzinstituten, die die Gelder verwahren, geltend machen müsse. Nur "dieser Anspruch der russischen Zentralbank ist Russlands Vermögenswert", möchte die Kommission die zweifelnden Mitgliedsstaaten überzeugen. 

Die Methode ist etwa die: Weil A böse auf B ist, verkauft er dessen Auto, das zufällig bei ihm in der Garage steht. Als B insistiert, dass der eingenommene Kaufpreis aber immer noch ihm gehöre, versichert A, dass er sich selbst verboten habe, B das Geld zukommen lassen können zu dürfen. Und dass B deshalb nur noch das Recht haben, auf Herausgabe des Autos zu klagen.

Mit der Idee, dass  "Barguthaben nicht der Zentralbank der Russischen Föderation gehören" und  damit "nicht der Staatenimmunität unterliegen", hat die EU-Kommission sich Beinfreiheit für alle Fälle verschafft. Bisher galt im Geschäftsbetrieb zwischen souveränen Staaten das von allen Seiten anerkannte Grundprinzip des Völkerrechts, dass ein Staat grundsätzlich nicht der Gerichtsbarkeit eines anderen Staates unterliegt. Gleiches kann über Gleiches keine Herrschaft ausüben, das Recht des einen Staates ist nicht besser als das des anderen. Wäre es anders, könnten Regierungen einander fortlaufend wechselseitig vor die eigenen Gerichte zerren. 

Not kennt kein Gebot 

Doch Not kennt kein Gebot. Und der EU öffnet das selbst von der ehemals konservativen FAZ geforderte  "unmissverständliche Signal an Putin" die Chance, das seit den Zeiten des antiken Rom anerkannte Prinzips "Par in parem non habet imperium" über Bord zu werden. Die weltgrößte Staatengemeinschaft hat schon immer den Anspruch gehabt, als eine Art Weltregierung Standards zu setzen, gestützt auf ihre wirtschaftliche Macht in weit entfernte Regionen hineinzuregieren und mit ihrer leidenschaftlich gern geschwungenen Moralkeule Gefolgschaft zu erzwingen. 

Das hat nie geklappt. Gerade in den letzten Wochen musste die EU mit dem Verbrennerverbot und der Lichterkettensorgfaltsrichtlinie eine ganze Reihe ihrer hochfliegenden Pläne beerdigen.

Die Aneignung der russischen Milliarden könnte nun aber ein Zeichen setzen, dass inmitten der Trümmer der großen Planwirtschaft noch Entschlossenheit wohnt und nicht nur Verzweiflung. Bundeskanzler Friedrich Merz, lange ein entschiedener Gegner der offenkundig rechtswidrigen Aneignung des russischen Geldes, hat es als einer der Ersten erkannt. Bei der Enteignung der Russen  "geht um viel mehr als nur um eine Finanzierungsfrage", hatte er gesagt. Die auch als "Mobilisierung der Milliarden" umschriebene Attacke auf 2000 Jahre Völkerrecht seien "ein unmissverständliches Signal an Putin: dass die Europäer ihm entschlossen und geschlossen entgegentreten bei der Verteidigung ihrer Freiheit." 

Steuerprivilegien: Schlupflöcher für Lebensversicherte

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So hemmungslos feiern die Begünstigten von Lebensversicherungsverträgen aus den Jahren vor 2005: Sie müssen keine Steuern zahlen, obwohl es ihnen ohnehin sehr gut geht. Die Gesellschaft schaut in die Röhre.

Es ist ein überaus faires, transparentes Verfahren, über hunderte von Jahren antrainiert und perfektioniert. Wer in Deutschland Einkommen erzielt, der muss Steuern zahlen, wer vom verbliebenen Netto etwas kauft, muss Steuern zahlen. Und wer mit dem Rest spart, muss eventuelle Gewinne versteuern. Bleibt am Lebensende zu viel übrig, sind die Erben dran. Sie haben auf den Nachlass Steuern zu zahlen.

Doch das System ist bei weitem nicht perfekt. Wie das Spremberger Zentralinstitut für schwierige Gerechtigkeitsfragen (ZISGF) in einer Studie für das Bundesfinanzministerium feststellt, klaffen bei selbstangesparten Lebensversicherungen bis heute eklatante Lücken. "Wenn der Vertrag vor 2005 abgeschlossen wurde, bleibt die Auszahlung komplett steuerfrei", sagt Rolf Karvatz. Einzige Voraussetzung sei, dass der Vertrag mindestens eine Laufzeit von zwölf Jahren erreicht habe und Beiträge über wenigstens fünf Jahre lang eingezahlt worden seien.

Steuerfrei für Anspruchsberechtigte 

Nicht nur die Rückzahlung des angesparten Kapitals, sondern auch der sogenannte Ertragsanteil  werden dann steuerfrei an die Anspruchsberechtigten ausgeschüttet. Die könnten dann meist sogar wählen, ob sie sie ihr Geld als monatliche Rente bis zum Lebensende oder auf einen Schlag am Stück erhalten wollen. 

"Für die Berechtigten macht das keinen Unterschied", erklärt Karvatz. Bei der Entscheidung, auf welchem Weg das Geld in Empfang genommen werden soll, spiele nur eine Rolle, welche verbleibende Lebenserwartung der Vertragspartner für sich annehme. 

"Wer hochalt wird, ist mit einer monatlichen Auszahlung besser dran", hat Karvatz errechnet. Dazu reiche es oft schon, etwa 95 Jahre alt zu werden. Auch bei einer solchen Zahlung über Jahrzehnte falle nur eine Steuer auf den sogenannten Ertragsanteil an. Die sei so gering, dass mit den Beträgen kein Finanzminister große Sprünge machen könne. 

Ausgehebeltes BFH-Urteil 

"Zwar ist diese Praxis bereits 2021 vom Bundesfinanzhof (BFH) (VIII R 4/18) als ungesetzlich verworfen worden. Mit dem Jahressteuergesetz 2024 aber sei das BFH-Urteil gezielt ausgehebelt worden. "Die Versicherungsträger müssen Rentenzahlungen wieder als steuerpflichtige Einkünfte melden, die Finanzämter erheben dann Steuern darauf." Die Hoffnung des damaligen Bundesfinanzministers Christian Lindner sei gewesen, dass es um so geringe Beträge gehe, dass nur wenige Widerspruch einlegen. "Viele wissen ja nicht einmal, dass sie das könnten."

Aus Sicht nachhaltiger Gerechtigkeit, wie sie die Parteien der Mitte seit Jahrzehnten herzustellen angetreten sind, sei das ein Schritt in die richtige Richtung. Zugleich aber zeige das Vorgehen, wie tief die Kluft zwischen Menschen ohne Lebensversicherung, Menschen mit Renten aus Lebensversicherungsverträgen und Menschen sei, die sich für eine Kapitalauszahlung entscheiden. "Wer das tut", warnt Kravatz, "bekommt sein Geld nämlich weiterhin steuerfrei".

Rückkehr der Anlagebesteuerung

Zwar hätten  die damalige Bundesregierung und der Bundestag Anfang des Jahrtausends beschlossen, dass auch auf Gewinne aus langlaufenden Verträgen ab 2005 Einkommen- oder Abgeltungssteuer fällig wird. Doch Millionen Bürgerinnen und Bürger, die sich vorher einen entsprechenden Vertrag zugelegt hätten, seien bis heute privilegiert. 

Die Dimension des Steuerbetrugs ist erschreckend. "In Deutschland wurden im vergangenen Jahr knapp 100 Milliarden Euro an Versicherte ausgezahlt", klärt Experte Rolf Karvatz auf. Begünstigte vereinnahmen das angesparte Geld "in einem großen Happen", wie er formuliert. Bis zu 25 Milliarden Euro plus Solidaritätszuschlag entgingen der Gemeinschaft auf diesem Weg. "Das ist der Betrag, den die Finanzämter beanspruchen, wenn die Menschen in Fonds, ETFs oder Einzelaktien investiert haben, die sie mit Gewinn verkaufen." 

Ein Drittel für Vater Staat 

Der damalige SPD-Finanzminister Peer Steinbrück hatte die bis dahin geltende Spekulationsfrist im Jahr 2008 abgeschafft, um kleine Anleger vor dem Zinseszinseffekt zu bewahren. Egal, wie lange Kleinsparer eine Aktie oder einen Fonds im Depot haben, beim Verkauf wird am Ende immer eine  Abgeltungssteuer auf Zinsen und Kursgewinne fällig. Diese kräftige Steuererhöhung hatte Steinbrück mit der notwendigen Vereinfachung bürokratischer Verfahren begründet. Statt komplizierte Steuervordrucke für Kapitalerträge auszufüllen, führen Deutschlands Anleger seitdem pauschal ein knappes Drittel ihrer Gewinne ans Finanzamt ab.

"Warum nicht auch bei Lebensversicherungen?", fragt der auf Finanzgerechtigkeit spezialisierte Gesellschaftsforscher Kravatz. Er hält die Steuerfreiheit für langjährige Lebensversicherte für ein äußerst fragwürdiges Privileg. "Wir reden hier schließlich von einer Generation, die oft freundlich als Boomer, zutreffender aber als Raff-Rentner beschrieben wird." 

Gewinne für Kreuzfahrten 

Gerade diesen Menschen, die ohnehin schon die besten Jahre der Republik  im sogenannten besten Alter hatten erleben dürfen, werde mit den häufig präferierten Einmalzahlungen "mit einem Schlag unsinnig viel Geld hinterhergeworfen, das sie oft gar nicht brauchen". Das seine ja häufig "genau die Leute, die zu zweit in viel zu großen Wohnungen mit niedriger Miete oder gar in einem eigenen abbezahlten Haus leben." 

Die Folge sei, dass das, was sie im Laufe der Jahre in der Lebensversicherung angespart hätten, "unsinnig für Kreuzfahren und Busreisen verpulvert" werde. "Oder sie stecken es in Aktien, Gold und Bitcoin." Und das in einem Land, das eine vollkommen verschlissene Infrastruktur mit bröckelnden Brücken und eine stillstehenden Bahn, zu wenig Geld für die Integration Schutzsuchender und kaum freie Mittel für die Fortsetzung des Krieges in der Ukraine habe.

Schlupfloch für Superreiche 

Trotzdem weigere sich auch die neue Bundesregierung, dieses kaum bekannte Schlupfloch für Superreiche zu stopfen. "Dabei empfiehlt selbst der Internationale Währungsfonds, ungerechte Steuerregelungen zu schließen, die einseitig Ältere bevorteilen." Ein Federstrich würde aus Kravatz Sicht reichen. "Als Peer Steinbrück damals die Steuerprivilegien für Anleger abgeschafft hat, ging das doch auch." 

Dass die Ampel-Koalition trotz ihrer beständigen Geldnöte daran gescheitert sei, für eine Vielzahl immobilienbesitzende Steuerpflichtige und Immobilienunternehmer empfindliche Steuerverschärfungen durchzusetzen, dürfe das schwarz-rote Bündnis nicht abschrecken. "Aber schon im Koalitionsvertrag haben beide Seiten diesbezüglich für eine Leerstelle votiert."

Die CDU rückt von früheren Forderungen  ab 

 Für die CDU sei das zwar ein großer Schritt gewesen. "Sie hat ja über Jahre angekündigt, zum Halbeinkünfteverfahren zurückkehren zu wollen, um mehr Steuergerechtigkeit und verbesserte Anreize für die Anlage in Aktien zu schaffen." Dass die Regierung aber bei Alt-Lebensversicherungen immer noch "Geld mit vollen Händen aus dem Fenster wirft, kann kein Dauerzustand bleiben".

Wer höhere Vermögen- und Erbschaftsteuern fordere, um die schwächelnde deutsche Wirtschaft wieder auf die Beine zu bringen, könne nicht nur parallel Beiträge zu den Sozialkassen erhöhen und mit neuen Zöllen, Grenzabgaben und Klimabußen Dampf für mehr Wachstum machen. "Er muss auch zur Schließung von Schlupflöchern bei Lebensversicherungsbegünstigten bereit sein." Auch die Linksfraktion im Bundestag hatte schon bei der Bundesregierung nachgefragt, ob sie diese millionenschweren Schlupflöcher schließen will und warum nicht. Die Antwort der Bundesregierung war knapp und eindeutig: "Konkrete Maßnahmen im Sinne der Fragestellung sind aktuell nicht geplant".

Armutszeugnis für die Aufbruchskoalition 

Ein Armutszeugnis für eine Koalition, die von einem sozialdemokratischen Vizekanzler geführt wird, der nicht müde wird, seine leeren Kassen zu beklagen. Lars Klingbeil fehlen 172 Milliarden Euro in der Haushaltsaufstellung bis 2029, 30 Milliarden werden bereits für das Jahr 2027 benötigt. Doch weil im 146 Seiten langen Koalitionsvertrag kein einziges Mal das Wort Lebensversicherungsbesteuerung auftaucht, duldet auch der SPD-Chef das Fortbestehen der "skandalösen Gerechtigkeitslücke" (Rolf Kravatz). "Dabei weiß Herr Klingbeil genau, dass diese Ungerechtigkeit des deutschen Steuersystems unter Ex­per­t*in­nen seit Langem bekannt ist."

Mittwoch, 17. Dezember 2025

Kevin Kühnert: Das Wunder der Finanzwende

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Das gesamte "hauptamtlich arbeitende Team" der Bürgerbewegung Finanzwende wird aus einem Etat finanziert, der bei einer profitorientierten Firma nicht einmal für halb so viele Mitarbeiter reichen würde.

Viele hatten ihn als neuen Kanzler gesehen, auf jeden Fall aber eines Tages als Finanzminister, Parteichef oder EU-Kommissionspräsidenten. Kevin Kühnert brachte alles mit. Die richtige Einstellung, das richtige Parteibuch, die scharfe Zunge, den wachen Verstand und die Kulleraugen. Als SPD-Generalsekretär war er die Idealbesetzung. 

Ein junger, von keiner Begegnung mit der Wirklichkeit verdorbener Idealist, dessen Machthunger dem eines Kardinal Richelieu nicht nachstand. In der bemerkenswerten Doku "Kevin Kühnert und die SPD" zeigte der Berliner Jung sich als der Strippenzieher, der die deutlich älteren Genossen Walter Borjans und Saskia Esken an die Parteispitze lanciert, beständig rauchend und telefonierend und die so ungeschickt agierenden Sockenpuppen dirigierend.

Rückzug aus der ersten Reihe 

Das Ende war brutal. Kühnert war nicht einmal 40, als ihn der beständige Leistungsdruck zwang, sich aus der ersten Reihe von Politik und Talkshowpersonal zurückzuziehen. Sein Bundestagsmandat behielt er noch, von irgendetwas muss auch der Sozialist leben. Doch Politik machen wollte er nicht mehr. "Im Moment kann nicht über mich hinauswachsen, weil ich nicht gesund bin", schrieb der 35-Jährige in einem Brief an seine Genossen.

Kevin Kühnert war entnervt, er hatte sich aufgerieben im Nahkampf mit der Basis und der Parteispitze, die den Aufsteiger dafür verantwortlich machte, dass das eben erst begonnene sozialdemokratische Jahrzehnt nach drei Jahren schon wieder zu Ende war.

Ein teilnehmender Beobachter 

Ein Jahr war er verschwunden, abgesehen von sehr seltenen kurzen Wortmeldungen in seiner Rolling-Stone-Kolumne "Teilnehmende Beobachtung". Mit spitzer Feder spießte Kühnert hier die "Identitätspolitik des bayrischen Ministerpräsidenten" Söder auf. Oder er berichtete auf seine grundsympathische Art, wie er "morgens von Zeit zu Zeit den Fernseher anschalte, um mich im BR-Fernsehen von den Panoramabildern berieseln zu lassen", während die hart arbeitende Mitte draußen versucht, die schweren Zeiten zu überleben.

Augen auf bei der Berufswahl! Wer wie Kühnert einmal auf dem Karussell mitgefahren ist, das die Nomenklaturkader der Volksparteien von Fleischtopf zu Fleischtopf fährt, der schaut dem Überlebenskampf der Massen gelassen zu. Man liest "Robert Habecks viel zitiertes Interview in der Taz". Und weiß vielleicht auch nicht, wer von der Rentenreform profitiert. Aber dafür genau, dass es für einen selber auch nicht weiter wichtig ist.

Ein Treffen mit alten Freunden 

Schließt sich die eine Tür, von einem selbst zugeknallt, öffnet sich eine andere, in diesem Fall eine, die der alte Kühnert-Kumpel Norbert Walter-Borjans aufgezogen haben dürfte. Der frühere SPD-Vorsitzende sitzt als "Sprecherin" (Finanzwende) dem sechsköpfigen Aufsichtsrat des Berliner Vereins Finanzwende e.V. vor. Und bei dem steigt Kevin Kühnert nach seinem Sabbatjahr jetzt ein. Was für ein großer, aber schöner Zufall!

Und wie das passt. Die Geschäftsräume der Finanzwende, eines zwar nicht gemeinnützigen, aber  für fast alle Menschen engagierten Vereins mit Sitz in Schöneberg, sind gut mit dem Rad zu erreichen und die Mission der Lobbygruppe ist wichtig. Finanzwende setzt sich für ein "stabiles Finanzsystem" ein, für höhere Erbschaftssteuern und, das ist mit Blick auf Olaf Scholz ein bisschen kitzlig, für eine strenge Strafverfolgung aller Verantwortlichen, die mit den Cum-Ex-Geschäften zu tun hatten. 

Beim Verein, der sich selbst mit Blick auf seine 15.000 Mitgliederinnen und Mitglieder auch "Bürgerbewegung Finanzwende" nennt, übernimmt der studierte Publizist- und Kommunikationswissenschaftler ohne Abschluss die Leitung des Themenfelds Steuern, Verteilung und Lobbyismus. Kühnert werde sich "für alternative Finanzpolitik engagieren", hieß es bei der Vorstellung des prominenten neuen Mitstreiters der Organisation, die 2018 vom ehemaligen Grünen-Finanzpolitiker Gerhard Schick gegründet worden war.

Gegen die Herrschaft ökonomischer Gesetze 

Schick, ein erklärter Befürworter von noch mehr Umverteilung und entschiedenen staatlichen Eingriffen, um die Wirkung ökonomischer Gesetze im Interesse einer menschenwürdigen Ordnung zu begrenzen, zeigt mit seiner Finanzwende, wie finanzielle Wunder gelingen können. Der Verein ist absolut transparent, auch wenn er im Zuge des Einstiegs von Kevin Kühnert nicht mitgeteilt hat, ob der Mann ohne Berufsabschluss sich gegenüber seiner letzten Stellung als Bundestagsabgeordneter finanziell verbessert oder Einbußen hinnehmen muss. Alles andere aber liegt beim "effektiven Gegengewicht der Finanzlobby" offen auf dem Tisch.

Finanzwende verzichtet auf staatliche Förderung, wie sie anderen NGOs selbst von der Union mit den berühmt-berüchtigten 551 Fragen kurzzeitig unterstellt worden war. Der Verein macht sich nicht nur "für mehr Transparenz im Finanzbereich stark" (Finanzwende über Finanzwende). Die Organisation richtet "dementsprechend auch an sich selbst hohe Ansprüche". 

Mammutanteil für Mammutprojekt

Weil Beiträge der Mitglieder und Spenden "mit rund 89,7 Prozent den Mammutanteil der Einnahmen" ausmachen, kann "dieses Mammutprojekt" Kevin Kühnert unabhängig und überparteilich agieren. Niemand ist sein Herr, er ist niemandes Gescherr. Selbst dem Finanzamt hat die Organisation "zugunsten unserer politischen Schlagkraft und thematischen Unabhängigkeit" den steuerrechtlichen Status der Gemeinnützigkeit zurückgegeben. Neben dem nicht mehr gemeinnützigem Verein gibt es seitdem eine gemeinnützige GmbH, an die von Gerichten verhängte Geldauflagen gezahlt werden können. Gesellschaftsrechtlich verworren, aber transparent, da kein Geheimnis.

Das liegt vielmehr in den Finanzen der Organisation verborgen, die der Jahresbericht 2024 penibel auflistet. Danach machten die Mitgliedsbeiträge von rund 13.300 Fördermitglieder mit 74 Prozent den Mammutanteil der Einnahmen aus. Weitere 15 Prozent seien Spendengelder gewesen, der Rest "Zuwendungen" und "sonstige Einnahmen", die nicht näher erklärt werden. 

Am Ende ist alles weg 

Insgesamt konnte die Finanzwende mit rund 2,1 Millionen Euro haushalten. Für "Kampagnen und Projekte" wurden 1,14 Millionen ausgegeben, für das "Fundraising" genannte Einwerben neuer Spenden knapp 250.000 - 80.000 weniger als an Spenden hereinkam. Das lohnt sich. Die Vereinsarbeit ließ sich der e.V.  65.000 Euro kosten, die Öffentlichkeitsarbeit mehr als 360.000 und die Verwaltung vons Janze, wie der Berliner sagt, schlug mit  290.000 Euro zu Buche. Die Einnahme-Ausgaberechnung geht genau auf. Am Ende ist alles weggewesen.

Schlank und erfolgreich, denn 2024 wuchsen die Einnahmen im Vergleich zum Vorjahr um ein Drittel. "Dadurch konnten 89,7 Prozent der Projekte aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden finanziert werden". Irritierend wirkt allerdings das Teamfoto der Engagierten, das "Geschäftsführung, unseren Aufsichtsrat, unsere Geschäftsstelle sowie unsere Fellows" zeigt.

Höchst effektiver Mitteleinsatz 

35 Personen aus dem 36 Köpfe zählenden "hauptamtlich arbeitenden Team" (Finanzwende) sind zu sehen. Kevin Kühnert ist noch nicht dabei. Der höchste effiziente Einsatz der Vereinseinnahmen  zeigt sich aber auch ohne den Neueinsteiger: Die Experten bei Finanzwende sind sämtlichst gut ausgebildet. Sie sind Diplom-Finanzwirtin, "Politikwissenschaftler mit einem Master in Korruption", Volkswirtschaftler mit Schwerpunkt Makroökonomie oder sie haben "Betriebswirtschaftslehre und sozial-ökologische Ökonomie in Lüneburg und Wien" studiert. 

Das ins Auge fallende Problem: Würden sie alle zum deutschen Durchschnittslohn bezahlt, wären damit 1,97 Millionen Euro des 2,1 Millionen Euro umfassenden Vereinshaushalts ausgegeben. Vom kläglichen Rest müssten noch Büromiete, Nebenkosten, Fundraising, Kampagnen und Projekte finanziert werden. Ein gewöhnliches Unternehmen mit drei Dutzend Mitarbeitern hätte bei einem Durchschnittsbruttolohn von 4.000 Euro pro Angestelltem mehr als 2,4 Millionen Euro Gehaltskosten im Jahr zu stemmen. Dazu kämen natürlich weitere Kosten wie die Lohnabrechnung, die Büromiete, Heizung, Ausstattung, Technik oder Strom.

Das große Finanzwenderätsel 

Es ist ein Rätsel, fast größer als das, um die Herkunft ihrer Spenden macht. "Wir haben keine einzelnen Spender*innen, die einen wesentlichen Anteil unseres Budgets tragen", heißt es.

Selbst bei 35 Mitarbeitern, die nur Mindestlohn erhalten, kann nur ein Wunder erklären, wie geschickt die Geschäftsführung ihr bisschen Geld einsetzt, obwohl doch die Süddeutsche Zeitung eben erst festgestellt hatte, dass die Deutschen generell nicht mit Geld umgehen können. Würde alle Angestellten nur mit Mindestlöhnen abgefunden, müsste der Finanzwende e.V. dafür seinen halben Jahresetat einsetzen. Für Fundraising, Vereins- und Öffentlichkeitsarbeit bliebe kaum mehr etwas übrig, geschweige denn für die Verpflichtung eines hochkarätigen Finanzexperten wie Kevin Kühnert.

Die Waisen aus dem Abendland: Nackt im Wind der Wirklichkeit

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Die Waisen aus dem Abendland machen immer wieder dieselben Vorschläge. Und sie können nur hoffen, dass sie niemals angenommen werden.

Die Erkenntnis wird Albert Einstein zugeschrieben, doch dass er der einzige war, dem sie kam, ist nahezu ausgeschlossen. Dass es einem Wahnsinn gleichkommt, immer wieder dasselbe zu tun und trotzdem andere Ergebnisse zu erwarten, lernt jedes Kind, wenn es das erste Mal eine heiße Herdplatte berührt. Die wenigstens nur versuchen es noch einmal, weil sie glauben, nicht jeder heiße Herd verbrenne Haut.

Hausieren mit dem Bauchladen 

Von anderer Hartnäckigkeit sind allerdings Europas Führerinnen und Führer. Seit drei Jahren hausieren deutsche Bundeskanzler, französische Präsidenten und EU-Kommissionschefin mit demselben Bauchladen an Kompromissvorschlägen für einen schnellen Frieden in der Ukraine. Sie haben Sanktionspakete dabei, Angebote an Russland, aufzugeben und Reparationen zu zahlen, lange schon gehört die Forderung nach einem Waffenstillstand dazu und immer steht fest, dass die Ukraine keinen  Meter ihres heiligen Bodens aufgeben muss. Schließlich geht es darum, ein mögliches Kriegsende nicht nach Siegfrieden aussehen zu lassen.

Im Kreml sind all die Angebote mit Nichtachtung gestraft worden. Das passte allen ganz gut. So lange Joe Biden im Weißen Haus saß, waren damit alle zufrieden. Kein Bundeskanzler musste sich um Gespräche mit Putin bemühen, um sich dort demütigen zu lassen. Kein Emmanuel Macron musste auf die Rolle als außenpolitischer harter Hund verzichten, wo es doch schon innenpolitisch nicht läuft. 

Kostümwechsel in Brüssel 

Und Ursula von der Leyen hatte einmal mehr das Kostüm gewechselt. Aus der Gesundheitspräsidentin, die zur Klimapräsidentin umgeschult hatte, wurde die Verteidigungspräsidentin. Unbeugsam wie damals bei der Bundeswehr, als die Verteidigungsministerin von der Leyen die Truppe nach Strich und Faden so weit entnazifizierte, dass ihre Nachfolgerinnen Annegret Kramp-Karrenbauer und Christine Lambrecht eine Schmusearmee anführen konnten.

Dass Donald Trump mit seinen Friedensbemühungen  unabgesprochen vorpreschte, schauten alle ungläubig nach Alaska. Das Bangen darum, dass der US-Präsident bitte keinen Erfolg haben möge, fand seinen schönsten Ausdruck in einem Satz des US-Korrespondenten des ZDF. Elmar Theveßen, ein ausgewiesener Amerika-Experte und Antiamerikaner, beruhigte die Gemüter mit der "guten Nachricht" (Thevbeßen), dass "nicht am ersten Tag schon der Frieden ausbrechen" werde

Nervender US-Präsident 

Dass Trump nicht lockerließ und mit seinem 28-Punkte-Plan weiter nervte, wär ärgerlich. Doch Europa hatte inzwischen eine Strategie entwickelt. Wie ein guter Boxer pendelten Europas Führer den Angriff aus. Mit einer klugen Finte wurde Freude und Zustimmung simuliert. Anschließend dann mit "eigenen Vorschlägen" an Einstein erinnert. 

Klipp und klar gab es erneut das Angebot an Russland, aufzugeben und Reparationen zu zahlen. Vorher müsse Moskau einem Waffenstillstand zustimmen. Und es habe natürlich zu akzeptieren, dass die Ukraine keinen Meter ihres heiligen Bodens aufgeben werde.

Merz, Macron und von der Leyen wussten natürlich, dass ein Friedensschluss damit keinen Millimeter näherrückt. Darum gibt es ja: Die Dynamik aus der Situation zu nehmen. Trump nicht noch einmal einen Überrumplungsfrieden wie im Nahen Osten zu gönnen, als alle wichtigen Papiere unterschrieben waren, ehe die Europäer sie hatten lesen dürfen. 

Kanzlers schlechte Karten 

Nachdem Friedrich Merz den russischen Diktator Putin zum  "vielleicht schwerstes Kriegsverbrecher unserer Zeit, den wir zurzeit im großen Maßstab sehen" ernannt hatte, um als wirklich harter Hund durchzugehen. Obwohl er noch immer keine einzige "Taurus" geliefert hat, stehen die Karten des Kanzlers schlecht, nach der nächsten Zeitenwende auf freundlichen Empfang im Kreml hoffen zu dürfen. 

Je länger Trump braucht, die Ukrainer und Russland zum Frieden zu zwingen, desto größer die Chance, dass es ihm nicht gelingt. Dann, so spekuliert EU-Europa, steigen die Chancen, dass der Präsident die Nase voll hat vom Schachern mit den Russen. Und aus Wut über Putin wieder auf die europäischen Nato-Verbündeten als erste Verteidigungslinie Amerikas in Europa zurückkommt.

Die Wunschliste der Verbündeten

Von dieser Linie lassen die drei entscheidenden Wortführer inzwischen schon seit Monaten nicht mehr ab. Was auch immer auf dem Tisch liegt, aus Brüssel, Berlin und Paris kommt die ergänzende Idee, dass Moskau zuallererst einen Waffenstillstand schließen müsse, danach auf die Forderung zu verzichten habe, dass die Ukraine Gebiete abtreten müsse. Und zu guter Letzt wird das Ganze noch vergiftet mit dem großherzigen Angebot, dass Nato-Truppen in der Ukraine stationiert werden, um die Einhaltung des Friedensvertrages neutral zu überwachen.

Moskau hat das alles meist nicht einmal abgelehnt. Auch die Vereinigten Staaten haben auf bizarre Vorschläge wie die Rückkehr deutscher Truppen in den Donbas acht Jahrzehnte nach deren Rückzug von dort nicht einmal mit Gelächter reagiert. Abgesehen von der Chefin der EU-Kommission, die im September eine Stationierung von EU-Truppen in der Ukraine angekündigt hatte, weiß jeder leidlich mit  den Umständen vertraute Nachrichtenkonsument, woran die Idee krankt. 

Marschbefehl für Phantomtruppen 

Es gibt die Truppen nicht. Die EU hat keine Zuständigkeit für Verteidigungsangelegenheit. Ursula von der Leyen übt keine Befehlsgewalt aus. Und daran vermag auch die begeisterte Zustimmung von Emmanuel Macron, der den Plan "sehr konkret" genannt hatte, nichts zu ändern. 

Doch das Hirngespinst ist alles, was Europa auf die Waage zu legen hat. Auch im Zuge der neuerlichen Verhandlungsrunden haben die drei Zaungäste der Friedensverhandlungen ihre "Solidarität mit der Ukraine" (Spiegel) wieder demonstrativ ausgestellt, indem sie das tote Pferd erneut aufzäumten. 

Diesmal lauten die Friedensvorschläge Europas sinngemäß etwa folgendermaßen: Russland müsse einem Waffenstillstand zustimmen, der so lange laufen werde, wie die Kapitulationsverhandlungen Moskau brauchen. Danach trete die Ukraine den Sicherheitsgarantien der Nato bei, ohne ihr formell beizutreten. Und Truppenverbände der europäischen Nato-Staaten ziehen mit klingendem Spiel  Richtung Donbas, wo sie die Einhaltung des Waffenstillstandes überwachen und den Luftraum kontrollieren werden.

Nato-Truppen für die Ukraine 

Wladimir Putin hat das mehrfach abgelehnt. Schließlich war es aus russischer Sicht ja gerade die an die eigenen Grenzen vorgerückte Nato-Präsenz, die ausschlaggebend war für den Angriff auf die Ukraine. In Deutschland aber geht der Humbug als diplomatisches Meisterstück durch. "Wie der Kanzler Europa zurück ins Spiel bringt", jubelt es, Merz werde "gelobt" für seine "multinationale Truppe zur Überwachung eines Friedens", mit der er den "Kraftakt" bewältigt habe, der Heimatfront vorzugaukeln, er sei "auf die diplomatische Weltbühne" (Tagesschau) zurückgekehrt.

Es ist schon beeindruckend, wie standhaft die Europäer ihren skurrilen Plan einer "Schutztruppe" (Tagesschau) vortragen, von der nicht einmal der Verteidigungsminister zu sagen weiß, "unter welchem Kommando findet eigentlich was wo im welchem Rahmen statt?" Befiehlt von der Leyen? Wird es der  jüngst zum ersten EU-Verteidigungskommissar Europas Andrius Kubilius sein, der nebenher noch für "Space" zuständig ist, weil die EU es für Verteidigung eben ausdrücklich nicht ist? Darf der Bundestag mitreden? Oder macht das Nato-Chef Mark Rutte, ein ungedienter Niederländer, der den nächsten Krieg in "einem Ausmaß" erwartet, "wie es unsere Großeltern und Urgroßeltern erlebt haben"?

Nackt im Wind der Wirklichkeit 

Nebensache. Fest steht, dass die bewaffneten Nato-Streitkräfte auch "durch Operationen innerhalb der Ukraine" helfen sollen, vielleicht, indem sie unerlaubte russische Angriffe zurückschlagen. Friedrich Merz stellt sich eine "entmilitarisierte Zone" vor, um die Konfliktparteien in der Ukraine zu trennen. In der Abschlusserklärung nach der Ukraine-Gespräche der nicht direkt mit dem Friedensschluss befassten Nationen heißt es, eine "von Europa geführte und den USA unterstützte Truppe solle die ukrainischen Streitkräfte unterstützen". Sie werde "die Sicherheit des Luftraums und der Meere gewährleisten".

Dieses von den Europäern unterbreitete Angebot soll als "Bekenntnis zur Mitverantwortung" verstanden werden. Wenn Putin sage," wohin er die Reise gehen will, dann werden wir weiter sehen, woraus das im Einzelnen bestehen kann", hat Pistorius die Frontlionien umrissen. Nato-Soldaten in der Ukraine und nach dem ersten Schuss von wem auch immer auf einen Nato-Soldaten aus welchem Land auch genau. Einen besseren Einstieg in einen Krieg gibt es gar nicht.

Friedrich Merz sieht das ebenso. Werde die "Friedenszone" bedroht, die seine Regimenter bewachen, hat er einen Plan. "Wir würden auch entsprechende russische Übergriffe und Angriffe erwidern", sagt er. Das Schlimmste, was Europa passieren könnte, wäre eine Zustimmung Putins zu diesem verwegenen Angebot. Die Waisen aus dem Abendland ständen augenblicklich nackt im Wind der Wirklichkeit.


Dienstag, 16. Dezember 2025

Depopulationsmanifest: Die Vergangenheit der Zukunft

Bei Whitley Strieber ist es immer für alles zu spät. Ohne Depopulation hat seine Menschheit keine Zukunft.

Es war eines dieser am Ende enttäuschenden Jahre. Das Schmunzeln in vielen Gesichtern verschwand. Die Mundwinkel gingen wieder nach unten. 1985 hatte viel versprochen, im 40. Jahr nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges schien sich die Welt endlich zum Besseren zu verändern.

In den Moskauer Kreml war  Michail Gorbatschows eingezogen, der die alte, überdehnte und überanstrengte Sowjetunion wieder fit machen wollte für die Klassenauseinandersetzung mit dem Kapitalismus. In Wimbledon siegte der erst 17-jährige Boris Becker beim traditionellen Tennisturnier und er machte den elitären Sport der Überreichen damit zeitweise zur Nummer eins vor dem Fußball. Künstlerinnen und Künstler engagierten sich für das Gute. Bei Bob Geldofs Benefizkonzert Live Aid sollte Geld für die Hungernden in Äthiopien gesammelt werden.  In Westdeutschland gab es jetzt Privatfernsehen. Im Osten Jeans.

Ausbrütungen am Atommeiler 

Doch all das war nur Täuschung, wirre Hoffungsspieleren und "eitler Tand", wie der Maler Franz West eine seiner sogenannten "Ausbrütungen" überschrieben hat. Schon 1986 wich das Gefühl von Zukunft. Der Atommeiler von Tschernobyl explodierte. Auch Gorbatschow log. Die Milch der frommen Denkungsart, sie war radioaktiv. 

In Bonn reagierte die Politik mit einer Maßnahme, wie sie auch heute noch wirken würde: Gegen den giftigen Staub aus der Sowjetunion wurde ein Umweltministerium gegründet. Dann fiel das Space Shuttle "Challenger" vom Himmel. Der schwedische Ministerpräsident Olof Palme wurde ermordet. In Wackersdorf demonstrieren Zehntausende gegen den Bau einer Wiederaufarbeitungsanlage für radioaktive Brennstäbe. Es ist die Geburtsstunde des deutschen Atomausstieges.

Vorstufe des Verhängnisses 

Whitley Strieber, damals genauso alt wie der Frieden,  hat dem Braten nie getraut. Fortschritt, das war für den Verfasser der erfolgreichen Horrorromane "Wolfsbrut" und "Der Kuss des Todes" die Vorstufe des nächsten Verhängnisses. Strieber hatte zusammen mit dem ebenso von Katastrophen faszinierten James Kunetka schon den Roman "Warday" verfasst und darin liebevoll und detailverliebt die Folgen eines Atomkrieges zwischen den USA und der Sowjetunion beschrieben. Mit dem Nachfolger "Nature's End" wollten die beiden Texaner nun zeigen, dass auch Frieden letztlich nichts nützen wird.

Die Natur wird in "Schwarzer Horizont", wie "Nature's End" auf Deutsch überschrieben wurde, mit Volldampf zerstört. Der Himmel ist schwarz,  die Luft so dick, dass die Menschen auf den Straßen umkippen. Nur ganz wenige dürfen noch fliegen, Flugzeuge heben aber nur ab, wenn ihre Auslastung hoch genug ist. Wer auf die Wissenschaft hört, der weiß, dass das Sterben nicht schnell genug geht.

Zu viele Menschen 

Zu viele Menschen, dieser ewig jungen Theorie hängen auch die beiden Autoren an, verbrauchen zu viele Ressourcen. Zu viel Wachstum sprengt die planetaren Grenzen. "Wir können kein weiteres Wachstum dulden", wird der in Deutschland höchst populäre Philosoph Kohei Saito den an Selbstgeißelung interessierten Eliten im Westen viele Jahre später zur Abschaffung von Demokratie und Marktwirtschaft raten.

Das Gras des japanischen Kommunisten wächst auf Striebers Wiese, die direkt an dem Hang liegt, über den alles menschliche Leben in den Abgrund des Klimakollapses rutschen wird. 2025 und 1985 unterscheiden sich in den Diagnosen wenig. Es steht schlimmer als immer. Nur der Selbstmord bietet noch eine Alternative zum Tod. Der Freiwillen aber sind zu wenigen - für den Fronteinsatz, aber auch für das klimaverträgliche Aussterben daheim. Zwar ist das Bett gerichtet, in dem die "uns umgebende Wirklichkeit" (Robert Habeck) langsam genesen kann. Doch das Schrumpfen geht zu langsam. Kein Geburtenknick ist groß genug, als dass er rechtzeitig genug Wirkung entfalten könnte, um die strengen Klimaziele der Europäischen Union zu erreichen.

Striebers Weg 

Die Verantwortlichen wissen das. Sie geben sich alle Mühe, zu tun, was immer möglich ist. Und das erntet Hochachtung, etwa von JPMorgan-Chef Jamie Dimon. Der bescheinigte der EU gerade erst, auf dem richtigen Weg zu sein. Vor einigen Jahren noch habe ihr Bruttoinlandsprodukt bei etwa 90 Prozent des amerikanischen gelegen. "Heute ist es auf 65 Prozent gesunken." Keine Folge von US-Zöllen oder bösartigen Präsidenten. "Das liegt an ihrer eigenen Bürokratie und ihren eigenen Kosten", lobte Dimon, der im Verzicht des alten Europa auf eine weitere Teilhabe an Fortschritt und Mehrung des Wohlstands eine Chance sieht. Es bleibt mehr für die anderen übrig.

Whitley Striebers düstere Prophezeiung aber  wird damit unausweichlich Wirklichkeit. Eine übernutzte Welt mit endlichen Vorräten trifft auf eine anmaßende Spezies, die nach der Art der Ureinwohner der Osterinsel lebt und sich selbst verzehrt. Strieber und Kunetka nutzten ihre apokalyptische Vision einer heillos überbevölkerten Erde, auf der die Hungernden wie Heuschreckenschwärme nach Nahrung suchen, um die aus ihrer Sicht einzig mögliche Konsequenz in einem "Depopulationsmanifest" auszuführen. Die beiden Schriftsteller ahnten nicht, dass sie damit eine der haltbarsten Verschwörungstheorien aller Zeiten begründen würden, sie sahen aber selbst ein, dass es einen geschickten Kunstgriff bräuchte, um die Idee in die Welt zu entlassen.

Jeder dritte muss sterben 

Im Buch kämpfen also mutige Partisanen gegen Gupta Singh, den Hohepriester der gezielten Entvölkerung, der im Gent des Jahr 2021 die Organisation "Depopulationismus International" ins Leben gerufen hat. "Leben ist Sein, dies ist das erste und letzte, das einzige, was wirklich zählt", behauptet die. Und um das erklärte moralische Ziel zu erreichen, Leben zu bewahren und den Fortbestand der Menschheit auf unbestimmte Zeit zu gewährleisten, müsse leider jeder dritte Mensch sterben, sofort.  

Das Depopulationsmanifest stellt die menschliche Überbevölkerung infrage, weil sie vor 40 Jahren  alles irdische Leben infrage zu stellen schien. Wie heute immer noch, konstatierten die Kämpfer um die Rettung der Welt auch damals: "Selbst größte Anstrengungen, das ökologische Gleichgewicht durch Wiederaufforstung der tropischen Regenwälder oder durch Veränderungen in der Sonnenreflexion der oberen Atmosphäre wiederherzustellen, können den Zerfall der Erdatmosphäre nicht aufhalten." Und sie stellten Fragen, die heute immer noch - etwa im "Stern" -  Bedeutung haben: "Schadet atmen dem Klima"?

Zu viel Atemluft 

Aber ja. "Schon die von Menschen benötigte Atemluft genügt, um den Kohlendioxidgehalt in den kommenden dreißig Jahren aus dem Gleichgewicht zu bringen", heißt es im Manifest. Berücksichtige man zusätzlich die Luftverunreinigung durch Industrie und Landwirtschaft, "dürfte im Jahr 2035 der fatale Kulminationspunkt dieses Ungleichgewichts erreicht sein". Unkontrollierte atmosphärische Zerstörung werde dann jegliches Leben auf dem Planeten auslöschen.  Ein Zeitrahmen ist nicht genannt. Der inneren Logik des Buches zufolge leben 2021 immer noch viel zu viele Menschen.

Denn "selbst die zwangsweise eingeführte Geburtenregelung hat kaum Auswirkungen gezeigt", heißt es. Obwohl die Bevölkerungszahl der Erde derzeit relativ konstant sei, zeige sie - 1985 - nur eine leicht rückläufige Tendenz. "Doch eine Bevölkerung von über sieben Milliarden Menschen ist schlicht zu hoch, als dass sich die Situation in der verbleibenden kurzen Zeit durch natürliche Ausdünnung entschärfen könnte." Allein durch natürliches Sterben werde die notwendige Reduzierung der Weltbevölkerung um ein Drittel erst im Jahr 2077 erreicht – das sei "viel zu spät".

Auffällig sind die Jahreszahlen. 2035 will die EU den Verbrenner beerdigt haben. 2077, wenn alles nicht klappt, wäre beim derzeitigen Transmutationstempo der halbe Weg zum Austausch der Fahrzeugflotte auf E-Antrieb zurückgelegt. 

Fortschritt schadet nur


Schon vor 40 Jahren stand die Grunderkenntnis fest. "Der überraschende technologische Fortschritt der letzten Jahrzehnte, der vielen Milliarden Menschen Gesundheit, Nahrung und Wohlstand gebracht hat, war nichts anderes als eine gut getarnte Zeitbombe", heißt es im Manifest. Alles, was sich positiv auf das Leben von Milliarden auswirkte, "führte zu einer derart grotesken Überbevölkerung, dass nicht einmal mehr die vielgerühmte Macht des menschlichen Geistes uns retten kann". Nur der Depopulationismus biete ein "humanes Programm zur Erhaltung aller bedrohten Spezies, die durch die übermäßige Ausbreitung des Menschen gefährdet sind". 

Die Beteiligung am kollektiven Selbstmord der Menschen, die Chris Korda, Sohn des Schriftstellers Michael Korda, ehemals Musiker und später Gründer der Church of Euthanasia, als freiwillige Leistung predigt, haben Whitley Strieber und James Kunetka zu einem Programm gemacht, das "die gleichmäßige Beteiligung aller Nationen an der Reduzierung ihrer Bevölkerung auf eine Weise fordert, die keine Minderheit völlig auslöscht und der Wirtschaft keinen irreparablen Schaden zufügt".  

Schonend und gerecht

Die Autoren sind sich gewiss: Es muss schonend und gerecht zugehen bei der geplanten größten Mordaktion der Menschheitsgeschichte. Die Reduzierung der Anzahl der Menschen müsse "wie ein global koordiniertes Kommando-Unternehmen durchgeführt werden, an dem alle lebenden Menschen teilnehmen". Zu einem festgelegten Zeitpunkt werde die gesamte Menschheit ein zuvor ausgegebenes Mittel einnehmen, das bei einem Drittel der Betroffenen den Tod zur Folge hat.

"Für die proportionale Verteilung innerhalb ihrer Staatsgrenzen sind die einzelnen Nationen verantwortlich", heißt es im Manifest. Das Programm sei "ohne lange Verzögerungen umzusetzen, die Identifizierung der Toten erfolgt durch die Überlebenden unmittelbar nach Beendigung der Aktion".  Die nationalen Rotkreuz-Organisationen seien verantwortlich für die Betreuung der Sterbenden, die Identifizierung der Verstorbenen und ihre Beseitigung nach den jeweiligen örtlichen Gebräuchen.  

Vorsorge gegen Verweigerer 

Nicht jeder, das ahnten die Autoren, werde frohen Mutes und im sicheren Gefühl, sein Scherflein zur Rettung der Welt beizutragen, mitmachen. Durch eine international koordinierte Polizeiaktion müsse Sorge getragen werden, dass "Zögernde zwangsweise von einer Teilnahme" überzeugt und Leugner der Notwendigkeit einer Bevölkerungsreduzierung "kein Anlass zur Weigerung gegeben" werde.

Dass sich ganze Staaten nicht beteiligten wollen werden, weil sie aus Selbstsucht und  Egoismus andere für sich sterben lassen wollen, haben die Macher des Depopulationsplanes ebenso vorhergesehen. Länder, die sich der globalen Aktion widersetzten, "werden wirtschaftlich boykottiert, bis sie einlenken – oder bis Hunger und Krankheiten den notwendigen Bevölkerungsrückgang herbeigeführt haben". 

Der große Coup: Bankraub in Brüssel

Für einen guten Zweck: Friedrich Merz aka "Robin der Fuchs" und Ursula von der Leyen als Maid Marian planen bei Euroclear in Brüssel einen der größten Coups aller Zeiten.

Die Sonne scheint über Brüssel und die Erde scheint bewohnbar. Der Morgen, einer der letzten vor der großen Entscheidung über Leben und Sterben eines ganzen Kontinents, hatte sich in ein glänzendes Licht gelegt, die eben noch graue Verwaltungsstadt für 27 Staaten funkelte mit kalter Stahl, ein schweigendes Versprechen, dass hier niemand das Knie beugen wird. Die Einheit steht. Seit einer Woche ist festgelegt, dass gar nicht mehr alle zustimmen müssen, wenn es um wichtige Dinge geht.

Ja, einige hatten Bedenken gehabt gegen den großen Plan, wie der große Teufel nach 19 Sanktionspaketen doch noch zur Aufgabe bewegt werden kann. Die Belgier bockten. Die Sklowaken und die Ungarn stellten sich wie immer quer. Selbst die Zentralbankchefin, eine treue Verbündete, schickte ungefragt eine Absage. 

Der Fuchs mit der Maske 

Als die beiden Führer*innen der EU im Dämmerlicht aus einem schwarzen Elektrolieferwagen steigen, der zuvor lautlos um die Ecke vor dem monumentalen Glaspalast der 1968 von der Morgan Guaranty Trust Co. gegründeten Zahlungsabwicklers Euroclear gebogen war, zählt das alles nicht mehr. Robin, genannt "Der Fuchs", und Maid Marian müssen nicht reden.  Wortlos rücken sie ihre Masken zurecht. Jeder Handgriff sitzt. Bruder Tuck im Wagen schaut auf die Tür. Die geheime Aktion "Expropriation of the Eagle" läuft pünktlich an.

Hinter der Glasfront der Bank mit ihren 5.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ahnt noch niemand etwas. Eine ältere Dame im Kontor zählt Münzen ab, die über Nacht eingeliefert wurden. Ein Kassierer in schnittiger Uniform nickt einem jungen Kollegen freundlich zu, der verschlafen hat. Als sich die Tür öffnet und Robin der Fuchs begleitet von Maid Marian fast unhörbar hereintritt, schreckt der erste Euroclear-Beamte nur auf, weil Will Scarlett das hellrote Schild "Vorübergehend geschlossen" klatschend herumdreht.

Tief unter der Kanalisation 

"Alle auf den Boden! Jetzt! Sofort!" zischt Robin mit einer Stimme, die zwar verzerrt durch die Sturmhaube, doch jedem aus Funk und Fernsehen bekannt. Ungläubig schauen die Verwahrer von endlos vielen Milliardenvermögen auf die drei Gestalten, die mit raschen Schritten zu den Schaltern eilen.

Hier geben an gewöhnlichen Arbeitstagen Demokraten und Diktatoren ihre Erspartes ab. Hier bitten Überreiche und Pleitiers darum, ihr Vermögen fest wegzuschließen, sei es vor der Ehefrau, sei es vor dem Zugriff fremder Finanzminister. Hier, 75 Meter tief unter der Brüsseler Kanalisation, geborgen in einer zum Tresor ausgebauten ehemaligen Bleimine, befindet sich seit den zeiten des letzten Zaren auch ein großer Teil des russischen Auslandsvermögens.

Wie viel genau, vermag niemand zu sagen. Immer wenn die Herrscher im Kreml wechselten, versuchten sie als erstes, möglichst viel vor ihren Nachfolgern in Sicherheit zu bringen. Verbürgt vorhanden sind Summen von 140 bis 210 Milliarden Dollar, es könnten auch Euro sein. Wie der für gewöhnlich gut informierte CDU-Abgeordnete Norbert Röttgen zuletzt im deutschen Fernsehen mitgeteilt hatte, könnte es so viel sein. Oder mehr, aber auch weniger.

Geld für die Ostflanke 

Jeder Cent aber wird gebraucht, um die Ostflanke der Nato zu stabilisieren. Deutschland hat nichts mehr, Ungarn will nicht, die Franzosen brauchen selbst und Spanien hat bestellen lassen, dass die eigene Randlage Sicherheit genug bietet. Die EU-Kommission kann zwar ohnehin nur fremdes Geld ausgeben, selbst das ist ihr aber mittlerweile ausgegangen. 

Die Lager streiten erbittert um die Milliarden, die ihnen nicht gehören: Sahra Wagenknecht von der deutschen Putin-Partei hält die Idee, das Vermögen der russischen Zentralbank anzuzapfen, für einen politischen Fehler. Russland werde das Geld später einklagen und die an der Aktion beteiligten Staaten würden zahlen müssen. Der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter hingegen ist fasziniert von der Idee, fremdes Vermögen einfach so abzugreifen, indem man sich selbst die Genehmigung dazu erteilt. Es reiche nicht, das Geld nur einzufrieren, so dass es der Besitzer nicht mehr vernwenden könne. Man müsse es vielmehr selbst in Besitz nehmen, und es der Ukraine zur Verfügung stellen.

Ein Auge auf den Zarenschatz

Woher sonst nehmen und nicht stehlen? Und so warfen Ursula von der Leyen und Friedrich Merz fast gleichzeitig ein Auge auf den sogenannten Zarenschatz: Funkelnde, frische Milliarden, fremdes Eigentum zwar, aber vollkommen ausreichend, um sie als Sicherheit für einen Kredit von einer Bank zur anderen zu tragen. "Wie genau das geht", hat der mit der Transaktion vertraute Norbert Röttgen das hochgeheime Verfahren beschrieben, "kann ich Ihnen nicht sagen, das kann wahrscheinlich keiner."

Damit alles klappt, obwohl so viele dagegen sind, braucht es Nacht und Nebel. Auf den Überwachungsmonitoren tanzen leichtfüßig Silhouetten, gebückt, zielgerichtet, eine Choreografie aus Präzision und Adrenalin. Der großgewachsene Mann, seiner Haltung nach der Anführer, hält seine Waffe etwas zu hoch. Niemand soll Verletzte werden. Die kleine Frau, schmal und sportlich, knurrt einen knappen Befehl über den Tresen. 

Tränen des Glücks 

Auf der anderen Seite des Pandemieglases, das hier aus Kostengründen nie abgebaut worden ist, fällt ein Becher um. Heißer Kaffee läuft über Antragsformulare für einen Solarkredit, die am Nachmittag ein Vertreter der Regierung von Südsudan hätte unterschrieben solle. Eine Kassiererin weint, leise, aber es sind Tränen des Glücks. 

Viele hier bei Euroclear haderten in den vergangenen Wochen mit der Weigerung der belgischen Regierung, aus selbstsüchtigen Gründen nicht an den völkerrechtlichen Regeln zum Umgang mit fremden Staatsvermögen rütteln zu wollen. das Blutgeld der Russen zu verwalten, erschien vielen unmoralisch, auch wenn die gigantischen Summen eingefrioren waren. 

Nirgendwo anders in Europa sind schließlich noch ähnlich opulente Geldmengen greifbar, deren Transfer nach Kiews in Russland als letzte Warnung verstanden worden wäre. Mangels vorhandener Druckmittel hatte die EU in letzten Sanktionspaketen schon dazu übergehen müssen, ganz harte Schnitte für die Zeit nach den Olympischen Sommerspielen in Los Angeles anzukündigen.

Weg mit den bürokratischen Regeln 

Dass Europa nicht ewig Geduld haben würde mit den bürokratischen Regeln, die es daran hindern, ähnlich hemdsärmlig für den Frieden einzutreten wie US-Präsident Donald Trump, war absehbar. Mehrfach hatte Friedrich Merz die Europäer zu Einigkeit aufgerufen und die Amerikaner gewarnt. 

Eine Übernahme der russischen Guthaben sei alternativlos und es gebe auch Völkerrechtler, die darin kein allzu großes Problem sähen. Verliere Russland den Krieg, könne es sich nicht beschweren. Gewinne es, müsse es ohnehin zustimmen, Reparationen zu zahlen. "Die Wahrscheinlichkeit, dass das nicht passiert, ist", hat Norbert Röttgen das Spannungsfeld beschrieben. Also ganz klein, so klein sogar, dass Deutschland zwar mit 50 Milliarden bürgt, aber komplett aus dem Risiko ist.

Das stärkt den Finanzplatz 

Aber schiefgehen kann immer etwas, gerade beim Geld. Die haben Angst, die anderen fürchten sich. Dritte warnen vor einem Dauerschaden für den Finanzplatz Europa. Wenn erst jeder, der hier Geld angelegt habe, damit rechnen müsse, dass sein Treuhänder es nicht mehr herausrücken dürfe, würden einfach alle mit ihren Konto woandershin ziehen, fürchten die Skeptiker. 

Eine Gefahr, die Ursula von der Leyen nicht sieht. Gerade erst hat die Kommissionspräsidentin wissen lassen, dass sie den europäischen Finanzplatz stärken werde. Die EU brauche privates Kapital, um die USA und China demnächst bei KI und Cloud und Rüstung und überhaupt einzu- und zu überholen. 

Das Herz der Finanzunion 

Um Euroclear, das unscheinbare Herz der Finanzunion, balgen sich seit Monaten die Begehrlichkeiten. Niemand gelang hinein in die Festung aus Glas und Stahl. Die Milliarden, die hier lagern, sind abstrakte Zahlenreihe. Der Reichtum von Staaten und Konzernen wird ausgedrückt durch Besitztiteln. Dass der einzige rechtssichere Weg, an die Milliarden heranzukommen, durch rechtliche Schlupflöcher führt, vorbei an den Sicherheitskameras des Völkerrechts und mit einfachen Mehrheitsentscheidungen hinein in die virtuellen Tresore, steht seit Wochen fest. 

Alle Bemühungen, die gesamte EU-Mitgliedschaft einzuschwören auf den einmaligen Coup, sind gescheitert. Käme es trotz der Drohung der Außenbeauftragten Kaja Kallas, man werde über die Frage beraten, bis ein positiver Beschluss vorliege, zu einer Ablehnung, wäre das die größte Blamage, die die EU jemals erlitten hat.

Ein romantischer Raub 

Die Nacht- und Nebelaktion "Expropriation of the Eagle" setzte deshalb vorher an. Wenn die russischen Milliarden erst weg sind, kann das Geld den Ukrainern helfen, ohne den Helfern zu schaden. Es ist ein romantischer Raub nicht für den eigenen Luxus, sondern für Gerechtigkeit, Frieden und Sicherheit aller. Ein Bankraub, wie in der Kriminalästhet Klaus Schönberger als kulturelles Phänomen beschrieben hat: In einer kapitalistischen Welt, in der Güter im Überfluss existieren, die aber vielen nicht genug Mittel gewährt, sich Zugang zu verschaffen, ist der trickreiche Gangster ein romantischer Held. 

Kriminell, aber liebenswert, so schildert der österreichischer Psychoanalytiker Otto Fenichel den Reflex einer Gesellsckaft, die es gern sieht, wenn es den Richtigen trifft. Der Räuber hat ihre Sympathien, weil er auf eigene Faust Ungerechtigkeiten korrigiert - er beschenkt die Armen oder, wie im Fall Euroclear, er gibt denen, die es nötig haben. 

Respekt und Sympathie 

Ob 100.000 Euro, zehn Millionen oder 210 Milliarden wie im Fall der eingefrorenen Vermögenswerten der russischen Zentralbank, die Menschen halten gern zu den Kleinen, die mit den Großen nicht auf Augenhöhe konkurrieren können. Frech sein, gewitzt und skrupellos, das kommt seit den Tagen Robin Hoods immer an. Sich vor aller Augen und öffentlich angekündigt in die geheimsten Schatzkammern des wichtigsten europäischen Zahlunsgdienstleisters zu schleichen, um an unfassbar hohe Geldmengen als Grundlage für einen ordentlichen Reparationskredit zu gelangen, trifft auf Respekt und Sympathie.

Der EU-Rat, eine der für die meisten EU-Bürger völlig undurchschaubaren Institutionen der Gemeinschaft, erscheint auf einmal wie der Robin Hood unter den multinationalen Bürokratien. Da wird nicht gezaudert und gezögert, da wird zugegriffen, wo das Geld im Schrank liegt. Vermögen gehören dem, der die Hand drauf hat.

Bertolt Brechts Irrtum 

Als Bertolt Brecht spöttelnd fragte, was denn ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank sei, ahnte er nicht, dass Jahrzehnte später niemand mehr eine Bank gründen oder überfallen muss, um sich die Verfügungsgewalt über deren Guthaben zu verschaffen. Der militante Sozialrevolutionär  Karl Plättner raubte im Sinne von Marx’ zur Expropriation der Expropriateure mit der Waffe in der Hand. Die Gebrüder Sass leerten die Safes reicher Eliten nach penibel ausbaldowerten Plänen. Die EU kommt mit einem Formbogen, der die Bank zur Herausgabe des Geldes verpflichtet.