Samstag, 11. Januar 2014

Zuzugsperre für Osteuropäer

Seit einer Woche streitet Deutschland über Armutseinwanderer, Arbeitnehmerfreizügigkeit bis nach Rumänien und die Diskriminierung von Roma-Einwohnern in den No-Go-Areas des Ruhrgebietes. Die Grünen sind enttäuscht, die Linke ist wütend, die SPD entsetzt - zumal die Partei im "Spiegel" bereits vor längerem hatte klarstellen lassen, was das sozialdemokratische Führungspersonal von einer Zuzugsperre für Osteuropäer hält.

Rainer Punz, Migrationsexperte in der Grundsatzabteilung des Bundesblogampelamtes im mecklenburgischen Warin, erläutert im Interview mit PPQ die längst überholte Forderung des damaligen Kanzlers Schröder, den deutschen Arbeitsmarkt nach der Osterweiterung der EU für osteuropäische Zuwanderer zu sperren.

Punz, 46, ist Professor für Bevölkerungswissenschaft, wegen seines Engagements für einen rationalen Umgang mit der Einwanderungsfrage berief ihn die Bundesregierung in die Zuwanderungskommission unter Leitung der später entlassenen Rita Süssmuth. Gemeinsam mit Heinz Hassmann veröffentlichte Punz kürzlich das Buch "Ost-West-Wanderung in Europa - ein Erfolgsmodell".

PPQ: Bundeskanzler Gerhard Schröder hat den Bürgern Osteuropas nach dem EU-Beitritt ihrer Staaten sieben Jahre lang den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt versperren lassen. Was hat diese Abschottung gebracht?
Punz: Nach den bisherigen Erfahrungen mit EU-Beitritten war diese Barriere wenig sinnvoll. Wenn andere Länder EU-Mitglieder geworden sind, war zu erwarten, dass die Bereitschaft unter der dortigen Bevölkerung, Richtung Westen auszuwandern, sich innerhalb kurzer Zeit deutlich verringern wird. Insofern ging es bei Schröders Vorschlag damals wohl eher um ein Signal an die eigenen Wähler und eine Konzession an die Gewerkschaften. Mit den realen Verhältnissen hatte das wenig zu tun.

PPQ: Worauf stützen Sie diese Annahme?
Punz: Nach den vorliegenden Untersuchungen und unseren eigenen Befragungen waren von den rund 50 Millionen Erwachsenen, die in den Beitrittsländern leben, etwa zwei Prozent wirklich bereit, rasch auszuwandern. Also etwa eine Million Menschen saßen dort mental auf gepackten Koffern. Diese potenziellen Einwanderer wären vermutlich innerhalb kurzer Zeit in die EU kommen, hauptsächlich nach Skandinavien, Deutschland und Österreich. Für Deutschland wären das etwa eine halbe Million Menschen, die so binnen zwei, drei Jahren zu erwarten gewesen wären.

PPQ: Das ist immerhin die Einwohnerzahl einer Großstadt.
Punz: Aber es sind nicht wirklich viele. Sie dürfen nicht vergessen, dass auch so schon 800.000 Menschen jährlich zuwandern - und fast genauso viele ziehen auch wieder weg. Durch die Freizügigkeit verringert sich die Anzahl also um 300.000, mindestens, denn auch unter denen sind schon viele Osteuropäer.

PPQ: Die Regierungen der betroffenen Staaten selbst setzen aber offensichtlich auf einen weit größeren Export von Arbeitskräften. Sie haben damals energisch gegen den Schröder-Plan protestiert, der sie zu EU-Bürgern zweiter Klasse machen würde.
Punz: Ja, das stimmt, Polen zum Beispiel erwartete durch die Geldüberweisungen polnischer Emigranten in die Heimat erhöhte Deviseneinnahmen und damit eine verbesserte Kaufkraft. Aber ich sehe da kein großes Wachstumspotenzial. Zehntausende Bauarbeiter und Erntehelfer arbeiten ja bereits hier, und noch viel mehr Polen sind illegal vor allem als Haushaltshilfen und als Reinigungskräfte beschäftigt. Nachdem es keine Visumpflicht mehr gab, ließ sich das ohnehin kaum noch kontrollieren. Insofern hat der EU-Beitritt eher den Deutschen geholfen, diesen Markt zu legalisieren und dadurch die Steuereinnahmen und Beiträge der Sozialkassen zu mehren.

PPQ: Welche Menschen würden denn nun überhaupt noch kommen wollen, nach Deutschland ihnen so lange die kalte Schulter gezeigt hat?
Punz: Nach allen Umfragen sind heute hauptsächlich Menschen mit mittlerer und höherer Qualifikation auswanderungsbereit. Genau an diesen Leuten mangelt es hier in vielen Branchen. Künftig, das ist absehbar, wird die Knappheit an qualifizierten Arbeitskräften drastisch zunehmen. Die deutsche Volkswirtschaft braucht dann noch dringender mehr Zuwanderer, nicht weniger.

PPQ: Der Kanzler wollte die Zuzugsperre aber frühestens im Jahr 2010 überprüfen lassen, letztlich lief sie erst 2014 aus.
Punz: Das war viel zu spät. Meine Hauptsorge war immer, dass mit einer solchen Barriere gerade die Menschen, die Deutschland am dringendsten benötigt, abgeschreckt werden. Seitdem es keine Visumpflicht mehr gibt, lässt sich das ja ohnehin kaum noch kontrollieren. Das Land steht in einem weltweiten Wettbewerb um die besten Köpfe, insbesondere mit den USA, Großbritannien und Frankreich. Wer da pauschale Ausschlussregeln schafft wie wir, kann nur verlieren. Das schadet Deutschland mehr, als es nutzt, wie der Blick nach nebenan zeigt.

PPQ: Was macht Sie da so sicher?
Punz: Die Lage ist schon heute schlecht. Zurzeit ist Deutschland überhaupt kein begehrtes Wanderungsziel für Leute, die tüchtig sind und Geld verdienen wollen. Das sieht man schon an der Schwierigkeit, genügend Computerfachleute zu gewinnen. Die Green-Card-Regelung war nicht gerade ein Erfolg, auch die Blue Card lockte niemanden.

PPQ: Diese Einsichten kommen bei den Wählern aber nicht an, weil die fragen, warum sind denn unter den 800.000 Einwanderern so wenig Computerexperten?
Punz: Das weiß niemand. Darum sollte die Politik diese Ängste aber nicht noch verstärken. Den Verlierern der Modernisierung, also hauptsächlich Menschen, denen die richtige Aus- oder Fortbildung fehlt, kann mit Investitionen in nachträgliche Qualifizierung weit besser geholfen werden als mit einer Abschottung des Arbeitsmarktes. Eine solche Qualifizierungsoffensive für Erwachsene ist schon deshalb unverzichtbar, weil künftig immer weniger junge Leute aus dem Bildungssystem auf den Arbeitsmarkt kommen werden.

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