Donnerstag, 21. Juni 2018

Schengen light: Wie Angela Merkel Europas Asylsystem zerlegt

Es ist Tag 1000 seit der Entscheidung der Bundeskanzlerin, die deutschen Grenzen zu öffnen. Und es ist wieder Endspiel um die Zukunft: Diesmal geht es um die Frage, ob die CSU ihrer Schwesterpartei noch zwei Wochen Zeit gibt, „europäische Lösungen“ für die Flüchtlingskrise auszuhandeln. Europäische Lösungen, so lässt Angela Merkel später wissen, die sie mit einzelnen besonders betroffenen Partnerländern in bilateralen Gesprächen auszuhandeln und inVertragsform zu gießen gedenkt.

Bilaterale Axt am Schengen-Vertrag


Bilateral? Verträge mit einzelnen Partnerstaaten? Wo in den europäischen Grundsatzverträgen steht, dass es dessen bedarf? Dass es den Mitgliedsstaaten erlaubt ist, in separater Absprache mit anderen Einzelstaaten zu unterminieren, was als „Schengen-System“ so lange hochgelobt wurde, bis es im ersten Sturm auseinanderbrach?

Selbstverständlich nirgends. Das Schengen-Abkommen, eigentlich als „Schengener Durchführungsübereinkommen“ (SDÜ) oder „Schengen II“ 1995 in Kraft getreten, kennt keinen Passus, der Unterzeichnerstaaten Prokura gibt, nach bilateraler Vereinbarung bestimmte Verabredungen zu suspendieren oder zu erweitern. Auch die europäischen Grundlagenverträge geben das nicht her – Europa soll ja, so betont es auch Angela Merkel immer wieder, mit einer Stimme sprechen, ein Staatenbündnis wie ein einziger Staat, der gemeinsam auf einer einheitlichen rechtlichen Basis handelt.

Plötzlich aber gilt das nicht mehr, plötzlich lädt der Chef der EU-Kommission zur Grüppchenbildung "interessierter Mitglieder" und die deutsche Bundeskanzlerin plant ein "informelles Asyl-Treffen", an denen nicht die EU-Staaten oder auch nur die Schengen-Vertragspartner teilnehmen, sondern handverlesene "Vertreter einiger EU-Staaten" (n-tv), die dann unter sich über die künftige Asylpolitik beschließen.

Mit dem, was EU-Europa und insbesondere der Schengenraum einst sein sollte, hat das nicht mehr viel zu tun. Eine "gemeinsame Asylpolitik einschließlich eines ,Gemeinsamen Europäischen Asylsystems'" sollte hier betrieben werden, denn das galt als "wesentlicher Bestandteil des Ziels der Europäischen Union, schrittweise einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts aufzubauen, der allen offen steht, die wegen besonderer Umstände rechtmäßig in der Union um Schutz nachsuchen".

Kein gemeinsamer Raum mehr


Dieser "gemeinsame Raum des Schutzes und der Solidarität" wies "die Zuständigkeit für die Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz zwischen den Mitgliedstaaten eindeutig zu", wie es im Schengen-Abkommen heißt. Ausschließlich, "um die Anwendung dieser Verordnung zu erleichtern und ihre Wirksamkeit zu erhöhen, sieht der Vertrag vor, "dass die Mitgliedstaaten bilaterale Vereinbarungen treffen". Diese aber erlaubt den Mitgliedstaaten keineswegs, "unter sich Vereinbarungen zu treffen, um Verfahren zu vereinfachen und Fristen zu verkürzen", wie die Süddeutsche Zeitung behauptet.

Vielmehr dürfen Vereinbarungen unter einzelnen Staaten oder Staatengruppen, so der Wortlaut, nur "darauf abzielen, die Kommunikation zwischen den zuständigen Dienststellen zu verbessern, die Verfahrensfristen zu verkürzen, die Bearbeitung von Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchen zu vereinfachen oder Modalitäten für die Durchführung von Überstellungen festzulegen."

Die Modalitäten, nicht die Überstellungen selbst. Es geht also um "bilaterale Verwaltungsvereinbarungen bezüglich der praktischen Modalitäten der Durchführung" der Verordnung, die den Unterzeichnerstaaten gestattet sind, wenn die EU-Kommission, der sie vorgelegt werden müssen, zustimmt. Zweck solcher Vereinbarungen, so steht es wörtlich im Vertrag, ist es, dessen "Anwendung zu erleichtern und die Effizienz zu erhöhen", indem, auch das ist festgeschrieben, der "Austausch von Verbindungsbeamten" oder "die Vereinfachung der Verfahren und die Verkürzung der Fristen für die Übermittlung und Prüfung von Gesuchen um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragsteller" vereinbart werden.

Merkels gibt ihr Ziel, jenseits der grundsätzlichen Regeln des Schengen-Raumes Rücknahmen von Flüchtlingen mit einzelnen Nachbarstaaten zu vereinbaren, als "europäische Lösung" aus, unterminiert damit aber die Gemeinsamkeit Europas wirksamer als es Horst Seehofer je könnte. Setzt sich die Kanzlerin durch, wird es nicht nur kein Schengen mehr geben, das nicht richtig funktioniert. Sondern viele Schengens, manche light, manche scharf, manche dauerhaft, manche vorübergehend, manche gar nicht mehr.

3 Kommentare:

Die Anmerkung hat gesagt…

OT light:

https://www.bild.de/geld/wirtschaft/griechenland-krise/deutschland-macht-2-9-milliarden-gewinn-mit-griechenland-hilfe-56074404.bild.html
Von wegen Zahlmeister
Deutschland macht Milliarden mit Griechenland-Hilfe

Borsig hat gesagt…

Nur noch Rückzugsgefechte mit leichten Zugeständnissen. Der Abgang wird vorbereitet. Die CDU wird sich danach selbst mehrmals rechts überholen, Grenzsicherung, nur noch Sachleistungen für Asylbewerber, Normalität. Es wird Zeit, schreibt dann auch die ZEIT !

Anonym hat gesagt…


"Nur noch Rückzugsgefechte mit leichten Zugeständnissen."

Nö, weder das eine noch das andere. Sand-in-die-Augen-Streuen für die 4/5 ganz normal - nach Gustave Le Bon* - Bekloppten - für das 1/5 leidlich Gewitzter: Gaslighting (gurgeln!).

*Über den physiologischen Schwachsinn der Masse, oder war das Möbius - Psychologie des Weibes? Beide sind bei den Verfassern der Ketzerbriefe nicht wohlgelitten.